Die Freien Wähler sind eine Sonderform der bundespolitischen Parteienlandschaft: Als Wählergemeinschaft sind sie keine eigene Partei, sondern ein freiwilliger Zusammenschluss von Bürgern, die sich in der Kommunalpolitik engagieren wollen – unabhängig vom Parteibuch. In Mainz gibt es die Freien Wähler seit 2014 im Mainzer Stadtrat, die vergangenen fünf Jahre verliefen nicht ohne Turbulenzen. 2019 tritt die Wählergemeinschaft mit einer runderneuerten Liste und neuen Frontleuten an. Ihren großen Auftritt hatten die FW, als sie im Herbst 2018 mit der Nominierung des externen Kandidaten dafür sorgten, dass am Ende die CDU-Politikerin Manuela Matz ins Wirtschaftsressort einzog. Ihr Slogan für die Wahl: „Machen statt Meckern.“
Ganze 1,0 Prozent erzielten die Freien Wähler bei der Stadtratswahl 2014, genau 42.753 Wählerstimmen entschieden sich für die Wählervereinigung. Für die Freien Wähler war das dennoch ein Erfolg, zogen sie doch damit in den Mainzer Stadtrat ein – mit genau einem Sitz. Der Vertreter der Freien Wähler, Kurt Mehler, sorgte für Wirbel, als er gut ein Jahr später mit Claus Berndroth eine Fraktion bildete. Berndroth war als Vertreter der AfD in den Mainzer Stadtrat gewählt worden, damals leitete noch der Ökonomieprofessor Bernd Lucke die rechte Partei. Nach der Spaltung der AfD 2015 trat Bernroth aus der AfD aus, sein Stadtratsmandat behielt er aber – heute ist Berndroth Mitglied der Freien Wähler.
Mehler und Berndroth gehörten im Stadtrat die kommenden vier Jahren zu den Randgruppen, politisch blieben die Freien Wähler im Stadtrat lange eher blass. Das änderte sich, als sich die Gruppierung im Vorfeld der Kommunalwahl neu aufstellte: Mit neuen Akteuren wie Spitzenkandidat Erwin Stufler – ein Ex-Mitglied der Grünen – und der Hechtsheimerin Heike Leidinger-Stenner, der neuen Fraktionsgeschäftsführerin, wurden auch neue Themen gesetzt. So forderten die Freien Wähler jüngst eine ernsthafte Prüfung einer Seilbahnstrecke zwischen Mainz und Wiesbaden – was sich anhörte, wie eine Schnapsidee, wird von Stadtplanern weltweit als ernsthafter Beitrag zur Entlastung der Innenstädte von Verkehr gesehen.
Ende 2018 setzten sich die Freien Wähler für eine böllerfreie Zone in der Innenstadt ein, aus Umweltgründen. Das Zentrenkonzept halten die Freien Wähler für überholt, Klima, Verkehr und die Rathaussanierung waren weitere Schwerpunktthemen der Mini-Fraktion. Wie auch die ÖDP, so sehen sich die Freien Wähler in erster Linie als Vertreter von Bürgerinteressen und nicht als klassische Partei – auch wenn parallel zur Wählervereinigung eine Partei mit dem Namen „Bundesvereinigung Freie Wähler“ existiert.
Diese überregionale Vereinigung wurde als Partei gegründet, um bei Bundestags- und Landtagswahlen antreten und auch Gelder zur Finanzierung des Wahlkampfes erhalten zu können – in Bayern regiert die Bundesvereinigung Freier Wähler seit 2018 gemeinsam mit der CSU. Auch im Europaparlament ist sie vertreten. Diese Bundespartei ist jedoch nicht identisch mit den Freien Wählergruppen vor Ort, die streng kommunal orientiert sind. So können Freie Wählergruppen sich durchaus von der Partei Freie Wähler distanzieren, was beim Wähler oft zu Verwirrung führt. 😉
Im Mainzer Stadtrat sitzt mit den Freien Wählern ein eingetragener Verein, der sich konsequent auf die Seite von Bürgerinitiativen stellt. So unterstützte man den Kampf gegen die Klärschlammverbrennungsanlage in Mombach und gegen den Bibelturm sowie aktuell gegen die Mülldeponie im Weisenauer Steinbruch. Früh engagierte sich die FWG auch gegen die Straßenausbaubeiträge in der Mombacher Hauptstraße und prangerte immer wieder an, dass die Stadt Mainz hier nur ganze 3,5 Prozent der Kosten trägt – die Bürger ab für 60 Prozent der Kosten „zur Kasse gebeten werden.“
Für die Kommunalwahl 2019 tritt die FWG nun mit einem runderneuerten Programm und einem frischen neuen Auftritt an. Spitzenkandidat Erwin Stufler ist langjähriges Mitglied der Bürgerinitiative gegen Fluglärm, sein Ko-Spitzenkandidat Gregor Knapp kam aus der Bürgerinitiative Gutenberg-Museum, die erfolgreich gegen den Bibelturm kämpfte, zu den Freien Wählern. Kurt Mehler wiederum teilte mit, er wolle mit seinen fast 69 Jahren nicht erneut auf einem vorderen Platz antreten, sondern sich zukünftig mehr seinem Heimatstadtteil Mombach widmen – Mehler kandidiert dort für das Amt des Ortsvorstehers und den Ortsbeirat.
Im Kommunalwahlkampf eröffneten die Freien Wähler einen „Freiraum“ in der Gaustraße in einem leer stehenden Ladengeschäft. Er wolle damit „den Ideen für die Altstadt und die Ludwigsstraße einen Raum geben“, sagte Initiator Stufler, und mit Bürgern ins Gespräch kommen, diskutieren. „Hier in Mainz muss sich was bewegen“, forderte der Vorsitzende der Freien Wähler Mainz, Gerhard Wenderoth: „Es wird Zeit, die rote Macht abzulösen, die seit 1949 Mainz regiert.“
Zur Neuaufstellung gehört auch die Vision einer Smart-Green-City für Mainz, einer modernen Stadtentwicklung nach dem Vorbild von Städten wie Kopenhagen, Oslo oder Melbourne. Dazu gehört für die Freien Wähler eine intelligent vernetze Infrastruktur mit Bus, Bahn, Bike- und Car-Sharing, ein besseres Parkplatzmanagement in der Stadt, Stärkung von Bus und Bahn durch 365 Euro-Jahresticket, eine bessere Radinfrastruktur sowie eine optimale ÖPNV-Anbindung von Rheinhessen an Mainz.
Ein grünes Rheinufer als Naherholungsgebiet, aktive Baumbepflanzungen und „vertikale Gärten“ gehören zu weiteren Forderungen der Freien Wähler. Zum Bereich „Smart“ gehören für die Freien Wähler ferner die digitale Kommune mit Behördengängen online, einen digitalen Einkaufsführer als Online-Schaufenster für den Einzelhandel und eine Mainz.app zur Vernetzung aller Online-Angebote.
„Unsere Vorstellung geht sogar noch etwas weiter, deswegen kommt zu Smart und Green auch das Clean und Clear“, heißt es zum Programm weiter: „Unser Mainz der Zukunft
sollte nicht nur sauberer aussehen, sondern vor allem auch die Transparenz in den Mittelpunkt stellen.“ Die Freien Wähler fordern deshalb, eine vollständige Umsetzung des Transparenzgesetzes in Mainz, auch „als wesentliche Grundlage für mehr Bürgerbeteiligung“ – diese sollte durch Leitlinien verbindlich festgelegt werden.
In der Affäre um den anonymen Brief forderten die Freien Wähler konsequenterweise ebenso wie die ÖDP ein professionelles Compliance-Management gegen Korruption und eine Reduzierung der städtischen Gesellschaften und Beteiligungen. Zum Bereich „Clean“ gehören weiter die Forderung nach einer sauberen Stadt durch deutlich höhere Geldbußen, mehr Personal im Ordnungsamt zur Kontrolle von Plätzen und Parks sowie ein „Anti-Graffiti-Team“.
„Ein FREIES 5×5 für mehr Lebensqualität in Mainz“, lautet die Überschrift über dieses neue Wahlprogramm, 25 Gründe zählen die Freien Wähler auf. Den fünften Punkt nennen sie schlicht „Mainz“, darin heißt es: die Weltmarke Gutenbergstadt professionell entwickeln, die Bedeutung als Great-Wine-Capital touristisch besser nutzen, ein deutlicher Ausbau der Wirtschaftsförderung sowie ein selbstbewussteres Auftreten gegenüber Land und Bund. „Machen statt Meckern“, heißt es bei den Freuen Wählern selbstbewusst – wie viele Mainzer sie damit überzeugen können, wird sich am 26. Mai zeigen.
Info& auf Mainz&: Mehr zu den Freien Wählern und ihren Ideen findet Ihr hier im Internet, im Wahlkampfendspurt gibt es am heutigen Freitag noch einmal eine Sprechstunde im Freiraum in der Gaustraße (Unteres Ende) von 16.00 bis 18.00 Uhr. Am Samstag sind die Freien Wähler noch einmal mit einem Infostand an der Römerpassage zu finden, und zwar von 11.00 bis 14.00 Uhr.
Kommunalwahl&: Dieser Artikel ist Teil unserer Serie im Vorfeld der Kommunalwahl, dabei stellen wir (nach Möglichkeit) alle bisher im Stadtrat vertretenen Parteien in einer Analyse und mit ihren Wahlprogrammen vor. Die anderen Artikel findet Ihr hier:
- „Mainz für Alle“ – SPD wirbt im Kommunalwahlkampf mit bezahlbarem Wohnen, guten Kitas und besserer Mobilität
- „Wir bauen neue Brücken für Mainz“ – Mainzer CDU zieht mit Infrastrukturprojekten in Kommunalwahl – Endspurt mit Rotem Sofa
- FDP setzt bei Kommunalwahl auf eine neue Rheinbrücke, starke Wirtschaft – und neue Standorte für Wohngebiete
- „Partei der Bürger“, Kampf für Grünflächen, guten ÖPNV, Mainz-Masterplan – ÖDP hofft am Sonntag auf Zugewinne
- Linke: Mit Sozialismus, Solidarität und bezahlbarem Wohnraum in die Kommunalwahl 2019
- „Klar!“: Grüne treten mit Klimaschutz, grüner Mobilität und bezahlbarem Wohnraum zur Kommunalwahl 2019 an
Weitere Artikel zur Kommunalwahl:
- Quartiersprojekte, Leerstände, Wirtschaftsförderung – Fachkräfteforum Mainz befragte Kommunalpolitiker zur Förderung des Mittelstandes
- „Unüberschaubar, undefinierbar, ungerecht“ – CDU und FDP fordern Abschaffung der Straßenausbaubeiträge, SPD und Grüne dagegen – UPDATE und Kommentar