Kurz vor den Sommerferien hat Rheinland-Pfalz einen Wendepunkt in der Impfkampagne erreicht: „Endlich haben wir genügend Impfstoff“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Dienstag in Mainz, das neue Problem: Nun sinkt die Zahl der Impfwilligen. Das Land ändert deshalb seine Impfstrategie: Bereits ab heute gibt es freie Terminwahl und freie Ortswahl in den Impfzentren des Landes, ab August soll es „Impfen to Go“ an vielen dezentralen Orten geben – und eine Hotline zum Thema Impfen für Kinder. Von einer sicheren Impfquote im Kampf gegen die neue Delta-Mutante ist Deutschland noch immer weit entfernt.
Deutschland steht in Sachen Corona-Pandemie wieder einmal an einem Wendepunkt: Seit einigen Tagen steigen die Inzidenzen wieder leicht an, viele europäische Nachbarländer verzeichnen bereits rasant steigende Zahlen von Neuinfektionen – durch Europa rollt die Delta-Welle. „Das Virus macht keine Pause, es gönnt auch uns keine Pause“, warnte am Dienstag der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, in Berlin. Und tatsächlich verzeichnet auch Rheinland-Pfalz wieder erste leicht steigende Infektionszahlen, in Mainz kletterte die Sieben-Tage-Inzidenz erstmals seit Wochen wieder in den zweistelligen Bereich – auf 11,4.
Die Folgen der neuen Welle sind indes noch unklar: Noch führt die neueste Corona-Welle nicht automatisch auch zu einem deutlichen Anstieg von schwerkranken Menschen auf den Intensivstationen, in Großbritannien allerdings verdreifachte sich die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen jüngst wieder – am Dienstag meldete das Inselland rund 36.600 neue Infektionen an einem Tag sowie 50 Corona-Tote, so viel wie zuletzt im März. Auch in Deutschland steige die Inzidenz wieder, „der R-Faktor ist wieder über 1“, mahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin, das Problem dabei: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine neue Mutation auftrete, sei hoch, wenn auch die Fallzahlen wieder stiegen. Die Frage sei deshalb: „Wie verhindern wir, dass zu viele Mutationen entstehen“, sagte Merkel.,
Die Antwort der Wissenschaft und der Politik ist eindeutig: Impfen. Ließen sich nicht genügend Menschen impfen, werde es wieder zu hohen Fallzahlen kommen, betonte Merkel, die Frage sei nun: „Wie groß muss die Impfquote sein, damit wir auch mit dieser aggressiveren Variante klarkommen?“ Die Antwort der Experten des Robert-Koch-Instituts (RKI) laute: Eine Impfquote von 85 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen und von 90 Prozent bei den Über-60-Jährigen sei notwendig, um den Anstieg der Infektionszahlen beherrschbar zu machen. „Von diesen Impfquoten sind wir noch weit entfernt“, mahnte Merkel zugleich und warb nachdrücklich für die Corona-Impfung: „Niemand ist für sich allein geschützt“, betonte die Kanzlerin.
Die Impfung möge manchem „überflüssig erscheinen, weil man sich für unverwundbar hält“, anderen hingegen „bedrohlich“ wegen der Neuartigkeit der Impfstoffe oder weil sie „nur Bruchstücke von Informationen haben“, sagte Merkel weiter. Sie sage aber „allen, die sich noch unsicher sind, ob sie sich impfen lassen sollen: Eine Impfung schützt nicht nur Sie, sondern immer jemanden, dem Sie nahe stehen, der Ihnen wichtig ist, den Sie lieben.“ Eine Impfung erleichtere zudem auch das tägliche Leben, betonte Merkel weiter: „Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein, umso freier werden wir wieder leben.“
„Die Impfung schützt den einzelnen vor schwerer Krankheit, sie schützt aber auch die Gesellschaft“, betonte auch Ministerpräsidentin Dreyer in Mainz. Eine hohe Impfrate bedeute weniger schwere Krankheitsverläufe, aber auch mehr Schutz für die, die sich nicht impfen lassen könnten – etwa für die Kinder. „Ich schütze mich, ich schütze dich, Du schützt mich, dieser Spruch gilt genauso jetzt auch beim Impfen“, betonte Dreyer: „Ich appelliere noch einmal an die Bürger: Bitte nehmen sie die Angebote zum Impfen an.“
Das Problem dabei: Kurz vor dem Start in die Sommerferien ringt das Land mit einer sinkenden Impfbereitschaft. Nach Angaben von Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) befinden sich im Wartepool des Landes derzeit nur noch 8.000 Personen ohne einen Impftermin, rund 50.000 weitere hätten den Termin für ihre Erstimpfung bereits erhalten. „Alle Registrierte, die sich aktuell noch im Wartepool befinden, werden bis Ende Juli einen Impftermin erhalten“, betonte Hoch.
Stand Dienstag waren in Rheinland-Pfalz mehr als 2,2 Millionen Bürger erst-, und rund 1,7 Millionen zweitgeimpft, das entspricht 59,6 Prozent bei den Erstimpfungen und 42,3 Prozent bei den Zweitimpfungen. Damit ist Rheinland-Pfalz aber – wie Deutschland insgesamt – noch ein ganzes Stück von der notwendigen Quote von 85 Prozent entfernt, die für einen Stopp der Corona-Pandemie notwendig wäre.
Zum Problem wird dabei auch die Nicht-Empfehlung der Ständigen Impfkommission zu generellen Impfungen bei Kindern: Die Stiko hat bislang nur die Impfung für Kinder ab 12 Jahren mit schweren Vorerkrankungen empfohlen, obwohl der Impfstoff von Biontech für Kinder ab 12 Jahren offiziell zugelassen ist, und alleine in den USA bereits mehr als drei Millionen mal an Kinder und Jugendliche verimpft wurde, ohne dass in größerem Umfang Probleme damit auftauchten.
Weil die Stiko aber keine generelle Impfempfehlung für Kinder ausgegeben hat, sind viele Eltern verunsichert, dazu lehnen viele Kinderärzte die Impfung nun generell ab, obwohl sie die Stiko nach ärztlicher Beratung ausdrücklich zugelassen hat. Dreyer räumte nun ein, es gebe zunehmend Berichte von Bürgern, die deshalb keine Ärzte fänden, die ihre Kinder impfen wollten. Ab Montag können sich Eltern nun unter der Rufnummer 116117 Informationen holen, welche Ärzte in Rheinland-Pfalz Kinder zu impfen bereit sind.
Rheinland-Pfalz will zudem nun vermehrt für die Corona-Impfung werben, und ändert grundlegend seine Impfstrategie: Bereits vom heutigen Mittwoch, den 14. Juli an, können sich die Rheinland-Pfälzer ihr Impfzentrum frei und ohne Bindung an den Wohnort wählen. Ein Ampel-System soll zudem den Status freier Termine anzeigen, das sei „ein weiterer Schritt, um den Menschen noch mehr niedrigschwellige und unkomplizierte Angebote zu machen, und die Hürden für eine Schutzimpfung abzubauen“, sagte Gesundheitsminister Hoch.
Zum 1. August werden die Impfzentren dann komplett geöffnet, dann sollen hier Impfungen für alle ohne vorherige Terminvergabe möglich sein. Das Land will zudem Impfbusse in die Städte schicken, damit sich die Bürger an vielen Stellen ohne Aufwand impfen lassen können. „Wir wollen Gebiete identifizieren, die eine niedrige Impfquote haben“, sagte Dreyer, dort sollten die Menschen dann gezielt angesprochen und bewegt werden, ihre Impfbereitschaft noch einmal zu überdenken. Eine Impfpflicht lehnte Dreyer aber ebenso ab wie die Bundesregierung. „Wir haben nicht die Absicht, diesen Weg zu gehen, den Frankreich vorgeschlagen hat“, sagte Merkel in Berlin – Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte am Montag eine Impfflicht für Bedienstete in Gesundheits- und Pflegeberufen angekündigt.
Die Impfzenten des Landes sollen nun aber doch Ende September geschlossen werden. Die Zentren hätten sich zwar in einer Phase massenhafter Impfungen „als wichtige und stabile Säule erwiesen“, betonte Hoch, diese Phase sei nun aber vorbei. Künftig könne die Impfkampagne von den Ärzten gestemmt werde, das gelte auch für eventuelle Auffrischungsimpfungen im Herbst. Neun Impfzentren, darunter auch Koblenz und Mainz, sollen aber in Bereitschaft bleiben, um bei Bedarf wieder hochgefahren werden zu können.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema der neuen Delta-Welle könnt Ihr hier bei Mainz& lesen, einen ausführlichen Text über das Impfen bei Kindern findet Ihr hier bei Mainz&. Grundlegende Erklärungen, wie die neuen Corona-Impfstoffe wirken, findet Ihr in diesem Text über den Corona-Impf-Comic der Mainzer Universitätsmedizin. In Mainz gibt es derzeit auch eine Sonder-Impfaktion mit Johnson & Johnson Impfstoff, mehr dazu lest Ihr hier bei Mainz&.