Einen Tag nach den nächtlichen Corona-Beschlüssen von Bund und Ländern hagelt es Kritik von allen Seiten. Vor allem in der Hotel- und Reisebranche ist die Enttäuschung groß, aber auch die nun vereinbarte „Osterruhe“ von fünf Tagen sorgt für allgemeine Unsicherheit: Für wen genau die Osterruhe gelte, sei rechtlich völlig unklar, monierten Verbände, die Konzentration der Ostereinkäufe werde „zu massivem Kundenaufkommen mit erhöhtem Infektionsrisiko führen“, befürchtet die IHK Rheinhessen – und die Gastronomie frage sich, ob jetzt auch das ToGo-Geschäft ausgesetzt werden müsse. Streit gibt es auch um die nicht eingeführte Testpflicht in Unternehmen.
Erst in der Nacht von Montag auf Dienstag hatten sich Bund und Länder nach stundenlangem Ringen auf eine neue Strategie bei der Bekämpfung der dritten Corona-Welle einigen können – mit überraschendem Ergebnis: Nicht nur der generelle Lockdown wurde bis zum 18. April verlängert, Bund und Länder einigten sich auch auf eine fünftägige „Osterruhe“ vom 1. bis zum 5. April. Damit soll das gesamte öffentliche Leben in Deutschland von Gründonnerstag bis Ostermontag heruntergefahren werden – wie genau das gehen soll, ist aber noch unklar. Die Details werden derzeit von der Bundesregierung ausgearbeitet, hieß es am Dienstag.
Das sorgte prompt für erhebliche Verwirrung am Dienstag: Wer darf nun öffnen, und wer nicht? Weder Gründonnerstag noch Ostersamstag sind offizielle Feiertage, Feiertage aber kann die Politik nicht einfach so per Federstrich einführen – sie müssen von allen 16 Länderparlamenten beschlossen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDI) sagte dazu Montagnacht, die beiden Tage sollten wie Sonntage behandelt werden, alle Wirtschaftstätigkeiten ruhen – mit einer Ausnahme: Reine Lebensmittelgeschäfte, und nur diese, sollen am Ostersamstag öffnen dürfen. Was an Außengastronomie bis dahin wieder geöffnet wurde, muss ebenfalls schließen – Deutschland soll für fünf Tage einen kompletten Lockdown bekommen, die Politik hofft so, die Dynamik der dritten Welle durch die gefährlichen Virus-Mutationen brechen zu können.
In der Wirtschaft sorgte das prompt für Unzufriedenheit: Die Beschlüsse hinterließen „noch mehr Unklarheit und noch mehr Schaden für die Wirtschaft“, kritisierte der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) für Rheinhessen, Günter Jertz: „Es gibt jetzt mehr offene Fragen als zuvor und immer noch keine verlässliche Aussicht auf Impfungen.“ Mit der Ruhetagsverordnung verlagere die Politik das Problem nur: „Die Einschränkung der Einkaufsmöglichkeit auf den Samstag und nur den Lebensmitteleinzelhandel wird vorhersehbar dazu führen, dass die Einkäufe auf den Wochenbeginn vorverlegt werden“, warnte Jertz. Das werde „zu massivem Kundenaufkommen mit erhöhtem Infektionsrisiko führen – Hamsterkäufe inklusive.“
Der Wirtschaftsvertreter monierte, man hätte doch stattdessen über verlängerte Öffnungszeiten sprechen können, um die Lage zu entzerren, auch habe er durchaus Verständnis für wütende Reaktionen von Gastronomen, die keine Klarheit hätten, ob die ToGo-Regelung Bestand habe: „Sollte auch das ToGo-Geschäft ausgesetzt werden, bleiben den Betrieben nicht nur die Kunden für die Außengastronomie aus“, kritisierte Jertz: „Die Unternehmen bleiben auch auf der Ware sitzen, die sie für die Oster-Menüs eingekauft haben.“ Der Schaden werde dann besonders schmerzen, sollte über die Feiertage Ausflugswetter herrschen.
Die Politik hatte sich auf dem Corona-Gipfel aber offenbar nicht mehr anders zu helfen gewusst: Die britische Virus-Mutation B1.1.7 habe inzwischen die Mehrheit am Infektionsgeschehen übernommen, warnte Merkel: „Wir haben jetzt im Grunde eine neue Pandemie.“ Es gebe nun ein neues Corona-Virus mit anderen Eigenschaften, betonte die Kanzlerin: „Deutlich tödlicher, deutlich infektiöser, länger infektiöser.“ Steuere die Politik jetzt nicht sofort gegen die bereits wieder exponentiell steigenden Neuinfektionen, dann drohe eine neue Welle, die deutlich schlimmer und tödlicher sei als alle zuvor.
So verschärften die Regierungschefs die Coronaregeln, anstatt zu lockern neben den fünf „Ruhetagen“ soll vom 1. bis 5. April ein Ansammlungsverbot gelten, private Zusammenkünfte sind lediglich mit einem weiteren Haushalt und maximal fünf Personen möglich – Kinder bis 14 Jahre werden dabei nicht mitgezählt, Paare als ein Hausstand gewertet. Doch in einem Bereich blieben die Regierungschefs erneut vage: Eine Testpflicht in Unternehmen gibt es erneut nicht, die Politik beließ es bei „Appellen“.
Wie gut die funktionieren – oder eher nicht – teilte die Arbeitsgemeinschaft der IHKs in Rheinland-Pfalz am Montag selbst mit: Eine Blitzumfrage unter den Betrieben in Rheinland-Pfalz habe ergeben, dass „fast jedes sechste Unternehmen“ seinen Beschäftigten derzeit regelmäßig Corona-Tests anbiete. Weitere 30 Prozent planten in Kürze Tests anzubieten, insgesamt beteiligten sich 485 Unternehmen aus allen Branchen an der Umfrage. „Mit dem Einsatz von Schnelltests in den Unternehmen, nimmt die Wirtschaft ihre Verantwortung wahr und leistet einen Beitrag zur Pandemiebekämpfung“, sagte der Sprecher der IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz, Arne Rössel.
Damit aber bieten derzeit nicht einmal 16 Prozent der Unternehmen Schnelltests für ihre Mitarbeiter an, in Hessen waren es ebenfalls nur 18 Prozent, weitere 28 Prozent wollen „demnächst“ damit starten. Die IHKs beklagten mangelnde Informationen zu den Tests und fehlende Fortbildungen, doch damit verweigert sich ein Jahr nach Beginn der Pandemie mehr als die Hälfte der Unternehmen bisher jeglichen Testungen. Der DGB in Hessen-Thüringen kritisierte das scharf: Die Politik versäume es wiederholt, verbindliche Testverpflichtungen für Unternehmen einzuführen, kritisierte der DGB-Bezirksvorsitzende Michael Rudolph. Stattdessen versuche die Politik immer wieder, das Infektionsgeschehen vorrangig über Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich in den Griff zu bekommen.
„Corona ist kein Freizeitvirus, Übertragungen finden auch in Büroräumen und Fabriken statt“, betonte Rudolph: „Dass wir mit Selbstverpflichtungen und Absichtserklärungen von Arbeitgebern nicht weit kommen, wissen wir nicht zuletzt seit dem Fall Tönnies im vergangenen Jahr.“ Der DGB forderte deshalb, Arbeitgeber müssten ihren Beschäftigten, die in Präsenz arbeiten müssten, zweimal die Woche kostenlose Schnell- oder Selbsttests zur Verfügung stellen. Dies sei „ein wirksamer und verbindlicher Beitrag zur Infektionsreduktion“, betonte Rudolph.
Auch Bildungsgewerkschaften und Kita-Vertreter äußerten sich enttäuscht bis entsetzt, dass das Thema Bildung „erneut keine Rolle“ gespielt habe. Das große Bestreben sei, die Infektionszahlen zu drücken, den höchsten Zuwachs an Infektionen gebe es derzeit aber bei Kindern, auch bei den ganz jungen, betonte der Verband KiTa-Fachkräfte Rheinland-Pfalz: „Momentan gibt es nirgendwo in unserer Gesellschaft so viele Kontakte ohne Abstand und Maske in geschlossenen Räumen, wie in KiTas.“ Tatsächlich hatte gerade das Robert-Koch-Institut berichtet, dass die Inzidenz bei Kindern bis zu neun Jahren auf über 100 gestiegen ist – die höchsten Infektions-Zuwachsraten gibt es derzeit bei kleinen Kindern.
Für die Kitas gebe es aber weiter keine Luftfiltergeräte, die die Viruslast eines Raumes um mehr als 95 Prozent reduzieren könnten, kritisierte der Verband – auch sei bei der nun angekündigten Teststrategie von Kitas keine Rede gewesen. „Warum etabliert man in den KiTas nach Ostern nicht die Testung mit Lollitests, wie das die Stadt Freiburg jetzt flächendeckend in ihren Einrichtungen tut“, fragte der verband in Richtung der Landesregierung Rheinland-Pfalz. Die will sich am Mittwoch zur Teststrategie in Schulen äußern, in der Ankündigung ist von einem Test pro Woche für Schüler, Lehrer und Erzieherinnen die Rede – die Bund-Länder-Konferenz hatte allerdings von zwei Tests pro Woche gesprochen.
Info& auf Mainz&: Was Bund und Länder Montagnacht beschlossen haben, lest Ihr im Detail hier bei Mainz&: „Ostern fällt aus“. Mehr zum Thema Außengastronomie und Öffnungsschritte findet Ihr hier bei Mainz&.