Ein halbes Jahr nach der Flutkatastrophe im Ahrtal kommt die Hilfe bei den Betroffenen nur schleppend an. Die Auszahlung von Hilfsgeldern über den Staat stockt, und auch bei den Spendengeldern gibt es hohe Hürden: Millionen an Spenden für die Winzer im Ahrtal liegen noch immer auf den Spendenkonten. Der Grund: Spendengelder dürfen grundsätzlich nicht an Unternehmen gehen. Doch zu einer unbürokratischen Ausnahmeregelung sieht sich die Politik bisher nicht in der Lage, das Problem werde „geprüft“, heißt es weiter.
Die verheerende Flutwelle vom 14. Juli hat im Ahrtal massive Schäden hinterlassen, ein halbes Jahr nach der Katastrophe kämpfen die Bewohner weiter mit den Folgen. Viele Orte sind vor allem nachts reine Geisterstädte, weil hier bis heute niemand wohnen kann – der Wiederaufbau zieht sich, weil langwierige Genehmigungsverfahren und ein Mangel an Gutachtern und Planern den Wiederaufbau verzögern. Von der Flut stark getroffen wurden gerade auch die Weinbaubetriebe an der Ahr: 45 von 50 Winzern seien von der Flutwelle stark geschädigt worden, schätzt Peter Kriechel, Vorsitzender des Ahrwein e.V.: „Wir sprechen von Schadenshöhen zwischen 500.000 und 10 bis 15 Millionen Euro.“
Direkt nach der Flutkatastrophe hatte eine unglaubliche Hilfswelle eingesetzt, gerade auch im Weinbereich: Der Verband der Prädikatsweingüter (VDP) rief die Spendenaktion „Der Adler hilft“ ins Leben, Winzer packten Solidarpakete für die Kollegen im Ahrtal, die Ahrwinzer selbst riefen den Verein „Flutwein“ ins Leben, über den Spenden für die Winzer in Not gesammelt wurden. Im Gegenzug bekamen die Spender schlammverschmierte Flutwein-Flaschen von Ahrwinzern, rund 47.500 Unterstützer machten bei der Aktion mit – es wurde „eine der größten Crowdfunding-Aktionen der Republik“, sagt Kriechel stolz.
Allein 4,5 Millionen Euro wurden allein via „Flutwein“ gesammelt, insgesamt kamen rund 7 Millionen Euro an Hilfsgeldern für die Ahrwinzer zusammen – doch helfen konnten die Vereine mit den Geldern bis heute nur höchst eingeschränkt: „Hilfen an Unternehmen dürfen wir nicht auszahlen“, sagt Kriechel frustriert, und der Geschäftsführer von Ahrwein e.V., Christian Senk, schimpft: „Die Menschen haben geholfen mit einer Solidaritätswelle nie gewesenen Ausmaßes, aber jetzt liegt das Geld auf Konten, und wir können es nicht verwenden – das kann es ja nicht sein.“
Das Problem liegt im bundesdeutschen Spendenrecht, aber auch im sogenannten Katastrophenerlass der Landesregierung Rheinland-Pfalz: Danach dürfen Hilfsspenden nämlich ausschließlich an Privatpersonen ausgezahlt werden, nicht aber an Unternehmen, denn die können grundsätzlich nicht als „bedürftig“ im Sinne des Spendenrechts eingestuft werden. „Wir haben hier einen Webfehler“, sagt Senk, „bedürftig sind qua Definition nur natürliche Personen, ein Winzer ist in der Regel aber ein Unternehmer, also keine natürliche Person im Sinne dieser Definition.“
Das Problem betrifft nicht nur Winzer im Ahrtal, sondern auch Hoteliers, Gastronome und Handwerksbetriebe, denen die Flutwelle am 14. Juli Maschinen und Häuser und die Grundlage ihrer unternehmerischen Tätigkeit wegriss. Das Problem der Zuwendung haben so auch nicht nur Ahwein und VDP, sondern alle Spendensammel-Organisationen – das Problem, dass gerade im Ahrtal auch Unternehmen zu den Empfängern von Spenden werden würden, hatte man bei der Ausformulierung der Erlasse offenbar schlicht vergessen.
Als mildtätiger, gemeinnütziger Verein dürfe man laut Finanzministerium Hilfen nur an Privatpersonen und nicht an Betriebe auszahlen, erklärt VDP-Chef Steffen Christmann im Gespräch mit Mainz&: „Der Spendenzweck unseres Vereins sieht aber gerade auch vor, Weinbaubetriebe zu unterstützen und etwaige Deckungslücken, die nicht von Staat oder Versicherungen getragen werden, zu schließen.“ Es gebe ja Schäden in unterschiedlichem Ausmaß, „wir wollen ja gerade nicht jedem pauschal eine Summe X überweisen, sondern zielgerichtet helfen“, sagt Christmann.
Doch genau das sei gerade nicht möglich, sagt auch Kriechel: Man habe erste Soforthilfen für 5.000 Euro pro Person auszahlen können, 40 Kollegen sei so geholfen worden, doch jetzt gehe es nicht mehr voran. „Wir wollen die Kollegen bei notwendigen Anschaffungen unterstützen“, sagt Kriechel, die Hilfen würden dringend gebraucht, um neue Maschinen, Weinpressen oder auch Gebäude zu finanzieren. „Wir bekommen eine Förderung vom Land, ja – aber nur 80 Prozent vom aktuellen Zeitwert“, erklärt Kriechel im Gespräch mit Mainz&.
Das aber könne zu erheblichen Finanzproblemen führen, denn der Zeitwert liegt oft deutlich unter den Kosten für eine Neuanschaffung. Eine von der Flut zerstörte Weinpresse koste neu vielleicht 100.000 Euro, rechnet Kriechel vor, der Winzer bekomme vom Staat aber nur den Zeitwert ersetzt – also vielleicht 40.000 Euro. Davon betrage die Landesförderung dann rund 30 000 Euro, „dafür bekomme ich aber keine neue Presse oder eine Steillagenraupe, denn die kriegen sie nicht einfach auf dem Gebrauchtmarkt“, betont Kriechel. Die Deckungslücke könne dann schnell mal 70.000 Euro betragen – und genau die wolle man mit den Spendengeldern schließen.
In der Politik kennt man das Problem sehr wohl, doch eine Lösung hat man auch ein halbes Jahr nach der Flutkatastrophe nicht. Man kenne das Problem und habe es „auf der politischen Ebene ausführlich thematisiert“, heißt es auf Anfrage im von der FDP-Politikerin Daniela Schmitt geführten Mainzer Wirtschaftsministerium: Man habe „das zuständige Ressorts gebeten, gemeinsam mit der Bundesregierung eine Lösung zu erörtern.“ Das zuständige Ressort ist das Finanzministerium von Doris Ahnen (SPD), dort heißt es wiederum: „Dieses Problem ist dem Ministerium bekannt und wird derzeit erörtert.“
Spendenrecht sei aber Bundesrecht, dieses werde von Rheinland-Pfalz nur vollzogen, betonte eine Sprecherin gegenüber Mainz&: „Was auf dem Verwaltungswege zu regeln ist, wurde selbstverständlich in Rheinland-Pfalz im Sinne der Betroffenen umgesetzt.“ Der Erlass des Landes enthalte bereits „an verschiedenen Stellen Billigkeitsregelungen“, man sei „mit den Betroffenen im Gespräch.“ Ob eine Lösung überhaupt in Sicht ist, und wie die aussehen könnte – unklar. Fragen danach werden mit den gleichen stereotypen Sätzen wieder nicht beantwortet.
„Sechs Monate sind seit der zerstörerischen Flut vergangen – sechs Monate, in denen die Ministerinnen Ahnen und Schmitt sich für eine Anpassung des Spendenrechts hätte e einsetzen müssen, damit eine unbürokratische Regelung geschaffen wird, und die Winzer das dringend benötigte Spendengeld erhalten“, kritisierte nun auch CDU-Fraktionschef Christian Baldauf. Die Landesregierung habe es „versäumt, sich von Anfang an auf Bundesebene für die Belange der betroffenen Weingüter einzusetzen.“ Es brauche „umgehend eine einfache Ausnahmereglung, damit die gesammelten Spenden an die Flut-Weingüter fließen und es in den Betrieben weitergehen kann“, betonte Baldauf. Für die Winzer sei das „existenziell: Sie stehen vor den Scherben ihrer Arbeit, viele hadern, ob sie die Betriebe überhaupt aufrecht erhalten wollen – Maschinen, Wiederaufbau, der sprichwörtliche Neustart kostet viel Geld“, fügte er hinzu.
An den Bund wandte sich nun auch CDU-Landeschefin Julia Klöckner: Die bisherige Bundeslandwirtschaftsministerin und jetzige wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU-Bundestagsfraktion wandte sich nun mit Briefen an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Die ausbleibenden Hilfen seien „eine Ernüchterung für viele Ahrwinzer, die noch immer um ihre Existenz bangen“, schriebt Klöckner in den Briefen, die Mainz& vorliegen, und fordert: „Wir müssen in der Lage sein, für solche Ereignisse Ausnahmen zu finden, um die Menschen vor Ort zu unterstützen.“
Auch bei den Bürgern, die mit ihren Spenden einen persönlichen Beitrag leisten wollten, den Betrieben zu helfen, sei „das Unverständnis groß, wenn diese durch bürokratische Hürden nicht bei den Hilfesuchenden ankommen“, mahnt Klöckner weiter: „Hier geht es auch um Vertrauen in die Politik, die parteiübergreifend versprochen hatte, unbürokratisch zu handeln.“ Lindner bittet die CDU-Politikerin, er möge doch „Bescheid geben, welche Maßnahmen das Bundesfinanzministerium diesbezüglich prüft und wie der aktuelle Sachstand dazu in Ihrem Haus ist.“ Gleiches schreib Klöckner zudem an Landes-Finanzministerin Ahnen, aus ihrem Haus heißt es aber lediglich weiter: „Bei der Beurteilung von Sponsoring-Maßnahmen wird eine den besonderen Umständen angemessene Beurteilung angestrebt.“
„Es kann einfach nicht sein, dass man das Problem sieht und monatelang nur prüft“, kritisiert Senk unterdessen. Die Situation im Ahrtal sei doch eine Ausnahmelage, das Land habe doch mindestens eine Verordnungskompetenz, die müsse es dann auch mal nutzen. Das könne ja „auch gerne eine befristete Lösung sein“, schlägt Senk vor. „Liebe Politik, ihr wolltet unbürokratisch helfen“, sagt auch Kriechel, jetzt sei es Zeit dafür – sonst drohten im Frühjahr vielen Betrieben erhebliche Finanzierungslücken.
Viele Kollegen planten gerade neue Ausgaben, die Ausführungsphase stehe kurz bevor, warnt Kriechel: „Spätestens im März, wenn die ersten Rechnungen reinflattern von Architekten, Maurerarbeiten, Lieferanten“, dann werde es zu erheblichen Finanzengpässen kommen. Und noch etwas gelte es zu bedenken, findet Senk: „Die Leute spenden, haben Millionenbeträge zur Verfügung gestellt – und haben zunehmend das Gefühl: Es kommt nicht an“, warnt er: „Da schwindet Vertrauen.“
Info& auf Mainz&: Mehr über die von der Flutkatastrophe betroffenen Weinbaubetriebe an der Ahr sowie die Hilfsaktionen „Flutwein“ und „Der Adler hilft“ könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen. Wie die Winzer an der Ahr trotz Flut die Weinlese bewältigt haben, lest Ihr hier bei Mainz&.