Gleich zwei Bürgerinitiativen sammelten seit Januar Unterschriften für ein Bürgerbegehren in Sachen Citybahn in Wiesbaden, beide BIs wollen das Vorhaben einer Wiesbadener Stadtbahn mit Trasse nach Mainz kippen – nun teilte die Stadt Wiesbaden mit: Beide Bürgerbegehren haben genügend Unterschriften zusammenbekommen und sind aus formaler Sicht somit gültig. Trotzdem könnte keines der beiden am Ende auch tatsächlich stattfinden – in Wiesbaden herrscht eine wahre Gutachter-Schlacht um die Frage, ob die Bürgerbegehren überhaupt zulässig sind. Just am Montag legte der Verkehrsbetrieb ESWE ein Gutachten des ehemaligen Bundesverfassungsgerichts-Richters Herbert Landau vor – und danach sind beide Bürgerbegehren aus inhaltlichen Gründen juristisch nicht zulässig.

Wiesbaden streitet weiter über den Sinn einer Citybahn, zwei Bürgerbegehren sammelten jetzt genügend Unterschriften. – Grafik: Citybahn GmbH

Im Januar hatte die Bürgerinitiative Mitbestimmung Citybahn mit der Sammlung von Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen die Bahn begonnen. Die Wiesbadener Politik habe nun mehr als ein Jahr Zeit gehabt, eine Befragung der Bürger zu dem Großvorhaben auf den Weg zu bringen, das sei aber nicht geschehen, kritisierte die BI: Die Verantwortlichen versuchten, die Abstimmung in eine ferne Zukunft zu verschieben oder gar ganz zu verhindern. Das werde man nicht zulassen und beginne deshalb nun selbst mit der Sammlung von Unterschriften. Das Ziel: ein Bürgerentscheid bei der Europawahl am 26. Mai.

Prompt begann auch eine zweite Bürgerinitiative „Busse statt Citybahn“ Unterschriften für ein eigenes Bürgerbegehren zu sammeln – zeitgleich. Beide BIs lehnen das 300-Millionen-Euro-Projekt als viel zu teuer und als überflüssig ab, beide sagen, das Wiesbadener Bussystem sei keineswegs ausgereizt, durch den Einbau einer Straßenbahn müssten Tausende Parkplätze und Bäume weichen – ein Verkehrssystem der Zukunft lasse sich kostengünstiger, flexibler und besser mit modernen Antriebstechnologien realisieren. Für die Stadt Wiesbaden ist die Citybahn hingegen ein unverzichtbarer Baustein im Bemühen, den Wiesbadener ÖPNV 100% emissionsfrei zu machen und die Innenstadt von Abgasen und Lärm zu entlasten. Eine Citybahn soll deutlich höhere Kapazitäten, gerade in der Wiesbadener Innenstadt, bringen und zudem die Landeshauptstädte Mainz und Wiesbaden über Wiesbaden-Biebrich und die Theodor-Heuss-Brücke noch enger miteinander vernetzen.

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6.227 Unterschriften waren für jedes der Bürgerbegehren nötig, um das Quorum laut Hessischer Gemeindeordnung zu erreichen, beide Bürgerinitiativen schafften das: Für das Bürgerbegehren „Besser ohne City-Bahn“ reichte die BI Mitbestimmung City-Bahn insgesamt 9.829 Unterschriften ein, davon waren nach Angaben des Wiesbadener Rechtsamtes 8.987 gültig und 842 ungültig. Das erforderliche Quorum wurde damit um 2.760 Unterschriften übertroffen. Für das zweite Bürgerbegehren „Ein Herz für Wiesbaden – NEIN zur City-Bahn“ wurden sogar 10.907 Unterschriften eingereicht, davon waren 10.146 gültig und 761 ungültig. Auch die BI „Busse statt Citybahn“ hat also das erforderliche Quorum um 3.919 Unterschriften übertroffen.

Für eine gültige Unterschrift musste ein Unterzeichner Deutscher oder EU-Staatsangehöriger sein, das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens drei Monaten mit Haupt- oder einziger Wohnung in Wiesbaden seinen Wohnsitz haben. Kurios dabei: Für jedes Bürgerbegehren konnte man natürlich nur einmal unterschreiben, da es aber zwei Bürgerbegehren gab, durften Wahlberechtigte auch beide Bürgerbegehren unterzeichnen. Damit steht aber immerhin fest, dass weit mehr als 10.000 Wiesbadener ein Bürgerbegehren zur Citybahn wollen – und die Bahnpläne ablehnen.

Die Gegner einer Citybahn halten die Wiesbadener Innenstadt für zu eng für eine Citybahn und plädieren für mehr Busse. – Grafik: ESWE Verkehr

Trotzdem könnte am Ende keines der beiden Bürgerbegehren stattfinden: Ein umfangreiches Gutachten des früheren Bundesverfassungsgerichts-Richters Herbert Landau erklärte nun beide Bürgerbegehren für nicht rechtmäßig, beide verstießen gegen Anforderungen der Hessischen Gemeindeordnung. Das Gutachten wurde allerdings im Auftrag der Wiesbadener ESWE Verkehr erstellt, die Trägerin des Projektes Citybahn ist, Landau argumentiert unter anderem mit einem Kostendeckungsvorschlag, der nach Hessischer Gemeindeordnung nötig ist. Dieser reiche in den Bürgerbegehren nicht aus, zudem hätten beide Anträge Fristen längst verpasst – sie hätten acht Wochen nach entscheidenden Beschlüssen der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung eingereicht werden müssen.

Die BI Mitbestimmung Citybahn widerspricht vehement: Einen Grundsatzbeschluss habe der Wiesbadener Rat noch gar nicht gefasst, das Bürgerbegehren richte sich zudem gar nicht gegen Ratsbeschlüsse, sondern gegen das Projekt als solches, es sei deshalb als „initiatorisches Bürgerbegehren“ sehr wohl zulässig – auch der Kostendeckungsvorschlag sei ausreichend. Das Bürgerbegehren sei deshalb zulässig. Eine Stellungnahme der zweiten BI liegt uns derzeit noch nicht vor.

Eine ähnliche Debatte um Zeitpunkt und Fristen hatte es auch beim Mainzer Bürgerbegehren in Sachen Bibelturm gegeben – am Ende entschied der Stadtrat in Mainz, ein Bürgerbegehren dennoch einzuleiten, um die Bürger nicht zu übergehen. Und auch in Wiesbaden liegt der Ball jetzt bei der Stadtverordnetenversammlung: „Über die Zulässigkeit der Bürgerbegehren hat nun die Versammlung zu entscheiden“, sagte ein Mitarbeiter im Wiesbadener Rechtsamt auf Mainz&-Anfrage. Die Versammlung werde sich zu den unterschiedlichen juristischen Auffassungen „eine Meinung bilden müssen“ und dann entscheiden, ob und falls ja, für welches Bürgerbegehren sie grünes Licht gebe. Das werde „ein juristisch spannendes Verfahren“, sagte der Mitarbeiter weiter.

Wie in Mainz auch, so könnte auch der Wiesbadener Stadtrat selbst eine Befragung der Bürger beschließen, ein sogenanntes „Vertreterbegehren“. Das war ursprünglich längst angedacht, wurde bislang aber immer wieder verschoben – es seien noch zu viele Fragen offen, eine Entscheidungsgrundlage noch gar nicht da, betont die Stadt selbst. Jetzt habe das Rechtsamt lediglich zu prüfen gehabt, ob die Bürgerbegehren das jeweilige Quorum erreichten, das habe man getan, sagte der Mitarbeiter noch. „Man könnte daraus schließen“, fügte er noch hinzu, „dass es ein größeres Interesse daran gibt, bei der Entscheidung Citybahn einbezogen zu werden.“

Info& auf Mainz&: Mehr zum Bürgerbegehren Citybahn haben wir hier im Januar 2019 berichtet, einen ausführlichen Bericht über die Pläne zur Citybahn samt Analysen findet Ihr hier auf Mainz&. Das Gutachten zu den Bürgerbegehren könnt Ihr Euch hier auf der offiziellen Citybahn-Infoseite herunterladen.

 

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