Jetzt dürfte es eng werden für Anne Spiegel: Nach ihren Aussagen zu ihrem Verhalten in der Nacht der Flutkatastrophe im Ahrtal, wird nun ein weiterer Vorwurf gegen die frühere Umweltministerin und heutige Bundesfamilienministerin von den Grünen bekannt. Wie die „BILD am Sonntag“ berichtet, reiste Spiegel nur wenige Tage nach der verheerenden Ahrtal-Flut mit ihrer Familie nach Frankreich in den Urlaub – und das gleich für vier Wochen. Nun hagelt es Rücktrittsforderungen von CDU, Freien Wählern und AfD, Spiegel sei als Ministerin nicht mehr tragbar. Anton Hofreiter von den Grünen sagte am Abend bei „Berlin direkt“, man dürfe Politiker „nicht immer nach ihren persönlichen Verfehlungen beurteilen.“

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) am 11. März im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal. - Foto: gik
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) am 11. März im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: gik

Der Druck auf Spiegel war enorm gewachsen, seitdem sich die heutige Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) am 11. März im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal erklären musste. Dabei kam heraus: Spiegel war den größten Teil der Flutnacht für ihre Mitarbeiter nicht erreichbar. Die Ministerin, damals zuständig für den Hochwasserschutz in Rheinland-Pfalz, kommunizierte nicht, sie kümmerte sie nicht, und sie trug keine Sorge dafür, dass elementar wichtige Informationen über Wasserstände bei Gemeinden oder  Katastrophenschützern ankamen.

Seit vergangenen Freitag ist klar: Spiegel hatte in der Flutnacht auch keinerlei Kontakt mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Innenminister Roger Lewentz (beide SPD) – und das, obwohl die drei zuständigen Spitzenpolitiker des Landes ab 18.00 Uhr wussten, dass sich an der oberen Ahr dramatische Szenen abspielten. Zu diesem Zeitpunkt mussten bereits Campingplatz-Besucher per Hubschrauber aus der Luft gerettet werden, die reißenden Fluten rissen bereits Wohnwagen die Ahr hinunter – am Ende starben hier sechs Besucher und eine Feuerwehrfrau.

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Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Freitag vor dem Untersuchungsausschuss: Keine Kommunikation mit der Umweltministerin in der Flutnacht. - Foto: gik
Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Freitag vor dem Untersuchungsausschuss: Keine Kommunikation mit der Umweltministerin in der Flutnacht. – Foto: gik

Doch Ministerpräsidentin Dreyer und ihr Innenminister korrespondierten nur untereinander, ob die Umweltministerin auch nur Bescheid wusste – die SPD-Politiker wussten es nicht, und sie versuchten es auch nicht in Erfahrung zu bringen. Warnungen des für Hochwasser zuständigen Landesamtes für Umwelt kamen weder bei Lewentz noch bei Dreyer an – so verstrichen wertvolle Stunden, in denen die Bewohner an der unteren Ahr noch hätten gewarnt und in Sicherheit gebracht werden könnten. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli starben im Ahrtal insgesamt 134 Menschen, viele ertranken in den Fluten oder in ihren weggerissenen Häusern und Autos.

Bereits nach Spiegels Aussage im Untersuchungsausschuss forderte die Opposition den Rücktritt der Ministerin: CDU, AfD und Freie Wähler in Rheinland-Pfalz sprachen von einem „Totalversagen“ der Ministerin, die rheinland-pfälzische CDU forderte Bundeskanzler Olaf Scholz auf, Spiegel als Bundesministerin zu entlassen: Ministerin Spiegel habe sich in der Flutnacht nicht gekümmert, sie habe ihr Haus nicht im Griff gehabt und versucht, Fehler zu vertuschen. “Es ging um Wording statt Wahrheit”, betonte CDU-Landeschef Christian Baldauf – Spiegel sei mehr um ihr Image besorgt gewesen als darum, den Menschen im Ahrtal zu helfen.

Funkstille, Imagesorgen und Blame Games – Ministerin Spiegel vor dem Ausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal

Vergangene Woche nun trat die nordrhein-westfälische Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) zurück, Heinen-Esser war ebenfalls während der Flutkatastrophe in den Städten Nordrhein-Westfalens zuständig gewesen, bereits einen Tag nach der Katastrophe, die auch 180 Gemeinden in NRW zum Teil schwer traf, reiste sie jedoch am 16. Juli nach Mallorca – um dort den Geburtstag ihres Mannes zu feiern. Zurücktreten wollte Heinen-Esser deswegen jedoch zunächst nicht, erst der massive öffentliche Druck im Vorfeld der anstehenden Landtagswahl in NRW fegte sie aus dem Amt.

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) am 11. März vor ihrer Vernehmung im Untersuchungsausschuss. - Foto: gik
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) am 11. März vor ihrer Vernehmung im Untersuchungsausschuss. – Foto: gik

Ganz ähnlich könnte es nun Anne Spiegel gehen: Die BILD-Zeitung berichtete am Sonntag, Spiegel sei nur zehn Tage nach der Flut vom 14. Juli mit ihrer Familie nach Frankreich in den Urlaub gefahren – und zwar für satte vier Wochen. Im Mainzer Umweltministerium hat man die Vorgänge inzwischen bestätigt, betont dort aber zugleich, die Ministerin sei „stets erreichbar gewesen“ und habe an den Kabinettssitzungen per Telefon oder Video teilgenommen. Am 10. August soll Spiegel für einen Tag ihren Urlaub unterbrochen haben – um eine wiederaufgebaute Kläranlage in Dümpelfeld im Kreis Ahrweiler zu besuchen.

 

Der Vorgang sorgt nun für höchste Empörung: „Eine Ministerin, die nach einer solchen Katastrophe vier Wochen in Urlaub fährt, setzt die falschen Prioritäten“, schimpfte CDU-Landeschef Christian Baldauf in einem Statement gegenüber dem SWR: „Was ist das für ein Amtsverständnis? Sie ist als Ministerin untragbar.“ Baldauf hatte in den Wochen nach der Flut mehrfach selbst im Ahrtal geholfen, Keller, die voller Schlamm gelaufen waren, auszuräumen.

CDU-Landeschef Christian Baldauf fordert inzwischen vehement den Rücktritt Spiegels. - Foto: gik
CDU-Landeschef Christian Baldauf fordert inzwischen vehement den Rücktritt Spiegels. – Foto: gik

Spiegels Rücktritt fordert inzwischen aber auch Unions-Chef Friederich Merz, damit ist das Thema auf den höchsten Ebenen der Bundespolitik angekommen – und kann von Kanzler Scholz (SPD) nicht mehr ignoriert werden. „Es beweist sich erneut: Für Frau Spiegel waren Urlaub und das eigene Image wichtiger als das Schicksal der Menschen an der Ahr“, twitterte Merz am Sonntag: Scholz müsse die Ministerin entlassen. Die Wut in Berlin ist auch deshalb groß, weil inzwischen heraus kam: Spiegels Ministerium lehnte gerade ein eindringliche Bitte eines Bundestagsabgeordneten um Hilfe bei der Unterbringung von 700 Waisenkindern aus der Ukraine ab – weil der Bittende ein Abgeordneter der CDU ist.

CDU-Generalsekretär Mario Czaja bestätigte den Vorfall inzwischen: „Frau Spiegel erweist sich immer mehr als Fehlbesetzung für das Ressort, das ihr anvertraut wurde. Es scheint unerheblich, ob sie im Urlaub ist oder nicht. Aktiv wird sie nie“, sagte Czaja der BILD. Nun lasse Spiegel „700 geflüchtete Waisenkinder im Stich, nur weil der um Hilfe bittende Abgeordnete von der CDU ist. Das zeigt, wie abgehoben ihr Amtsverständnis mittlerweile ist.“ Wenn die Grünen „also landauf, landab scheinheilig Verantwortung einfordern“, sollten sie diese auch von ihren eigenen Reihen einfordern, fügte er hinzu. Spiegels Verhalten sei einer Ministerin „absolut unwürdig.“

Freie Wähler: „Was soll denn noch alles herauskommen?“

In Mainz hatten schon am Samstag die Freien Wähler ihre Rücktrittsforderung gegenüber Spiegel wiederholt: Spiegel habe „keinerlei Aktivitäten entfaltet, die Krise zu erfassen und zu führen“, kritisierte FW-Obmann Stephan Wefelscheid, auch die notwendige Kommunikation mit Kabinettskollegen habe sie versäumt – und zudem mit ihrer verharmlosenden Pressemitteilung vom Nachmittag des 14. Juli für ein „kommunikatives Chaos“ gesorgt. Am Freitag hatte der Geschäftsführende Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung, Frank Roselieb, als Sachverständiger im Untersuchungsausschuss Spiegel ein miserables Zeugnis im Krisenmanagement ausgestellt.

 

Am Sonntag warf Wefelscheid der Ministerin „Flucht vor der Verantwortung“ vor: „Was soll noch alles herauskommen, damit Anne Spiegel endlich die Verantwortung übernimmt?“, schimpfte Wefelscheid: „Wann zeigt sie endlich Charakterstärke, zieht die Konsequenzen und tritt zurück?“ Die Grünen in Rheinland-Pfalz betonten hingegen, „alle Vorwürfe“ gegen die Ministerin seien „unbegründet“, ihr Ministerium sei für Katastrophenschutz nicht zuständig gewesen. Das Ministerium wiederum habe „die Hochwasserdaten vollständig und rechtzeitig an die zuständigen Stellen übermittelt und ist damit seiner Verantwortung vollumfänglich nachgekommen“, behaupteten die Grünen noch am Samstag – da war auch diese Darstellung längst durch die Zeugenaussagen widerlegt.

Hofreiter: Spiegel „nicht nach persönlichen Verfehlungen beurteilen“

Verteidigte Ministerin Spiegel: Grünen-Europaratschef Anton Hofreiter bei Berlin direkt. - Screenshot: gik
Verteidigte Ministerin Spiegel: Grünen-Europaratschef Anton Hofreiter bei Berlin direkt. – Screenshot: gik

Auch bei den Berliner Grünen hält man – noch – an Spiegel fest. Er halte nichts davon, Politiker „immer nach persönlichen Verfehlungen zu beurteilen“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), am Abend in „Berlin direkt“ im ZDF. Es habe andere Politiker gegeben, die sich vier Jahre lang einen Fehler nach dem anderen geleistet hätten, und weiter im Amt geblieben seien. „Ich kenne die Frau als mehr als anständig, und ich würde mir wünschen, dass sie nach ihrer Politik beurteilt wird“, sagte Hofreiter. Spiegel hatte allerdings auch in Mainz schon Probleme mit diversen Skandalen – so etwa mit Verstößen gegen Beförderungsvorschriften zugunsten grüner Parteigänger sowie mit mutmaßlich rechtswidriger Facebook-Werbung für ihre Person.

In Mainz zeigtes sich auch AfD-Obmann Michael Frisch fassungslos: „Eine Ministerin, die in der Flutnacht versagt hat und danach wochenlang in Urlaub fährt, während die Menschen im Ahrtal um ihre toten Angehörigen trauern und damit beschäftigt sind, die Trümmer ihrer Existenz zu beseitigen, kann keine Empathie für sich Anspruch nehmen“, schimpfte Frisch: „Damit werden alle Betroffenheitserklärungen von Frau Spiegel zur Makulatur.“ Auch ihre eintägige Stippvisite an der Ahr habe „offensichtlich eher der medialen Inszenierung“ gedient, da fehlten einem die Worte, sagte Frisch weiter, und forderte: „Es reicht Frau Spiegel: Treten Sie zurück!“

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht zu Spiegels Aussagen im Untersuchungsausschuss, zu Imagesorgen und Blame Games, lest Ihr hier auf Mainz&. Was Ministerpräsidentin Malu Dreyer zur Kommunikation in der Flutnacht sagte, lest Ihr hier:

“Liebe Malu, die Lage eskaliert” – Wie Ministerpräsidentin Dreyer in der Flutnacht im Ahrtal agierte (mit Video)