Die dritte Corona-Welle rollt, die Neuinfektionen steigen rasant an – in Rheinland-Pfalz liegt die Sieben-Tages-Inzidenz nur noch knapp unter der 100er-Marke. Rheinland-Pfalz steht damit kurz vor der Notbremse, im Kreis Mainz-Bingen wurde am Freitag die 50er-Marke im dritten Tag in Folge überschritten. Die Folge: Auch hier müssen nun die Läden wieder schließen und zum Terminshopping zurückkehren. Besonders betroffen von der dritten Welle sind Kinder und Jugendliche – allein in Mainz waren seit der Rückkehr zum Präsenzunterricht acht Grundschulen, drei weiterführende Schulen und drei Kitas von Corona-Infektionen betroffen. Experten warnen nicht nur vor erneut steigenden Todeszahlen – sondern auch vor Hunderttausenden Langzeitgeschädigten.

Warnt eindringlich vor den Folgen der dritten Welle, gerade bei Kindern und Jugendlichen: RKI-Präsident Lothar Wieler. - Foto: gik
Warnt eindringlich vor den Folgen der dritten Welle, gerade bei Kindern und Jugendlichen: RKI-Präsident Lothar Wieler. – Foto: gik

Deutschland schlittert geradewegs in die dritte Corona-Welle, und das offenbar weitgehend unvorbereitet: Während aus der Wirtschaft weitere Lockerungsforderungen kommen, während das Saarland ankündigte, nach Ostern den Lockdown beenden zu wollen, schießen in Deutschland die Zahlen in die Höhe. Allein im Landkreis Mainz-Bingen kletterte die Sieben-Tages-Inzidenz pro 100.000 Einwohner in nur vier Tagen von unter 50 auf aktuell 80: Am 23. März hatte die Inzidenz noch bei 45 gelegen, einen Tag später war sie schon bei 55. Gestern sprang der Inzidenzwert auf 70, heute stieg sie auf 80. „Es gibt deutliche Signale, dass diese dritte Welle schlimmer wird als die ersten beiden“, warnte RKI-Präsident Lothar Wieler am Freitag in Berlin – es drohten deutlich mehr Schwerkranke auf den Intensivstationen, und auch mehr Tote.

Der Landkreis Mainz-Bingen zog am Freitag die Notbremse: Da der Landkreis nun am dritten Tag in Folge über 50 liege, erlasse man gemäß dem vom Land für diesen Fall vorgegebenem Muster eine neue Allgemeinverfügung mit strengeren Regeln, teilte die Kreisverwaltung am Freitag mit. Damit müssen ab Sonntag, den 28. März alle Geschäfte wieder für den Kunden verkehr schließen und zum Terminshopping mit Vergabe von Einzelterminen zurückkehren – die Stadt Mainz war diesen Schritt schon vor zwei Wochen gegangen. Auch in Mainz stieg die 7-Tages-Inzidenz am Freitag auf 80, landesweit liegt sie inzwischen bei 97,3 – nur minimal unter der 100-Marke, ab der verschärfte Regeln gelten sollen. Dazu wurden im Land Rheinland-Pfalz in dieser Woche 48 neue Todesfälle an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gemeldet.

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Auch im Kreis Mainz-Bingen müssen die Geschäfte nach rasant steigenden Neuinfektionen wieder schließen. - Foto: gik
Auch im Kreis Mainz-Bingen müssen die Geschäfte nach rasant steigenden Neuinfektionen wieder schließen. – Foto: gik

Von der Schließung im Landkreis sind unter anderem der Lebensmittelhandel, Wochenmärkte, Apotheken, Tankstellen, Banken, Reinigungen, Zeitschriftenläden, Baumärkte und Blumenfachgeschäfte ausgenommen, auch die Au0ßengastronomie darf nach der Regelung des Landes bis zu einer Inzidenz von 100 weiter offen bleiben. Auch Abhol-, Liefer- und Bringdienste sind nach vorheriger Bestellung unter Beachtung der geltenden Hygieneregeln weiter möglich.

Verboten ist nun auch wieder der Proben- und Auftrittsbetrieb der Breiten- und Laienkultur wie Orchester, Theater oder Gesangsgruppen. Sportliche Aktivitäten im Amateur- und Freizeitsportbereich in Einzelsportarten dürfen nun wieder nur im Freien ausgeübt werden und mit maximal fünf Personen aus zwei Hausständen. Bei Kindern gilt eine Grenze von maximal 20 Kindern bis 14 Jahren und einer Trainerin oder einem Trainer, die kontaktfrei und mit Abstand trainieren dürfen.

Just am Donnerstag hatte das Robert-Koch-Institut (RKI) ausdrücklich gewarnt: Die dritte Corona-Welle breite sich derzeit vor allem bei Kindern und Jugendlichen aus. Der stärkste Anstieg sei bei Kindern zwischen 0 und 14 Jahren zu beobachten, dort habe sich die 7-Tages-Inzidenzen in den vergangenen vier Wochen „mehr als verdoppelt“, heißt es im RKI-Lagebericht. Besonders stark sei der Anstieg derzeit bei Kinder bis fünf Jahren, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler – damit gehören im Unterschied zur ersten Coronawelle im Frühjahr 2020 nun erstmals auch Kinder zu den Gruppen, in denen sich Infektionsketten rasant ausbreiten.

Kinder wurden in der ersten Corona-Welle nur selten getestet, sie galten als wenig ansteckend - das ändert sich gerade rasant. - Foto: Bistum Mainz
Kinder wurden in der ersten Corona-Welle nur selten getestet, sie galten als wenig ansteckend – das ändert sich gerade rasant. – Foto: Bistum Mainz

Ein Grund dafür ist: Kinder wurden 2020 so gut wie nicht getestet, weil lange das Dogma galt, Kinder seien keine Infektionstreiber und würden die Infektion auch nicht weiter verbreiten. Auch nicht beim spielen, wie beispielsweise bei Monopoly oder Malen nach Zahlen. Zumindest für die dritte Welle ist das ein Trugschuss: Stand Mittwoch gab es nach Angaben der Dienstaufsicht ADD 784 Infektionsfälle bei Schülern und 70 bei Lehrern in Rheinland-Pfalz, von 1560 Schulen in Rheinland-Pfalz sind aktuell 406 von Infektionen betroffen. In Mainz sind seit der Rückkehr der Schüler in den Wechselunterricht ab dem 22. Februar bereits elf Schulen und drei Kitas von Infektionsausbrüchen betroffen, teilte das Mainzer Gesundheitsamt am Freitag auf Mainz&-Anfrage mit.

Demnach waren seit dem 22. Februar insgesamt acht Grundschulen im Mainzer Stadtgebiet von Corona-Infektionen betroffen, seit dem 08. März kamen Fälle an der BBS III, der Kanonikus-Kir-Realschule plus sowie am Otto-Schott-Gymnasium hinzu – im Gymnasium musste wegen sechs Infektionsfällen zu den Infizierten mit weiteren 100 Kontaktpersonen eine ganze Jahrgangsstufe in Quarantäne. Der Grund: die neue britische Virus-Mutation B.1.1.7, die als deutlich ansteckender sowie auch als deutlich gefährlicher gilt. Auch an zwei Kitas in Mainz wurde diese Mutante bereits nachgewiesen, insgesamt sind jeweils eine Gruppe Kita Kinder in drei Kitas in Mainz-Hechtsheim, in Bretzenheim-Süd und sowie ganz aktuell in der KiTa am Gonsenheimer Wald wegen Infektionsfällen in Quarantäne.

Drohen nun doch wieder Schulschließungen en und ein harter Lockdown? - Foto: privat
Drohen nun doch wieder Schulschließungen en und ein harter Lockdown? – Foto: privat

„Die dritte Welle ist das letzte große Gefecht, aber das schwerste“, warnte am Freitag erneut SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Die neue Welle könne hunderttausende jüngerer Menschen zu chronisch Kranken machen, mit den entsprechenden Folgen: „Viele 40-80-Jährige werden einen Moment der Unachtsamkeit mit dem Tod oder Invalidität bezahlen“, betonte Lauterbach auf seinem Facebookprofil, „junge Männer werden von Sportlern zu Lungenkranken mit Potenzproblemen. Frauen leiden oft unter Chronischem Erschöpfungssyndrom oder Tinnitus. Das hört niemand gerne, ist aber so.“

Debatten über Lockerungen wie im Saarland seien deshalb derzeit das völlig falsche Signal, warnte der Epidemiologe, Modellprojekte für Lockerungen müssten ausgesetzt bleiben, bis die Fallzahlen in den Bundesländern wieder stabil seien oder sänken. „Es ist magisches Denken, man könne über Lockerungen Fallzahlen senken“, warnte Lauterbach: „Wir lockern weiter in 3. Welle hinein.“ Damit seien in der Realität „Fallzahlen von 100.000 pro Tag möglich“ – wenn nicht gegengesteuert werde.

Damit ist die Debatte um einen harten Lockdown zurück – am Mittwoch erst hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich den eigentlich in der Nacht zum Dienstag vereinbarten Oster-Lockdown wieder gekippt – auch wegen der harschen Kritik daran. „Viele unterschätzen das jetzt gravierend, viele glauben, es wäre der dritte Aufguss von Corona alt, dabei ist es eine völlig neue Pandemie“, hatte der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) noch in der Gipfelnacht gewarnt: „Wir müssen uns eines klar machen: wir leben jetzt in der wahrscheinlich gefährlichsten Phase.“ Trotzdem wurde 30 Stunden später die „Osterruhe“ wieder gekippt – doch Maßnahmen wie eine Testpflicht für Unternehmen oder nächtliche Ausgangssperren hatte die Runde auch nicht vereinbart.

Warnt eindringlich vor Gefahren der dritten Corona-Welle und fordert harte Gegenmaßnahmen: SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. - Foto: gik
Warnt eindringlich vor Gefahren der dritten Corona-Welle und fordert harte Gegenmaßnahmen: SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. – Foto: gik

Lauterbach brachte nun beides wieder ins Spiel: „So unbeliebt wie es ist, Ausgangsbeschränkungen nach 20.00 Uhr sind wahrscheinlich unumgänglich“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte, und unterstrich: „Sie wirken, das zählt. Es sei zudem falsch, dass Arbeitgeber bislang weitgehend von Einschränkungen verschont geblieben seien: „Die Testungen der Mitarbeiter 2 mal pro Woche müssen kommen, wenn nicht anders dann als Pflicht“, fordert Lauterbach. Und sollten die Zahlen explodieren, müsse auch beim Impfen reagiert werden: „12 Wochen nur Erstimpfungen machen, das hätte einen dramatischen Effekt auf die Sterbefälle, weil die Erstimpfung den Covid-Tod fast immer vermeidet“, sagte Lauterbach.

Die steigenden Fallzahlen bei Kindern und Jugendlichen dürfte nun auch die Debatte um Schulschließungen wieder neu befeuern. „Es geht nicht um ‚Schulen auf – Schulen zu‘, sondern vielmehr um ‚Schulen sicher'“, sagte am Abend die Virologin Jana Schröder in der ZDF-Sendung „Heute live“ – Gewerkschaften und Experten fordern noch immer, die Schulen müssten dringend flächendeckend mit Lüftungsanlagen ausgestattet und so sicherer gemacht werden. Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) hatte am Mittwoch einmal pro Woche Selbsttests für Schüler nach den Osterferien angekündigt, an der Präsenzpflicht will sie aber festhalten. Es werde aber erweiterte Ausnahmemöglichkeiten für Kinder aus Familien mit gefährdeten Angehörigen geben, sagte Hubig – Einzelheiten dazu werde es kommende Woche geben, sagte ein Sprecher auf Mainz&-Anfrage.

Biontech erprobt seinen Impfstoff nun auch für den Einsatz bei Kindern. - Foto: Biontech
Biontech erprobt seinen Impfstoff nun auch für den Einsatz bei Kindern. – Foto: Biontech

Derweil meldeten das Mainzer Unternehmen Biontech und sein US-Partner Pfizer, man habe begonnen, den mRNA-Impfstoff auch an Kindern zu testen – bislang ist keiner der Impfstoffe für Kinder zugelassen. „Gemeinsam mit unserem Partner Biontech haben wir den ersten gesunden Kindern in einer globalen fortlaufenden Phase 1/2/3-Studie eine Dosis verabreicht“, teilte Pfizer laut ZDF Heute mit. Mit den klinischen Tests solle untersucht werden, wie sicher, verträglich und wirksam das Mittel bei Kindern zwischen sechs Monaten und elf Jahren sei – ein Impfstoff für Kinder könne womöglich schon 2022 kommen.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema „sind Kinder Treiber der Pandemie“ lest Ihr auch hier in unserer Mainz-Analyse. Informationen zu dem, was an Ostern gilt – ausgenommen die „Osterruhe“ – könnt Ihr hier auf Mainz& noch einmal nachlesen. Ausführliche Informationen zu den Schnelltests bei Kindern haben wir hier aufgeschrieben.

 

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