Die Corona-Sommerwelle rast durch die Bevölkerung, die Inzidenz in Mainz kletterte diese Woche auf über 1.000 – doch die Politik reagiert weiter nicht auf die hohe Zahl der Ansteckungen. Dabei legen die Corona-Fälle längst Kitas, Züge, Kliniken und Unternehmen lahm. Mainz&-Recherchen ergaben nun: Auch die Corona-Hotline des RKI ist völlig überlastet, Warnungen via Corona-App finden deshalb Hundertfach gar nicht mehr statt. Im Bundesgesundheitsministerium will man nun gegensteuern- und Minister Karl Lauterbach (SPD) rät zur vierten Impfung.

Aktuelle Karte der Corona-Inzidenzen von dieser Woche: die Sommerwelle hat Deutschland fest im Griff. – Screenshot: gik
Aktuelle Karte der Corona-Inzidenzen von dieser Woche: die Sommerwelle hat Deutschland fest im Griff. – Screenshot: gik

„Ich habe das, was gefühlt gerade alle haben”, schniefte Tagesthemen-Moderatorin Carmen Miosga jüngst in einem Mini-Radiointerview mit SWR3: Die Nachrichtenfrau wollte eigentlich ihr Jubiläum als Moderatorin feiern – stattdessen lag Miosga mit Corona im Bett. “Das, was gerade alle haben” ist die Omikron-Variante BA.5, und die rauscht gerade in einem atemberaubenden Tempo durch die Republik.

136.000, 160.000 – die Fallzahlen beim Robert-Koch-Institut (RKI) schwanken dieser Tage stark, und kennen doch im Prinzip nur eine Höhe: weit oben. In Mainz pendelt die Sieben-Tage-Inzidenz derzeit bei um die 1.000, zum Vergleich: Vor einem Jahr um diese Zeit lag die Inzidenz in Mainz gerade einmal bei 20, in ganz Rheinland-Pfalz bei 12. Am 20. Juli 2021 waren aktuell 1.066 Menschen in Rheinland-Pfalz mit dem Coronavirus infiziert – am 20. Juli 2022 wurden an einem Tag 6.910 neue bestätigte Corona-Fälle gemeldet und 11 neue Todesfälle. Die landesweite 7-Tages-Inzidenz betrug 756,5 – und die Hospitalisierungsinzidenz 7,52.

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Die Zahlen zeigen: die befürchtete Sommerwelle hat Deutschland fest im Griff, und das hat dramatische Folgen. Bundesweit müssen Kliniken ganze Stationen und Operationen abmelden, weil das halbe Personal krank ist. Kitas müssen schließen, weil alle Erzieher krank sind. Kinderärztinnen berichten auf Twitter von völlig überfüllten Infektions-Sprechstunden, bei der Bahn fallen Züge aus, und an den Flughäfen bleiben auch deswegen derzeit so viele Koffer stehen – weil das Personal mit Corona-Infektion im Bett liegt.

BA.5 oft mit schweren Krankheitssymptomen

Ist der Coronatest positiv, beginnt nicht nur eine Quarantäne von fünf Tagen – sondern oft auch eine echte Krankengeschichte. – Foto: gik
Ist der Coronatest positiv, beginnt nicht nur eine Quarantäne von fünf Tagen – sondern oft auch eine echte Krankengeschichte. – Foto: gik

BA.5 hat nämlich unerwartete Nebenwirkungen: Viele Infizierte kämpfen mit hohem Fieber und schweren Gliederschmerzen, mit dröhnendem Kopf und einer schweren Erkältung samt Husten und laufender Nase – BA.5 macht richtig krank. 10 bis 14 Tage kann die Erkrankung durchaus andauern, der Ausfall in den Betrieben ist enorm. Von Seiten der Politik herrscht derweil Stillschweigen, als gäbe es die massive Krankheitswelle gar nicht. Dabei meldete das RKI am Donnerstag auch wieder 177 Todesfälle binnen 24 Stunden in Folge einer Covid-19-Erkrankung.

Ohnehin weiß niemand derzeit so genau, wie viele Corona-Infektionen es derzeit überhaupt gibt: Durch den Wegfall der kostenlosen Bürgertests zum 1. Juli sank die Zahl der Tests dramatisch, viele Infizierte lassen zudem auch gar keinen PCR-Test mehr machen – nur die per Labor bestätigten PCR-Tests aber fließen in die Statistik ein und werden als offizielle Fälle gezählt. Gerade erst deckten Abwasser-Untersuchungen in Köln auf: Die wahre Zahl der Corona-Infektionen ist aktuell doppelt so hoch wie offiziell erfasst.

 

Corona-Hotline des RKI völlig überlastet

Und auch mit den Warnungen in der Corona-Warn-App des RKi ist es nicht mehr weit her: Die Hotline ist dermaßen überlastet, dass tagelang kein Durchkommen ist. Mainz& machte – etwas unfreiwillig – selbst den Test: Mainz&-Chefredakteurin Gisela Kirschstein lag mit Corona-Infektion im Bett. Nun war aber das Labor, das den PCR-Test durchführte, nicht an die Corona-App angeschlossen – das ist kein Einzelfall.

Die Corona-Warn-App warnt häufig nicht mehr – weil kein Durchkommen bei der Hotline ist. – Foto: Mainz&
Die Corona-Warn-App warnt häufig nicht mehr – weil kein Durchkommen bei der Hotline ist. – Foto: Mainz&

Um seinen positiven PCR-Test in die Warn-App einspeisen zu können, braucht man dann aber eine Tan-Nummer – und die ist nur über die Telefon-Hotline des RKI zu bekommen. Was folgte, war ein wahrer Marathon: Zwei Tage hintereinander wurde vergeblich versucht, die Hotline zu erreichen, selbst 1,5 Stunden Wartezeit am Stück blieben ohne Erfolg – außer einer Stimme, die alle zwei Sekunden flötet “Bitte haben Sie noch etwas Geduld” tat sich nichts. Die Hotline hat nur bis abends 20.00 Uhr geöffnet um 20.30 Uhr flötete die Ansagerin immer noch denselben Text – dann waren Geduld und Kraft erschöpft.

Ein Einzelfall ist das nicht: Uns liegen mindestens ein halbes Dutzend Rückmeldungen von Corona-Infizierten vor, die alle das Gleiche erlebten: kein Durchkommen bei der Hotline – und mancher versuchte es gar fünf Stunden lang. Mainz& hat daraufhin beim Bundesgesundheitsministerium angefragt, das für die Hotline zuständig ist, wir wollten wissen: Was ist da los? Und wenn die Hotline so überlastet ist – warum setzt man dann nicht mehr Personal ein?

 

Unsere Anfrage löste hektische Betriebsamkeit im Ministerium aus, die Antwort ließ indes auf sich warten: Eine Woche dauerte es, bis man sich im Berliner Ministerium in der Lage sah, eine Antwort zu geben. “Die Verifizierungs-Hotline stellt eine Sekundärlösung zum Auslösen einer Warnung nach positivem Corona-Test dar”, heißt es in der Antwort nun. Die “primäre Lösung” sei der volldigitale Weg, bei dem das Testergebnis direkt in die Corona-Warn-App eingespeist werde. Mittlerweile seien mehr als 280 Labore und rund 33.000 Teststellen an die App angebunden, so das Ministerium weiter.

Warnte ungehört vor der Omikron-Sommerwelle: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). – Foto: gik
Warnte ungehört vor der Omikron-Sommerwelle: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). – Foto: gik

Und dann räumt das Bundesministerium auch ein: “Das BMG hat sich der bestehenden Überlastungsproblematik bei der Verifikationshotline angenommen.” Offenbar war dieses Problem im Ministerium bis zu unserer Anfrage allerdings nicht bekannt, nun heißt es: Man habe “den hierfür verantwortlichen Industriepartner TSI angewiesen, schnelle Abhilfe zu schaffen.” Die durch Nutzer der App hochgeladenen positiven PCR-Ergebnisse hätten im Übrigen aber “keinen Einfluss auf die vom RKI veröffentlichen Testzahlen, sondern bilden nur einen Bruchteil des tatsächlichen Testgeschehens ab”, so die Pressestelle weiter: “Das ist unbefriedigend.”

In der Tat: Das Datenproblem in Deutschland hat sich im Verlauf der Corona-Pandemie nicht etwa verbessert, sondern eher noch verschlechtert – ein Monitoring der Pandemie hat die Politik derzeit weitgehend aufgegeben. Allein Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) versuchte noch Anfang Juli, die Menschen auf eine Sommerwelle  einzustimmen und warnte, der sonst übliche Sommereffekt in der Corona-Pandemie drohe in diesem in diesem Jahr völlig zu verpuffen – vergeblich. Der Minister riet auch dazu, freiwillig in den Innenräumen wieder Maske zu tragen – Gehör fand er so gut wie keines.

 

Kaum noch jemand trägt in Innenräumen Maske, in Supermärkten werden Maskenträger inzwischen zum irritiert begafften Einzelfall. Die Politik hat jegliche Einschränkungen abgeschafft, nun wundert man sich über die Folgen. Lauterbach rät nun auch Menschen unter 60 Jahren zur vierten Impfung: “Leider kann man sich an BA.4 und BA.5 infizieren, auch dann, wenn man mit BA.1 und BA.2 schon infiziert war”, sagte er im ZDF.

Das Mainzer Impfzentrum ist weiter geöffnet, Wartezeiten: keine. – Foto: gik
Das Mainzer Impfzentrum ist weiter geöffnet, Wartezeiten: keine. – Foto: gik

Der Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko), Merten widersprach prompt: Es sei überhaupt nicht erwiesen, dass die vierte Impfung überhaupt etwas bringe, behauptete der Stiko-Chef, der schon mehrfach mit seinem zögerlichen Agieren der Impfkampagne in Deutschland Verzögerungen bescherte. In der realen Sommerwelle stellt sich per Feldversuch derweil fest: Wer die vierte Impfung bereits hat, erlebt bei einer Corona-Infektion deutlich mildere Symptome und meist gar kein Fieber mehr – die vierte Impfung sorgt offenbar noch einmal für eine Schub des Immunsystems.

Derweil haben viele Hausärzte das Impfen sogar ganz eingestellt, in Mainz wird dennoch weiter geimpft: Das Mainzer Impfzentrum in Gonsenheim ist weiter geöffnet, auch die Impfbusse des Landes sind nach wie vor mobil unterwegs. Im Mainzer Impfzentrum seien weiterhin Erst- und Zweitimpfungen für alle ab 12 Jahren möglich, heißt es bei der Stadt Mainz: Die erste Auffrischimpfung für Menschen ab 12 Jahren empfehle sich in der Regel drei Monate nach der vorangegangenen Impfung.

Zur Auswahl stehen hier Impfstoffe von Biontech (Comirnaty), Spikevax von Moderna sowie der neuere Totimpfstoff Nuvaxovid von Novavax zur Verfügung. Impfen lassen kann man sich sowohl mit, aber auch einfach ohne Termin, Novavax-Impfungen werden nur donnerstags angeboten, Kinder-Impfungen werden immer mittwochs und donnerstags an den Nachmittagen durchgeführt. Zur Beratung stehen Impfärzte bereit.

Info& auf Mainz&: Das Impfzentrum Mainz “An der Bruchspitze” ist für die Stadt Mainz sowie für den Kreis Mainz-Bingen zuständig und Montags bis freitags von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr, und  Dienstag und donnerstags von 08.00 Uhr bis 19.00 Uhr geöffnet. Alle Infos zur Corona-Impfung samt weiterführenden Links findet Ihr hier im Internet.