Anderthalb Wochen nach ihrem Auftritt im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags hat nun auch die rheinland-pfälzische CDU den Rücktritt von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) gefordert. „Wir fordern Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, die Ministerin zu entlassen“, sagte CDU-Fraktionschef Christian Baldauf. Auch Umwelt-Staatssekretär Erwin Manz sei nicht länger im Amt haltbar. Ministerin Spiegel habe sich in der Flutnacht nicht gekümmert, sie habe ihr Haus nicht im Griff gehabt und versucht, Fehler zu vertuschen. „Es ging um Wording statt Wahrheit“, betonte Baldauf – das belegten auch neue Details zur Kommunikation der Ministerin in der Flutnacht.

Grüne Anne Spiegel als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz. - Foto: Grüne RLP
Grüne Anne Spiegel als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz. – Foto: Grüne RLP

Die Grüne Anne Spiegel war im Juli 2021 Ministerin für Umwelt und Klimaschutz in Rheinland-Pfalz, und damit auch zuständig für den im Landesamt für Umwelt angesiedelten Hochwasserschutz. Bei ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Aufklärung der Flutkatastrophe am 14. Juli hatte Spiegel überraschend angegeben, in der Flutnacht erst mit Grünen-Fraktionschef Bernhard Braun Essen gewesen zu sein – und dann in ihrer Mainzer Zweitwohnung den Abend verbracht zu haben.

Was die Ministerin in den Stunden bis 2.00 Uhr morgens machte, blieb allerdings auch bei ihrer Befragung unscharf. Spiegel gab einerseits an, sie sei angespannt und besorgt gewesen und habe nach Informationen zur Flut im Internet gesucht. Gleichzeitig aber reagierte sie über Stunden hinweg nicht auf Nachrichten, auch ein angeblicher Anruf ihres Staatssekretärs gegen 22.14 Uhr lief ins Leere – Spiegel will gegen 22.30 Uhr zurückgerufen haben und gab an, es sei ein sehr kurzes, prägnantes Telefonat gewesen. Lange und ausführlich habe sie hingegen mit Braun telefoniert, mit dem sie zuvor doch erst Essen gewesen war.

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Im Vorfeld ihrer Befragung waren zudem Chatprotokolle bekannt geworden, nach denen Spiegel am nächsten Morgen vor allem Nachrichten mit Mitarbeitern austauschte, in denen es um die Frage einer glaubwürdigen Rolle für die Ministerin ging, um ein Abwenden eines drohenden „Blame Games“ von Seiten des Koalitionspartners SPD. „Wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, ich im Kabinett“, schrieb Spiegel einem  Mitarbeiter um 8.00 Uhr morgens – da wurden im Ahrtal noch Menschen von Hausdächern und von Bäumen gerettet. Anteilnehmende Nachrichten mit dem Geschehen im Ahrtal und dem Schicksal der Menschen belegen die Kommunikationsprotokolle hingegen nicht.

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) bei ihrer Befragung vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal. - Foto: gik
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) bei ihrer Befragung vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: gik

Vor dem Ausschuss hatte Spiegel behauptet, die Nachrichten zu ihrem Image und dem „Blame Game“ seien nur „ein ganz kurzer Gedanke“ und nur zwei Nachrichten „von Tausenden“ gewesen, die habe zu keinem Zeitpunkt „eine andere Priorität gehabt, als die Menschen im Tal zu schützen.“ Spiegels Nachfolgerin im Mainzer Umweltministerin, Katrin Eder (Grüne), wies denn auch noch am Montag jegliche Rücktrittsforderungen der Opposition zurück: „Neue Erkenntnisse über das hinaus, was in den bisherigen Sitzungen des Untersuchungsausschusses dargelegt oder erörtert wurde, liegen auch nach der Pressekonferenz der CDU nicht vor“, teilte Eder mit: „Die Forderungen nach Rücktritten entbehren daher jeder Grundlage.“

Die Grünen schimpften gar, für Rücktrittsforderungen an die ehemalige Landesumweltministerin und den amtierenden Staatssekretär fehle „jegliche sachliche Grundlage.“ Die wichtigen Informationen zu den Pegelständen hätten vor Ort in den Landkreisen vorgelegen, in die Zuständigkeiten der Katastrophenschutzbehörden „konnte und durfte das Umweltministerium nicht eingreifen.“ Ministerin und Staatssekretär hätten „die Gewissheit“ gehabt. dass die Einsätze vor Ort alarmiert seien.

 

Also alles prima und glatt gelaufen? „Wir wissen jetzt, dass bereits an den Tagen vor der Flut entscheidende Fehler im Umweltministerium und im Landesamt für Umwelt passiert sind“, konterte Dirk Herber, CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss am Montag: Vorhersagen seien unterschätzt worden, eigenen Berechnungen zu Pegelständen kein Glauben geschenkt – und die höchste Warnstufe viel zu spät aktiviert worden. „Eine automatisierte Warnmail beim Übergang in Warnstufe Orange um 11.17 Uhr wurde nicht versendet“, bilanzierte Herber weiter, Katwarn-Meldungen seien durch einen technischen Fehler nicht an die Warn-App Nina weiter geleitet worden – und kamen im Tal nicht an.

Dirk Herber (CDU) ist Vorsitzender des Innenausschusses des Mainzer Landtags und CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss Ahrtal. - Foto: CDU RLP
Dirk Herber (CDU) ist Vorsitzender des Innenausschusses des Mainzer Landtags und CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss Ahrtal. – Foto: CDU RLP

Und Herbers Liste der Fehler und Pannen ist lang: Obwohl kritische Pegelstände im Ahrtal wie etwa in Müsch bereits um 14.00 Uhr überschritten worden seien, seien Warnmails erst 1,5 Stunden später herausgegangen, manche Informations-Emails gar mit sechs Stunden Verspätung. „Die ehrenamtlichen Pegelbeobachter wurden nicht aktiviert – ein Teil der Zeugen wusste gar nicht, dass es sie gibt“, berichtete Herber weiter. Dazu gab der Hochwassermeldedienst im Landesamt für Umwelt gegen 18.20 Uhr eine falsche Prognose heraus, nach der der Pegelstand im Ahrtal auf einmal auf vier Meter sinken sollte – die Fehlprognose führte bei manch einer Einsatzzentrale zu einem Aufatmen, das sich als fatal erweisen sollte.

Als sich dann die Dramatik im Tal auch bis zum Landesamt für Umwelt herumsprach, seien die Zuständigen nicht einmal dann proaktiv auf Medien zugegangen, um die Bewohner zu warnen, kritisierte Herber. Die Pressemitteilung vom Nachmittag mit dem verharmlosenden Wortlaut sei nie korrigiert worden – dabei hätten Journalisten angegeben, dass auf eine entsprechende Warnung hin selbstverständlich umgehend berichtet worden wäre. Im Nachgang der Katastrophe habe dann Spiegels Ministerium auch noch aktiv versucht, die gemachten Fehler zu vertuschen, kritisierte Herber weiter: „Journalisten wurden fälschlich im Glauben gelassen und sogar aktiv unrichtig informiert, die Warnkette habe uneingeschränkt funktioniert“, bilanzierte er.

CDU-Fraktionschef Christian Baldauf auf einem Wahlplakat. - Foto: CDU RLP
CDU-Fraktionschef Christian Baldauf auf einem Wahlplakat. – Foto: CDU RLP

„Die Ministerin hatte ihr Haus nicht im Griff, weil sie sich nicht gekümmert hat“, bilanzierte CDU-Fraktionschef Christian Baldauf: „Es ging um Wording statt Wahrheit, ihr Handeln war schlicht verantwortungslos.“ Spiegel habe im Nachgang nicht zu eigenen Fehlern gestanden, sondern versucht, über ihre politische Verantwortung hinwegzutäuschen  und sich dabei in Widersprüche verwickelt. Denn auch Spiegels Behauptung, sie sei „nur noch am Telefon „gewesen und habe pausenlos Nachrichten geschrieben, und das sogar Tausende, sei mitnichten haltbar, betonte Herber.

„Eine Telefonliste der Ministerin existiert nicht, obwohl sie verpflichtet war, die Anrufe zu sichern und dem Ausschuss zur Verfügung zu stellen“, sagte Herber. In den Akten fänden sich für den 14. Juli lediglich 60 digitale Kommunikationselemente der Ministerin, darunter 6 Sms – 3 eingehende und 3 ausgehende – 28 Threema-Nachrichten und 26 Emails. Von den Threema-Nachrichten seien 18 eingehende gewesen und 10 ausgehende – proaktiv habe Spiegel an jenem Tag lediglich 3 Sms und 3 Emails sowie 10 Threema-Nachrichten verschickt. „Das waren 16 Nachrichten an einem Tag der größten Katastrophe der Nachkriegszeit“, betonte Herber.

 

Zwischen 16.26 Uhr am Nachmittag des 14. Juli und dem späten Abend liege dem Ausschuss von Seiten der Minister „überhaupt keine aktive Kommunikation vor“, sagte Herber weiter. Reagiert habe Spiegel auch nicht auf eine Chat-Nachricht ihrer damaligen Staatssekretärin Katrin Eder, die um 21.23 Uhr darauf hinwies, der Landkreis Vulkaneifel habe jetzt den Katastrophenfall ausgerufen. Wie man denn damit umgehen solle?, fragte Eder in den Chat, „von der Ministerin erfolgte keine Reaktion auf diese Frage“, berichtete Herber.

Umwelt-Staatssekretär Erwin Manz vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: gik
Umwelt-Staatssekretär Erwin Manz vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: gik

Auch von Staatssekretär Manz sei an demselben Abend  bis 22.15 Uhr keine Kommunikation vermerkt, bis 11.00 Uhr am Folgetag sei von Manz kein einziges Telefonat mit dem Innenministerium in den Akten zu finden – weder mit Staatssekretär Randolph Stich noch mit Innenminister Roger Lewentz (SPD). „Spiegel und Manz haben für uns in einem erschreckenden Umfang Initiative vermissen lassen, dass man die Katastrophe aktiv bekämpfte“, bilanzierte Herber: „Die Leitungsebene ging stattdessen essen und früh schlafen – gleichzeitig trat in Luxemburg der Krisenstab um Mitternacht zusammen.“ Ein solches Vorgehen sei „unerträglich“, betonte der Obmann.

„Es ist Flucht aus Verantwortung, dass Spiegel scheinbar ihr ganzes Tun und Handeln an Manz delegierte“, kritisierte auch Baldauf, der Spiegel gar vorwarf, als eine Art „politische Marionette“ von Braun und Manz zu fungieren. „Wäre Frau Spiegel noch Ministerin in Rheinland-Pfalz, hätten wir längst den Rücktritt gefordert“, betonte Baldauf, nun aber müsse Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entscheiden, ob er „einer Ministerin, die so versagt hat“, noch sein Vertrauern schenken könne. „Wir fordern Kanzler Scholz auf, die Ministerin zu entlassen“, betonte Baldauf, „und wir fordern Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) auf, Manz in seinem Amt abzulösen.“

Gerät nun ebenfalls unter Druck wegen seiner Rolle in der Flutnacht: Grünen-Fraktionschef Bernhard Braun, hier im Jahr 2018. - Foto: gik
Gerät nun ebenfalls unter Druck wegen seiner Rolle in der Flutnacht: Grünen-Fraktionschef Bernhard Braun, hier im Jahr 2018. – Foto: gik

Zudem forderte die CDU, Grünen-Fraktionschef Braun müsse sich als Mitglied aus dem Untersuchungsausschuss zurückziehen. Braun sei ja offenbar aktiv an den Vorgängen der Flutnacht beteiligt gewesen, argumentierte Herber, das Untersuchungsausschuss-Gesetz des Landtags schreibe aber vor: „Ein Mitglied des Landtags, das an den zu untersuchenden Vorgängen beteiligt ist oder war, darf dem Untersuchungsausschuss nicht angehören.“ Braun wies die Forderung umgehend zurück: Er sehe keine Veranlassung, sich zurückzuziehen, sagte er dem SWR. Sollte er als Zeuge geladen werden, sei er aber jederzeit bereit, aus dem Untersuchungsausschuss auszuscheiden. Auch Spiegel wies in Berlin dem Sender zufolge die Rücktrittsforderungen zurück.

Doch so einfach dürfte die Ministerin nicht davon kommen: In Berlin ging es vergangenen Freitag im Deutschen Bundestag in einer Aktuellen Stunde ebenfalls um die Rolle Spiegels bei der Flutkatastrophe im Ahrtal – und auch dort forderten Vertreter von AfD und CDU ihren Rücktritt. „Mit Ihrem Verhalten, Frau Spiegel, haben Sie gezeigt, dass Sie nicht nur unmoralisch, sondern auch im höchsten Maß unfähig sind“, schimpfte der AfD-Politiker Sebastian Münzenmaier, wie die Zeitung „Die Welt“ berichtet.

 

Auch mehrere Abgeordnete der Union, darunter die Rheinland-Pfälzerin Julia Klöckner und CDU-Generalsekretär Mario Czaja, hätten Spiegel schwere Versäumnisse vorgeworfen und ihr den Rückzug als Bundesministerin nahe gelegt, berichtet die Zeitung weiter – von „Verantwortungsflucht“ sei die Rede gewesen. Spiegel selbst war bei der Debatte nicht anwesend, die Ministerin hatte sich krank gemeldet – unter Berufung auf ihre Corona-Infektion, die sie kurz vor dem Untersuchungsausschuss in Mainz gehabt hatte.

Ministerin Anne Spiegel 2021 auf einem Wahlplakat. - Foto: gik
Ministerin Anne Spiegel 2021 auf einem Wahlplakat. – Foto: gik

Doch allen Verteidigungsschwüren ihrer Partei zum Trotz, scheint die Ministerin auch in Berlin nicht mehr unangefochten zu sein. Die FAZ berichtete, auch in der grünen Bundestagsfraktion fragten sich einige „hinter vorgehaltener Hand, wer eigentlich derzeit ‚die Anne‘ berät. Es werden Zweifel daran ge­äußert, dass sie mit der bisherigen als veranwortungsscheu wahrgenommenen Li­nie auf Dauer bestehen kann.“

„Das wäre si­cher anders, wenn sie als Bundesfamilienministerin glänzte“, schreibt die Berliner Korrespondentin der FAZ weiter, doch davon könne „kaum die Rede sein.“ Zwar verschicke Spiegels Haus eine Vielzahl einschlägiger Pressemitteilungen, doch die Pressestelle sei „lange Zeit nahezu verwaist“, Anfragen zu ihrer Zeit als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz und ihrem Verhalten in der Flutnacht im Ahrtal würden nicht beantwortet. „Indem Spiegel es ganz eilig hatte, ei­nen Queer-Beauftragten zu ernennen, (…) zeigte sie, wo ihre eigentlichen Prioritäten liegen“, schreibt die Zeitung weiter.

Auch einen Antiziganismusbeauftragten habe Spiegel schnell ernannt – „das Amt des Missbrauchsbeauftragten jedoch ist seit Ende Februar vakant“, hier bewege sich nichts. Und auch zur dringenden Versorgung der Ukraine-Flüchtlinge mit vielen Kindern im vorschulischen Al­ter sei von Spiegel sei Anfang März nichts mehr zu hören gewesen – dabei drohten Ländern und Kommunen erhebliche Probleme angesichts von Erzieher-und Kitaplatzmangel.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema Rücktrittsforderungen gegen Anne Spiegel lest Ihr auch hier bei Mainz&, einen ganz ausführlichen Bericht zum Auftritt der Ministerin vor dem Untersuchungsausschuss findet Ihr hier bei Mainz&.