Es war geradezu eine Bilderbuchsprengung: Mit einem lauten Knall brach am Samstagmittag um kurz nach 12.00 Uhr der Südteil der Salzbachtalbrücke senkrecht in die Tiefe, unmittelbar danach folgte der Nordteil – die Sprengung der 300 Meter langen Autobahnbrücke bei Wiesbaden verlief haargenau nach Plan. Zurück blieb ein wahres Gebirge aus Trümmerresten, an dem unmittelbar nach der Freigabe die Aufräumarbeiten begannen – 15.000 Tonnen Schutt müssen zerkleinert, und sollen bis zum 4. Dezember abgetragen werden. Der erste Teil der neuen Brücke soll 2023 stehen, erst dann endet Wiesbadens „verkehrstechnischer Alptraum“.

Da stand sie noch: Die Salzbachtalbrücke kurz vor der Sprengung am 6. November 2021. - Foto: Autobahn GmbH
Da stand sie noch: Die Salzbachtalbrücke kurz vor der Sprengung am 6. November 2021. – Foto: Autobahn GmbH

Am Morgen hatte noch dichter Nebel in Wiesbaden kurz bei den Verantwortlichen für Unruhe gesorgt, gut eine Stunde vor der Sprengung aber verzogen sich die Schwaden, der Himmel klarte auf – der Sprengung stand nichts mehr im Wege. Seit Wochen hatte das Team um Sprengmeister Eduard Reisch aus Bayern den großen Tag vorbereitet: 221 Kilo Sprengstoff und 1.124 Bohrungen waren nötig, 1.160 elektronische Zünder und 15.300 Meter Bus-Zündleitung wurden verlegt. Der hochverdichtete Sprengstoff Nitropenta in kupferummantelter Hülle sollte dafür sorgen, dass sich die Brückenstützen wie eine Parabel zusammenfalten und das Bauwerk kontrolliert nach unten stürzte – es klappte genau so.

Um 11.45 Uhr begann der Countdown mit dem Ertönen einer lauten Sirene, die anzeigte: Das Gelände ist geräumt, der Sprengprozess kann beginnen. Rund 140 Anwohner hatten am Morgen ihre Häuser verlassen müssen, der Friedhof Biebrich war ebenso abgesperrt worden wie Dutzende Kleingärten und alle Straßen im Umkreis von rund 250 Metern um die Brücke. Evakuiert wurde zudem ein Tierheim in unmittelbarer Nähe der Brücke, auch Gewerbebetriebe waren betroffen, darunter ein Großlager der Sektkellerei Henkel.

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Um kurz nach 12.00 Uhr fiel die Südbrücke nach einem lauten Knall zusammen. - Foto: Autobahn GmbH
Um kurz nach 12.00 Uhr fiel die Südbrücke nach einem lauten Knall zusammen. – Foto: Autobahn GmbH

Besondere Aufmerksamkeit galt der Wiesbadener Kläranlage, deren sechs Klärbecken zum Teil unmittelbar an die Brücke angrenzen. Ein großer Zaun samt Schutzmatten sollte die Kläranlage vor herabfallenden Trümmern und Beschädigungen schützen – das klappte offenbar: Um kurz nach 12.00 Uhr knickten die Pfeiler des Südteil der Autobahnbrücke wie Stelzen in Zeitlupe ein, die Brücke fiel senkrecht nach unten. Unmittelbar darauf legte sich der Nordteil der Brücke nach dem zweiten lauten Knall majestätisch auf die Seite und lud seine große Fahrbahnebene genau auf dem Schuttberg der Südbrücke ab.

„Es war eine gelungene Sprengung“, sagte denn auch ein hochzufriedener Sprengmeister Eduard Reisch nach der Sprengung vor Journalisten, „das Bild der beiden Brücken entspricht unserer Planung.“ Reisch gilt als einer der erfahrensten Sprengmeister der Republik – 2014 legte er schon den Frankfurter Uni-Turm in Schutt und Asche. Die größte Gefahr für das Umfeld ging auch hier im Salzbachtal nun von Erschütterungen, Trümmerteilen und der großen Sprengwolke aus, die Autobahn GmbH hatte im Vorfeld umfangeiche Beweissicherungsverfahren an den Gebäuden der Umgebung durchgeführt, um Schäden durch die Sprengung dokumentieren zu können.

Ein zufriedener Sprengmeister Eduard Reisch bei der Pressekonferenz danach, mit Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne, Links) und OB Gert-Uwe Mende (SPD). - Foto: gik
Ein zufriedener Sprengmeister Eduard Reisch bei der Pressekonferenz danach, mit Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne, Links) und OB Gert-Uwe Mende (SPD). – Foto: gik

„Die Erschütterungen, die hier ankamen, waren durchaus sehr moderat“, sagte der Leiter der Autobahn GmbH West, Ulrich Neuroth, am Samstag nach der Sprengung. Die Autobahn GmbH sammele nun Daten der Erschütterungsmessungen und gleiche sie mit den Daten aus dem Vorfeld ab, auch habe es Luftmessungen während der Sprengung gegeben – eine Auswertung dazu liege noch nicht vor. Anwohner hatten im Vorfeld erhebliche Bedenken wegen Schadstoffen in der Sprengwolke erhoben, gerade an der Hammermühle, einem historischen Anwesen aus der Barockzeit, fürchtete der Besitzer Schäden und Schadstoffe.

Die Brücke selbst wurde durch die Sprengung indes nicht in kleine Stücke zerlegt, die Fahrbahnelemente ragten danach vielmehr wie Gebirgsspitzen in den Himmel. „Die Bauwerke wurden nicht pulverisiert“, das hätte mehr Dreck verursacht, sagte Neuroth: „Nein, wir haben sie einen Stock tiefer gelegt.“ So fiel auch die Sprengwolke kleiner aus als ursprünglich erwartet, dennoch breitete sich zu Beginn der Bauarbeiten intensiver Gestank durch die aufgewirbelten Baustoffe im Tal aus. Bei der Autobahn GmbH hieß es derweil, es sei auch eine Staubbindungsanlage eingesetzt worden, bei der durch Wassernebel der Staub gebunden und schnell niedergeschlagen werden konnte, um dessen Ausbreitung zu minimieren.

Brücke am Boden: Die Salzbachtalbrücke nach der Sprengung, im Hintergrund die Sektkellerei Henkel. - Foto: gik
Brücke am Boden: Die Salzbachtalbrücke nach der Sprengung, im Hintergrund die Sektkellerei Henkel. – Foto: gik

Am 18. Juni war die wichtige Autobahnbrücke der A66 bei Wiesbaden mit einem Knall havariert, als ein Rolllager der Brücke aufgab, und der Oberbau ungebremst auf einen Pfeiler knallte – die Salzbachtalbrücke war danach in hohem Maße einsturzgefährdet und musste umgehend gesperrt werden. „Wir haben durchaus einen Beistand im Himmel gehabt, dass nichts weiter passiert ist“, räumte Neuroth am Samstag ein. Die Unfallursache ist bis heute nicht restlos aufgeklärt, ein Gutachten dazu wird seit Wochen von der Autobahn GmbH zurückgehalten. Neuroth sprach am Samstag von „unendlich vielen Bewegungen“ des Bauwerks in Kombination mit Hitzeeinwirkung als Unfallursache, und versprach: „Wir werden uns dazu äußern“ – wann, sagte er nicht.

In Wiesbaden herrschte derweil aber erst einmal Erleichterung: „Das war eine exemplarische Sprengung, wie man sich das erhofft hat“, sagte Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne) – die hessische Landeshauptstadt leidet seit der Havarie unter einem riesigen Verkehrsgau. Mehr als 80.000 Fahrzeuge, die sonst die Stadt auf der A66 passieren, verteilten sich derzeit im Straßennetz, die Belastungen seien „dramatisch“, seufzte Kowol. „Unser Bedarf an kaputten Brücken ist gedeckt“, betonte auch Wiesbadens Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD), und sprach vom „Beginn einer neuen Hoffnung“: Der dringlichste Wunsch der Stadt sei, die Bahnlinie nach Wiesbaden noch in diesem Jahr wieder in Betrieb nehmen zu können.

Unmittelbar nach der Sprengung wurde mit dem Zerkleinern und Antransport begonnen. - Foto: gik
Unmittelbar nach der Sprengung wurde mit dem Zerkleinern und Antransport begonnen. – Foto: gik

„Das ist jetzt erst einmal der Startpunkt für eine Entwicklung: dass wir eine unserer wichtigsten Verkehrsschlagadern wieder in Betrieb nehmen können“, sagte Mende. Der allerdringendste Wunsch sei aber, dass der Brücken-Neubau so schnell wie möglich realisiert werde. „Es ist schon ein verkehrstechnischer Alptraum, den wir bis jetzt erlebt haben“, betonte Mende, „und wir hoffen, dass dies der erste Schritt ist, aus diesem Alptraum herauszukommen.“

Doch wirklich schnell wird das nicht gehen: 1,5 Jahre rechnen Stadt und Autobahn GmbH, bis wenigstens der erste Teil der neuen Brücke steht. Neuroth sprach am Samstag vom „Jahr 2023“ für die Fertigstellung des ersten Teils, die gesamte Autobahnbrücke soll tatsächlich bereits 2024 stehen. Erstes Ziel ist aber die Wiederherstellung des Zugverkehrs nach Wiesbaden: Noch vor Weihnachten wolle man das ermöglichen, sagte Neuroth, bis zum 4. Dezember wolle man die freigeräumte Trasse an die Deutsche Bahn übergeben – das habe man vertraglich vereinbart.

Der Abbau der Brückenteile an der Salzbachtalbrücke hat begonnen. - Foto: gik
Der Abbau der Brückenteile an der Salzbachtalbrücke hat begonnen. – Foto: gik

Nach Sprengung und Sicherheitsinspektion setzten sich denn auch direkt zehn 45-Tonnen-Kettenbagger, fünf 75-Tonnen-Kettenbagger sowie drei Radlader und drei Vorderkipper in Bewegung, um die gesprengte Betonbrücke zu zerkleinern und rund 50.000 Kubikmeter Sand und Erde, die zur Sicherung aufgeschüttet worden waren, abzutransportieren. Das beeindruckende Bagger-Ballett geht allerdings mit weiteren erheblichen Belastungen für die Anwohner einher: Von morgens um 6.00 Uhr bis abends um 22.00 Uhr will die Autobahn GmbH die Trümmerberge räumen, vor allem das Zerkleinern der Betonteile sorgt für erheblichen Lärm.

Info& auf Mainz&: Die Havarie der Autobahnbrücke könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen, mehr zur Baugeschichte haben wir hier bei Mainz& aufgeschrieben. Unsere Geschichte über die Vorbereitungen findet Ihr hier, und in diesem Text haben wir ausführlich über die Befürchtungen wegen Schadstoffen bei den Anwohnern berichtet.

Ein Video der Sprengung selbst, oder auch eigene Bilder davon, können wir Euch leider nicht bieten – dem Großteil der Presse wurde kein direkter Blick auf die Salzbachtalbrücke gewährt. Lediglich der Hessische Rundfunk durfte prominent  und exklusiv in den zwei Stunden rund um die Sprengung mit Bild und Ton berichten, einige ausgewählte Fotografen sogar auf einem Baukran in luftiger Höhe das Event verfolgen – der Großteil der rund 50 Pressevertreter blieb bei all dem außen vor, ein Hauptgrund, warum wir erst heute ausführlich berichten können. Die folgende Fotogalerie setzt sich deshalb aus Aufnahmen der Autobahn GmbH sowie aus eigene Fotos nach der Sprengung zusammen.

 

 

 

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