Es war ein finsteres Kapitel in der Geschichte von Mainz: Juden, Sinti und Roma sowie Homosexuelle wurden am alten Mainzer Güterbahnhof in Güterzüge gepfercht und in die Vernichtungslager Treblinka und Theresienstadt deportiert. 1.131 Menschen wurden bis Kriegsende verschleppt, nun soll der ehemalige Mainzer Güterbahnhof endlich zum Gedenkort werden – nach elf Jahren Planung. Die Bauarbeiten für den „Gedenkort Deportationsrampe“ an der Mombacher Straße haben begonnen, entstehen soll ein Ort, der an die Gräueltaten der Nationalsozialisten erinnert – und daran, dass Verfolgung jeden treffen kann.

Im November 2014 hatte die Mainzer Kulturdezernentin Marianne Grosse (SPD) einen Ideenwettbewerb gestartet, im März 2017 wurden die Ergebnisse vorgestellt – das Ziel: Den ehemaligen Mainzer Güterbahnhof an der Mombacher Straße, Ecke Goethetunnel zu einem Gedenkort der NS-Zeit zu machen. Denn von hier rollten Güterzüge des Grauens in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten im Osten. An Bord: Menschen mit jüdischem Hintergrund aus Hessen und Mainz sowie etwa 100 Sinti und Roma.
Bereits am 16. Mai 1940 hatten die Nationalsozialisten die etwa 100 in Mainz lebenden Sinti nach Polen verschleppt, das von den Nationalsozialisten besetzt worden war. Eingesetzt wurde dafür ein Sonderzug, ob der allerdings vom Mainzer Hauptbahnhof oder dem wenige Hundert Meter weiter gelegenen Güterbahnhof aus abgefertigt wurde, sei nicht überliefert, heißt es bei der Stadt Mainz. Historisch belegt sei jedoch, dass die nachfolgenden Deportationen von eben diesem Güterbahnhof aus erfolgten, auf dessen Gelände sich heute der Betriebshof der Firma Vlex befindet.
Mehr als 1100 Juden, Sinti und Roma von Mainz aus deportiert
Drei große Massendeportation gingen von dem Güterbahnhof aus Richtung Osten: Am 20. März 1942 wurden 470 Personen deportiert, am 27. September brachte man 453 zumeist ältere Menschen in das Lager Theresienstadt, und am 30. September 1942 dann nochmals 883 hessische Jüdinnen und Juden – darunter 178 aus Mainz – wohl direkt in das Vernichtungslager Treblinka, wo sie gleich nach ihrer Ankunft ermordet wurden. In den Jahren 1943 und 1944 folgten zwei weitere kleinere Transporte, bei denen kleinere Gruppen aus Mainz nach Theresienstadt verschleppt wurden.

Bis Kriegsende waren so fast alle Mainzer Juden, die nicht hatten emigrieren können, deportiert – insgesamt 1131 Menschen. „Nach den Deportationen vom September lebten nur noch 170 Juden unter den schwierigsten Bedingungen in Mainz“, weiß man beim Historikernetzwerk Regionalgeschichte.net: „Am 10. Februar 1943 wurden 53 von ihnen ebenfalls nach Theresienstadt verschleppt. Übrig blieben fast nur Juden, die mit „Ariern“ verheiratet waren. Im Frühjahr 1943 verhafteten die Nationalsozialisten auch etwa zwanzig dieser in „Mischehe“ lebenden Juden. Nach etwa einem Monat im Polizeigefängnis in der Klarastraße wurden einige nach Auschwitz-Birkenau deportiert, während andere in das Arbeitserziehungslager in Frankfurt-Heddernheim kamen. Nur wenige überlebten.“
2013 kaufte die private Bahnfirma Vlex das Grundstück des alten Güterbahnhofs an der Mombacher Straße, beim Bau einer neuen Werkstatt samt Betriebsanlage wurden Reste einer historischen Verladerampe des Mainzer Güterbahnhofs gefunden und sichergestellt – daraus entstand die Idee eines „Gedenkortes Deportationsrampe“. Nun wird der Gedenkort endlich Realität – elf Jahre nach den ersten Planungen. 17 Ideen gingen bei der Stadt Mainz im Rahmen eines Ideenwettbewerbs ein, zum Sieger wurde 2017 der Entwurf der Architekten Schmelzer Weber aus Dresden in Zusammenarbeit mit dem Kunstprofessor Andreas Theurer gekürt.
Gedenkort entsteht auf dem Gelände der Bahnfirma Vlex
Im Mai 2024 meldete die Stadt Mainz, die vorbereitenden Arbeiten hätten begonnen, die Vlexx GmbH lasse nun die notwendigen Bodenarbeiten durch ein Bauunternehmen durchführen – das Unternehmen stellte für den Gedenkort rund 300 Quadratmeter seines Geländes zur Verfügung. Es ging noch einmal ein weiteres Jahr mit Ausführungsplanung und der Ausschreibung und Vergabe der Bauleistungen ins Land, bis die Hauptbauarbeiten beginnen konnten – nun sind sie offiziell gestartet. Die Baumaßnahmen seien „bereits in vollem Gange“, meldete die Stadt Mainz am Donnerstag: Die Baustelleneinrichtungen seien abgeschlossen, Container geliefert und installiert und der Bauzaun errichtet. Auch die Verkehrsführung rund um den Bauplatz sei geändert worden.

In Kürze sollen nun die Tiefbaumaßnahmen beginnen, im Anschluss daran werden die Fundamente der Betonwand hergerichtet, auf der die Betonskulptur errichtet wird. Gleichzeitig werden die historische Mauersegmente der alten Rampe in das Fundament eingelassen, um das historische Erbe des Ortes zu bewahren. Der Gedenkort wird wie ein Torhaus gestaltet sein, auf dem alte Eisenbahnschienen entlang einer langgestreckten Betonwand ins Nichts führen. Auf der Wand sollen die Namen der aus Mainz deportierten Menschen erscheinen, und zwar in Zinn-Bronze-Buchstaben.
In dem Torhaus zur linken Seite aber wird ein riesiger Spiegel aus Edelstahl angebracht, auf den die Eisenbahnschienen zuführen. Der Spiegel soll den Betrachter in die Szene hineinziehen und ihm deutlich machen: Auch Du hättest in diesen Todeszügen landen können. Der Entwurf berücksichtige damit die Täter-Opfer-Beziehung in starkem Maße und integriere die historischen Originalteile „in schlichter, aber symbolhafter Art und Weise in den Gedenkort“, sagte Dezernentin Grosse bei der Vorstellung des Entwurfs 2017.

Torhaus mit riesigem Spiegel, Eisenbahnschienen, Gedenkwand
Der Spiegel wiederum wird mit Zitaten aus Postkarten von Mainzern versehen werden, die nach Piaski deportiert und dort ermordet wurden. In den Granitboden der Gedenkstätte sollen zudem großformatige menschliche Schatten aus hellen und dunklen Steinen eingelassen werden. Bei Sonnenschein kreuzen sich die Schatten der Besucher dann mit den festen Schatten auf dem Boden und sollen erkennbar machen, dass dieses Leid jedem hätte widerfahren können, sagten die Architekten damals selbst: „Als Apell, der nicht vergeht, als Schatten, der bleibt.“

Doch das rund 300 Quadratmeter große Gelände soll nicht nur aus Beton und Granit bestehen, darum herum sollen auch Grünflächen gestaltet werden. „Der geplante Gedenkort rückt ein Stück Mainzer Geschichte in den Mittelpunkt, der niemals in Vergessenheit geraten darf: die Gräueltaten der Nationalsozialisten, zu denen auch die massenhaften Deportationen gehören, die von diesem Ort ausgingen“, hatte Grosse 2024 betont.
Die Gedenkstätte solle an die hier verübten grauenhaften Verbrechen erinnern, aber auch deutlich machen: „Das war nur möglich, weil die gesamte Stadt mitgemacht, weggeschaut oder geschwiegen hat“, betonte Grosse. Der Gedenkort soll nun künftig zufällig vorbeikommende Menschen ebenso ein wie bewusst an dem Gedenkort interessierte Besucher anlocken, auch indem er zur Mombacher Straße hin offen ist. Direkt gegenüber befindet sich zudem der Alte Jüdische Friedhof, der seit Juli 2021 Unesco Weltkulturerbe ist – dort wird derzeit im oberen Bereich das neue Besucherzentrum gebaut. Der Gedenkort Deportationsrampe soll nun Anfang 2026 fertig werden.
Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Text über den Ideenwettbewerb zum Gedenkort Deportationsrampe im Jahr 2017 findet Ihr hier bei Mainz&.