Die Autobahn A643 wird noch mehr als ein Jahrzehnt lang ein Nadelöhr für Pendler bleiben: Der Ausbau der A643 in Verlängerung der Schiersteiner Brücke wird wohl nicht vor 2030 Wirklichkeit werden. Er rechne mit dem Planfeststellungsbeschluss im Jahr 2021 oder später, sagte Bernhard Knoop vom Landesbetrieb Mobilität (LBM) am Montagabend auf einer Informationsveranstaltung in Mainz-Gonsenheim. Der Planfeststellungsbeschluss ist die Voraussetzung für den Baustart, danach rechnet das Land mit einer Bauzeit von sechs bis sieben Jahren – Verzögerungen durch mögliche Klagen von Naturschützern nicht eingerechnet. Die sind weiter skeptisch: Die A643 durchschneidet das europaweit einmalige Naturschutzgebiet „Mainzer Sand“, und das pfeife „schon jetzt auf dem letzten Loch“, sagte Umweltschützer Jürgen Weidmann dieser Zeitung. Dagegen steht die Notwendigkeit Tausender Arbeitnehmer, ihre Arbeitsstelle zu erreichen – keine einfache Sache für die Behörden.
Dem Landesbetrieb Mobilität schlug denn auch Montagabend zeitweise der geballte Unmut der Mainzer entgegen – und zwar von beiden Seiten. Die Atmosphäre in der Gonsenheimer Turnhalle blieb meistens sachlich, doch emotionale Momente gab es auch: „Ich sehe wahrscheinlich dieses Bauwerk in meinem Leben nicht mehr“, schimpfte der Gonsenheimer Fastnachter Rudi Hube. Die Rücksichtnahme auf noch jede Biene sei doch nicht zu verstehen. „Ich hab‘ als Kind noch den Panzern der Amis im Mainzer Sand zugeschaut und Munition gesucht“, grummelte Hube.
Tatsächlich konnte sich das europaweit einmalige Naturschutzgebiet „Mainzer Sand“ mit seinen vielen seltenen Arten auch deshalb so ungestört entwickeln, weil schon zu Zeiten von preußischen und österreichischen Truppen das Steppengebiet militärisch genutzt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente der Sand als Übungsplatz für amerikanische Panzer. Erdhistorisch gesehen stammt die Steppenlandschaft grob gesagt aus der Eiszeit, die Sande, die die ungewöhnliche Steppenlandschaft ausmachen, wurden durch Winde aus dem Westen oder Nordwesten hierher transportiert, wie der AK Umwelt in Mombach berichtet. Wind prägte die Entstehung des Mainzer Sands, durch das weitgehend ungestörte Dasein als Panzerübungsgelände konnten sich hier seltene Pflanzen und Tierarten ausbreiten.
Den Ausbau der Autobahn brauche doch kein Mensch, schimpfte denn auch Grünen-Politikerin Ute Wellstein, einst Mitbegründerin des Bündnisses „Nix in den Mainzer Sand setzen“: Bis der Ausbau komme, sei die Welt doch eine ganz andere, würden Menschen längst nicht mehr mit dem Auto, sondern mit der Citybahn nach Wiesbaden pendeln. Die Prognosen des LBM sagen etwas anderes: Rund 66.000 Fahrzeuge passieren schon heute pro Tag die Schiersteiner Brücke und die angrenzende A643, so neueste Zahlen. Im Jahr 2030 sollen das schon 83.000 bis 84.000 sein – mit zwei Fahrspuren sei das nicht zu schaffen. Zum Ausbau gebe es keine Alternative, betonte Knoop.
Gleichzeitig unterstrich er wieder und wieder, wie sorgfältig der LBM mit der Umwelt umgehe und wie stark man den Flächenverbrauch einzudämmen versuche. Knapp 2,2 Kilometer lang ist das Ausbaustück zwischen den Anschlussstellen Mombach und Gonsenheim, rund 140 Millionen Euro soll der Ausbau neuesten zahlen zufolge kosten. Das seien 70 Millionen Euro pro Kilometer, „das ist schon eine Menge Holz“, sagt Knoop. Grund ist ein enorm aufwändiger Bau: Um die Natur wenig zu belasten, steht die Autobahn weitgehend auf Stelzen, die Bereiche unter den Vorlandbrücken sollen gar durch ein eigenes Bewässerungssystem belebt werden.
Eine 50 Meter breite Grünbrücke, parallel zur heutigen Militärbrücke, soll zudem die Verbindung zwischen den beiden Seiten des Naturschutzgebietes verbessern helfen. Die 4,70 Meter hohe Brücke wird extra-steile Rampen bekommen, das sei bewusst so gemacht, sagte Knoop: „Die Grünbrücke soll nicht von Fußgängern genutzt werden, hier sollen Kleinlebewesen die Autobahn kreuzen.“ Für die Fußgänger bleibt die Militärbrücke als Querung erhalten. Dazu wird auf rund 1,5 Kilometern eine neue, bis zu acht Meter hohe Lärmschutzwand errichtet, der Lärmpegel für die Anwohner soll dadurch erheblich auf unter 49 Dezibel sinken – derzeit herrschen dort rund zehn Dezibel mehr. Auf rund 400 Metern wird die Wand zudem für effektiveren Lärmschutz zur Autobahn hin eingekrümmt.
Die Vorgabe sei zudem gewesen, so wenig Fläche wie möglich in Anspruch zu nehmen, sagte Knoop. Die Autobahn soll deshalb von jetzt 25 Metern auf lediglich 32 Meter Breite anwachsen. Derzeit gibt es hier vier Fahrstreifen zu je 3,50 Meter Breite, zuzüglich zweier Standstreifen von je zwei Metern. Um künftig sechs Fahrspuren plus Standstreifen unterzubringen, wird der Mittelstreifen von jetzt fünf Metern auf künftig drei Meter verkleinert. Es entstehen vier Fahrspuren zu je 3,50 Metern, zwei Fahrspuren mit 3,75 Metern sowie zwei Standstreifen zu je 2,50 Metern. Zur Flächenreduzierung trage auch bei, dass man keine Böschung plane, sondern Steinschütt-Befestigungen, sogenannte Gabionen, sagte Knoop: „Wir machen Stützlösung statt Erdlösung, auch das wäre sonst billiger.“
Noch im November soll nun der Antrag für das Planfeststellungsverfahren bei der Genehmigungsbehörde in Koblenz eingereicht werden, sagte Knoop. Im Dezember dann werde das Land „eine Stellungnahme der EU im Rahmen der Ausnahmeprüfung für FFH-Schutzgebiete einholen.“ Allerdings hatte es im Juni noch vom Land geheißen, man warte noch auf die Stellungnahme der EU, deshalb verzögere sich die Fertigstellung der Unterlagen für das Planfeststellungsverfahren. Knoop sagte nun, die Abstimmung mit der EU-Kommission könne „parallel“ zur Antragstellung verlaufen. Vertreter der Bürgerinitiative „Nix in den Mainzer Sand setzen“ kündigten an, überprüfen zu wollen, ob das Rechtens sei.
Ob das Bündnis letztlich gegen den Autobahnausbau klagen werde, könne derzeit nicht gesagt werden, sagte Bündnis-Sprecher Heinz Hesping Mainz& – erst müsse man die detaillierten Planungsunterlagen prüfen. „Wir sind keine Klagehansel, wir klagen nicht um jeden Preis“, betonte Hesping. Doch der LBM müsse schon detailliert darlegen,d ass die geschützten Arten im Mainzer Sand nicht beeinträchtigt würden, „wir wollen die Gutachten dazu sehen“, sagte Hesping. Klar sei aber schon jetzt, dass die Schadstoffeinträge in den Sand stiegen.
„Es gibt ein Verschlechterungsverbot für FFH-Gebiete“, sagte Jürgen Weidmann vom Bündnis gegenüber Mainz&. Die sehr hohen Lärmschutzwände sperrten den Wind aus, von dem trockenen Wind lebe aber die Mainzer Steppenlandschaft, kleinklimatisch gesehen sei das ein Problem. „Wir haben nix dagegen, dass die Menschen gegen den Lärm geschützt werden“, betonte Weidmann, „aber warum arbeitet man nicht mit niedrigen Lärmschutzwänden?“ Der Mainzer Sand sei nun einmal ein einmaliges Naturgebiet, und das sei akut bedroht. „Der Zustand verschlechtert sich schon jetzt“, sagte Weidmann, „der Mainzer Sand pfeift auf dem letzten Loch.“
Info& auf Mainz&: Nach jahrelangen Verzögerungen hatte Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) gerade im September den Start des Planfeststellungsverfahrens angekündigt – die Details dazu lest Ihr hier bei Mainz&. Die gesamten Informationen vom Montagabend gibt es auch in einer Präsentation, nachzulesen und herunterzuladen hier beim LBM. Dazu gibt es auch eine Video-Animation des LBM vom künftigen Ausbaustand, den Film samt Live-Erläuterungen könnt Ihr hier im Mainz&-Youtube-Kanal anschauen.