Der Welt geht es schlecht, aus ihrem Schlund quillt ein unaufhörlicher Strom. Es sind Plastiktüten, Plastikkanister, Plastikbecher – die Welt erstickt an Müll, und die Narren finden das gar nicht komisch. Mit spitzer Feder glossieren die Mainzer Fastnachter auch in diesem Jahr wieder die hohe Politik und nehmen Pleiten, Pech und Missgriffe aufs Korn. Da kippt SPD-Chefin Andrea Nahles aus den viel zu großen SPD-Latschen, die Queen türmt vor dem Brexit und Donald Trump verpupst als riesiges Rindvieh das Weltklima. Elf politische Karikaturen in dreidimensionaler Form hat Wagenbauer Dieter Wenger für den Mainzer Rosenmontagszug gezaubert, mit seinen Konstruktionen übertrifft sich der 79-Jährige in diesem Jahr selbst. Und auch, dass es überhaupt elf Motivwagen 2019 geworden sind, haben die Mainzer Narren dem persönlichen Einsatz Wengers zu verdanken.
13 politische Motive rollten all die Jahre immer im Mainzer Rosenmontagszug, in diesem Jahr sind es nur 11 – und wäre es nach dem Mainzer Carnevals-Verein (MCV), dem Organisator des Rosenmontagszuges, gegangen, wären sogar nur zehn Wagen geworden. Der MCV steckt in Geldnöten, 2018 ging das Geld aus, Sponsoren sprangen ab, gleichzeitig wurden Material und Mitarbeiter teurer. „Ich habe meine Frau überredet, dass wir dieses Jahr keinen Urlaub machen“, verriet Wenger im Gespräch mit Mainz& – den elften Wagen habe er aus eigener Tasche bezahlt. „Es war schwierig“, gestand er, seine Frau sei nicht unbedingt erfreut gewesen – doch die Zahl Elf habe einfach sein müssen.
Und das hat sich so richtig gelohnt: Unglaublich ausdrucksstark, dazu politisch bissig und hochaktuell präsentieren sich die Motivwagen 2019. Seit nunmehr 57 Jahren baut Wenger die närrischen Motivwagen, der 79-Jährige ist längst eine Legende in der Wagenbauer-Szene. Im Gegensatz zu seinen Kollegen in Düsseldorf und Köln arbeitet Wenger mit Stahlkonstruktionen und Styroporblöcken, dadurch sind seine Motive haltbarer und erlauben atemberaubende Konstruktionen. Da schwebt die Erdkugel völlig frei in der Luft, „das macht uns keiner nach“, sagt Wenger zufrieden. Und die Queen setzt im Hürdensprint über den Grenzpfahl in Richtung EU, den Asylantrag in der rechten Hand, ihre geliebten Corgies fliegen links hinter ihr her. „Der Brexit wird der Queen zu viel, drum bittet Lisbeth um Asyl“, reimen die Mainzer Narren dazu: „Fucking May!“
Ja, es geht derb zu in diesem Jahr in Mainz, doch das ist dem allgemeinen Weltklima geschuldet. Was können die Narren auch dafür, dass das Rindvieh zum Problemvieh wird, und das eben nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Weltpolitik: „Verpupst das Klima, macht meistens „Muh“, Donald Trump zählt auch dazu.“ Der riesige Stier aus den USA verpestet das Weltklima, was ein Rindvieh, finden die Mainzer Narren.
Auch in der Innenpolitik geht es rau zu: Da zielt der Jäger aus Bayern mit dem Gesicht von Horst Seehofer auf die Häsin Angela, doch das Gewehr geht nach hinten los, der Horst, er kippt schon… „Auf die Fresse“ gefallen ist bereits Andrea Nahles direkt daneben, die SPD-Chefin ist aus den viel zu großen roten Pumps mit der Aufschrift SPD gekippt. „Sie hat geprahlt, nicht zu vergesse, die CDU kriegt auf die Fresse“, reimen dazu die Narren, und finden: „Vorbilder sehen anders aus.“
Das gilt auch für den AfD-Mann gleich nebenan: „Vorne Biedermann, kann kein Wässerchen trüben, und auf der Rückseite kommt er zündelnd raus“, sagt Dieter Wenger, und weist auf den wahrhaft angsteinflößenden deutsch-nationalen Glatzkopf mit Brandfackel und Hitlergruß – der Narren Kommentar zu den Ereignisse in Chemnitz. „Es wird gezündelt und gehetzt, an der Seite vieler AfD-Politiker marschieren Neonazis und Skinheads – da helfen auch keine seriösen Anzüge und hübschen Wahlplakate“, kritisieren die Mainzer Fastnachter.
Eine Bauchlandung macht ein paar Schritte weiter auch der GroKo-Gaul, das arme Tier ist regelrecht „ausgemerkelt“, unerbittlich platt geritten von der Kanzlerin. „Die Merkel versucht noch, mit einer AKK-Karotte den Gaul zum Aufstehen zu bewegen, aber vergeblich“, sagt Dieter Wenger schmunzelnd. „Schwarz-Rot regiert mit Mühʼ und Not“, reimen dazu die Narren: „Die Merkel lebt, der Gaul ist tot!“
Es sind diese kleinen, pfiffigen Details wie eben die Karotte, die Wengers Spezialität sind. Den Müll für die Weltkugel haben sie wochenlang in der Wagenhalle gesammelt, der echte Müll wurde 14 Tage lang mit Lack auf dem Wagen besprayt, damit der Berg hält. Die Insassen des staugeplagten Mainzer Autos sind längst zum Skelett geworden, in der Schlange verstorben, sozusagen, und um ihr Auto herum nisten längst riesige Spinnen, derweil der Wegweiser hinter ihnen nicht länger nach Wiesbaden., sondern nach Filzbaden weist – ein Hinweis auf die jüngsten Skandale rund um Einladungen, Essen und üppige Reisen des Wiesbadener Oberbürgermeisters Sven Gerich (SPD).
Nebenan erlebt der Mainzer Michel jeden Morgen in seinem Bett einen wahren Horrortrip: Pünktlich um 4.55 Uhr heißt es „Steh auf, weil Du halt Mainzer bist“, denn dann donnert der erste Frankfurter Flieger nicht nur übers Haus, sondern gleich direkt durchs Bett des armen Narren. Der sucht Ruhe in Schnaps und Baldrian, doch vergeblich: „Zur Morgenstundʼ geht’s richtig rund, statt Gold hat Lärm sie nur im Mund“, reimen die Narren: „Der Nachtschreck kommt um vor 5.00 Uhr morgens, täglich grüßt das Düsenmonster.“
Wengers Running Gag ist aber jedes Jahr der kleine Narrenhund, wo er dieses Jahr sein Beinchen heben wird, weiß der Wagenbauer noch nicht so richtig. Vergangenes Jahr war es der Mainzer Bibelturm, der schon bedrohlich auf seine Erfinderin kippte, in diesem Jahr feiern an seiner Stelle die Platanen vor dem Gutenberg-Museum, dass der Turm nicht kommt: „Hurra, wir leben noch!“ heißt’s auf dem Wagen mit der Zugnummer 8, auf dem sich zwei Platanen fröhlich abklatschen. Natürlich werde das Hündchen nicht an den Bäumen sein Beinchen heben, sagt Wenger entrüstet: „Die mag er ja.“
Nein, das närrische Hunde-Geschäft wird wohl eher an einem speziellen Wagen zum Einsatz kommen: Dort, wo der Herr Pfarrer aus einer Gemeinde in die nächste flüchtet, den Koffer „Ihr Kinderlein kommet alle zu mir“ fröhlich in der Hand schwenkend. Im verlassenen Haus hinter ihm schwenken derweil all die ihre Protestschilder, die „Meetoo“ sagen müssen – der bitterböse Kommentar der Narren an den Missbrauchsskandalen der katholischen Kirche, zusammengefasst in dem, was sie „Schweinepriesters Nachtgebet“ nennen: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich zu den Kindlein komm./ Schließ die Augen, schau nicht hin, wenn ich übergriffig bin./ Werdʼ ich doch geschnappt dabei, schick mich in die nächst Pfarrei.“
Info& auf Mainz&: Die 11 närrischen Motivwagen rollen am Rosenmontag, den 4. März ab 11.11 Uhr im Mainzer Rosenmontagszug durch die Straßen. Das ist aber nicht die einzige Chance, bei der Ihr die großartigen Karikaturen bewundern könnt: Am Fastnachtssonntag lädt der MCV ab 11.11 Uhr zur Parade der Garden – und anschließend zum Tanz auf der LU mit der Parade der Motivwagen. Und hier noch schnell unsere Bildergalerie zu den Motivwagen 2019: