Die prekäre Haushaltslage der Stadt Mainz wird am Mittwoch das Topthema in der ersten Sitzung des Mainzer Stadtrats nach der Sommerpause sein. Nach dem Paukenschlag der Dienstaufsichtsbehörde ADD mit Stopp für den Nachtragshaushalt 2024 sowie scharfen Rügen für die Stadt, fordern die Stadtratsfraktionen Aufklärung über die Vorgänge von der Verwaltung. Die Linke kritisiert zudem: Die Stadt ließ sich rund 600 Millionen Euro an Gewerbesteuern entgehen.

Im Mainzer Stadtrat am Mittwoch wird es bohrende Fragen zur Haushaltslage der Stadt geben .- und zur Frage: Wurden Rat und Öffentlichkeit getäuscht? - Foto: gik
Im Mainzer Stadtrat am Mittwoch wird es bohrende Fragen zur Haushaltslage der Stadt geben .- und zur Frage: Wurden Rat und Öffentlichkeit getäuscht? – Foto: gik

Der Mainzer Stadtrat hatte am 6. Juni, nur drei Tage vor der Kommunalwahl in Mainz, in einer Hauruck-Aktion den Nachtragshaushalt für das Jahr 2024 mit den Stimmen der damals regierenden Ampel-Koalition verabschiedet, zwei Monate später kippte die Dienstaufsicht ADD das Zahlenwerk – und erhob schwere Vorwürfe gegenüber der Stadt Mainz: Die habe nämlich im Ausblick für die Jahre 2025 und 2026 weiter positive Ertragsschätzungen angegeben, obwohl längst klar war, dass die Stadt wieder tief ins Minus rutschen würde.

Im Gegensatz zu den im Haushaltswerk aufgeführten Zahlen schließe der Ergebnishaushalt der Stadt Mainz ab 2025 wieder “mit beachtlichen Jahresfehlbeträgen ab”, kritisierte die ADD in ihrem Brief vom 5. August – und zwar laut Prognose für 2025 mit einem Minus von rund 251 Millionen Euro, und für 2026 mit einem Minus von rund 159 Millionen Euro. Weil aber weder diese Minusbeträge, noch die negative Entwicklung des Eigenkapitals der Stadt abgebildet seien, zeige die städtische Haushaltsplanung “ein völlig unzutreffendes und geradezu gegensätzliches Bild von der voraussichtlichen künftigen Haushaltsentwicklung der Landeshauptstadt Mainz auf”, rügte die ADD.

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Freie Wähler: Erheblicher Vertrauensverlust gegenüber Politik

Damit warf die kommunale Dienstaufsicht der Stadt nichts weniger vor, als ein positiv-geschöntes Bild von der Finanzlage der Stadt vorgelegt – und damit den Stadtrat, sowie die Öffentlichkeit über die wahre Finanzlage getäuscht zu haben. Und das, wie Mainz& vor Kurzem enthüllte, obwohl die Stadt die Negativprognosen mindestens seit März kannte, und der ADD selbst bereits im April 2024 zuschickte. Die Freien Wähler sprachen daraufhin von “einer dreisten Täuschung der Wähler” durch Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) vor der Wahl und forderten Aufklärung über “die Geisterfahrt eines Finanzdezernenten“.

Warf Finanzdezernent Günter Beck Täuschung des Stadtrats und der Bürger vor: Freie Wähler-Stadtrat Mario Müller. - Foto: Freie Wähler Mainz
Warf Finanzdezernent Günter Beck Täuschung des Stadtrats und der Bürger vor: Freie Wähler-Stadtrat Mario Müller. – Foto: Freie Wähler Mainz

Für den Stadtrat am Mittwoch haben die Freien Wähler nun eine Antrag auf die Tagesordnung des Stadtrats gesetzt, in dem die Verwaltung aufgefordert wird, dem Stadtrat offenzulegen, seit wann die “aktuellen Prognosedaten zur finanziellen Lage der Stadtfinanzen vorlagen, warum diese nicht zeitnah weitergegeben wurden, bzw. ob diese Weitergabe gegebenenfalls behindert wurde.”

Zudem solle die Verwaltung informieren, “welche kompensierenden Ausgabenreduzierungen und Einnahmensteigerungen durch die intransparente finanzielle Situation nicht in Angriff genommen wurden, und welche Zuwendungen der Stadt dadurch
entgangen sind”, so der Antrag weiter. Man bitte zudem um größtmögliche Transparenz und eine Liste der vom Stadtvorstand priorisierten Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite sowie darum, “Maßnahmen aufzuzeigen und zu ergreifen, um dem ausgelösten erheblichen Vertrauensverlust gegenüber Verwaltung und Kommunalpolitik entgegenzuwirken und für die Zukunft zu vermeiden.”

Haushalt erste Nagelprobe für neue Koalition im Stadtrat Mainz

Der Antrag ist insofern spannend, als die Freien Wähler ihn zur Grundlage einer Aktuellen Stunde machen können – und so die übrigen Fraktionen zwingend würden, sich zu dem Thema öffentlich zu verhalten. Denn bislang herrscht vor allem von Seiten der großen Fraktionen im Rat peinlich berührtes Stillschweigen – CDU, SPD und Grüne verhandeln derzeit über eine gemeinsame Kenia-Koalition im Rat, da die bisherige Ampel-Koalition bei der Kommunalwahl am 9. Juni abgewählt wurde.

Strahlten im November 2021 über die "BionTech-Milliarde": Der damalige OB Michael Ebling (SPD, links) und Finanzdezernent Günter Beck (Grüne). - Foto: gik
Strahlten im November 2021 über die “BionTech-Milliarde”: Der damalige OB Michael Ebling (SPD, links) und Finanzdezernent Günter Beck (Grüne). – Foto: gik

Die Grünen wurden dennoch mit 24,8 Prozent der Stimmen und 15 Sitzen erneut stärkste Kraft im Stadtrat, größere Debatten über die Finanzlage der Stadt gab es vor der Wahl nicht. Nun ist der Katzenjammer bei den politischen Parteien groß, doch scharfe Kritik kommt vor allem aus den Reihen der kleinen Fraktionen. So hatte die AfD schon im Juli von einem “vorhersehbaren finanzpolitischen Scherbenhaufen” gesprochen, und nach Bekanntwerden des ADD-Briefs den Rücktritt von Finanzdezernent Beck gesprochen.

Von der CDU war hingegen bislang wenig zu hören, CDU-Fraktionschef Ludwig Holle hatte lediglich Ende Juli gefordert, es gelte nun, “das bisherige Vorgehen komplett zu überdenken, um dann zeitnah eine neue Haushaltsplanung aufzustellen.” Am Montag meldeten sich die Kenia-Koalitionäre in spe mit einer gemeinsamen Pressemitteilung zu Wort: Es sei jetzt an “einer neuen Koalition, klare Strukturen zu schaffen” und an einer Haushaltskonsolidierung als “ersten Schritt in die gemeinsame Zukunft” zu arbeiten, teilten darin die Fraktionschefs Daniel Köbler (Grüne), Jana Schmöller (SPD) und Ludwig Holle (CDU) gemeinsam mit: “Das ist das Selbstverständnis, mit dem wir in die neue Koalition starten.”

Kenia-Koalitionäre in spe: Haushaltskonsolidierung erster Kraftakt

Die derzeitige Haushaltslage stelle das angestrebte Koalitionsbündnis “gleich zu Beginn der Verhandlungen vor große Aufgaben”, räumen die Verhandlungspartner zugleich ein. Ziel aller Gespräche sei es aber, “Mainz ökologisch nachhaltig und sozial verlässlich in seiner wirtschaftlichen Dynamik weiterzuentwickeln.” Während Köbler dabei den Schwerpunkt auf die Nachhaltigkeit legte, forderte Schmöller eine faire Lastenverteilung – die CDU dürfte damit für den Bereich Wirtschaft zuständig sein.

Bekommt Mainz eine Kenia-Koalition? Grüne, SPD und CDU verhandeln jedenfalls derzeit über ein gemeinsames Bündnis. - Foto: gik
Bekommt Mainz eine Kenia-Koalition? Grüne, SPD und CDU verhandeln jedenfalls derzeit über ein gemeinsames Bündnis. – Foto: gik

“Vor uns als Bündnis liegt sicherlich ein Kraftakt”, räumte Schmöller zugleich ein, man müsse aber auch “die ganze Stadt mit der notwendigen Transparenz mitnehmen” – und einen Haushalt mit “ausgewogener und ehrlicher Einnahmen- und Ausgabenpolitik” aufstellen. Das darf wohl durchaus als Kritik am grünen Finanzdezernenten verstanden werden.

Holle betonte zudem, man arbeite “intensiv zwischen den Parteien, aber auch gut mit dem Stadtvorstand zusammen”, gleichwohl werde der neue Haushalt “keine einfachen Entscheidungen” mit sich bringen. “Deshalb braucht es am Ende im Stadtrat eine stabile Mehrheit”, fügte der CDU-Fraktionschef hinzu – offenbar ein Plädoyer für eine Kenia-Konstellation, die im Stadtrat mit 41 von 60 Stimmen eine satte Mehrheit hätte.

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Kritik von Linken, ÖDP und Volt: ADD-Schreiben spät weitergeleitet

Scharfe Nachfragen kommen so am Mittwoch vor allem von der Linken und der ÖDP: So will die ÖDP wissen, warum dem Stadtrat in der Juni-Sitzung eben “nicht alle  Prognosedaten vollständig und wahrheitsgemäß durch die Finanzverwaltung” vorgelegt wurden, und warum der brisante Brief der ADD an die Stadt “mit einer sehr deutlichen Zeitverzögerung durch die Finanzverwaltung” an die Fraktionen weitergeleitet wurde – Letzteres will übrigens auch die Fraktion von VOLT von der Verwaltung wissen.

Linke: Mainz entgingen rund 600 Millionen Euro durch die Senkung der Gewerbesteuer. - Foto: Linke Mainz
Linke: Mainz entgingen rund 600 Millionen Euro durch die Senkung der Gewerbesteuer. – Foto: Linke Mainz

Die Linke wollte zudem in einer Anfrage im Stadtrat wissen, wieviel an Gewerbesteuer der Stadt Mainz denn durch die Senkung des Hebesatzes im Herbst 2021 entgangen sind. Nach dem Geldsegen durch den Erfolg des Mainzer Pharmaunternehmens BionTech mit seinem Corona-Impfstoff, der der Stadt Mainz allein Ende 2021 ein Gewerbesteuerplus in Höhe von rund einer Milliarde Euro bescherte, hatte die Stadt unter dem damaligen OB Michael Ebling (SPD) und Finanzdezernent Beck die Senkung des Hebesatzes für die Gewerbesteuer von 440 Punkten auf 310 Punkte beschlossen – so viel wie die Nachbarstadt Ingelheim.

Die Antwort der Verwaltung: Ohne diese Absenkung hätte Mainz bis heute rund 603 Millionen Euro mehr an Gewerbesteuer eingenommen – genau: 603.342.907 Euro mehr. “Über 600 Millionen Euro sind der Stadt entgangen, und die Mainzer sehen sich jetzt mit Kürzungen und Gebührenerhöhungen konfrontiert – das ist ein gravierendes Versagen der anderen Fraktionen, aber auch von Ex–OB Ebling und Finanzdezernent Günter Beck”, schimpfte Linken-Fraktionschef Tupac Orellana.

Gewerbeansiedlungen in Mainz seit 2021 rückläufig

Die aktuelle Haushaltskrise habe deshalb “auch der letzte Stadtrat mit zu verantworten”, schließlich hätten außer der Linken damals alle Fraktionen “für die drastische Senkung der Gewerbesteuer auf den niedrigsten Hebesatz in Rheinland–Pfalz gestimmt”, kritisierte Orellana. Dabei habe “schon damals allen klar sein müssen, dass die hohen Gewerbesteuereinnahmen durch die Biotechnologie nur von kurzer Dauer sein würden,”, betonte der Linksfraktionschef.

Der Hauptsitz des Pharma-Unternehmens BionTech in Mainz in der Straße "An der Goldgrube". - Foto: gik
Der Hauptsitz des Pharma-Unternehmens BionTech in Mainz in der Straße “An der Goldgrube”. – Foto: gik

Allerdings galt damals auch: Ohne diese Senkung hätten Investitionen von BionTech womöglich nicht mehr in Mainz, sondern in anderen Kommunen stattgefunden – etwa im benachbarten Ingelheim. Die Stadt Mainz hatte zudem stets argumentiert, die Senkung der Gewerbesteuer werde auch kurzfristig zur Neuansiedlung von Unternehmen führen – zumindest zahlenmäßig sei das aber bisher nicht zu erkennen, monierte die Linke nun: Tatsächlich seien die Zahlen seit 2021 gesunken.

Denn nach Angaben der Finanzverwaltung entwickelte sich die Zahl der Gewerbeansiedlungen in Mainz in den vergangenen drei Jahren rückläufig – ausgerechnet im Coronajahr 2021 gab es mit 2.162 einen Höchststand bei den Gewerbeanmeldungen. 2022 wurden dann 2.012 Gewerbe in Mainz angemeldet, 2023 sank diese Zahl auf 1.956. In diesem Jahr wurden im ersten Halbjahr 1.131 Gewerbe neu angemeldet, hochgerechnet ergäbe das dann wieder eine Steigerung. Über die Qualität und Größe der angemeldeten Gewerbe machte die Stadtverwaltung allerdings keine Angaben.

Die Debatte im Stadtrat dürfte am Mittwoch interessant werden – zu Beginn der Sitzung will sich Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) äußern: Nach Informationen von Mainz& wird der OB dabei auch zur Haushaltslage Stellung nehmen.

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Rügen der ADD und dem Vorwurf der Täuschung durch den Nachtragshaushalt 2024 lest Ihr hier bei Mainz&.