Das Zentrum für politische Schönheit hat ja am Sonntag Gräber vor dem Bundestag ausgehoben und symbolisch Flüchtlinge aus dem Mittelmeer beerdigt. In Mainz hat das Flüchtlingsaktivisten inspiriert – auch auf dem Kästrich wurden am Abend Flüchtlinge symbolisch beerdigt. Die Gruppe Refugees Solidarity Mainz legte am Sonntagabend zwei symbolische Gräber auf der Kupferbergterrasse an, „um die zu betrauern, die im Kampf um ihr Überleben starben.“
Auf ihrer Facebookseite hieß es dazu am Abend auf Englisch, diese Menschen seien gestorben, weil Europas Politik sie umgebracht habe. „Dies muss ein Ende haben“, fordern die Aktivisten. Jeder müsse gegen diese „barbarischen Gesetze, den strukturellen Rassismus der Institutionen und der unmenschlichen Bürokratien“ aufstehen. „Connect with your local communities, meet the refugees, take action.“
Mainz& hat am Abend ein Twitter-Interview mit einem der Mainzer Aktivisten geführt, der seinen Klarnamen nicht nennen wollte, aus Angst vor polizeilicher Verfolgung. was nicht heißt, dass die Aktion auf dem Kästrich illegal war. Mainz& ist der Klarnamen des Aktivisten bekannt – wir wollten sicher gehen, dass wir keinen seltsamen Leuten aufsitzen. Aber natürlich gilt hier der journalistische Informantenschutz 😉 Das Interview:
Mainz&: Ihr habt heute Abend zwei symbolische Gräber auf dem Kästrich installiert, was ist da geschehen?
Bunke: Wir haben uns heute Abend zur Dämmerung auf den Kupferbergterrassen getroffen mit Ausblick über Mainz. Dort haben wir die „Gräber“ gebaut, also dafür die Erde etwas gelockert, und haben eine kurze Andacht mit Schweigeminute gehalten. Es war nicht nur eine Aktion für Aufmerksamkeit, sondern eine aus echter Trauer und Wut.
Mainz&: Wer seid Ihr denn?
Bunke: Wir sind eine lose pro-Refugees-Gruppe aus Mainz. Wir haben uns kurzfristig entschieden in Mainz symbolisch Refugees zu Grabe zu tragen.
Mainz&: Warum? War die Aktion des Zentrums für politische Schönheit der Anstoß?
Bunke: Ja wir unterstützen die Aktion. Weil sie die xxx Toten im Mittelmeer visualisiert. Natürlich können wir keine 23.000 Gräber darstellen, deshalb haben wir die beiden Gräber erstellt. Wichtig ist uns, dass wir auch die Kritik an den Kreuzen aufgenommen haben.
Mainz&: Inwiefern?
Bunke: Es wird kritisiert, dass mit dem Kreuz auf den Gräbern die muslimischen bzw. nicht-christlichen Flüchtlinge ausgeschlossen werden als Opfer. Das Kreuz ist unserer Meinung nach aber wichtig, da es jeder in Deutschland sofort mit einem Grab identifiziert. Dort kann letztendlich jeder liegen – ob Moslem, Christ, Atheist oder einer anderen Religion.
Mainz&: Was wollt Ihr denn mit der Aktion ausdrücken?
Bunke: Wir kritisieren mit der Aktion die Abschottungspolitik der EU. Statt sichere Fluchtwege zu ermöglichen, baut Europa Mauern. Europa macht alles dicht, um möglichst abzuschrecken. Auf den langen Wegen über den Balkan und im Mittelmeer sterben die Flüchtlinge aber.
Die EU will jetzt unter dem Deckmantel der Hilfe in Libyen Schlepperboote vernichten, dabei ist in Libyen Bürgerkrieg, und die einzige Möglichkeit, in sichere Länder zu kommen, sind die Boote. Somit ist selbst das Zerstören der Boote schon Beihilfe zum Mord.
Mainz&: Was sollte aus Eurer Sicht stattdessen passieren?
Bunke: Unsere Forderung ist, die Grenzzäune abzureißen, legale Fluchtwege zu schaffen und in der letzten Konsequenz den Paragraphen 13a Grundgesetz wieder auf den Stand von 1992 zu ändern – also uneingeschränktes Asylrecht in Deutschland für jeden. Und letztendlich kann man auch über Fähren statt Frontex diskutieren.
So weit unser kurzes Interview per Twitter am Abend – vielen Dank dafür!
Der Hintergrund: In Berlin hatte das Zentrum für politische Schönheit am Sonntag zu einem „Marsch der Entschlossenen“ aufgerufen, rund 5.500 Menschen kamen nach Angaben des Zentrums. Und sie huben auf der Wiese vor dem Reichstag spontan rund einhundert Gräber aus, Gräber, in denen symbolisch Flüchtlinge beigesetzt wurden, die auf dem Mittelmeer beim Versuch starben, das freie Europa zu erreichen. Von 23.000 Toten wird bereits ausgegangen, und es dürften noch mehr sein, denn wer zählt die Häupter, nennt die Namen?
Das Zentrum für politische Schönheit ist eine Kunstaktion in Berlin, die mit oft drastischen Aktionen politische und gesellschaftliche Missstände aufspießt. In den vergangenen Tagen hat das Zentrum eigenen Angaben zufolge sogar echte Leichen von Flüchtlingen aus italienischen Containern in Berlin beerdigt – ganz offiziell mit kirchlichem Segen, Kreuz und Grab. Ob in den Gräbern wirklich Flüchtlinge liegen, lässt das Zentrum bewusst offen.
Und die „Graves for Unknown Refugees“ schießen seither überall wie Pilze aus dem Boden: Bern,. Konstanz, München, Köln, Stockholm – überall errichten Aktivisten Gräber, überall heißt es „Die Toten kommen!“ Denn mit der Aktion will das Zentrum das Drama, das sich weit entfernt von uns im Süden und Osten abspielt, buchstäblich vor unsere Haustüren holen, nach dem Motto: Es geht uns alle an. Und: Stell Dir vor, der Tote liegt vor DEINER Haustür. Was dann?
Der Mainz&-Kommentar: Die Aktivisten fordern Lösungen statt Mauern, und wenn auch Kommentatoren auf Facebook sie naiv nennen: Die Aktion zeigt, wie sehr die Menschen in Deutschland von den grauenhaften Ereignissen an den Grenzen der EU bewegt werden – und dass eine andere Politik her muss. Welche? Tja, fertige Lösungen gibt’s hier nicht von der Stange, es wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, als drüber zu streiten 😉
Und es braucht wohl leider erst genial-drastische Aktionen wie die des Zentrums für politische Schönheit, damit wir aufwachen und uns endlich ernsthaft bewegen. Es wird höchste Zeit! Die Toten im Mittelmeer sind eine Schande für unsere Zivilisation, und sie klagen an… Und das war jetzt der Mainz&-Kommentar dazu.
Info& auf Mainz&: Die Aktion Graves for Unknown Refugees findet Ihr auf dieser Internetseite, die Aktionen des Zentrums für politische Schönheit hier auf Facebook. Zur Seite der Mainzer Gruppe Refugees Solidarity mainz geht es hier.