Am 6. November soll die Salzbachtalbrücke fallen, die Sprengung des 310 Meter langen Brückenbauwerks ist ein Megaprojekt: „Eine Havarie in der Größenordnung ist bisher einzigartig“, sagte Sprengprojektleiter Eduard Reisch am Mittwoch in Wiesbaden. 221 Kilo Sprengstoff mit 1.160 elektronischen Zündern sollen dafür sorgen, dass die große Talbrücke wie ein Kartenhaus zusammensackt. Geschützt werden müssen gut ein Dutzend Wohnhäuser und diverse Gewerbebetriebe, der Biebricher Friedhof, die Wiesbadener Kläranlage sowie Gleisanlagen und Straßen – einen Strich durch die Rechnung machen könnte allerdings noch das Wetter.
Am 18. Juni war die Autobahnbrücke der A66 mit einem lauten Knall nach unten auf einen Brückenpfeiler gesackt, nachdem ein Rolllager aufgegeben hatte. Seither ist die Salzbachtalbrücke komplett gesperrt, ebenso die unter ihr durchführende B 263 sowie die Haupt-Bahnverbindung nach Wiesbaden – die hessische Landeshauptstadt erlebe seither einen „verkehrstechnischen Alptraum“, stöhnte am Mittwoch Wiesbadens Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD): Bis zu 150.000 Fahrzeuge, die sonst Wiesbaden auf den Autobahnen passieren, wälzen sich seither täglich quer durch das Stadtgebiet.
Am 6. November soll es nun einen großen Schritt nach vorne geben: Pünktlich um 12.00 Uhr soll die einsturzgefährdete Salzbachtalbrücke mit zwei lauten Knalls Geschichte werden. Die Sprengung erfolgt in zwei Teilen: Erst soll der Südteil der Brücke senkrecht nach unten fallen, dann das nördliche Brückenteil leicht seitlich auf die Südbrücke kippen. 221 Kilo Sprengstoff und 1.124 Bohrungen seien dafür nötig, erläuterte Sprengmeister Reisch am Mittwoch in Mainz, verlegt werden müssen 1.160 elektronische Zünder und 15.300 Meter Bus-Zündleitung. Verwendet wird der Nitropenta, ein hochverdichteter Sprengstoff in kupferummantelter Hülle, angebracht wird er vorwiegend an den Brückenaufliegern rechts und links sowie an den Brückenpfeilern – dort sollen zwei gegenläufige Sprengkeile dafür sorgen, dass sich die Brückenstützen wie eine Parabel zusammenfalten und das Bauwerk kontrolliert nach unten stürzt.
Ursprünglich hatte die Autobahn GmbH West des Bundes die Sprengung schon für Anfang Oktober anvisiert, doch daraus wurde nichts: Brückenpfeiler und Oberbauten mussten aufwändig gestützt werden, die Arbeiten zu weiten Teilen ferngesteuert durch Spezialgeräte erfolgen. Mitte September konnte dann schließlich auch der auf der Brücke gestrandete Spezial-Lkw von der Salzbachtalbrücke geborgen werden, das 32 Tonnen schwere „Brückenuntersichtgerät“ war kurz vor der Brückenhavarie zu Wartungsarbeiten auf dem Bauwerk geparkt worden und drohte zeitweise sogar mitgesprengt zu werden – so instabil war der Zustand der Brücke.
„Die Sicherungsarbeiten haben fünf bis sechs Wochen gedauert, erst dann konnte der erste Gutachten an die Brücke“, sagte der Leiter der Autbahn GmbH West, Ulrich Neuroth, und räumte ein: Die Dimension der Arbeiten sei kurz nach der Havarie nicht klar gewesen. Zu Verzögerungen habe auch geführt, dass notwendige Spezialgeräte kaum zu bekommen gewesen seien – auch wegen der Flutkatastrophe im Ahrtal, sagte der Leiter der Außenstelle Darmstadt, Matthias Hannappel.
Nun laufen die Vorbereitungen für die Sprengung auf Hochtouren, fünf Bahngleise der Deutschen Bahn mussten unter der Brücke abgebaut werden, darüber wurden vier bis fünf Meter hoch Sand und Erdreich aufgeschüttet. Insgesamt werden rund 50.000 Kubikmeter Sand und Erde benötigt, um die unter der Brücke liegende Infrastruktur mit verdichteten Erdwällen oder lockeren Sandbetten vor dem Aufprall der Brückentrümmer zu schützen. Man rechne mit bis zu 8.000 Kubikmeter Schutt von beiden Brückenteilen zusammen, sagte Hannappel.
Geschützt werden müssen aber auch gut ein Dutzend Ein- und Mehrfamilienhäuser im Umfeld der Brücke, dazu das historische Hofgut Hammermühle, rund 140 Anwohner müssen am Morgen der Sprengung evakuiert werden. Betroffen ist auch eine Lagerhalle der Sektkellerei Henkel sowie ein Teil einer Produktionshalle, ein Tierheim sowie mehrere Gewerbebetriebe nördlich der Brücke an der Mainzer Straße. Der Biebricher Friedhof wird ebenso gesperrt wie ein Hundeübungsplatz – insgesamt soll ein Bereich in einem Radius von 250 Meter im Umkreis um die Brücke hermetisch abgeriegelt werden.
Bereits in der Nacht zum Samstag werde die Stadt Wiesbaden sämtliche Zufahrten in das Gebiet abriegeln, kündigte Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne) an. Die A66 aus Richtung Frankfurt wird ab der Ausfahrt Erbenheim gesperrt, die derzeitige „Omega-Umfahrung“ in Richtung 671 ebenso wie diese Autobahn ab dem Amöneburger Kreisel. Auch die Mainzer Straße wird vom Zweiten Ring an abgeriegelt, ebenso die Zufahrten zur Hammermühle und dem benachbarten Wohngebiet – es sollen keine Schaulustigen sich in die Nähe der Brücke verirren. Möglichkeiten, die Sprengung der Brücke vor Ort zu verfolgen, werde es nicht geben, betonte Neuroth, es werde aber ein Livestream eingerichtet.
Gesichert werden muss zudem die Wiesbadener Kläranlage, die mit ihren sechs Klärbecken unmittelbar neben der Salzbachtalbrücke liegt. 650 tonnenschwere Sprengmatten sollen Klärbecken und Rohranlagen schützen. Natürlich werde die Sprengung eine Erschütterung auslösen, heißt es, das könne aber gut berechnet werden. Auch der unter der Brücke verlaufende Salzbach muss in Rohre verlagert werden, Sorgen bereit den Planern, dass Starkregen den Bach zum Anschwellen bringen und die Kläranlage fluten könnte – das wäre ein Kläranlagen-Gau für Wiesbaden. Starkregen oder Nebel könnten deshalb am 6. November die Sprengung noch verhindern, räumten die Experten ein: „Sollte sich Starkregen abzeichnen, dann haben wir verloren“, sagte Neuroth, für diesen Fall habe man aber eigens den Sonntag als Ausweichtag vorgesehen.
Probleme bereiten derweil noch mögliche Weltkriegsbomben im Umfeld der Brücke: Im Zuge des durch die Sprengung nunmehr vergrößerten Baufeldes werde eine erweiterte Kampfmittelsondierung notwendig, dafür müssten rund 750 bis zu neun Meter tiefe Löcher zum Ausschluss von Weltkriegsbomben gebohrt werden, teilte die Autobahn GmbH weiter mit. „Wir haben derzeit drei Verdachtsfälle für Weltkriegsbomben“, sagte Hannappel.
Geht alles gut, soll am 6. November um 12.00 Uhr der Auslöser gedrückt werden, dann werde es „einen deutlichen, lauten, zum Teil scharfen Knall“ geben, zwei Sekunden später einen zweiten für die zweite Brücke, sagte Raisch. Nach der Sprengung würden die Sprengmeister vor Ort prüfen, ob alle Ladungen detoniert sind, danach sollen die Bagger anrücken. „Wir wollen prioritär Schiene und Bundesstraße freilegen“, sagte Neuroth, Ziel sei es, Bahnstrecke und Bundesstraße bis zum Jahresende 2021 wieder befahrbar zu machen.
Der Neubau der beiden Brückenhälften soll unmittelbar danach starten, Neuroth betonte, für den Neubau der Südbrücke sei es hilfreich, dass vorgefertigte Teile der neuen Südbrücke schon jetzt in Dreieich-Sprendlingen auf einem Zwischenlager lägen. Der ganze Ablauf des Neubaus müsse nun aber neu geplant werden, räumte er weiter ein – neue Ausschreibungen inklusive. Den exakten Zeitplan für den Aufbau der Südbrücke würden die Vertragspartner, Baufirma und Autobahn GmbH neu ausarbeiten, „und alle Möglichkeiten der Beschleunigung ausloten.“
Mit einer Fertigstellung der beiden Brückenhälften wird aber keinesfalls 2022 zu rechnen sein, vor 2023 wird es also keine Wiederfreigabe der A66 geben. Immerhin: Die Gesamtfertigstellung der neuen Süd- und Nordbrücke werde nun schneller erreicht als ursprünglich vorgesehen – geplant war einmal das Jahr 2026.
Info& auf Mainz&: Die Geschichte zum Crash der Salzbachtalbrücke könnt Ihr hier auf Mainz& noch einmal nachlesen, unseren Text zur geplanten Sprengung Anfang Oktober findet Ihr hier. Schon jetzt hat die Autobahn GmbH einen Livestream zu den Arbeiten rund um die Salzbachtalbrücke eingerichtet, Ihr findet ihn hier im Internet.