Vor drei Jahren wurde er UNESCO-Weltkulturerbe, vor fünf Jahren begannen bereits die Planungen – nun soll der Alte Jüdische Friedhof in der Mombacher Straße endlich sein besucherzentrum erhalten. Am Montag war offizieller Baustart für das Zentrum, das oberhalb des Friedhofs entstehen soll: Eine erhöhte Plattform solle einen balkonartigen Ausblick über den Friedhof und dessen alte Bäume bieten. Fertig wird das ganze allerdings wohl erst 2026, der Eingang an der Mombacher Straße soll aufgewertet werden, die Verbindung zwischen Zentrum und Eingang ebenfalls.

Der Alte Jüdische Friedhof "Am Judensand" in der Mombacher Straße in Mainz. - Foto: gik
Der Alte Jüdische Friedhof „Am Judensand“ in der Mombacher Straße in Mainz. – Foto: gik

Der Alte Jüdische Friedhof „Am Judensand“ in Mainz gehört zu den ältesten jüdischen Friedhöfen in Europa, auf ihm liegen Legenden der jüdischen Geschichte wie der Rabbiner Gershom ben Jehuda begraben. Gershom ben Jehuda – genannt „Leuchte des Exils“ – lehrte um das Jahr 1000 an einer weithin berühmten Talmudakademie im mittelalterlichen Magenza, das seine Blütezeit als Hochburg jüdischer Kultur und Gelehrsamkeit erlebte. Hier wurde zu jener Zeit das moderne, aschkenasische Judentum entwickelt, auf deren Grundlagen bis heute Juden in aller Welt leben.

Der Friedhof „Am Judensand“ war die Grabstätte für diese blühende Gemeinde, mehrere Hundert Grabsteine umfasst das Gelände zwischen Mombacher Straße und Fritz-Kohl-Straße, rund 180 davon stammen aus dem Mittelalter. Gefunden wurde hier auch der älteste datierbare Grabstein Europas aus dem Jahr 1049, der Stein für einen Jehuda ben Schneur steht heute im Mainzer Landesmuseum.

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Jüdischer Friedhof: Mehrfach zerstört, enteignet, mit Wein bepflanzt

Der heutige Friedhof ist indes kein ungestörtes Denkmal der Vergangenheit: 1096 vernichtete ein Kreuzfahrerheer der Franken auf dem Weg ins Heilige Land jüdische Gemeinden im gesamten Rheinland, auch die Mainzer Gemeinde fiel ihnen zum Opfer. Auch in den Jahrhunderten danach wurde der jüdische Friedhof mehrfach zerstört: 1438 etwa vertrieb die Mainzer Stadtgemeinde die Juden, der damalige Mainzer Erzbischof setzte ihre Rückkehr durch, wie uns der Historiker Christoph Cluse berichtete, Cluse leitet an der Universität Trier das Projekt »Aschkenasische Juden im späten Mittelalter« der DFG-Forschergruppe »Resilienz«.

Der sogenannte "Denkmalfriedhof", der älteste Teil des Jüdischen Friedhofs mit den ältesten Grabsteinen, ist für Besucher nicht zugänglich. - Foto: gik
Der sogenannte „Denkmalfriedhof“, der älteste Teil des Jüdischen Friedhofs mit den ältesten Grabsteinen, ist für Besucher nicht zugänglich. – Foto: gik

Im Sommer 1445 erfolgte die Wiedergründung der jüdischen Gemeinde, weiß man bei der Stadt Mainz. Unter Erzbischof Adolf II. jedoch folgten erneute Vertreibungen und schließlich 1470/71 die Ausweisung der Juden aus dem gesamten Mainzer Erzstift. Auch der Jüdische Friedhof wurde enteignet, das Gelände zum Teil untergepflügt, ein Weinberg ist dort verzeichnet. 20 Jahre später wurde der Friedhof den Juden zurück gegeben – allerdings nicht in voller Größe.

1926, während der neuerlichen Blüte der jüdischen Gemeinde in der Kaiserzeit, richtete die Mainzer Gemeinde unter Leitung der Rabbiner Salfeld und Sali Levi im ältesten Bereich des Friedhofs Am Judensand einen sogenannten „Denkmalfriedhof“ ein: Die alten jüdischen Grabsteinen wurden aufgerichtet, neu angeordnet und nach Osten ausgerichtet – bis heute weiß man deshalb nicht genau, wo die ursprünglichen Gräber liegen.

Die Mainzer Gemeinde geht deshalb mit dem Gelände durchaus strikt um: Nach dem jüdischen Religionsgesetz, der Halacha, darf die Totenruhe auf keinen Fall gestört werden, der Friedhof gilt deshalb als unantastbar – Besucher dürfen sich deshalb auf dem jüngeren Teil des Friedhofs nur auf bestimmten Wegen bewegen, Nicht-Juden den Denkmalfriedhof mit den ältesten Steinen gar nicht betreten. Das ist durchaus ein Problem, zieht der Friedhof doch vor allem seit seiner Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe im Jahr 2021 immer mehr Besucher an – gerade auch Juden aus aller Welt.

Neues Besucherzentrum soll 2026 eröffnet werden

Die Stadt Mainz beschloss deshalb auch bereits 2019, ein Besucherzentrum auf den Weg zu bringen, ein Gestaltungswettbewerb wurde ausgelobt – die Realisierung ließ jedoch noch fünf Jahre auf sich warten: An diesem Montag feierte die Stadt den offiziellen Baustart für das Zentrum, das oberhalb des Friedhofs seinen Platz haben wird. Die Fertigstellung ist für das Jahr 2025 geplant, eröffnet werden soll es aber erst 2026 – im Jubiläumsjahr des Denkmalfriedhofs. „Wir wollen die SchUM-Stätten als lebendige Zeugnisse einer einzigartigen Geschichte erhalten und der Welt zugänglich machen“, sagte Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) zum Baustart. Gleichzeitig wolle man christlich-jüdische Geschichte in all ihrer Vielfalt vermitteln.

So soll das neue Besucherzentrum oberhalb des Alten Jüdischen Friedhofs einmal aussehen. - Grafik: Stadt Mainz
So soll das neue Besucherzentrum oberhalb des Alten Jüdischen Friedhofs einmal aussehen. – Grafik: Stadt Mainz

In dem Zentrum sollen sich dann Besucher aus aller Welt „über die reiche Geschichte der SchUM-Stätten informieren, gleichzeitig ermöglicht das Zentrum eine, die Regeln der Halacha respektierende, behutsame touristische Erschließung“, heißt es von Seiten der Stadt. „Wir stehen vor der Herausforderung, einen Friedhof touristisch zu erschließen, ohne seinen Charakter als heiligen Ort der Ruhe zu verändern“, sagte Kulturdezernentin Marianne Grosse (SPD) denn auch. Die Stadt habe sich verpflichtet, den Friedhof im Einklang mit den jüdischen Traditionen zu verwalten und für künftige Generationen zu erhalten.

Dabei stehe insbesondere der Erhalt der Grabsteine im Vordergrund, sagte Grosse weiter: „Die Konservierung und Sanierung der Inschriften und Grabsteine ist eine Maßnahme, die über elf Jahre andauern, und von der Landeshauptstadt in Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz finanziert wird.“ Seit 2023 habe man bereits 100 Inschriften sichern können, bis 2033 werde die Hälfte der insgesamt 1.700 Grabsteine saniert sein. Ein besonderes Augenmerk liege dabei auf der Standfestigkeit der Grabsteine, die bis Ende des Jahres für 75 Gräber gewährleistet werden soll.

Geschichten der Grabsteine sollen digital aufgearbeitet werden

Die Geschichten, die die Grabsteine erzählen – Geschichten starker jüdischer Frauen, von Kaufleuten, Kindern und ermordeten Reisenden – sollen künftig durch digitale Aufarbeitung weltweit zugänglich gemacht werden, kündigte Grosse zudem an: „Die Vermessung und digitale Erfassung aller 1.700 Grabsteine ermöglicht eine präzise Verwaltung und langfristige Pflege der Stätte.“ Auch solle die internationale Bekanntheit der SchUM-Stätten durch kostenfreie Führungen und Spendenkampagnen weiter gesteigert werden.

Der Alte Jüdische Friedhof in Mainz: Rund 1.700 Gräber, darunter die ältesten Europas. - Foto: gik
Der Alte Jüdische Friedhof in Mainz: Rund 1.700 Gräber, darunter die ältesten Europas. – Foto: gik

Doch das Besucherzentrum liegt ein ganzes Stück vom eigentlichen Eingang des Friedhofs entfernt – der liegt nämlich unterhalb an der Mombacher Straße. Dort soll der Eingangsbereich ebenfalls aufgewertet werden, sagte Grosse nun: „Durch die Neugestaltung des Gehwegs an der Mombacher Straße entsteht vor dem Eingang eine platzartige Situation, die eine Zäsur im Stadtbild bildet und die Aufmerksamkeit von Passanten sowie Radfahrenden auf den Friedhof lenkt.“ Eine architektonisch ansprechende Überdachung am Eingang, Sitzmöglichkeiten mit Blick auf den Friedhof und informative Tafeln über den Friedhof sollten einen einladenden Rahmen schaffen.

Haltestellen für Reisebusse am Eingang Mombacher Straße sieht das Besucherkonzept jedoch ebenso wenig vor, wie Parkmöglichkeiten für Besucherautos, die Reisebusse sollen stattdessen das Besucherzentrum oberhalb ansteuern – eine Wendemöglichkeit für Reisebusse sei „in die Planungen integriert“, hieß es nur. Die Fußwegeverbindung zwischen der Mombacher Straße und der Paul-Denis-Straße soll saniert werden, wie Besucher mit Gehschwierigkeiten oder Behinderungen die bislang steile und nicht eben kurze Wegstrecke bewältigen sollen, ist bislang unklar. Wie das mit der umstrittenen Umgestaltung der Mombacher Straße koordiniert werden soll, dazu machte die Stadt keine Angaben.

Mombacher Straße: Aufwertung für Eingangsbereich, keine Parkplätze

Das neue Besucherzentrum werde aber „auf einer erhöhten Plattform errichtet, die einen faszinierenden Ausblick über den Friedhof und dessen alte Bäume bietet“, so die Stadt weiter: „Die balkonartige Platzsituation ermöglicht den Besuchern nicht nur eine besondere Perspektive auf die Grabsteine, sondern schafft auch einen Treffpunkt und Verweilort, der zum Innehalten und zur Reflexion einlädt.“ Die Umgebung des Zentrums soll mit zusätzlichen Bäumen bepflanzt, bestehende Grünflächen „weitestgehend erhalten“ werden.

Die Mombacher Straße entlang des Alten Jüdischen Friedhofs bisher. - Foto: gik
Die Mombacher Straße entlang des Alten Jüdischen Friedhofs bisher. – Foto: gik

Die Eingriffe auf dem Friedhof selbst würden auf ein Minimum beschränkt, sagte Grosse weiter: „Lediglich die Wegefläche wird dezent überarbeitet und einige Spolien der ehemaligen 1938 zerstörten Hauptsynagoge behutsam verlagert.“ Ein zentrales Element des Projekts sei zudem „die sogenannte sprechende Hülle – eine durchgängige Eibenhecke von rund 550 Metern Länge, die den Friedhof wie eine schützende Schatulle umgibt. “ Zusammen mit einem anthrazitfarbenen Lamellenzaun und gezielt platzierten Sichtfenstern werde „eine ästhetische Einfriedung entstehen, die die Würde und Bedeutung des Ortes unterstreicht.“

Grabsteine aus dem 19. Jahrhundert auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Mainz. - Foto: gik
Grabsteine aus dem 19. Jahrhundert auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Mainz. – Foto: gik

Der Denkmalfriedhof bleibt nämlich auch weiter gläubigen Juden vorbehalten, ein Rundweg solle aber „allen Besuchern faszinierende Ausblicke auf die wertvollen Grabsteine ermöglichen“, so Grosse weiter. „Der Alte Jüdische Friedhof ist ein hochsensibler Ort, der aktuell nur auf Anfrage geöffnet wird und auch zukünftig nur eingeschränkt begangen werden soll“, sagte Haase: „Unser Ziel ist es, die große Bedeutung, die SchUM für die jüdische Welt besaß und immer noch besitzt, sichtbar zu machen.“

Mainz verfüge über ein außergewöhnliches Kulturerbe, mit der Aufwertung und besseren Präsentation dieser Monumente biete sich „die Möglichkeit, die internationale Wahrnehmung der einstigen ‚Wiege der Gelehrsamkeit‘ zu erhöhen“, und die Bedeutung der SchUM-Gemeinden Speyer, Worms und Mainz auch außerhalb der jüdischen Gemeinden international zu verankern.

Info& auf Mainz&: Mehr zur Bedeutung und Geschichte des Alten Jüdischen Friedhofs von Mainz lest Ihr hier bei Mainz&. Die Umgestaltung der Mombacher Straße entlang des Friedhofs war zuletzt stark umstritten, weil Grün- und Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) hier dafür eine Reihe der alten Bäume fällen will, mehr dazu lest Ihr hier bei Mainz&.