Viereinhalb Jahre nach dem Start der Arbeitswerkstatt zur Weiterentwicklung des Gutenberg-Museums ist nun eine Vorentscheidung gefallen, wie das neue Weltmuseum der Druckkunst aussehen soll: Ein gefälteter Bau, der sich zum Liebfrauenplatz hin öffnet und im Inneren mit einer spektakulären „schwebenden“ Schatzkammer punktet. Anfang Oktober kürte eine Jury den Entwurf des Stuttgarter Architektur-Büros „h4a Gessert + Randecker“ zum Sieger des Architekturwettbewerbs für das neue Museum. Die Siegerentwürfe können noch bis zum 13. November im Naturhistorischen Museum angeschaut werden.
„Das ist ein riesengroßer Schritt in Richtung Neubau unseres Museums“, sagte Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) Anfang Oktober nach der Jurysitzung: „Es ist ein toller Siegerentwurf, er passt nach Mainz, und er wird unserem Weltmuseum der Druckkunst endlich die Hülle geben, die es verdient.“ Zwei Tage lang hatte eine Expertenjury da zuvor die Entwürfe von 25 Architekturbüros aus ganz Europa intensiv diskutiert und evaluiert – am Ende standen die ersten drei Plätze fest.
Alle drei Plätze gingen zur Überraschung der Jury an Büros aus Stuttgart, auf den ersten Platz wählte die Jury am Ende einstimmig den Entwurf des Büros Büro h4a Gessert + Randecker Architekten GmbH. „Das ist eine Architektur, von der wir meinen, dass sie sehr gut nach Mainz passt“, sagte Grosse bei der Vorstellung: Der Entwurf präsentiere sich „himmelsoffen“ und öffne den Platz vor dem Museum sehr geschickt zum Liebfrauenplatz. Das Ergebnis sei „ein Museum, das einlädt einzutreten“, freute sich die Baudezernentin.
Die Erleichterung war der Baudezernentin dabei sichtlich anzusehen: Damit geht ein seit sechs Jahre andauerndes Ringen um den Neubau des Mainzer Gutenberg-Museums nun zu Ende – sofern der Siegerentwurf tatsächlich umgesetzt wird. Im Februar 2016 hatte die Stadt Mainz erstmals die Ergebnisse für einen Neubau des wichtigsten Mainzer Museums vorgestellt, das an die historische Revolution der Druckkunst durch Johannes Gutenberg und ihre Folgen erinnert.
77 Prozent Ablehnung für Bibelturm im Bürgerentscheid
Im Februar 2016 kürte eine Expertenjury einen bronzenen Bibelturm zum Sieger eines Architektenwettbewerbs, der Turm sollte auf dem Liebfrauenplatz entstehen und die Museumsfläche erweitern – was folgte, war ein wohl einmaliger Entrüstungssturm gegen das Bauwerk, der zu einer zweijährigen, erbitterten Auseinandersetzung zwischen Bürgerschaft und Stadtspitze sowie Bibelturm-Befürwortern führte. Schließlich lehnten die Mainzer bei einem Bürgerentscheid im April 2018 den „Turmbau zu Mainz“ mit einer satten Mehrheit von 77,3 Prozent ab – das Ergebnis galt auch als Ohrfeige für die Stadtpolitik.
Danach folgte ein Neustart mit einer Arbeitswerkstatt und einer inzwischen entwickelten grundlegenden Museumskonzeption für den Neubau – und einer Suche nach dem besten Standort. Im Juni 2020 beschloss die Arbeitswerkstatt Gutenberg-Museum nach langem Wägen: Der alte Standort am Liebfrauenplatz, direkt vis à vis des Doms sei der beste, man wolle „Neues wagen am alten Standort“ – mit einem Budget von 71 Millionen Euro.
Architektenwettbewerb mit Bewerbern aus ganz Europa
Im Frühjahr 2022 wurde dann ein neuer Architektenwettbewerb gestartet, 131 Büros aus ganz Europa bewarben sich, 25 kamen schließlich in die Endrunde. Bei den Entwürfen fiel vor allem eines bei der Vorstellung auf: Herausragende architektonische Entwürfe waren eher nicht dabei, nur ein Büro traute sich, erneut eine Art Bücherturm zu entwerfen – dieses Mal als schwarzes Quadrat mitten auf dem heutigen Innenhof. Der Entwurf schaffte es nicht unter die Besten.
Die Geschichte des Wettbewerbs habe „schon Wellen geschlagen“, räumte Arno Lederer, Vorsitzender der Wettbewerbsjury offen ein, und bekannte gleichermaßen freimütig: „Alle Arbeiten haben Mängel.“ Die Jury habe deshalb lange diskutiert und sich intensiv mit den Entwürfen beschäftigt, ein ganz wichtiges Kriterium sei dabei die Umsetzung eines schlüssigen Innenraumkonzeptes gewesen – und des Vortragssaales. Dieser sei ein ganz wichtiger Baustein im Konzept des „offenen Museums“, er müsse deshalb auch bei Abend bespielbar sein, wenn der Rest des Museums geschlossen sei.
Und genau daran scheiterten gleich mehrere Entwürfe, wie Lederer erklärte: So habe bei einem Entwurf, der am Ende eine Anerkennung bekam, der Vortragssaal im Keller gelegen, das habe sich am Ende als K.O.-Faktor erwiesen. Ein anderer Entwurf wollte im heutigen Innenhof des Museums eine Plattform mit großer Treppe errichten, das aber hätte hohe Seitenmauern und schwierige Zugänge zum Museum bedeutet.
Vortragssaal als wichtiger Baustein des Innenraums
An der Frage des Vortragssaals scheiterte derweil auch der Entwurf, der am Ende auf den 3. Platz kam: Der Entwurf der Wulf Architekten aus Stuttgart sah eine Fassade vor, die symbolhaft Bücherregale mit Büchern nachgebildet hätte, und ein bisschen wie eine Burg gewirkt hätte. „Wir fanden das toll“, betonte Lederer, doch das Manko mit dem Vortragssaal habe schließlich den Ausschlag gegeben.
Auf den zweiten Platz wählte die Jury einen Entwurf des Büros Riehle + Assoziierte GmbH + Co. KG mit Carmody Groarke Ltd aus Stuttgart, dieser Bau jedoch hätte das komplette Areal überbaut und direkt an den Römischen Kaiser angeschlossen. Dazwischen sah der Entwurf einen Eingang mit Rundbogen vor, damit wäre aber ein weitgehend geschlossener Baukörper entstanden. Der Entwurf hatte offenbar viele Fans in der Jury, zum K.O.Faktor wurde hier etwas anderes. „Die Arbeit hat einen Nachteil: sie braucht ein zweites Untergeschoss – und das ist in Mainz nicht so günstig“, erklärte Lederer. Wegen des sumpfigen Mainzer Untergrunds wäre eine wasserdichte Wanne notwendig geworden, die die Kosten massiv in die Höhe getrieben hätte.
So einigte sich die Jury am Ende auf den Entwurf des Stuttgarter Architektur-Büros h4a Gessert + Randecker: Ein Bau mit gefälteter Fassade und Dach, der einen kleinen Platz zwischen Römischem Kaiser und Neubau lässt sowie einen Durchgang zur Rote Kopf-Gasse. Das besondere dieses Entwurf ist sein Innenleben: Es öffne sich ein Foyer mit großer Treppenkonstruktion, das ein wenig mit der Philharmonie in Berlin vergleichbar sei, sagte Lederer.
Frei schwebende Schatzkammer für Gutenberg-Bibel
Das große Foyer öffnet sich durch das ganze Gebäude bis nach oben, „man sieht bis unters gefaltete Dach, und dort oben hängt die „Schatzkammer“ quasi freischwebend drin“, erläuterte Lederer die Skizzen. Die Schatzkammer ist der Ort im Gutenberg-Museum, wo die wertvollsten Druckerzeugnisse unter besonderen klimatischen Bedingungen aufbewahrt werden, darunter auch eine original Gutenberg-Bibel. Um das Foyer herum gingen die Treppen in Windungen hinauf bis unters Dach, wo auch der Vortragsraum liege, dazu gebe es große Ausstellungsflächen: „Diese Arbeit hat den Wert, dass sie funktioniert“, betonte Lederer.
„Ich glaube, wir haben einen Entwurf gefunden, der auch meinen Vorstellungen entspricht“, betonte Museumsdirektor Ulf Sölter: „Mit dem Entwurf kann man ganz viel arbeiten und spielen.“ Denn der aktuelle Entwurf sei keineswegs ein fertiger Bauentwurf, warnte Lederer: „Gehen Sie nicht davon aus, dass das Museum am Ende genau so aussehen wird.“ Man habe nun „ein Konzept, aber keinen Plan, den man morgen bei der Stadt abgeben kann“, das Konzept werde nun vielmehr in Zusammenarbeit mit der Stadt überarbeitet. „Das ist ein ganz wesentliches Ziel“, betonte Lederer.
Sölter wies darauf hin, dass vor allem die Fassade überarbeitet werde, denn der Entwurf sieht derzeit noch eine überdimensionale LED-Leuchtanzeige vor. Das habe „quasi eine Rüge“ von der Jury bekommen, sagte Sölter und bekannte, er habe sich mit dem Entwurf erst anfreunden müssen: „Eigentlich hatte man sich auf einen Entwurf gefreut, wo man davorsteht wie frisch verliebt und sagt zu allem Ja – das war’s!“
„Kein Entwurf, wo man wie frisch verliebt davorsteht“
Dem sei aber nicht so, der erste Platz habe „hart erarbeitet“ werden müssen. „Aber jetzt wächst minütlich die Freude“, fügte Sölter hinzu, der zum 1. April 2022 die Nachfolge der früheren Direktorin Annette Ludwig angetreten hatte. „Ich glaube, das ist eine sehr gute Wahl für den Platz“, sagte Ludwig gegenüber Mainz&, die Ex-Direktorin war Mitglied der Jury gewesen.
Im Nachgang müssen die auf den ersten Plätzen gesetzten Architekturbüros nun ihre Konzepte konkretisieren, auch im Hinblick auf die Kosten. Die Auslobung des Wettbewerbs sei in Abstimmung mit allen beteiligten städtischen Fachämtern sowie mit der Denkmalpflege, dem Gutenberg-Museum selbst sowie der „Arbeitswerkstatt Gutenberg-Museum“ erfolgt, betonte die Stadt weiter.
In der Arbeitswerkstatt waren auch die Bürgerinitiativen „Mainz für Gutenberg“ sowie die „Bürgerinitiative Gutenberg-Museum“, die Stadtratsfraktionen und die Gutenberg-Stiftung vertreten, es seien zudem viele Anregungen aus der öffentlichen Bürgerbeteiligung eingeflossen. Die Grundlage für den Architektenwettbewerb bildete außerdem die von Bund, Land und Stadt gemeinsam finanzierte und 2021 vorgelegte Machbarkeitsstudie „Modernisierung Gutenberg-Museum“.
„Wir haben zwei Jahre oder länger zusammenfinden müssen, wir waren sehr unterschiedlicher Meinung und haben gekämpft und gestritten“, sagte Michaela Link für die Arbeitswerkstatt, nun sei sie „sehr froh“, dass der Prozess ein gutes Ende gefunden habe. Der Siegerentwurf sei von Anfang an ihr Favorit gewesen, das jetzige Ergebnis auch ein Erfolg der Mainzer Bürgerschaft. „Ich hoffe inständig, dass dieser Entwurf tatsächlich eine ganz große Akzeptanz in Mainz findet“, fügte Baudezernentin Grosse hinzu.
Entwürfe noch bis 13. November in Ausstellung zu sehen
Das können die Mainzer nun selbst bewerten: Alle Entwürfe der Endrunde können derzeit in einer Ausstellung im Naturhistorischen Museum besichtigt werden. Aufgrund der hohen Nachfrage werde die Ausstellung bis zum 13. November 2022 verlängert, teilte die Stadt Mainz am Donnerstag mit. Zudem können die genauen Pläne der Architekten auch digital studiert und heruntergeladen werden – genau hier im Internet.
Für die Zeit des Neubaus wird das Gutenberg-Museum nun mit einer Rumpfausstellung in das Naturhistorische Museum umziehen, das soll bis Ende 2023 erfolgt sein. Danach werde der Rückbau des maroden Schellbaus beginnen, der allerdings hochgradig Schadstoff-belastet ist – allein für diesen Teil des Rückbaus rechnet die Stadt etwa ein Jahr. 2025 könne dann voraussichtlich mit dem Neubau begonnen werden, sagte Grosse.
Info& auf Mainz&: Mehr zu Details zum Wettbewerb und den gekürten Siegerentwürfen sowie die digitalen Pläne selbst könnt Ihr hier im Internet bei der Stadt Mainz nachlesen. Wer die Geschichte des Bibelturms und der Auseinandersetzung darüber, sowie zu den weiteren Entwicklungen noch einmal nachlesen will: Hier geht es zu unserem Dossier „Gutenberg“ mit allen Artikeln zum Thema.