Die Mainzer Neustadt war schon in der Römerzeit ein lebendiges Handwerker- und Händlerviertel – so viel wussten die Archäologen schon. Doch was nun auf dem Baufeld für den neuen Beethovenplatz zutage trat, verblüffte die Forscher durchaus: Ein großes Wohngebäude mit dicken Mauern, Wasserbecken und Fußbodenheizung, dazu ein Töpferofen, diverse Brunnen – und eine fast 2000 Jahre alte römische Fernstraße. Die Mainzer Neustadt war im ersten Jahrhundert nach Christus alles andere als eine unbedeutende Vorstadt – sie war wohl ein ausgesprochen reiches Viertel für Kaufleute und Handwerker, dazu das Entrée für das römische Mogontiacum – die Via Appia von Mainz.
„Wir stehen gerade auf einer alten römischen Straße“, sagt Andreas Puhl, und zeigt auf den unscheinbaren Steinhaufen in der großen Baugrube. Auf dem 1.000 Quadratmeter großen Areal mitten in der Mainzer Neustadt wird gerade ein großes Wohnhaus für 156 Wohnungen gebaut. „Beethovenplatz“ heißt der Name des Neubauprojektes zwischen Wallaustraße und Sömmeringstraße, gleich zwei große Wohngebäude plant die Mainzer Wohnbau hier. In der Wallaustraße 93 sollen 61 Wohnungen, eine Kita und ein Familienzentrum entstehen – voraussichtlicher Mietbeginn: Februar 2020, am Beethovenplatz selbst ein Neubau mit 156 Wohnungen und zehn Gewerbeeinheiten, davon rund 40 Prozent Sozialwohnungen.
Wo einst eine große Lackfabrik stand, erstreckt sich derzeit eine große Baugrube, auf den ersten Blick ist hier nicht viel zu sehen. Doch dann klettert Puhl auf einen flachen Steinhügel und zeigt auf den Boden: „Hier sieht man noch die Karrenspuren aus der Römerzeit“, sagt der Archäologe – wir stehen auf der Via Appia von Mainz.
Via Appia von Mainz mit reichem Handwerkerviertel
Das römische Mogontiacum war im ersten Jahrhundert nach Christus eine blühende Handelsstadt, die sich um das große Römerkastell auf dem Kästrich herum erstreckte. Dass die heutige Mainzer Neustadt von Handwerkern und Händlern besiedelt war, ahnten die Archäologen schon lange. „Bislang wussten wir aber über das Neustadtareal nur ganz vage Bescheid“, sagt Landesarchäologin Marion Witteyer: „Hier hinten war ’ne große Siedlung, das war der Stand.“
Nun förderten die Archäologen bei den Arbeiten zu dem neuen Wohnkomplex eine Fülle neuer Funde zutage, die das Bild von dem Stadtteil am Fluss gehörig ändern. Rechtwinklige Straßen fanden die Archäologen und ein großes Gebäude mit dicken Mauern, Zimmern mit gutem römischen Estrich, Wände, die mit buntem Putz verziert waren. Einen Ofen und Reste einer Fußbodenheizung liegen am einen Ende des Gebäudes, mehrere Brunnen befinden sich auf dem Areal – und mehrere, mit Ziegeln umrandete Becken. „Es sieht danach aus, als hätten wir hier eine kleine Badeanlage“, sagt Puhl, „das würde zum reichen Handwerksviertel passen.“
Antike römische Badeanlage, Töpferofen, große Mainzer Jupitersäule
Das Haus „hat die typische Form eines Wohngebäudes, vielleicht spätes erstes Jahrhundert“, sagt Witteyer, eine Badeanlage sei in dieser Zeit durchaus üblich gewesen in gehobenen Privathäusern. „Es könnte also das Haus eines reichen Kaufmanns oder Handwerkers gewesen sein“, erklärt die Archäologin. Ein Töpferofen wurde einige Meter weiter gefunden, die Forscher bargen 100 große Säcke voller Scherben. „Wir haben hier einen Vorstadtbereich, fast wie in Pompeii oder Herculaneum“, ist sich Witteyer sicher: „Handwerker, Kaufleute, Läden, Bestattungsareale – wir haben ein richtig buntes Bild, was sich hier abgespielt hat.“
Danach war die heutige Mainzer Neustadt offenbar dicht besiedelt mit wohlhabenden Kaufleuten und Handwerkern, das Viertel erstreckte sich bis zum heutigen Mainzer Zollhafen – mindestens. Das Viertel war mit Insulae bebaut, den großen Wohnhäusern der römischen Zeit, im Erdgeschoss gab es oft Läden zur Straßenseite hin. Ganz in der Nähe wurde 1905 die große Mainzer Jupitersäule gefunden, die neun Meter hohe Säule wurde einst zu Ehren von Kaiser Nero nach einem Mordversuch gegen den Kaiser errichtet – von römischen Kaufleuten. „Die Säule war ein Staatsmonument, Vorbild für Hunderte anderer Jupitersäulen im ganzen Reich“, sagt Witteyer, „was das hier draußen macht, weiß eigentlich keiner so richtig.“
Wurde die Jupitersäule wirklich, wie man bisher glaubte, von reichen Kaufleuten hier zwischen 63 und 67 nach Christus errichtet, oder wurden ihre Reste nur hierher transportiert? „Wenn sie hier stand, ist das keine unbedeutende Vorstadtsiedlung“, sagt Witteyer, weitere Funde scheinen das zu bestätigen. Bronzebecher fanden die Archäologen hier schon bei Ausgrabungen Richtung Rhein, ein Zeichen für eine reiche Siedlung.
Ebenfalls in Richtung Rheinufer fanden die Archäologen bei früheren Ausgrabungen Reihen von nebeneinander gelegten Amphoren im Boden. Die erste Vermutung, es handele sich um das Lager eines Weinhändlers, sei falsch, wie man heute wisse, sagte Witteyer: Die Amphoren dienten als Unterbau für Mauern, eine Art Entwässerungsbauen gegen das schlammige Rheinvorland. „Es ist eine spezielle Art des Bauens, wie man sie sonst im Mittelmeerraum findet“, sagt Witteyer.
Papstbullen, Sarkophag eines Augenarztes, Soldatengräber
Auch im Mittelalter setzte sich wohl die Bedeutung der Neustadt fort, Papstbullen fand man hier schon bei Ausgrabungen in der Wallaustraße, mit Siegeln aus dem 13.-14. Jahrhundert „Wir haben hier ein Archiv gehabt, in dem die Urkunden aufbewahrte wurden“, sagt Witteyer. Fränkische Gräber fand man unter einer Mauer aus dem 7. Jahrhundert, nur eines suchen die die Archäologen immer noch: St. Theonest, eine kleine Kirche, die im 16. Jahrhundert abgerissen wurde. Das Kirchlein sei wohl als Grabkirche eines Friedhofs entstanden, habe dann aber eine Rolle in dem kirchlichen Prozessionsweg an Ostern gespielt, sagt Witteyer: „Wir bewegen uns hier im Umfeld des bedeutenden Sakralbaus, ohne ihn aber bisher gefunden zu haben.“
Aus der Römerzeit wiederum wurden in den 1990er Jahren schon mehrere Gräber in der Umgebung gefunden, darunter der Sarg eines Kindes, sowie einen Sarkophag mit dem Skelett eines Mannes und einer Frau. Der Verstorbene war ein Soldat der 22. Legion: „Der Mann stammte aus Wiesbaden und arbeitete in dem Lager auf dem Kästrich als Augenarzt“, berichtet Witteyer. Weitere Gräber vermuten die Archäologen auch auf der anderen Seite der jetzt gefunden Römerstraße.
„Wir befinden uns hier im Randbereich der Siedlung“, sagt Witteyer, auf der anderen Straßenseite erhoben sich wahrscheinlich große Grabmale und Stelen mit Inschriften. „Alle Reisende, die hier ankamen, lernten so schon mal die wichtigen Familien der Stadt kennen“, sagt Witteyer. Die römische Straße sei wohl die Fernstraße in Richtung Norden gewesen, die irgendwann Köln erreicht, hier rollten Wagen, erreichten Reisende von Norden die ersten Häuser der blühenden Handelsstadt Mainz – ganz wie einst auf der Via Appia in Rom.
Info& auf Mainz&: Mehr zur römischen Jupitersäule von Mainz lest Ihr hier bei Mainz&, einen Text zum Römischen Mainz und seiner Bedeutung findet Ihr hier.