Heißt es nun „Ave“ oder „Helau“, fragen sich die Altrheinstromer, und geben die Antwort gleich selbst: Es heißt natürlich „Ave, Helau – und Guude!“ wenn unsichtbare Römer zur Fastnacht laden. „Es ist so weit, die Nacht ist klar – es sind die Saturnalia“, verkündet der Zeremonienmeister, stilecht in römischer Uniform und mit Tuba, und für die Aktiven gibt es hier ein „Ave!“ Zum vierten Mal lud die Unsichtbare Römergarde zum Narrenspiel am 11.11., und müssen feststellen: Wenn die Politik zum Zirkuszelt wird, sind allein die Narren noch vernünftig. Mit Wortgewalt und Sokrates stemmen sie sich gegen Dummheit, Frechheit, Eitelkeit, Rat-Resistente und Schwafelrunden im Utopialand.
„Wer in den Narrenspiegel schaut, kriegt sehr schnell eine Gänsehaut“, konstatiert der Protokoller, „denn es sitzt ja fast die ganze Welt, beisammen in dem Narrenzelt. Und Dummheit, Frechheit, Eitelkeit, verursachen manch großes Leid. Doch wär‘ als tröstlich zu benennen, wenn wir uns selbst zunächst erkennen: Mit Sokrates wird man dann sagen: die Art von Narr kann man ertragen.“ Ja, es sind finstere Zeiten auf der Welt, und die Narrenworte sind düster in diesen Tagen. Was bleibt dem Narren da anderes zu tun, als sich das alte „Gnothi seauton“ der Griechen zu Herzen zu nehmen?
„Erkenne Dich selbst“ lautete die Inschrift am Orakel von Delphi im antiken Griechenland, der antike Denker Sokrates entwickelte daraus das Prinzip der Eigenverantwortung und der Selbsterkenntnis als ersten Schritt zu Weisheit – sein legendäres „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ stünde – so sehen es die Narren – den Mächtigen von heute allemal besser an als die herrschende „Dummheit, Frechheit, Eitelkeit“. Und es sind von alters her die Narren, die der Welt den Spiegel der Selbsterkenntnis vorhalten – bei den Saturnalien tun sie das ausgiebig und mit enormer Wortgewalt.
Geschliffene Verse gegen närrische Hybris im Politikzirkus
Da glossiert Pater Krawietz, Protokoller der Saturnalien, in geschliffenen Versen den „sich allein klug dünkenden Narr“, den „vom Schlaraffenland träumenden Narr“ und die „arrogante, tolldreiste Närrin“ – es braucht nicht viel, darin die Protagonisten des Bundes-Narren-Zirkusses zu erkennen. Denn der „sich allein klug dünkende Narr“ ist natürlich Kanzler Olaf Scholz (SPD), der Rat-Resistente, der „blickt zu lange still und stumm am deutschen Krisenherd herum“, konstatiert der Narren-Protokoller und empfiehlt: „Jetzt müsst er sagen: es ist gut, das Kanzleramt war nicht genug. Doch bleibt er stur, ich pfeif darauf – Schicksal nimm halt deinen Lauf.“
Ja, die Ampelkrise, „sie ist nun ausgezählt, in der Kampagne wird gewählt“, stellt Krawietz fest, und Konstatiert: „Denn klar war doch von Anfang an, dass Rot-Grün-Gelb nicht gut geh’n kann.“ Und so seziert das Narrenprotokoll abgehobene Höhenflüge und Wutreden, Philosophen im Utopialand und Schwafelrunden im Kanzleramt. „Souverän sieht anders aus“, lautet das Fazit. Doch wirklich auf die Palme bringt den Narren der „unverschämte Ohrenbläser-Narren“: „Unwahrheit soll Wahrheit heißen, und dafür soll man sie noch preisen – und damit fängt das Unheil an“, warnt Krawietz.
Die Protagonisten? „Recht und Gesetz sind aus der Welt, wenn AfD die Macht erhält“, spricht der Narr Klartext: „Dort sah ich’s Hakenkreuz aufblitzen, und drunter Hermann Göring sitzen. All dies leibhaftig zu erleben, das muss uns doch zu Denken geben.“ Dass Dummheit „auch Gefahr bedeutet“, zeige ja längst ein anderer: „Straftäter, Lügner und Rassist – jetzt wird von Donald Trump gesprochen.“ Die Narren läuten die Glocke zur Warnung, und das tun sie laut und ausdauernd – ob es etwas nützt?
Des Narren Rat: „Minister ist Latein, heißt: Dienen!“
„Die Amis sind in jedem Falle, beim IQ Test durchgefalle“, konstatiert Bernhard Knab, und muss für Deutschland gleichermaßen feststellen: „Wie geht man miteinander um? Man zeigt sich streitsüchtig und dumm. Wenn jeder stolz sich selbst betracht‘, dann ist an alle ja gedacht…“ Auch der Meister des Klartextes findet wenig Gutes am Geschehen der vergangenen zwölf Monate, und rät den Mächtigen eindringlich mit Blick nach Rechtsaußen: „Minister ist Latein, heißt ‚Dienen“, dem Volk zu dienen ist die Pflicht! Drum hoffe ich, dass man drei Dinge wieder schnell entdeckt: Intelligenz, Moral, Respekt. Zeigt jetzt Verstand und endlich Mut, verhindert diese Hetzerbrut‘.“
Ja, es hagelt Kritik und scharfe Worte an diesem Abend im „Grünen Kakadu“, und das wirkt wie eine Katharsis aus alten Zeiten, als Götter noch vom Himmel donnerten. Auch die Opposition bleibt beim Narrendonner nicht verschont: „Union, ich frag euch unumwunden: habt Ihr nix Besseres gefunden?“, fragt Protokoller Nummer drei Gunther Raupach, und findet: „Dem Wähler hätte man versüßt, die Wahl durch einen Hendrik Wüst.“ Der Mann von der Ranzengarde rauft sich die Haare auch im Angesicht von VW-Turbulenzen und Kloppos Red Bull-Dosenträumen – und schwingt im Angesicht der kriege auf der Welt die Schillersche Glocke: „Freude Euch dies heut‘ bedeute, Frieden sei nun ihr Geläute“, mahnt der Narr – die Zuschauer danken es mit tosenden Ovationen.
Was hilft im Angesicht des ganzen Leids? „Lasst uns lachen, tanzen, singen, lasst uns feiern, unsre Fassenacht“, rät der Narrenmund des Bernhard Knab: „Vergesst kurz Kummer und die Sorgen – schenkt Humor ins Glas“ und dem Leben ein Helau. Und das tun die Römer-Narren dann auch mit Genuss und Ausgiebigkeit: „So e Käs'“ singen die Altrheinstromer, und verneigen sich dann mit einer Hommage vor einer der ältesten Mainzer Fastnachts-Kultsongs: Dem „kleinen Fläschchen Flaschenbier“ der legendären Mainzer Schnorrer um Robert Hirschel. „Alles kloppt, auf den Tisch, so klingt Musik uff Meenzerisch!“
Enkel-Rap, Berliner Welt und die Rückkehr von Fräulein Baumann
Apropos Musik: Die Alternativen Bänkelsänger Claus Eckert und Wolfgang Heintz nehmen humorvoll das neue Meenzer Denglische Fastnachtsmotto auf die Schippe und singen „Come of the train on Rosemonday, but don’t forget the Zuuchplakett'“. Nur – da fehlt doch etwas? In der Tat: Die Sitzungspräsidentin der Unsichtbaren Römergarde und Frontfrau des Trio Aeterna weilt noch im Mutterurlaub – Kathrin Dohle fehlt mit ihren liebevoll-gereimten Anmoderationen und ihrer Stimmgewalt. In die Lücke springt musikalisch Martina Rück und moderatorisch Rainer Müllers im Legionärsgewand.
Da müssen dann wohl die Redner die Musik gleich mit übernehmen, Rüdiger Schlesinger tut es in grandioser Form: Sein „Enkel-Rap“ ist vom Feinsten, wenn der Opa mit feiner Ironie singt „Was ist es doch so schön, Oma Opa zu sein: Schön, dass sie da sind – aber schön ist es auch, wenn sie abends wieder gehn.“ Davor und danach legt auch der „Advokat des Volkes“ den Finger in so manchen Wunden, ein grandioser Rundumschlag in perfekten Reimen, abgerundet erneut mit einem Song: „Ja die Berliner Welt ist wie das Zirkuszelt, das kann man nur mit viel Humor verdaun‘.“
Da ist es wieder, das Narrenzelt, und wer weiß, vielleicht ist es ja die toxische Männlichkeit, die all die Probleme verursacht. Da hilft womöglich ein Blick aus uralten Augen: Eine Drehung, eine leichte Verlagerung der Stimmlage – und schon steht auf der Bühne das 114 Jahre alte Fräulein Baumann aus der Wilhelminischen Zeit mit seiner skurrilen und doch so klugen Sicht auf die Welt. Markus Weber zaubert erneut seine Kunstfigur „Fräulein Baumann“ allein mit Lorgnon und Handschuhen, vor allem aber mit grandioser Verwandlungskraft auf die Bühne im Kakadu – eine wahrlich großes Stück Narrenkunst.
Grandiose Verwandlungskunst und ein verlorenes Schlüsselloch
Doch Weber hat an diesem Abend noch mehr dabei: Als „Mann in den besten Jahren“ glossiert der End-60-er die Wechseljahre des Mannes, die enden, wie einst der Römer Tacitus die Germanen an Rhein und Mosel beschrieb: „Sie können alles ertragen, Hunger und Kälte, nur eines nicht: Durst. Und sie können kein Maß halten…“ Und so erfahren die begierigen Zuschauer, wie Caesar einst seine beeindruckende Nase erhielt: „Doch eine echte Meenzer Nas, die passt genau ins Schoppeglas“, erklärt der Narr: „Dann erkennst Du sofort am Zinke: der mocht‘ unseren Meenzer Woi trinke.“
Für ein absolutes Highlight aber sorgt Weber dann noch mit seiner Schlussperformance, dem alten Klassiker vom Dämmerschoppen und dem verlorenen Schlüsselloch – ein Kabarettstückchen der feinsten Sorte. Ja, die Niederungen des Alltags, sie treiben auch Christian Campe um. Hatte sich das Mitglied der Unsichtbaren Römergarde im vergangenen Jahr noch als „Autofahrer“ gequält, versucht er es dieses Jahr als Bahnfahrer – das Ergebnis, man ahnt es schon, ist eine höchst närrische Glosse des alltäglichen Bahnchaoses.
Da war es wieder, das Sokrates-sche „Erkenne Dich selbst“, und da wurde sicher auch der Alltag im antiken Mogontiacum nicht von verschont: „Der Statthalter hieß Drusus, der hatte ein Wochenendhaus in Drais, eine meiner Ahnen, die hat damals bei ihm geputzt“, weiß Hilde Bachmann zu berichten. Die Grande Dame des Mainzer Kokolores glänzt mit einem Kurzauftritt, der tief in die 2000 Jahre alte Geschichte von Moguntiacum führt. Damals baute eine Vorfahrin als Maurerin erst die Mainzer Zitadelle und dann das Römische Theater, gegen die Langeweile, „da hat damals die erste Fastnachtssitzung stattgefunden“, erklärt die Bachmann, und fügt noch hinzu: „Eines weiß ich: die waren damals nicht unsichtbar…“
Ein weinender Römerstein und verschwundene Utschebebbes
Das allmähliche Wieder-Verschwinden der antiken römischen Denkmäler im Mainzer Stadtbild, es ruft bei den Saturnalien gar eine waschechte „Römersteinin“ aufs Narrenbild. „Die Römersteinin, die hat es nicht einfach hier in Mainz“, seufzt ihr Begleiter alias Andreas Toschka, derweil seine Partnerin Bianca Wagner höchst ausdrucksvoll den kleinen Römerstein weinen und tanzen lässt. „Die Römer liebten mich, das Römer-Mainz gäbe es ohne mich nicht“, singt dazu Christian Vahl – in der Tat: Die heutigen Römersteine im Zahlbachtal trugen einst die römische Wasserleitung zum römischen Legionslager auf dem Kästrich, doch ihr heutiger Zustand verursacht der Initiative Römisches Mainz gehöriges Bauchgrimmen…
Der gesamte Erlös der Saturnalien ist übrigens der Initiative Römisches Mainz gewidmet, auch die Bühnenakteure verzichteten auf ihre Gagen zugunsten des Römischen Mainz. Das lernt dann auch, wie Pippi Langstrumpf auf einer römischen Tube klingt, oder Beethovens Neunte auf einem Cornu – Rainer Müllers sorgt zwischendurch für Staunen und eine hölchst sichtbare römische Präsenz. An die rheinischen Lande als Schmelztiegel von Kulturen und Nationalitäten erinnerte indes das 2025er Fastnachtsmotto der Unsichtbaren Römergarde: „Ob Meenzer oder Utschebebbes, die Fastnacht ist für jeden ebbes“, gedichtet von Gautschmeister Jürgen Schunk.
Und Christian Vahl erinnerte an die als „Utschebebbes“ beschimpften senegalesischen, marokkanischen und algerischen Regimenter der französischen Armee im Ersten Weltkrieg, die auch in Mainz stationiert waren – und manches krausköpfige und farbige Kind hinterließen. Doch alles hat einmal ein Ende, die Franzosen zogen 1930 aus Mainz ab, und die Unsichtbare Römergarde nach den Saturnalien zurück in ihr Feldlager. Präsident Vahl kündigte noch an: Nach 11 Jahren als Präsident wird er die Präsidentenschelle nun weitergeben – an Kathrin Dohle, die (derzeit) Unsichtbare.
„In Mainz in Mainz, da wird es heiß, wenn Satur singt und lacht“, sang das Trio Aeterna zum Finale, „Gott Satur lädt uns ein, den Tausch der Rollen einzugeh’n, einmal ganz frei zu sein. Wir träumen nicht, wir handeln jetzt, denn nur, wer feiert lebt. Der Tag ist kurz, die Nacht wird lang, wenn man mit Satur geht!“
Info& auf Mainz&: Mehr zu den Saturnalien und den Ursprüngen in der Antike lest Ihr auch hier auf Mainz&. Und natürlich darf auch unsere Fotogalerie nicht fehlen (kommt gleich…)!