UPDATE& — Die Ampelkoalition in Berlin ist geplatzt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entließ am Mittwochabend nach einem Krisentreffen im Kanzleramt seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP). Wie Phoenix im Anschluss berichtete, soll Lindner bei einem Abendessen im Kanzleramt Scholz Neuwahlen vorgeschlagen haben – Scholz habe das abgelehnt und Lindner entlassen. Scholz äußerte sich am Abend auf einer Pressekonferenz, auch Grüne und FDP wollen sich am Abend noch zu Wort melden.

Pressekonferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Scheitern der Ampel-Koalition und zum Rauswurf von Finanzminister Christian Linder. - Screenshot: gik
Pressekonferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Scheitern der Ampel-Koalition und zum Rauswurf von Finanzminister Christian Linder. – Screenshot: gik

Scholz kündigte am Abend in einer Pressekonferenz an, er wolle Anfang Januar, in der ersten Bundestagssitzung des neuen Jahres, die Vertrauensfrage stellen – über die soll der Deutsche Bundestag dann am 15. Januar 2025 abstimmen. „So können die Mitglieder des Bundestages entscheiden, ob sie den Weg zu Neuwahlen freimachen“, sagte Scholz weiter. Die Folge wären Neuwahlen, die müssten dann spätestens bis Ende März stattfinden. Scholz betonte zudem, er sei sich über dieses Vorgehen mit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) einig.

Scholz garnierte zudem seine Ansprache mit heftigen Vorwürfen gegen Lindner: Diesen nannte er „egoistisch“, „verantwortungslos“, „kleinkariert“ und unzuverlässig, Lindner habe sich „in die Büsche geschlagen“. „Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert, zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen, zu oft hat er Vereinbarungen hinterher wieder aufgekündigt“, kritisiert Scholz wörtlich, und betonte: „Es gibt keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit.“

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Scholz wirft Lindner raus – und erhebt schwere Vorwürfe

Damit bestätigte Scholz, dass er Lindner faktisch herausgeworfen hat – entlassen muss den Finanzminister nun Bundespräsident Frank Walter Steinmeier. Dass der Kanzler derart seinen Finanzminister auf offener Bühne und in staatstragender Pose herunterputzte, ist ein ziemlich einmaliger Vorgang. ZDF-Berlin-Korrespondentin Diana Zimmermann nannte das „einen Rausschmiss mit Nachtreten.“ Interessant dürfte auch sein, wie die Liberalen nun auf die Rede reagieren, denn Scholz wies das Scheitern seiner Ampelregierung alleine Lindner zu.

Außenansicht des Reichstagsgebäudes bei Nacht mit ausgeschalteter Kuppelbeleuchtung. - Foto: Thomas Imo, Bundestag
Außenansicht des Reichstagsgebäudes bei Nacht mit ausgeschalteter Kuppelbeleuchtung. – Foto: Thomas Imo, Bundestag

Deutschland brauche in diesen unsicheren Zeiten eine handlungsfähige Regierung, betonte Scholz am Abend, dazu habe er „ein umfangreiches Angebot vorgelegt, ein Angebot zur Stärkung Deutschlands in schwieriger Zeit.“ Das Angebot habe auch Vorschläge der FDP aufgegriffen und unter anderem eine Investitionsprämie umfasst, eine Senkung der Energiekosten, verbesserte steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten, ein Programm zur Sicherung der Arbeitsplätze in der Autoindustrie sowie eine verstärkte Unterstützung der Ukraine.

Lindner habe aber „keinerlei Bereitschaft gezeigt, dieses Angebot zum Wohle unseres Landes umzusetzen“, kritisierte Scholz: „Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht zumuten.“ Scholz betonte zudem, er hätte „Ihnen diese schwierige Entscheidung gerne erspart, erst Recht in Zeiten wie diesen, in denen die Unsicherheit wächst.“ Wer solche Vorschläge „nicht annimmt, der handelt verantwortungslos, als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden“, schimpfte Scholz weiter.

Scholz über Lindner: Verantwortungslos in die Büsche geschlagen

Er selbst habe in den vergangenen Jahren „immer wieder Vorschläge gemacht, das war oft schwer, das ging mitunter hart an die Grenze auch meiner politischen Überzeugung“, betonte Scholz zudem. Es sei aber „seine Pflicht, auf pragmatische Lösungen zugunsten des ganzen Landes zu drängen.“ Als Bundeskanzler habe er einen Amtseid geschworen, „dieser Eid hat für mich eine große Bedeutung“, sagte Scholz, er halte deshalb „stets das Wohl des ganzen Landes im Auge.“

Bundesfinanzminister Christian Lindner 2020 bei einem Auftritt im Bundestagswahlkampf in Mainz. - Foto: gik
Bundesfinanzminister Christian Lindner 2020 bei einem Auftritt im Bundestagswahlkampf in Mainz. – Foto: gik

In seiner ganz offensichtlich im Vorhinein vorbereiteten Rede unterstrich Scholz auch, was seine Koalition aus seiner Sicht bereits alles erreicht habe. Lindner warf er hingegen egoistisches, parteipolitisches Taktieren vor, sowie Vorschläge gemacht zu haben, die harte Einschnitte in die Sozialsysteme bedeutet würden und sich zugleich einem Handeln in Notsituationen zu verweigern – damit spielte Scholz offenbar aufs Lindners hartnäckiges Festhalten an der Schuldenbremse an.

Wer in eine Regierung eintrete, müsse auch in der Lage sein, Kompromisse zu machen und verlässlich und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, „und darf sich nicht in die Büsche schlagen, wenn es schwierig wird“, kritisierte Scholz weiter. „Aber darum geht es Christian Lindner gerade nicht“, setzte er seine Attacke auf seinen Minister fort – Lindner gehe es nur „um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei, ein solcher Egoismus ist vollkommen unverständlich.“

Ampel-Aus mit Ansage nach Scheidungspapier von Lindner

„Deutschland braucht schnell Klarheit über den Kurs“, sagte Scholz schließlich, der Termin für die Bundestagswahl liege aber noch „in weiter Ferne“ – geplant war die Wahl für Ende September 2025. Scholz hätte noch gemeinsam mit den Grünen eine Minderheitsregierung weiter führen können, das aber wollte er offenbar nicht – gerade angesichts der Herausforderungen, die nun auf Deutschland nach der Wahl von US-Präsident Donald Trump zukommen.

Das berühmte Ampel-Selfie von FDP und Grünen zum Start der Koalitionsverhandlungen vor vier Jahren in Berlin. - Foto: Wissing
Das berühmte Ampel-Selfie von FDP und Grünen zum Start der Koalitionsverhandlungen vor vier Jahren in Berlin. – Foto: Wissing

Über das Aus der Berliner Ampel war in den vergangenen Monaten viel spekuliert worden, die drei Partner hatten sich zuletzt auf immer weniger gemeinsame Vorhaben einigen können. Zuletzt hatte Scholz einen Industriegipfel ins Kanzleramt einberufen, zu dem er weder seinen Finanzminister noch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einlud. Habeck wiederum hatte unabgestimmt ein eigenes Wirtschaftspapier vorgelegt, Lindner berief seinerseits einen eigen Wirtschaftsgipfel mit Vertreten aus Mittelstand, Handwerk und Arbeitgebern ein.

Zum „Scheidungspapier“ wurde schließlich ein 18-seitiges Wirtschaftspapier, das Lindner Ende vergangener Woche vorgelegt hatte – und das angeblich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen war, aber trotzdem den Medien zugespielt wurde. Danach war mit dem Bruch der Ampel praktisch stündlich gerechnet worden – Scholz hatte seine Rede ganz offensichtlich auch vorbereitet. ZDF-Korrespondentin Zimmermann kommentierte das umfangreiche Statement mit diesen Worten: „Die Rede hat er nicht in der letzten Stunde geschrieben, das ist mal sicher.“

Deutschland steuert auf Neuwahlen im März 2025 zu

Mit der Vertrauensfrage im Bundestag würde Scholz den Weg für Neuwahlen frei machen. „Findet der Antrag keine Zustimmung der Mehrheit der Abgeordneten, kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen, und es gibt Neuwahlen“, erklärt man bei der Bundesregierung.

Die Fastnachter sahen schon 2023 den Kanzler als unbeweglichen "Scholzomat" - und hängten ihm ein Schild an: "Das war's." - Foto: gik
Die Fastnachter sahen schon 2023 den Kanzler als unbeweglichen „Scholzomat“ – und hängten ihm ein Schild an: „Das war’s.“ – Foto: gik

Das Kernproblem derzeit: Die Ampel-Koalition hat es nicht geschafft, noch einen neuen Haushalt für das kommende Jahr aufzustellen. Scholz kündigte an, er wolle bis Weihnachten im Bundestag noch alle Gesetze zur Abstimmung stellen, die keinen Aufschub duldeten. Dazu gehörten Vorhaben zur Abschwächung der Kalten Progression bei den Steuern, eine „Stabilisierung der gesetzlichen Rente“, die Beschlüsse zur Umsetzung des neuen Europäisches Asylsystem sowie Sofortmaßnahmen für Industrie.

Vom Haushalt sprach der Kanzler nicht, kündigte aber an, er wolle zudem auf Oppositionsführer Friederich Merz (CDU) zugehen, offenbar um Mehrheiten zu suchen. Scheitert die Vertrauensfrage im Bundestag wie geplant am 15. Januar, steht Deutschland vor Neuwahlen.

Lindner wirft Scholz „kalkulierten Bruch der Koalition“ vor

UPDATE&: Lindner wies am Abend die Vorwürfe von Scholz zurück und warf seinerseits dem Kanzler einen „kalkulierten Bruch der Koalition“ vor. „Sein genau vorbereitetes Statement vom heutigen Abend belegt, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung ging, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition“, sagte Lindner am Abend im ZDF Heute Journal.

Scholz habe lange die Notwendigkeit von wirtschaftlichen Reformen verkannt, kritisierte Lindner seinerseits. „Seine Gegenvorschläge sind matt, unambitioniert und leisten keinen Beitrag, um die grundlegende Wachstumsschwäche unseres Landes zu überwinden“, schoss Lindner zurück. Scholz habe „leider gezeigt, dass er nicht die Kraft habe, dem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen“, ließ sich Lindner zitieren. Stattdessen habe er ultimativ verlangt, die Schuldenbremse auszusetzen, dem habe er aber nicht zustimmen können, „weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte“, so Lindner.

Info& auf Mainz&: Reaktionen aus Mainz zum Bruch der Koalition hier auf Mainz&.