Zum zweiten Mal muss am heutigen Freitag Umwelt-Staatssekretär Erwin Manz vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal aussagen – es könnte eine brisante Vernehmung werden. Denn seit dem letzten Auftritt des Amtschefs aus dem grünen Ministerium haben Zeugenaussagen und Gutachten ergeben: Prognosen und Pegel wiesen schon am Mittag des 14. Juli auf eine Hochwasserkatastrophe nie gekannten Ausmaßes im Ahrtal hin. Die Freien Wähler forderten deshalb schon im Vorfeld den Rücktritt des Staatssekretärs: Manz sei eine Schlüsselfigur gewesen – und habe gerade nicht dafür gesorgt, dass Informationen über die Sturzflut weitergegeben, Warnungen verschickt und Menschen gerettet wurden.

Erwin Manz ist ein erfahrener Wasserexperte: Fünf Jahre lang leitete der Biologe die Fachabteilung Wasserwirtschaft im Mainzer Umweltministerium, bevor ihn die grüne Ministerin Anne Spiegel am 18. Mai 2021 zum Staatssekretär ihres Umweltministeriums macht. Nur zwei Monate später bricht die Flutkatastrophe über das Ahrtal herein, Manz ist jetzt der zuständige Behördenleiter: Als Amtschef sitzt er an der zentralen Schnittstelle im Ministerium, er ist zuständig für das operative Geschäft, die Leitung untergebener Ämter – und für die Kommunikation mit anderen Ministerien.
Umso erstaunlicher ist, was Erwin Manz im März 2022 vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal aussagt: Manz nämlich berichtet, er will von einem Extremhochwasser, einer sich anbahnenden Katastrophe im Ahrtal an jenem 14. Juli nichts geahnt haben. Dabei haben die Wetterdienste seit Tagen vor ergiebigem Dauerregen und Überflutungsgefahr gewarnt, Manz eigenes Landesamt für Umwelt spricht um 11.00 Uhr am 14. Juli von einem erheblichem Hochwasser.
Trotzdem gibt das Mainzer Umweltministerium noch um 16.43 Uhr eine Pressemitteilung heraus, in der es zur drohenden Hochwasserlage heißt: „Wir nehmen die Lage ernst, auch wenn kein Extremhochwasser droht.“ Die Mitteilung spricht von Rhein und Mosel, auch von Überflutungen an kleineren Flüssen ist die Rede – die Ahr wird nicht erwähnt. Erst um 17.17 Uhr ruft das Landesamt für Umwelt die höchste Hochwasser-Warnstufe aus und prognostiziert einen Pegelstand von mehr als fünf Metern für die Ahr.

Doch weder diese noch spätere Pegelprognosen kommen beim für Katastrophenschutz zuständigen Innenminister oder seinem Staatssekretär an. Staatssekretär Manz hält es auch nicht für nötig, die irreführende Pressemitteilung von 16.43 Uhr zu korrigieren – einen drängenden Vorschlag seiner Pressesprecherin lehnt er ab. Später wird Manz sagen, Pressemitteilungen seien ja kein Baustein in der Warnung der Bevölkerung. Dass Pressemitteilungen Medien erreichen, und diese eine Schlüsselrolle bei Warnungen vor Katastrophen spielen – für Manz ist das offenbar keine Option.
Vielzahl von Warnungen vor Katastrophe an der Ahr
Dabei erreichen den Staatssekretär just zu dieser Zeit am 14. Juli eine Vielzahl von Warnungen: Um 17.34 Uhr erhält Manz eine Nachricht von seinem Hochwasserreferenten, „dass sich die Lage zuspitzt“, berichtet Manz selbst dem Untersuchungsausschuss. Der Abteilungsleiter für Hydrologie im Landesamt für Umwelt, Thomas Bettman, berichtet dem Ausschuss gar: In dem Moment, als die Hochwasserwarnung auf lila gesprungen war, sei „eindeutig klar gewesen, dass es zu einer Katastrophe kommt.“
Staatssekretär Manz telefoniert mehrfach an diesem Spätnachmittag mit Bettmann, auch mit der Präsidentin des Umweltamtes, Sabine Riewenherm, hat er Kontakt. Auch Riewenherm warnt Manz um 18.32, die Lage an der Ahr spitze sich zu. Der Staatssekretär sitzt zu diesem Zeitpunkt im Landtagsplenum, dort kursieren erste Informationen und Bilder von der Ahr. Sein Kollege aus dem Innenminister, Staatssekretär Randolf Stich, zeigt ihm Bilder auf dem Laptop vom überfluteten Campingplatz Stahlhütte in Dorsel. Manz weiß nun: Hier müssen Menschen mit Hubschraubern von Dächern gerettet werden.
Wendepunkt: „Das war schon ein Extremereignis“

Vor dem Untersuchungsausschuss sagt Manz aus, zwischen 17.30 Uhr und 18.00 Uhr sei „der Wendepunkt“ gewesen, an dem „ich wahrgenommen habe, das ist schon ein Extremereignis.“ Alle seien „sehr besorgt gewesen“ – doch eine drohende Katastrophe will er nicht erkannt haben. Stattdessen geht Manz nach dem Plenum einfach nach Hause, isst zu Abend, erledigt Büroarbeit. Dem verblüfften Ermittlungsgremium berichtet er, er habe wohl später wie immer Nachrichten geschaut und dabei „noch ein Bierchen getrunken“ – dann sei er ins Bett gegangen.
Doch was genau tut der Staatsekretär mit all den Warnungen und Informationen? Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) gab bei ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss zu Protokoll, sie habe sich vergewissert, ob denn die zuständigen Staatssekretäre miteinander in Kontakt seien angesichts der heraufziehenden Hochwasserlage. Die zuständigen Staatssekretäre – das sind Stich und Manz. Dreyer sieht, wie sich beide im Plenum wiederholt austauschen. Dreyer ist beruhigt.
Doch Manz und Stich werden in der gesamten Flutnacht nicht ein einziges Mal miteinander direkten Kontakt haben. Nur ein Mal gibt Manz Informationen an seinen Amtskollegen Stich weiter, in einer Email um 23.00 Uhr. Darin schildert Manz den verzweifelten Anruf der Altenahrer-Bürgermeisterin Cornelia Weigand (parteilos), die um 22.00 Uhr im Landesamt für Umwelt dramatische Schilderungen von weggerissenen Autos und sechs Meter hohen Fluten hinterlassen hat.
Manz an Stich: „Hatten einen dramatischen Notruf aus Altenahr“

„Hallo Randolf“, schreibt Manz, „wir hatten einen dramatischen Notruf aus Altenahr, hoffentlich kommt diese Nacht niemand zu Schaden.“ Zu diesem Zeitpunkt waren in Schuld an der oberen Ahr bereits sechs Häuser von den Fluten weggerissen worden, harrten Menschen im Dunkeln auf Dächern aus und wurde die Einsatzzentrale in Koblenz von Tausenden Notrufen aus dem Ahrtal überflutet.
Der Umwelt-Staatssekretär ahnt von all dem offenbar nichts. Er habe an dem Abend viel telefoniert, behauptet Manz, seine dem Ausschuss vorgelegten Telefonprotokolle belegen das nicht. Die Protokolle sind unvollständig, muss Manz einräumen, eine Telefonlücke von drei Stunden am Abend kann er nicht erklären. Gegen 22.15 Uhr erfährt Manz von dem dramatischen Anruf Weigands, jetzt ist der Staatssekretär alarmiert: „Fassungslos“ sei er gewesen, das sei „ein singuläres Ereignis“, so beschreibt Manz seine Gefühle.
Gab es Manz‘ „dringenden Appell zur Menschenrettung“?
Fünf Minuten später ruft Manz das Lagezentrum im Innenministerium an, er schildert den Anruf Weigands. Und er hinterlässt „den dringenden Appell: schickt alle Einsatzkräfte, dass alles getan wird, diese Menschen zu retten“ – so jedenfalls behauptet es Manz. Das Umweltministerium wertet das als großes Engagement des Staatssekretärs: Manz habe damit schon „mehr getan, als innerhalb der Hochwassermeldeketten vorgesehen ist“, betonte das Ministerium jetzt in einer Stellungnahme: Manz habe „über die in den Meldeketten festgelegten Informationspflichten der Umweltverwaltung hinaus“ Informationen „umgehend an die für den Katastrophenschutz zuständigen Behörden weitergegeben.“

Tatsächlich reagiert man im Ministerium in dieser Woche ausgesprochen aufgeschreckt beim Thema Manz, der Grund: Ein neues Gutachten im Auftrag der Staatsanwaltschaft Koblenz. Und darin kommt der Bonner Geographie-Professor Thomas Roggenkamp zu einem ganz anderen Ergebnis: Die prognostizierten Pegelstände hätten „ab 14.22 Uhr gereicht, um von einem Hochwasser größer als 2016 auszugehen“, konstatiert der Gutachter – 2016 hatte bereits als extremes Hochwasser an der Ahr gegolten, damals stieg der Pegel auf 3,70 Meter. Und spätestens ab 20.22 Uhr habe sogar „ein nochmals deutlich größeres Hochwasser als 2016 angenommen werden müssen“.
Die Sätze stammen aus einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft Koblenz, und die spricht zugleich davon, dass gerade die Umweltbehörde womöglich deutlich zu spät gewarnt habe. Man werde die Ergebnisse des hydrologischen Gutachtens auf die Frage hin auswerten, „wie mit im Vorfeld der Katastrophe ergangenen Warnungen umgegangen worden ist“, teilten die Ermittler mit: Man wolle das Gutachten auch in Hinblick auf den konkreten Ablauf der Katastrophennacht auswerten – gerade auf die Frage hin, „ob frühere Warnungen zu einer Vermeidung von Todesfällen geführt hätten.“
Es war aber gerade Manz, der nicht nur die erste Pressemitteilung von 16.42 Uhr mit abgesegnet hatte, sondern auch eine Korrektur dieser Mitteilung zwei Stunden später ablehnte – trotz der neuen Erkenntnisse über eine sich zuspitzende Lage. Manz verhinderte so eine breite und frühzeitige Berichterstattung in den Medien. Stattdessen rät der Staatssekretär Ministerin Spiegel explizit davon ab, sich vor Ort zu begeben – und kommuniziert mit Spiegel in der ganzen Nacht nur ein einziges Mal, mit Stich gar nicht.

Für den Katastrophenschutz fühlt sich Manz nicht zuständig, für Warnungen der Bevölkerung auch nicht: „Es macht überhaupt keinen Sinn, da als Staatssekretär reinzugrätschen”, sagt Manz in seiner Vernehmung: „Die Regularien müssen ganz, ganz streng beachtet werden.“ Und die Regularien hätten eben besagt: Für Katastrophenschutz ist das Innenministerium zuständig – nicht er.
Wefelscheid: „Flucht vor der Verantwortung“
Bei den Freien Wählern (FW) nennen sie das „Flucht vor der Verantwortung“. Es sei „die dringlichste Aufgabe und Pflicht des Staatssekretärs Erwin Manz“ als Amtschef gewesen, wichtige Informationen weiterzugeben, betont FW-Obmann Stephan Wefelscheid – doch genau das habe Manz eben nicht getan. Wefelscheid fordert deshalb den Rücktritt Manz, seine Ablösung durch Ministerpräsidentin Dreyer – er fordert das bereits seit April. Auch die CDU hatte bereits damals von „Untätigkeit und Passivität“ gesprochen und kritisiert: Spiegel und Manz hätten „in der Flutnacht notwendige Initiativen, um das Katastrophenereignis aktiv zu bekämpfen, nicht ergriffen.“
Anne Spiegel trat Anfang April zurück, nachdem herauskam, dass sie erst einen sechswöchigen Frankreich-Urlaub direkt nach der Flut verschwiegen und Unwahrheiten über ihre Teilnahme an Ministerratssitzungen verbreitet hatte – doch ihr Staatssekretär ist weiter im Amt. In der Mainzer Ampel-Koalition herrscht weiter die Sprachregelung, Manz habe nichts falsch gemacht, bei der Opposition sieht man das anders: „Erwin Manz war die Schlüsselfigur im Umweltministerium in der Flutnacht, über seinen Schreibtisch liefen die Dinge“, betont Wefelscheid. Doch die Lage-Einschätzungen aus dem Landesamt, die explodierenden Pegelstände an der Ahr, die sich anbahnende Katastrophe – nichts davon sei nachweisbar bei Stich, Innenminister Roger Lewentz oder Ministerpräsidentin Dreyer angekommen.

„Wer als Fachmann den Ernst der Lage nicht erkennt, hat auf der Position nichts verloren“, schimpft Wefelscheid. Um 14.22 Uhr hätte klar sein müssen, was auf das Ahrtal zukam, dass diese zentral wichtige Information den Rest der Regierung nicht erreicht habe, habe Manz persönlich zu verantworten. „Hätte Manz die Lage richtig eingeschätzt und seine Regierungskollegen über die wahre Lage aufgeklärt, wäre die Bewältigung der Flutnacht anders verlaufen“, betont Wefelscheid.
Der Staatssekretär wird bei seiner heutigen Vernehmung denn auch einiges zu erklären haben – der Hinweis auf seine angebliche Nicht-Zuständigkeit in Sachen Katastrophenschutz wird angesichts des neuen Gutachtens nicht mehr ausreichen. Zumal mittlerweile sogar in Frage steht, ob es Manz‘ flammenden Appell zur Menschenrettung bei der Leitstelle im Innenministerium überhaupt so gegeben hat: Manz habe ihm „nichts Neues“ erzählt, berichtete der Kollege aus dem Lagezentrum, der den Anruf angenommen hatte, vor dem Untersuchungsausschuss: Eine drängenden Appell habe er nicht wahrgenommen.
Info& auf Mainz&: Die Aussagen aus d3er ersten Vernehmung von Erwin Manz könnt Ihr hier noch einmal nachlesen, die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Koblenz in Sachen hydrologisches Gutachten sowie Schlussfolgerungen daraus lest Ihr hier bei Mainz&.