Er war der Meister der Motivwagen, der Vater der Zugente – und ein Kämpfer für die Meinungsfreiheit: Dieter Wenger, der Meister der Motivwagen, ist überraschend mit 84 Jahren gestorben. 62 Jahre lang hatte Dieter Wenger den Bau der närrischen Motivwagen im Mainzer Rosenmontagszug geleitet. Der dienstälteste aller Wagenbauer war eine Legende und schuf nichts weniger als Kulturgut. Erst vor einem Jahr hatte Wenger den Stab des Wagenbauers in Mainz niedergelegt. Mainz trauert um einen ganz großen Fastnachter, der die Stadt mit seinen närrischen Karikaturen weithin bekannt machte.
Der Mann war eine Legende: 62 Jahre lang war Dieter Wenger der Meister der närrischen Motivwagen in Mainz – so lange, wie kein anderer. Als Dieter Wenger seine ersten Schnitzversuche machte, war sein Düsseldorfer Kollege Jacques Tilly noch nicht einmal geboren. Die Liebe zum Schnitzen und dreidimensionalen Gestalten, sie wurde Dieter Wenger in die Wiege gelegt: Der Opa war Bildhauer, arbeitete nach dem Krieg bei einem Geigenbauer am Mainzer Südbahnhof. „Mich nahm er auf den Schoß, wenn er Puppenknöpfe schnitzte“, erinnert sich Wenger einmal im Gespräch mit der Internetzeitung Mainz& im Jahr 2017, „da hatte ich auch schon mal ein Schnitzmesser in der Hand…“
Es wurde eine Liebe fürs Leben: Schon als Schüler baute Wenger Kulissen für eine Puppenspielbühne, später fertigte Bühnenbilder für Theater von Mainz bis Heidelberg, alles neben der Arbeitszeit. 1961 wurde Wenger Chefdekorateur beim Kaufhof in Speyer, dort lernte er Bernhard Vogel (CDU) kennen, den späteren Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz. Vogel machte Wenger zum Landesgeschäftsführer der Deutschen Verkehrswacht, Wenger erfand die Aktion „Gib acht, Schulanfänger“ – und landete über Dekorateurskollegen schließlich bei den Wagen des Mainzer Carneval Vereins. „Der alte Fritz“, damals Zugmarschall, sagte zu Wenger: „Hast Du Ideen? Dann zeig mal her“ – Wenger hatte.
Dieter Wenger: Motivwagen seit 1962, Narrenhund und Zugente
Der Rest ist Geschichte, Fastnachtsgeschichte: 62 Jahre lang schnitzte, designte und baute Dieter Wenger die übergroßen Karikaturen für den Mainzer Rosenmontagszug. Die Statik der großen Narrenfiguren auf den Motivwagen, sie war seine Erfindung: Styropor auf einem Metallgerüst, überzogen mit wetterfesten Lacken, das war das Geheimnis, das die großen Motivwagen jedem Wetter trotzen ließen – bis auf Sturm. In der Corona-Pandemie baute er die größten Zugwagen, die wohl jemals gefertigt worden waren – einen Rosenmontagsumzug erlebten sie nicht.
Die Milchpreiskrise war sein erster Motivwagen im Jahr 1962, ein Jahr später baute Wenger schon drei Wagen, von 1987 an baute er sie alle. 9.000 Stunden Arbeit steckten in jeder Kampagne, am Ende stemmte Wenger mit einem Team von 35 Mitarbeitern den Bau von elf Motivwagen sowie weiteren Wagen für die Kampagne. Zum Markenzeichen wurden auch die ausdrucksvoll geschnitzten Gesichter der Politiker, die immer treffsicherer wurden, der kleine Narrenhund, der immer irgendwo sein Bein hob – und natürlich die legendäre Zugente.
Aus einem alten VW-Käfer seiner Sekretärin bastelte Wenger 1990 die Ente, die seither stets das Ende des Rosenmontagszuges markierte – sie ist bis heute der absolute Liebling der Mainzer, und fährt seit 2020 elektrisch. Wie viele Motivwagen Wenger insgesamt baute – zählen konnte er sie selbst nicht. 2024 lieferte er seine letzten Glanzstücke ab: Den „fliegenden Robert“ und den blinden und tauben Piratenkapitän Olaf, die eingesperrte Friedenstaube und der Biontech-Goldesel, der keine Dukaten mehr liefert. Legendär auch sein Donald Trump, der als „Nero“ das Capitol in Washington abfackelt – ein geradezu prophetischer Wagen
2024 gab Wenger den Stab als Wagenbauer ab – nach 62 Jahren
Im Februar 2024 legte Wenger nach 62 Jahren den Stab des Wagenbauers nieder, da war er bereits 84 Jahre alt. Im August 2024 wurde Wenger noch vom Mainzer Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) mit der Gutenberg-Plakette der Stadt Mainz ausgezeichnet, da schien der Neu-Ruheständler noch rüstig. Doch im Oktober 2024 starb seine Ehefrau Hanne, die über so viele Jahrzehnte in der Wagenhalle an der Seite ihres Mannes stand. Der Tod traf Dieter Wenger wohl tief – nun ist er völlig überraschend gestorben, wenige Tage vor seinem 85. Geburtstag, den er am 5. Februar gefeiert hätte.
„Es ist ein trauriger Tag für Familie Wenger, aber auch ein trauriger Tag für den Mainzer Carneval-Verein und für die Mainzer Fastnacht insgesamt“, sagte MCV-Präsident Hannsgeorg Schönig. Wenger „war kreativer Kopf, talentierter Tüftler und Vater der Zugente – er hat auf unnachahmliche Art der rollenden Satire seinen Stempel aufgedrückt“, würdigte Schönig den Verstorbenen: „Wir trauern um einen Großen der Mainzer Fastnacht – unsere Gedanken sind bei den Hinterbliebenen, denen wir in diesen Tagen viel Kraft wünschen.“
„Für mich war Dieter Wenger über Jahrzehnte untrennbar mit den einzigartigen Markenzeichen des Rosenmontagszugs, den Motivwagen, auf Engste verbunden“, sagte MCV-Zugmarschall Thorsten Hartel, der die Straßenfastnacht beim MCV leitet., Die Nachricht vom Tod Wengers sei völlig überraschend gekommen: „Wir haben ihm alle gewünscht, dass er sich im Ruhestand noch viele seiner Wünsche erfüllen kann, doch leider konnte er das nicht mehr umsetzen“, sagte Hartel.
Mainz trauert um einen ganz Großen der Mainzer Fastnacht
Die Motive der närrischen Karikaturen wurden in einem Kr4eativkreis erarbeitet, Wenger war dann für die dreidimensionale Umsetzung der Zeichnungen zuständig. „Über vier Jahrzehnte hinweg war ich mit Dieter und auch Hanne eng verbunden, ich habe viel von ihm lernen dürfen“, sagte Boris Henkel, Sprecher des MCV-Kreativkreises. Die Art, wie Wenger die Motivwagen gestaltete, sei „richtungsweisend“ gewesen. „Sein Wirken wurde in Mainz und auch über die Grenzen der Stadt hinaus bewundert“, erinnerte sich Henkel: „Wir haben ihm sehr viel zu verdanken. Meine Gedanken sind bei seiner Familie.“
Besonders stolz sei Wenger denn auch darauf gewesen, mit seiner Firma „Inspiration Wenger“ zu den Gründungsmitgliedern des Netzwerks „Carneval Project“ in der spanischen Stadt Valencia gehört zu haben, sagte MCV-Pressesprecher Michael Bonewitz. Dieses EU-Forschungsprojekt habe ursprünglich nur Institute europäischer Universitäten umfasst. „Es war ihm eine Herzensangelegenheit, den Karneval als europäisches kulturhistorisches Gut zu fördern“, erinnerte sich Bonewitz: „Mit Dieter Wenger verlieren wir einen Macher der alten Schule, einen Könner der kreativen Künste, einen liebenswerten Menschen, der die Fastnacht im Herzen trug, und der leider viel zu spät auf die Idee kam, seinen längst wohlverdienten Ruhestand anzutreten.“
Wengers Team aus hervorragenden Handwerkern und Künstlerinnen bleibt der Fastnacht indes erhalten: Der Gonsenheimer Stefan Hisge, der in der Kampagne 2025 erstmals den bau der Motivwagen als Nachfolger von Dieter Wenger verantwortet, konnte das Team der Familie Wenger komplett übernehmen. Die Mainzer Motivwagen, sagte Hisge bei seiner Vorstellung als neuer Wagenbauer im Oktober 2024, „sind für mich Mainzer Kulturerbe.“
Info& auf Mainz&: Ein ausführliches Portrait von Dieter Wenger und seinen Motivwagenbau lest Ihr auch hier bei Mainz& – es stammt aus dem Jahr 2017, als Wenger gerade im 55. Jahr als Wagenbauer wirkte.