Fünf Stunden – so lange musste am Mittwoch mancher Mainzer vor dem Impfbus in der Mainzer Innenstadt auf die begehrte Spritze warten. Der Impfbus des Landes wurde völlig von Impfwilligen überrannt, viele holten sich hier ihre dritte Booster-Impfung, erstaunlich viele aber auch ihre zweite Corona-Impfung. Die Booster-Impfungen haben zu einem völligen Chaos geführt: Praxen überrannt, Impfzentrum weiter dicht, Anmeldeseite des Landes vergibt Termine erst nach Wochen. Angesichts des erneuten Impfchaoses fordern die Freien Wähler, umgehend alle 31 Impfzentren des Landes wieder zu öffnen, die CDU fordert einen Impf-Turbo, das BBK bietet Impfcontainer an – und die Kritik wächst.
Der Mann mittleren Alters hat sein Ziel fast erreicht: Endlich ist er der erste in der Schlange vor dem Impfbus des Landes, der auf dem Karmeliterplatz Station gemacht hat. Wann er sich angestellt hat? „Um 9.00 Uhr“, sagte er. Jetzt ist es kurz vor 14.00 Uhr am Mittag, und die rettende Spritze endlich in Sicht – nach geschlagenen fünf Stunden. Es ist seine zweite Impfung, die erste sei „auch eine Spontanaktion gewesen“, erzählt er, bei seinem Sohn in der Schule.
Der Mann ist mitnichten der Einzige: Hunderte drängten sich am Mittwoch in der Mainzer Innenstadt, um eine Corona-Impfung zu ergattern, die Schlange der Wartenden reichte zeitweise vom Karmeliterplatz über den Flachsmarkt und durch die gesamte Bauerngasse bis hinunter zur Rheinstraße. Eine Gruppe junger Frauen wartet inzwischen immerhin in Höhe der Christophkirche – auch sie stehen seit 9.30 Uhr in der Schlange, auch sie wollen sich ihre zweite Impfung holen.
Wochenlang, Monatelang hatte die Politik die Menschen angefleht, sich impfen zu lassen, Anfang November gab Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) gar in Rheinland-Pfalz die Booster-Impfung für alle Zweifach-Geimpften nach Ablauf von sechs Monaten frei, deutlich früher als der Rest der Republik. Doch der Minister setzte dafür ganz auf die Hausärzte, die Impfzentren blieben geschlossen – das Ergebnis: die Hausärzte werden überrannt. 80 Anrufe habe man derzeit – und zwar pro Minute, berichtet da etwa eine Hausarztpraxis aus dem Mainzer Süden. Wer hier normaler Patient ist und ein normales Anliegen hat, hat keine Chance auf Durchkommen.
Am Donnerstag schwenkte nun auch die Ständige Impfkommission (Stiko) um und empfahl die Booster-Impfung für alle ab 18 Jahren nach Ablauf von sechs Monaten nach der zweiten Impfung. Nun suchen die Menschen händeringend Impfmöglichkeiten – und werden abgewiesen. „Mein Hausarzt hat frühestens im Januar einen Termin“, erzählt die alte Dame in der Schlange vor dem Impfbus – zu spät für die Seniorin, die nun mit ihrem Rollator in eisiger Kälte seit zwei Stunden ansteht.
Die Seniorin ist mitnichten ein Einzelfall: „Ich möchte geimpft werden, meine 2. Impfung liegt sechs Monate zurück, ich bin 71 Jahre alt und Risikopatient“, berichtet eine Mainz&-Leser via Zuschrift- doch sein Hausarzt habe frühestens einen Impftermin in seiner Praxis am 9. Februar 2022. „Ich finde die täglichen Vertröstungen beim Boostern nur noch unverschämt“, schimpft er, „kein Wunder, dass Deutschland eine so hohe Infektionsrate hat.“
Und es trifft nicht nur die Senioren: Ein junger Pfleger steht ebenfalls in der Schlange vor dem Impfbus, im April hatte er seine zweite Impfung, im Altenheim – jetzt würde er sich gerne dringend boostern lassen, doch ob er an diesem Mittwoch noch an die Reihe kommt, weiß er nicht. „Die sagen vorne, auf eigene Gefahr“, sagte er nur, und wundert sich: Wieso die Booster-Impfungen nicht besser vorbereitet worden seien? „Da sagen sie, alle solle sich impfen lassen, aber wer es dann machen soll, ist überhaupt nicht geplant“, kritisiert er.
Beim Land Rheinland-Pfalz verweist man auf die gerade vereinbarte Wideröffnung von acht Impfzentren, die im Stand By-Modus gehalten worden waren, kommende Woche sollen die wieder ihre Pforten öffnen – doch die Kommunen kämpfen mit der Umsetzung. Hauptproblem: Das Personal ist nicht mehr da. In Ingelheim heißt es, man arbeite „derzeit mit Hochdruck daran, das Impfzentrum zu reaktivieren“, doch dafür brauche man zunächst wieder Personal. Schon ab Mittwoch, den 24. November, soll hier wieder geimpft werden. „Der Auftrag des Landes zur Öffnung des Zentrums kam sehr kurzfristig“, stöhnte Landrätin Dorothea Schäfer (CDU) – jetzt sei es „eine Herkulesaufgabe, innerhalb weniger Tage das Zentrum wieder zu aktivieren.“
In Mainz ist man so weit noch lange nicht, dort heißt es bislang lediglich, man wolle das Zentrum An der Bruchspitze „so schnell wie möglich wieder öffnen“, brauche aber erst einmal Personal – eine dafür eigens eingerichtete Internetseite war schon nach kürzester Zeit nicht mehr erreichbar und abgeschaltet. Die Mainzer CDU schimpfte, das Land, aber auch die Stadt Mainz hätten komplett versagt: „Die Ereignisse zeigen deutlich, dass die Schließung des Impfzentrums ein Fehler war“, schimpfte CDU-Kreischef Thomas Gerster. Das Land habe wochenlang untätig den steigenden Corona-Inzidenzen zugesehen, die Stadt wiederum „hätte sich früher dafür einsetzen müssen, dass das Impfzentrum in Gonsenheim wieder öffnet“, betonte Gerster: „Der Oberbürgermeister hat es zu verantworten, dass am Mittwoch viele Menschen in der Kälte auf ihre Impfung gewartet haben.“
Auch die CDU im Land kritisierte, die Pläne der Ampel-Koalition im Land reichten bei Weitem nicht aus. „Es gibt in Deutschland flächendeckend Hunderttausende, die sich impfen lassen wollen“, sagte CDU-Fraktionschef Christian Baldauf, das zeigten die kilometerlangen Schlangen vor den Impfbussen oder auch die riesige Nachfrage bei Hausärzten und Kliniken, die nicht befriedigt werden könne. „Es ist ein Unding, dass die Politik auf die dringende Notwendigkeit der Impfung hinweist, die Menschen zur Impfung aufruft, dann aber nicht die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung stellt“, schimpfte Baldauf.
Die Freien Wähler im Landtag kritisierten, die Regierung „stolpert in die vierte Welle“, es müssten umgehend wieder alle ursprünglich 31 Impfzentren im Land im Land wieder geöffnet werden. Das allerdings dürfte schwierig sein: die meisten dieser Impfzentren sind längst vollständig zurückgebaut, die Hallen anderweitig belegt – und die Ärzte inzwischen fest in ihren Praxen gebunden. „Wir brauche jetzt sofort einen Impfturbo“, forderte aber auch Baldauf – das gehe nur, wenn alle Impfzentren, bei denen das kurzfristig möglich sei, wieder die Arbeit aufnähmen.
„Es muss jetzt jede Hand genutzt werden, die fachlich in der Lage und dazu bereit ist, eine Impfung vorzunehmen“, forderte Baldauf zudem: Er erwarte von der Landesregierung, dass sie nun auf eine Einbindung der Apotheken hinwirke, es müssten Ruhestandsärzte reaktiviert und alle Humanmediziner von Augenärzten bis hin zu Zahnärzten einbezogen werden. „Auch entsprechend vorgebildete Medizinstudenten in höheren Semestern können da sicherlich helfen“, sagte Baldauf.
Auch von anderen Seiten kommen Hilfsangebote: Die Malteser teilten mit, man stehe im Kampf gegen die Pandemie zur Verfügung und appelliere an Länder und Gemeinden, das gesamte Potential auch abzurufen. „Wir Malteser haben noch 6 Impfzentren und 33 mobile Impfteams im Einsatz, sind aber in der Lage, unsere Kapazitäten schnell auszuweiten“, sagte der Vize-Präsident des Malteser Hilfsdienstes, Albrecht Prinz von Croÿ, allerdings ließen die Strukturen des Katastrophenschutzes eine Aktion des Bundes ohne Zustimmung der Länder nicht zu.
Sogar das Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) meldete sich zu Wort und bot gemeinsam mit dem Technischen Hilfswerk den Bundesländern Unterstützung an: „Wir sind der tiefen Überzeugung, dass die Krisenbewältigung eine gemeinschaftliche Aufgabe zwischen Bund und Ländern ist“, sagte BBK-Präsident Armin Schuster – man biete deshalb den Ländern nun „alle zur Verfügung stehenden Mittel zur Bewältigung der 4. Welle der Corona-Pandemie an.“ Das BBK könne bei der Einsatzkoordination von Engpassressourcen und bei der Verlegung von Intensivpatienten helfen, man habe mobile Einheiten wie etwa Großraumzelte und sogar Impfcontainer, die für Betreuung und medizinische Hilfe im Kriegsfall vorgehalten würden, nun aber bei der Pandemie zum Einsatz kommen könnten.
Man könne mobile Betreuungsmodule des Pilotprojektes „Labor Betreuung 5000“ bereitstellen, um Lastspitzen bei der Bereitstellung von Infrastruktur zum Impfen kurzfristig abdecken zu können, bot Schuster an: Das BBK habe das Projekt nach der Flüchtlingskrise gemeinsam mit dem Deutschen Roten Kreuz als Hauptprojektpartner und weiteren Hilfsorganisationen entwickelt. Dazu gehörten etwa Großraumzelte, mobile Arztpraxen und Multifunktionszellen, also Container mit kompletter Infrastruktur wie Strom.
Auch die Geräte und Materialien der 61 Medizinischen Task Forces (MTF) des Bundes stünden für den Einsatz gegen die Pandemie zur Verfügung – dazu gehörten Krankenwagen und Gerätewagen Sanität etwa für den Aufbau von mobilen Impf- und Teststellen. – insgesamt rund 966 Krankenwagen und 464 Gerätewagen. Das Technische Hilfswerk wiederum bot Unterstützung für den (Wieder-)Aufbau von Impfzentren, Corona-Teststationen und Hygienestationen an, man habe auch noch mobile Impfstationen samt Personal im Portfolio, sagte der Präsident des Technischen Hilfswerks, Gerd Friedsam.
Das Land Rheinland-Pfalz startete derweil am Donnerstag die zentrale Anmeldeplattform für die Booster-Impfungen in den wiederzueröffnenden Impfzentren – und wurde ebenfalls überrannt. Bis zum frühen Nachmittag hatten sich bereits rund 15.000 Menschen für einen Impftermin über das Anmeldeverfahren registriert, teilte die Landesregierung mit, allein 13.000 davon für eine Booster-Impfung. „Mit der Öffnung der Impfzentren sowie der Etablierung von 21 Impfstellen an Krankenhausstandorten, mit der verdoppelten Anzahl an Impfbussen und dem Einsatz mobiler Teams ergänzt die Landesregierung die Impfangebote der niedergelassenen Ärzte im Land“, teilte Gesundheitsminister Hoch mit.
Terminvereinbarungen für die Impfzentren sind für reguläre Impfungen für Personen ab 12 Jahren möglich, Booster-Impfungen mit einem Abstand von sechs Monaten nach der zweiten Impfung – doch auch hier hakte es zum Start offenbar gewaltig. Er habe sich für eine Booster-Impfung anmelden wollen, berichtete ein Nutzer auf der Facebookseite der Landesregierung – und sei abgewiesen worden, weil seine letzte Impfung noch keine sechs Monate her sei. „Bedeutet das, dass ich überhaupt erst einen Termin machen kann, wenn die sechs Monate rum sind“, fragte sich der Mann verdutzt – „dann bekäme ich die Boosterimpfung ja erst nach den empfohlenen sechs Monaten.“
Auch andere Impfwillige erlebten das: „Aufgrund der Vielzahl der Anmeldungen kann es bei der Bearbeitung der Anfragen zu längeren Wartezeiten kommen“, teilte die Hotline einem Terminsuchenden schriftlich mit: „Sobald die Möglichkeit einer Terminvereinbarung besteht, werden wir Ihre Anfrage bearbeiten und Ihnen einen Termin für die Impfung mitteilen.“
Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema Booster-Impfungen, und wie sinnvoll das ist, lest Ihr hier bei Mainz&. Acht Impzentren in Rheinland-Pfalz sollen kommenden Mittwoch wieder öffnen, darunter das Impfzentrum Ingelheim, nicht aber das Impfzentrum Mainz. In Ingelheim soll ab dem 24. November zunächst werktäglich von 8.00 bis 16.00 Uhr geimpft werden, hauptsächlich mit Biontech, auf Nachfrage auch mit Moderna. Einen Termin kann man jedoch NUR über die Landesseite www.impftermin.rlp.de ausmachen, für eine Erst-, Zweit- oder Auffrischungsimpfung. Alternativ können Impftermine auch telefonisch unter der Telefonnummer 0800 – 57 58 100 vereinbart werden.
Die Stadt Mainz weist zudem auf Änderungen bei den nächsten Impfbus-Terminen hin: Noch zweimal kommt ein Impfbus des Landes im November nach Mainz, die Daten sind nun Folgende:
Sonntag, 28. November 2021, 9.00 bis 17.00 Uhr
neu: an der Sporthalle der BBS I und III Am Judensand 8, 55122 Mainz
Dienstag, 30. November 2021, neu: 8.00 bis 15.00 Uhr
neu: an der Sporthalle Mombach „Am Großen Sand“, Obere Kreuzstraße 9-13, 55120 Mainz