Die Informationsbroschüre der Stadt zum Bürgerentscheid in Sachen Bibelturm sollte an jeden Haushalt der Stadt verteilt werden. Das versprach Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) im Januar 2018 auf einer Pressekonferenz, und so beschloss es auch der Ältestenrat des Mainzer Stadtrats. Die CDU-Opposition erhebt nun heftige Vorwürfe: Die Broschüre sei keineswegs an alle Haushalte verteilt worden, sondern habe lediglich der Allgemeinen Zeitung beigelegen, sagte CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig am Freitagabend der Internetzeitung Mainz&: „Das haben eigene Recherchen und Nachfragen heute bestätigt“, betonte Schönig: „Das würde bedeuten, dass nicht einmal jeder zweite Haushalt die Broschüre bekommen hätte.“
Mainz&-Recherchen haben dieses Bild mindestens zum Teil bestätigt. Bei einer Blitzumfrage unter einer Abendgesellschaft sowie bei weiteren Personen ergab sich das gleiche Bild: Wer die „Allgemeine Zeitung“ abonniert hat, hatte die Broschüre bekommen, wer die Zeitung nicht bezieht, kannte das Heft entweder gar nicht oder hatte es nicht erhalten. Die Informationsbroschüre sollte den Mainzern erläutern, wie es zum Bibelturm kam, welche Argumente dafür sprechen und welche dagegen. Auch Ratsfraktionen sowie die Bürgerinitiativen dafür und dagegen kommen zu Wort, das Heft sollte als grundlegende Information für die Mainzer dienen und auch dazu aufrufen, das erste Bürgerbegehren in der Geschichte von Mainz tatsächlich wahrzunehmen. Ebling hatte im Januar betont, die Verwaltung wolle alles dafür tun, damit sich möglichst viele Mainzer an der Abstimmung beteiligten, man werde versuchen, wirklich jeden Haushalt in Mainz zu erreichen. Die Broschüre sollte bei der Informationskampagne der Stadt in Sachen Bürgerentscheid Bibelturm die zentrale Rolle spielen.
Die Broschüre und ihre Verteilung sei im Ältestenrat des Stadtrats ausgiebig diskutiert worden, sagte Schönig weiter. Dabei sei auch festgelegt worden, dass die Broschüre „allen Mainzer Haushalten zur Verfügung gestellt wird.“ Das sei aber offenbar nicht geschehen: „Stattdessen wurde diese Broschüre lediglich über den Verteiler der Allgemeinen Zeitung an Haushalte mit AZ-Abo verteilt“, sagte Schönig Mainz&. Das habe sich durch seine eigenen Recherchen und auf Nachfragen hin am Freitag bestätig: „Ich habe mal eine Stichprobe unter Kollegen gemacht“, sagte Schönig, „dabei kam genau dieses Ergebnis heraus: Wer die AZ abonniert hat, hat die Broschüre bekommen, wer sie nicht abonniert hat, nicht.“
Der CDU-Mann sieht darin auch ein Versäumnis Eblings, denn dieser sei als Oberbürgermeister der Wahlleiter der Stadt. „Wenn eine Stadt als staatliches Organ eine Wahl organisiert, kann es nicht sein, dass weniger als die Hälfte der Bürger die entsprechende Information bekommen hat“, sagte Schönig: „Die Aufgabe eines Wahlleiters in einer Demokratie ist, dass alle Wahlberechtigten die gleichen Informationen erhalten. Fakt ist, dass offensichtlich ein großer Teil der Bürger über den offiziellen Weg durch die Informationsbroschüre nicht informiert worden ist. Das ist kritikwürdig, das kann man schon als Versagen des Wahlleiters bezeichnen.“
Mainz& hat daraufhin weitere Akteure angefragt, ob das Problem dort auch bekannt ist. „Ja, das ist mir auch begegnet“, sagte ÖDP-Fraktionschef Claudius Moseler am Freitagabend auf Mainz&-Anfrage: „Mir haben immer wieder Leute erzählt, dass sie die Broschüre nicht bekommen haben.“ Auch der ÖDP-Chef berichtete von AZ-Abonnenten, die das Heft erhalten hatten, und Nicht-Abonnenten, die es nicht kannten oder nicht bekommen hatten. „Man muss infrage stellen, wie zuverlässig die gewerblichen Verteiler sind“, sagte Moseler. Auch sei ihm nicht klar, ob auch solche Haushalte die Broschüre erhalten hätten, die an ihren Briefkästen einen Aufkleber angebracht hätten: „Bitte keine Werbung.“
Bei einer Blitzumfrage am Freitagabend bestätigte sich das Bild weiter: Von drei Nicht-AZ-Abo-Haushalten hatten drei die Broschüre nicht bekommen, darunter auch Mainz& selbst. Zwar lesen wir durchaus, was die Kollegen der Allgemeinen Zeitung schreiben – aber per elektronischem E-Paper. Repräsentativ ist eine solche Umfrage nicht.
„Wir haben einen Dienstleister, eine Tochtergesellschaft des Verlags der Allgemeinen Zeitung, beauftragt, die Broschüre an alle Haushalte zu verteilen“, sagte am Freitagabend Stadtsprecher Marc André Glöckner auf Mainz&-Anfrage. Die einen sollten die Broschüre als Beilage über die „Allgemeinen Zeitung“ erhalten, die anderen sollten sie verteilt bekommen. „Wir gehen davon aus, dass das so geschehen ist“, sagte Glöckner, „mir persönlich ist es nicht zu Ohren gekommen, dass das nicht erfolgt ist.“ Update: Allerdings teilte die Stadt Mainz am 29. März in einer Pressemitteilung mit: „Falls interessierte Bürgerinnen und Bürger bislang keine Broschüre erhalten haben sollten, können sie diese in allen Ortsverwaltungen, im Rathaus, Stadthaus, auf der Zitadelle, in der Tourist Info oder dem Gutenberg-Museum abholen.“ Das Problem war also offenbar im Rathaus doch schon aufgefallen.
Info& auf Mainz&: Uns interessiert: Wie sieht es bei Euch aus? Habt Ihr die blaue Infobroschüre erhalten oder nicht – und auf welchem Wege? Wer die Broschüre noch haben möchte: Die Stadt weist ausdrücklich darauf hin, dass man sich das Heft im Mainzer Rathaus abholen oder genau hier im Internet herunter laden kann. Und nicht vergessen: Am Sonntag, den 15. April, hingehen und Eure Stimme abgeben für oder gegen den Bibelturm!
Zahlreiche Broschüren kamen bei Mainz&-Lesern nicht an – Ganze Häuser nicht bedient
Update: Wir haben auf unseren Artikel zahlreiche Rückmeldungen erhalten, vorwiegend auf unserer Mainz&-Facebookseite. Von 20 Kommentatoren dort hatten 7 die Broschüre erhalten, 13 hingegen nicht – und letztere sprachen oft für viele: „Würde erklären, warum nicht nur ich, sondern aus meinem Bekanntenkreis, die über Neustadt/Altstadt/Marienborn und Hechtsheim verteilt sind, auch niemand eine bekommen hat“, schrieb ein Mainz&-Leser. „Von allen Mainzer, die ich gefragt habe, gab es auch nur einen, der etwas im Briefkasten hatte – find ich schon sehr merkwürdig!“, schreibt eine andere.
Meldungen über nicht-angekommene Broschüren kamen unter anderem aus der Kaiserstraße, dem Bleichenviertel, Hartenberg, Hechtsheim und Bretzenheim. „Hatte auch keine Broschüre im Briefkasten, sondern musste ins Rathaus“, schrieb eine Leserin: „Schlecht für ältere Leute, die kein Internet und kein Geld für die AZ haben.“ Auch andere ärgerte das Ausbleiben: „In unserem Haus im Bleichviertel kam nichts an“, schreibt eine Leserin: „Ich habe die Broschüre überhaupt das erste Mal diese Woche bei einem Bekannten gesehen – nachdem ich bereits per Brief abgestimmt hatte. Sehr schade, da wieder einmal der Eindruck vermittelt wird, man würde die Bürger nicht wirklich ernst nehmen.“
Das alles ist selbstverständlich keine repräsentative Umfrage, Tatsache ist aber wohl: in zahlreichen Haushalten kam die Broschüre nicht an. Verteilt wurde sie aber offenbar nicht nur als Beilage in der „Allgemeinen Zeitung“: „In meinem Haus hatten sie alle, und nur ich hab ein Abo“, schreibt ein Mainz&-Leser. Drei weitere berichteten, sie hätten die Broschüre auch ohne Zeitungsabo im Briefkasten gehabt. Und eine Mainz&-Leserin schrieb: „Bei uns war sie so im Wochenblatt versteckt, dass ich sie fast mit der Werbung entsorgt hätte. Unmöglich! Und eine Woche später als in anderen Stadtbezirken, ich wohne in Weisenau! Das ist eine schlechte Vorbereitung für ein Plebiszit!“
Bleibt die Frage: Warum kam die Informationsbroschüre bei doch so einem auffällig hohen Prozentzahl der Mainzer Bürger nicht an? Praktisch alle Leser, die sich geäußert haben, waren für das Thema sensibilisiert und sind zur Abstimmung gegangen – dafür wie dagegen. Die Bürgerinitiative Gutenberg Museum, die gegen den Turm ist, meldete zudem: „An den Infoständen der BI haben viele Mainzer gesagt, dass sie die Broschüre nicht bekommen haben.“