Der neue Expertenrat der Bundesregierung hat seine Einschätzung zur neuen Omikron-Variante abgeben – und die Stellungnahme der 19 wissenschaftlichen Experten hat es in sich: Die neue Omikron-Variante bedeute nichts weniger als “eine neue Dimension in der Pandemie”, schreiben die Experten: Durch Omikron könne das Infektionsgeschehen sogar völlig außer Kontrolle geraten, sogar die kritische Infrastruktur könne durch massenweise Ausfälle in Gefahr geraten. Impfen und Boostern sei wichtig, reichten aber allein nicht aus Nötig seien neue Kontaktbeschränkungen, konsequenten Handeln und stringentes Erklären.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte gleich in der ersten Woche seiner Amtszeit einen Expertenrat einberufen, der die neue Bundesregierung in der Corona-Pandemie wissenschaftlich beraten soll. Dem Gremium gehören 19 renommierte Experten aller Fachrichtungen an, darunter der Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, die Virologen Christian Drosten und Hendrik Streeck, die Vorsitzende des Ethikrates Alena Buyx, die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie Christine Falk, Stiko-Vorsitzender Thomas Mertens, der Landrat Stefan Sternberg aus Bayern, der Chef des Kölner Gesundheitsamtes sowie weitere hochrangige Wissenschaftler aus Virologie, Immunologie, Bildungsforschung und Kindermedizin.
Den Vorsitz hat Professor Heyo Kroemer von der Berliner Charité, seine Stellvertreterin ist die Virologin Melanie Brinkmann – keiner der 19 Experten kommt aus Rheinland-Pfalz. Erste Amtshandlung des Expertenrats sollte eine Stellungnahme zur neuen Corona-Mutante Omikron sein, am Sonntag legte das Gremium sein Papier bereits vor. Und die Experten werden deutlich: „Die kürzlich identifizierte Omikron-Variante bringt eine neue Dimension in das Pandemiegeschehen“, heißt es gleich im ersten Satz des Papiers. Omikron zeichne sich „durch eine stark gesteigerte Übertragbarkeit und ein Unterlaufen eines bestehenden Immunschutzes aus.“
Die neue Variante vereine gleich mehrere ungünstige Eigenschaften in sich: „Sie infiziert in kürzester Zeit deutlich mehr Menschen und bezieht auch Genesene und Geimpfte stärker in das Infektionsgeschehen ein“, schreiben die Experten. Dies könne „zu einer explosionsartigen Verbreitung führen“, das Infektionsgeschehen könne sogar völlig außer Kontrolle geraten: In Dänemark, Norwegen, den Niederlanden und Großbritannien werde bereits jetzt eine „nie dagewesenen Verbreitungsgeschwindigkeit mit Omikron-Verdopplungszeiten von etwa 2 bis 3 Tagen beobachtet.“ Mehrere dieser Nachbarstaaten hätten angesichts dieser Dynamik „umgehend teils tiefgreifende Gegenmaßnahmen zur Eindämmung eines potentiell unkontrollierbaren Infektionsgeschehens ergriffen.“
Wie gefährlich die neue Variante ist, und zu wie vielen Krankenhauseinweisungen sie führe, das lasse sich zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen, schreiben die Wissenschaftler weiter. Dennoch sei bereits zu beobachten, dass die Hospitalisierung in Hotspots wie London bereits deutlich ansteige. Von einem milderen Krankheitsverlauf sei bei Ungeimpften nicht von einem milderen Krankheitsverlauf auszugehen, betont der Expertenrat. Erste Studienergebnisse zeigten zudem, dass der Impfschutz gegen die Omikron-Variante rasch nachlasse – auch immunisierte Personen könnten mit Omikron symptomatisch erkranken.
„Der Schutz vor schwerer Erkrankung bleibt wahrscheinlich teilweise erhalten“, betonten die Experten weiter – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach am Wochenende von einem Impfschutz von 70 bis 80 Prozent vor schweren Verläufen bei Menschen, die bereits ihre dritte Booster-Impfung beklommen haben. „Mehrere Studien zeigen einen deutlich verbesserten Immunschutz nach erfolgter Boosterimpfung mit den derzeit verfügbaren mRNA Impfstoffen“, schreibt nun auch der Expertenrat. Zwei Impfungen geben hingegen nach übereinstimmender Einschätzung keinen ausreichenden Schutz vor Omikron. In Deutschland sei deshalb „wegen der vergleichsweise großen Impflücke, die insbesondere bei Erwachsenen besteht, mit einer sehr hohen Krankheitslast durch Omikron zu rechnen“, warnten die Experten nun.
Für den weiteren Verlauf der Pandemie heißt all das nichts Gutes: Zwar breite sich Omikron in Deutschland derzeit noch langsamer aus als in anderen Ländern, was etwa mit der flächendeckenden Maskenpflicht im Einzelhandel sowie in öffentlichen Gebäuden zusammenhängen könnte. Gerade FFP2-Masken schützen neuesten Studien zufolge in herausragendem Maße vor Ansteckungen mit dem Coronavirus, sagen Forscher. Aktuell liege die Verdopplungszeit der Omikron-Inzidenz in Deutschland „im Bereich von etwa 2 bis 4 Tagen“, schreibt der Expertenrat nun – das sei deutlich schneller als bei allen bisherigen Varianten.
Und die Wissenschaftler schlagen Alarm: Auch diese etwas langsamere Ausbreitung von Omikron werde absolut dramatische Folgen haben. „Sollte sich die Ausbreitung der Omikron-Variante in Deutschland so fortsetzen, wäre ein relevanter Teil der Bevölkerung zeitgleich erkrankt und/oder in Quarantäne“, warnen sie. Das würde nicht nur das Gesundheitssystem „extrem belasten“ – auch könnte „die gesamte kritische Infrastruktur unseres Landes“ in Gefahr geraten, weil zu viele Arbeitnehmer gleichzeitig ausfielen. Zur kritischen Infrastruktur (KRITIS) gehören unter anderem Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Telekommunikation, Strom- und Wasserversorgung und die entsprechende Logistik. „Weitere Kollateraleffekte sind insbesondere in der berufstätigen Bevölkerung zu erwarten, u.a. durch die dann notwendige Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Menschen“, heißt es in dem Papier.
Verlangsamt werden könne die Omikron-Dynamik hingegen durch eine massive Ausweitung der Boosterkampagne – verhindern könne diese eine massive fünfte Welle aber nicht. „Laut der mathematischen Modelle kann eine Überlastung des Gesundheitssystems und die Einschränkung der kritischen Infrastruktur nur zusammen mit starken Kontaktreduktionen eingedämmt werden“, betont der Expertenrat: „Selbst für den wenig wahrscheinlichen Fall einer deutlich abgeschwächten Krankheitsschwere im Vergleich zur Delta-Variante“ müsse mit einer erheblichen Überlastung der Krankenhäuser zu rechnen sein, „eine qualitativ angemessene Versorgung aller Erkrankten wird nicht mehr möglich sein.“
Die 19 Wissenschaftler fordern deshalb die Politik auf, umgehend und sofort weitere Maßnahmen zu ergreifen. Es müssten in den kommenden Tagen „Vorkehrungen für die ersten Monate des Jahres 2022 getroffen werden, und zwar auf politischer und organisatorischer Ebene des Bundes, der Länder, der Städte und Gemeinden“, heißt es in dem Papier. Es bedürfe zudem „einer umfassenden und sofortigen Vorbereitung des Schutzes der kritischen Infrastruktur unseres Landes“, heißt es in dem Papier. Dabei sollten mögliche Partner wie Bundeswehr, THW oder Hilfsorganisationen frühzeitig eingebunden werden.
„Aktivierungswege und Steuerungsmechanismen müssen kurzfristig verfügbar sein
sowie ausreichende Testkapazitäten und Versorgungsketten sichergestellt werden“, betonen die Experten. Krankenhäuser müssten eine hinreichende Vorratshaltung von Material und Medikamenten herstellen. Parallel sollte die Impfkampagne erheblich intensiviert werden, Boosterimpfungen auch über die kommenden Feiertage „mit allen verfügbaren Mitteln fortgesetzt und weiter beschleunigt werden.“ Insbesondere für Ältere und andere Personen mit bekanntem Risiko für einen schweren COVID-19 Verlauf „ist höchste Dringlichkeit geboten“, warnen die Experten.
Vor allem aber seien zusätzliche Kontaktbeschränkungen notwendig, fordern die Wissenschaftler – und diese müssten „gut geplant und gut kommuniziert“ werden. Dazu gehörten die Vermeidung größerer Zusammenkünfte, das konsequente, bevorzugte Tragen von FFP2 Masken, insbesondere in Innenbereichen, sowie der verstärkte Einsatz von Schnelltests bei Zusammenkünften vor und während der Festtage. Besonders vulnerable Gruppen müssten noch mehr durch hochfrequente Testung und FFP2-Masken geschützt werden.
„Der Expertenrat erwartet für die kommenden Wochen und Monate enorme Herausforderungen, die ein gemeinsames und zeitnahes Handeln aller erfordern“, heißt es abschließend: „Neben dem konsequenten Handeln ist stringentes Erklären entscheidend.“ Die Omikronwelle treffe „auf eine Bevölkerung, die durch eine fast zweijährige Pandemie und deren Bekämpfung erschöpft ist, und in der massive Spannungen täglich offenkundig sind“, warnt der Expertenrat. Eine umfassende Kommunikationsstrategie mit nachvollziehbaren Erklärungen der neuen Risikosituation und der daraus folgenden Maßnahmen sei deshalb jetzt essentiell. „Die Omikronwelle“, so die Runde einhellig, „lässt sich in dieser hochdynamischen Lage nur durch entschlossenes und nachhaltiges politisches Handeln bewältigen.“ Dem Papier stimmten im Übrigen 19 von 19 Experten zu.
Info& auf Mainz&: Mehr zur Omikron-Variante lest Ihr auch hier auf Mainz&. Das ganze Papier des Expertenrats zu Omikron könnt Ihr Euch hier herunterladen – Achtung es öffnet sich direkt ein pdf. Mehr dazu, wie gut FFP2-Masken vor Corona schützen, lest Ihr hier auf Mainz&.