Der Druck auf Innenminister Roger Lewentz (SPD) wächst nach seinen Aussagen zu den Polizei-Videos aus der Flutnacht gewaltig: Kommende Woche muss Lewentz wohl in einer Sondersitzung des Mainzer Landtags vor der Öffentlichkeit Rede und Antwort zu seinem Verhalten in der Flutnacht stehen. CDU und Freie Wähler beantragten die Sondersitzung am Donnerstagabend, die AfD hatte zuvor sogar ein Misstrauensvotum gegen den Minister gefordert.
Vor zwei Wochen waren im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Flutkatastrophe im Ahrtal völlig überraschend drei Videos aufgetaucht, die ein Polizei-Hubschrauber in am Abend des 14. Juli 2021 zwischen 22.14 Uhr und 22.42 Uhr im Ahrtal aufgenommen hatte. Die Videos zeigen bereits zu diesem Zeitpunkt die volle Dramatik der Flutkatastrophe: Ein über Kilometer hinweg meterhoch unter Wasser stehendes Tal, Häuser bis zur Dachkante in den Fluten – und Menschen auf Hausdächern und Balkonen, die verzweifelt mit Taschenlampen um Hilfe blinken.
Die Videos pulverisieren nun die bisherige Darstellung der Landesregierung, man habe in der Flutnacht die ganze Dramatik der Lage ja gar nicht erkennen können – Innenminister Roger Lewentz (SPD) behauptete noch vergangene Woche, er habe kein komplettes Lagebild in der Nacht gehabt, von einer Flutwelle will der Minister weiter nichts gesehen haben.
Am Dienstag hatte das Innenministerium überraschend die Videos in einer verpixelten Fassung veröffentlicht, auch auf Mainz& sind die Videos mit teils erschütternden Szenen zu sehen. Trotzdem betonte Lewentz auch am selben Abend noch, auch wenn er die Videos in der Flutnacht gesehen hätte – anders gehandelt hätte er nicht. An der unteren Ahr war die Flutwelle zum Zeitpunkt der Videos aber noch gar nicht angekommen, rund 80 Menschen starben zwischen Bad Neuenahr und Sinzig in den Nachtstunden – nach 23.00 Uhr.
„Wie will Lewentz den Menschen an der Ahr ins Gesicht sehen?“
Dass Minister Lewentz sich in der Flutnacht nicht darum kümmerte, dass Menschen gewarnt oder gar evakuiert werden, dass er keinen Krisenstab einberief, sondern gegen 2.00 Uhr zu Bett ging – und dass er nun sein Handeln auch noch derart verteidigt, sorgt im politischen Mainz und weit darüber hinaus inzwischen für blankes Entsetzen. „Wie will Lewentz den Menschen an der Ahr jemals wieder ins Gesicht sehen?“, fragte CDU-Generalsekretär Gordon Schnieder: Es sei doch „unvorstellbar, dass er in Zukunft ins Ahrtal reist, dort den Menschen ins Gesicht sieht und sich um Wiederaufbau und einen Neuanfang im Katastrophenschutz kümmert.“
CDU-Landeschef Christian Baldauf warf dem Innenminister am Donnerstag vor, seine Amtspflichten in der Flutnacht verletzt zu haben: „Er hat das Geschehen falsch eingeschätzt und Hinweise auf das tatsächliche Ausmaß des Geschehens ignoriert“, kritisierte Baldauf. Lewentz sei verantwortlich für ein komplettes Organisationsversagen im Innenministerium sowie den nachgeordneten Behörden wie der Dienstaufsicht ADD. Dadurch seien Chancen, die Bevölkerung breitflächig zu warnen und Leben zu retten, verstrichen.
„Selbst heute, nach Vorliegen erschütternder Videoaufnahmen, behauptet Herr Lewentz, er habe kein belastbares Lagebild gehabt, sondern lediglich von einem starken Hochwasser und punktuellen Ereignissen ausgehen können“, schimpfte Baldauf: „Das ist falsch. Der Innenminister hatte ein Bild und er hatte eine Lage. Er kannte die Inhalte der Hubschraubervideos. Er wusste, dass Menschen in Lebensgefahr waren und hat dennoch nicht gehandelt. Der Fall Lewentz muss Thema im Landtag werden.“
Die Landtagsfraktionen von CDU und Freien Wählern wollen deshalb gemeinsam eine Sondersitzung des Plenums des rheinland-pfälzischen Landtages für den 12. Oktober 2022 beantragen. Dazu braucht die Opposition ein Drittel der Stimmen des Landtags, gemeinsam haben beide Fraktionen mit 37 von 101 Sitzen die dazu notwendige Mehrheit. Titel der Sitzung soll die „Rolle und unmittelbare Verantwortung des Innenministers Roger Lewentz im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe 2021“ sein.
Damit muss sich Lewentz erstmals seit der Flutkatastrophe vor den Augen der Öffentlichkeit im Landtagsplenum für sein Handeln in der Flutnacht verantworten – bisher hatte die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP genau das vermieden. Auf der Anklagebank sitzt dabei denn auch nicht nur der Minister: Mit der Sondersitzung rückt die gesamte Regierung in den Blickpunkt – und damit auch die Verantwortung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD).
Zu einem Misstrauensvotum gegen den Innenminister wird es dabei aber nicht kommen: Die AfD hatte bereits am Donnerstagmittag eine Sondersitzung des Landtags und ebenso ein Misstrauensvotum gegen den Minister gefordert: „Der Innenminister trägt die politische Verantwortung dafür, dass in der Flutnacht gravierende Fehlentscheidungen getroffen wurden und mögliche Warnungen unterblieben sind“, betonte AfD-Fraktionschef Michael Frisch: „Diese Versäumnisse haben viele Menschen mit ihrem Leben bezahlt.“
Dennoch sei Ministerpräsidentin Dreyer nicht bereit, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und Lewentz zu entlassen. „Damit bricht sie das den Bürgern gegebene Versprechen, die Flutkatastrophe schonungslos aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“, kritisierte Frisch. Der Landtag müsse nun darüber entscheiden, ob der Innenminister noch das Vertrauen der Abgeordneten besitze. „Wir als AfD-Fraktion werden Herrn Lewentz definitiv das Vertrauen entziehen“, fügte Frisch hinzu. Um eine solche Abstimmung zu erzwingen, hat die AfD aber nicht die notwendige Mehrheit.
Auch Freie Wähler entziehen Lewentz ihr Vertrauen
Derweil schließen sich inzwischen auch die Freien Wähler den Rücktrittsforderungen von CDU und AfD gegen Lewentz an: Die Ausführungen des Innenministers in Bezug auf die Hubschraubervideos seien „unglaubhaft“, betonte FW-Fraktionschef Joachim Streit am Donnerstag: „Wer die Videos gesehen hat, kommt nicht umhin, feststellen zu müssen, dass sich in der Flutnacht eine Katastrophe abgespielt hat.“
Wenn der Innenminister „selbst heute noch nicht in der Lage ist, die richtigen Erkenntnisse aus dem Videomaterial zu ziehen, stellt sich ernsthaft die Frage, ob dieser Innenminister die notwendige Sensibilität aufweist, eingetretene Großschadenslagen als solche zu identifizieren“, kritisierte Streit weiter, und fordert: „Rheinland-Pfalz braucht einen Innenminister, der ihm vorgelegte Lagebilder entsprechend deuten kann und das Vertrauen der Menschen besitzt.“
Info& auf Mainz&: Was genau die Polizei-Videos aus der Flutnacht zeigen und was Lewentz dazu sagte, könnt Ihr selbst hier bei Mainz& sehen und lesen. Wann die Videos aufgenommen wurden, wer sie danach sah, und wo sie abblieben, haben wir hier bei Mainz& nachgezeichnet sowie in diesem Artikel: