Mitten in der Fastnachtszeit, der Zeit der bunten Unterhaltung und ausgelassenen Fröhlichkeit, findet in diesem Jahr der 27. Januar statt – der internationale Holocaust-Gedenktag. Er scheint nicht recht in die Zeit zu passen, und doch ist der Tag wichtiger denn je: Auch in Deutschland hält braunes Gedankengut wieder Einzug, verbreiten rechte Hetzer Hass und Parolen von Intoleranz, ja von Verfolgung Andersdenkender. „Demokratie, Freiheit, Solidarität mit den Schwachen, Frieden, Vertrauen und Zusammenhalt – all dies ist damals in wenigen Monaten verloren gegangen“, sagte der rheinland-pfälzische Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) im Vorfeld dieses 27. Januars. „Der Holocaust-Gedenktag braucht mehr Gewicht“, fordert denn auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Tabea Rössner – und schlägt vor, den 27. Januar zum gesetzlichen Feiertag zu machen.
Es war am 27. Januar 1945, als die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz befreite und unermessliche Schrecken vorfand. Zehntausende Tote, Berge von Leichen, dazwischen halb tote Gefangene, ausgemergelt, jeder Menschlichkeit beraubt. Der Holocaust wurde zum Beispiel dafür, was Verfolgung Andersdenkender, was Hass und Ausgrenzung anrichten können, und Auschwitz zum Symbol für die daraus entstehende Tötungsmaschinerie. Der millionenfache Massenmord, plädierten Politiker aller Richtungen (außer der Rechten…) im Vorfeld dieses 27. Januars, er dürfe nie vergessen werden – und auch nicht, wie alles begann.
Das Symbol für den Beginn wird im November dieses Jahres genau 80 Jahre her sein: Die Reichskristallnacht am 9. November 1938 war der Beginn der systematischen Judenverfolgung und von millionenfachem Mord. Begonnen aber hat all dies mit den scheinbar kleinen Dingen: Ausgrenzung Andersdenkender, Verachtung Andersgläubiger, Herabwürdigung Anderslebender. Die Ideologie von der scheinbar eigenen Überlegenheit schuf die Grundlage dafür, dass man das offenbar „niedere“ Gegenüber nicht respektieren muss – und am Ende sogar töten „darf“. Die Ideologie der Enrechtung Anderer führte geradewegs in den Massenmord. Und es waren Hass, Anfeindungen und Verachtung, die die Grundlage dazu legten.
Der 27. Januar 2018 widmet sich deshalb den Anfängen der NS-Diktatur und stellt insbesondere die Rolle der NS-Justiz in den Mittelpunkt, die der Verfolgung und Entrechtung von Juden, politischen Gegnern und vieler Minderheiten ab 1933 den Schein des Legalen verlieh. Da wurden etwa in Mainz die jüdischen Weinhändler Richard und Willi Blum in sogenannten „Weinbetrügerprozessen“ zu Haftstrafen verurteilt, es waren Schauprozesse, die „beweisen“ sollten, wie „skrupellose“ jüdische Weinhändler „die Deutschen“ betrogen. Die Prozesse sollten in der Öffentlichkeit das Bild vom betrügerischen Juden verbreiten, die Justiz machte sich zum willigen Helfer der Ideologie.
Wie sehr, das zeigt noch bis zum 7. Februar eine Ausstellung im Foyer des Abgeordnetenhauses an der Großen Bleiche: Die Ausstellung der Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus NRW“ zeigt, wie Juristen während der NS-Zeit unter dem Deckmantel einer unabhängigen Justiz Urteile „im Namen des deutschen Volkes“ fällten, dabei jedoch einem verbrecherischen System dienten. Da verfolgten Staatsanwälte Unschuldige, verhängten Richter ungerechte und unmenschlich harte Strafen. Mehr als 16.000 Todesurteile wurden verhängt, davon allein 5.000 des Volksgerichtshofs. „In vielen Fällen handelte es sich um nichts anderes als Justizmord auf Geheiß der Führung des NS-Staats“, schreiben die Macher: „Diese Morde blieben nach dem Ende der Diktatur ungesühnt – Richter und Staatsanwälte setzten in der jungen Bundesrepublik ihre Karrieren fort.“
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 begannen Denunziationen und Verfolgungen erst so richtig, und sie wurden systematisch: 1936 wurden etwa jüdische Familien in Worms, Mainz und anderen Städten gezwungen, ihre Geschäfte und Betriebe aufzugeben. In den Heil- und Pflegeanstalten in Alzey und Klingenmünster begannen Zwangssterilisationen und Krankenmorde– die Grundlage war das Gesetz „zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom Juli 1933.
Die Opfer wurden „verfolgt, eingesperrt und ermordet – weil sie anders lebten, liebten, anders dachten, anders aussahen oder anders glaubten, als es das verzerrte Bild der Nationalsozialisten vorsah“, erinnert die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner: „Es ist unsere Aufgabe, die Erinnerung an die Brutalität und Missachtung menschlicher Würde zu erhalten.“ Denn „Freiheit, Gleichberechtigung und Toleranz sind alles andere als selbstverständlich“, betonte Klöckner im Vorfeld des 27. Januar: „Es sind unsere Werte, für die wir aktiv einstehen und eintreten müssen, damit sich diese Verbrechen nie wiederholen.“
Das gelte besonders in diesen Zeiten, mahnte auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): „Völkisches und nationalistisches Denken werden leider auch in Rheinland-Pfalz wieder stärker, rechtspopulistische Stimmungsmache sowie rassistische Hetze und Gewalt nehmen zu“, mahnte der GEW-Landesvorsitzende Klaus-Peter Hammer: „Auch deshalb muss die Erinnerung an die NS-Verbrechen wachgehalten werden.“ Und Lehrern und Pädagogen komme dabei eine besondere Aufgabe zu, mahnte die Lehrergewerkschaft.
„In einer Zeit, in der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten rassistisches Gedankengut mit hetzerischen und brandgefährlichen Aussagen in vielen Landtagen und auch im Deutschen Bundestag verbreiten können, gilt es, daran zu erinnern, wohin Ausgrenzung und Hass führen kann“, betonte auch der Grünen-Landeschef Josef Winkler. Es waren hochaktuelle Worte, bezogen sie sich doch auf darauf, was gerade in Rheinland-Pfalz in den vergangenen Wochen geschehen war: Nachdem ein afghanischer Flüchtling im südpfälzischen Kandel seine 15 Jahre junge Ex-Freundin Ende Dezember erstochen hatte, brach über den Ort eine Welle von Hass von Verunglimpfungen herein. Der Bürgermeister und seine Kinder wurden bedroht, rechte Hetzer hängten ein Plakat mit Namen von Menschen im Ort auf, die Flüchtlinge unterstützen.
Und AfD-Landes- und Fraktionschef Uwe Junge twitterte: „Der Tag wird kommen, an dem wir alle Ignoranten, Unterstützer, Beschwichtiger, Befürworter und Aktivisten der Willkommenskultur im Namen der unschuldigen Opfer zur Rechenschaft ziehen. Dafür lebe und arbeite ich. So wahr mir Gott helfe!“ Der Tweet löste heftige Reaktionen in der Landespolitik aus, Politiker aller Fraktionen verurteilten die Aussage als Aufruf zu Hass, der Verfolgung Andersdenkender und letztlich auch zu möglicher Gewalt. „Die Gewalt der Worte kann sich schnell in eine Gewalt der Taten entladen“, warnte Landtagspräsident Hering. Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne), eine explizite Verfechterin der Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen, muss seit Mitte Januar von Personenschützern begleitet, ihr Haus und ihr Büro besonders bewacht werden – Spiegel erhält Morddrohungen der rechten Szene.
„Es ist unsere Aufgabe, neuerlichem Antisemitismus, Rassismus, Fremdenhass und Nationalismus konsequent entgegenzutreten“, betonte CDU-Landeschefin Klöckner nun: „Unsere historische Verantwortung mahnt uns deshalb denjenigen entschlossen entgegenzutreten, die zu Hetze und Gewalt motivieren.“ Das Gedenken des 27. Januars sei zugleich ein Versprechen“, sagte SPD-Fraktionschef Alexander Schweitzer: „Ein Versprechen der demokratischen Mitte, dass Antisemitismus, Menschenverachtung und Hass in Deutschland niemals wieder der Boden bereitet wird.“ Für diese Tendenzen dürfe es „keine Toleranz geben.“
„Gerade in der heutigen Zeit, in der rassistische und antisemitische Parolen Widerhall in der Gesellschaft finden, ist dieses Erinnern wichtiger denn je“, sagte auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Rößner. Der 27. Januar sei aus gutem Grund von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt worden. „Da wäre es nur konsequent, wenn dieser Tag in Deutschland mehr Gewicht bekommen würde und allen Menschen gesetzlich die Zeit einräumte, dieses Gedenken auch richtig zu begehen“, schlug Rößner vor.
„Erinnern“, sagte auch der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf vor wenigen Tagen bei einer Ausstellungseröffnung in Mainz, „erinnern – das heißt für mich: Sich berühren zu lassen, sich zu fragen, was all dies mit mir und mit uns heute zu tun hat, und sich bewusst zu machen, dass aus den furchtbaren Geschehnisse der Vergangenheit eine Verantwortung für unsere Gegenwart erwächst.“
Info& auf Mainz&: In Mainz gibt es ein ganzes Bündel von Veranstaltungen rund um den 27. Januar, alle Infos und Veranstaltungen findet Ihr in dem Faltblatt des Mainzer Landtags, das Ihr hier herunterladen könnt. In den kommenden Tagen findet unter anderem dies statt:
— Samstag, 27. Januar 2018, 10.00 bis 11.30 Uhr, Meditation zu den Chagall-Fenstern in der Kirche St. Stephan mit Monsignore Klaus Mayer, der den jüdischen Maler Chagall einst dazu überredete, die blauen Fenster von St. Stephan zu gestalten – mehr zum „blauen Wunder von Mainz“ lest Ihr hier
— Sonntag, 28. Januar 2018, 11.00 Uhr, Landesmuseum Mainz, „Die Biographie der Objekte – Auf den Spuren von Kunstwerken und ihrer Herkunft“, Führung mit der Provenienzforscherin Emily Löffler zu 61 Gemälden im Mainzer Landesmuseum, die zwischen 1941 und 1943 ihren jüdischen Eigentümern entzogen und durch die Finanzämter Mainz und Darmstadt an das Museum überwiesen wurden
— Sonntag, 28. Januar 2018, 15.00 Uhr, Führung im Landesmuseum zum Thema „Entartet oder Exil – Künstler in der Zeit des Nationalsozialismus“
— Sonntag, 28. Januar 2018, 15.00 Uhr, Stadthistorisches Museum auf der Zitadelle, Eröffnung der Ausstellung „Das Leben von Gerty Meyer-Jorgensen geb. Salomon und Paul Meyer“, das Schicksal einer jüdischen Mainzerin. Die Ausstellung läuft bis zum 11. März 2018
— Dienstag, 30. Januar 2018, 19.00 Uhr, Landeszentrale für politische Bildung, Lesung und Gespräch mit dem israelischen Journalisten Igal Avidan über sein Buch „Mod Helmy – Ein arabischer Arzt rettet Juden in Berlin“
— Donnerstag, 1. Februar 2018, 19.00 Uhr, Buchhandlung Erlesenes & Büchergilde in der Neubrunnenstraße, Lesung mit Gaby Reichardt: „Licht vom Gelben Stern – Funken der Menschlichkeit in der Zeit des Holocaust“
— Dienstag, 6. Februar 2018, 18.30 Uhr, Haus am Dom, Liebfrauenplatz 8, Vortrag von Hans Berkessel: „Auf dem Weg in die Diktatur – Aufstieg des Nationalsozialismus und Zerstörung des Rechtsstaats am Beispiel Rheinhessens“ und Lesung mit Gaby Reichardt aus Anna Seghers’ Roman „Der Kopflohn“