Diesen Freitag trifft sich der Untersuchungsausschuss zur Flutkatstrophe im Ahrtal noch einmal zu einer Mammutsitzung – es könnte die letzte des Aufklärungsgremiums werden. Auf der Tagesordnung steht noch einmal eine Vernehmung zum Thema Dienstaufsichtsbehörde ADD und die Urlaube der Ex-Vizepräsidentin Begoña Hermann, bislang stagnierte die Aufklärung zu diesem Thema erheblich: das Innenministerium in Mainz mauert. Dazu will der Ausschuss 12 weitere Zeugen hören – als Letzten am Abend: Umwelt-Staatssekretär Erwin Manz.

Seit 1,5 Jahren widmet sich der Untersuchungsausschuss im Landtag nun schon der Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal. - Foto: gik
Seit 1,5 Jahren widmet sich der Untersuchungsausschuss im Landtag nun schon der Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: gik

Am 1. Oktober 2021 hatte sich der Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal konstituiert, nur zweieinhalb Monate nach der Katastrophe selbst. In die Beweisaufnahme stieg der Ausschuss so richtig erst im Januar 2022 ein, 1,5 Jahre nach seinem Start könnte die Sitzung am kommenden Freitag nun die letzte öffentliche Beweisaufnahme des Gremiums sein, das wohl so intensiv aufgeklärt hat, wie noch keines seiner Vorgängergremien: Zwei Ministerrücktritte und eine zutiefst erschütterte Regierung bis hinein in zahlreiche Unterbehörden stehen zu Buche – und eine ganze Liste voller Versäumnisse und Fehler der Zuständigen.

Nach der zweiten Vernehmung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) im März, will der Ausschuss nun noch zwei Themen abarbeiten: Gleich mit dem ersten Zeugen am Morgen geht es noch einmal um den Kalifornien-Urlaub der damaligen Vizepräsidentin der Dienstaufsichtsbehörde ADD, Begoña Hermann. Hermann war im Juli 2021 als Vizechefin der Behörde zuständig für das Thema Katastrophenschutz, trotzdem fuhr sie am 31. Juli 2021 für zwei Wochen in Urlaub – nur zwei Wochen nach der Flutkatastrophe.

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Urlaub mitten in der heißen Phase nach der Flut, Dienstreise fingiert

Der Urlaub Hermanns mitten in der turbulenten Phase der Aufräumarbeiten im Ahrtal war Ende Januar 2023 überraschend bei Hermanns Vernehmung im Untersuchungsausschuss bekannt geworden. Die Vizepräsidentin, die Ende Dezember 2022 in Ruhestand gegangen war, hatte erst am 23. Juli erstmals die Einsatzleitung im Ahrtal übernommen, wenige Tage später war sie schon wieder weg: „Ich bin auf dem Weg zum Flughafen und in wenigen Stunden in Übersee“, schrieb Hermann am Morgen des 31. Juli 2021 ihrem Chef, ADD-Präsident Thomas Linnertz, in einer Email.

Privatreise oder doch Dienstreise? Was trieb Begona Hermann im Juli 2021 nach Sacramento? - Foto: gik
Privatreise oder doch Dienstreise? Was trieb Begona Hermann im Juli 2021 nach Sacramento? – Foto: gik

Hermann war auf dem Weg nach Sacramento, es sei eine reine Privatreise gewesen, betont das Mainzer Innenministerium, doch im Februar 2023 musste Innenminister Michael Ebling (SPD) überraschend im Innenausschuss des Landtags einräumen: Es sei ein Disziplinarverfahren gegen Hermann eingeleitet worden, es stehe „der Verdacht im Raum, dass die politische Beamtin im Ruhestand im Juli 2021 einen dienstlichen Anlass konstruiert haben könnte, um für eine private Reise in die USA eine Einreisegenehmigung von den US-Behörden zu erhalten.“

Die Reise wirft inzwischen einen Berg von Fragen auf, denn kurz danach wurde bekannt: Hermann beantragte auf Dienstpapier der ADD und mit Briefkopf von Präsident Linnertz ein Ausnahmevisum bei der US-Botschaft für die Einreise in die USA. Ein solches wurde zum damaligen Zeitpunkt aber nur für dringende Dienstreisen gewährt – die Genehmigung erfolgte tatsächlich durch die US-Behörden, allerdings erst mit Datum vom 3. August. Wie also reiste Hermann am 31. Juli überhaupt in die USA ein?

Private Urlaubsreise mit offiziellen ADD-Unterlagen?

Im Mainzer Innenministerium verweigert man indes die Antwort auf diese und weitere Fragen zu dem Thema: Die Reise habe „den Charakter einer privaten Urlaubsreise“ gehabt, deshalb „handelt es sich grundsätzlich um eine Privatangelegenheit der damaligen Vizepräsidentin“, antwortete Innenminister Ebling nun auf eine ganze Reihe von Kleinen Anfragen der AfD zum Thema. Weitergehende Auskünfte könne man „wegen laufender Ermittlungen im Disziplinarverfahren und mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen Betroffener“ nicht öffentlich machen – sie unterlägen der Vertraulichkeit.

Was genau wusste ADD-Präsident Thomas Linnertz über die Urlaubsreise seiner Vizepräsidentin? - Foto: gik
Was genau wusste ADD-Präsident Thomas Linnertz über die Urlaubsreise seiner Vizepräsidentin? – Foto: gik

Das aber ist mindestens seltsam: Wenn die Reise einen solchen privaten Charakter hatte, wie kam dann der Visumsantrag auf ADD-Dienstpapier zustande? Ohne dieses Dienstvisum hätte Hermann wegen der damals geltenden strikten Coronaregeln gar nicht in die USA einreisen können, die offiziellen Unterlagen wie der Visumsantrag fanden sich aber ganz offensichtlich in den dienstlichen Unterlagen der Dienstaufsichtsbehörde ADD – und zwar unterschrieben von einem ranghohen Mitarbeiter der ADD. Ebenfalls in diesen offiziellen ADD-Unterlagen: ein Schreiben einer Anwaltskanzlei, die sich auf Beratungen wegen Einreisebestimmungen in die USA in der Coronazeit spezialisiert hatte.

Was also tat dieses Schreiben in den ADD-Unterlagen, wenn die Reise der ADD-Vizepräsidentin so komplett privat war? Wer beauftragte die Rechtsanwaltskanzlei – und wer bezahlte sie? „Externe Beraterfirmen oder Rechtsanwaltskanzleien zur Unterstützung der Beantragung von Einreisegenehmigungen“ seien im Zeitraum zwischen 2020 und 2022 im Geschäftsbereich des Mainzer Innenministeriums nicht beauftragt worden, teilte nun Innenminister Ebling auf Anfrage der Freien Wähler mit.

Notstand im Ahrtal, ADD suchte dringend Personal

Die ADD gehört zum Geschäftsbereich des Innenministeriums, wenn die Beraterfirma nicht von der ADD beauftragt wurde – wieso finden sich in der Behörde dann Unterlagen eben dieser Kanzlei zu eben dieser Reise? Und wer hat die vorgebliche Dienstreise Hermanns genehmigt und unterzeichnet? Dass ADD-Präsident Linnertz von dem USA-Trip seiner Vize selbst wusste, ist verbrieft – schließlich ging die Email am 31. Juli von Hermann direkt an ihn.

Trümmerwüste in Dernau an der Ahr, eine Woche nach der Flutkatastrophe. - Foto: gik
Trümmerwüste in Dernau an der Ahr, eine Woche nach der Flutkatastrophe. – Foto: gik

Auch meldete sich seine Stellvertreterin im August noch einmal direkt aus Sacramento bei Linnertz, trotzdem behauptet man im Innenministerium weiter: Linnertz habe von der angeblichen Dienstreise „nichts gewusst“, er sei in die Planungen „nicht eingebunden“ gewesen, er habe die genauen Umstände einer möglichen Einreise „nicht hinterfragt.“ Das ist mindestens erstaunlich, belegen doch Emails von Hermann selbst: Die ADD suchte händeringend Personal für das Management der Flutkatastrophe im Ahrtal, jede Hand wurde gebraucht.

Ist es da denkbar, dass Behördenchef Linnertz nicht mit seiner Vize über die Notwendigkeit eines Urlaubstrips redet? Was machte die angebliche Privatreise so dringend, dass Hermann sie weder aufschieben noch absagen konnte – trotz Notstand im Ahrtal? Und dafür sogar eine Dienstreise fingierte, um einreisen zu können?

Der Untersuchungsausschuss will dazu nun am Freitag einen wichtigen Zeugen hören: Wolfgang Konder ist Leiter der Abteilung „Zentrale Aufgaben“ in der ADD und sitzt damit an einer Schlüsselstelle in der Behörde – er dürfte bis Ende 2022 auch eng mit Hermann als Vizepräsidentin zusammengearbeitet haben. Konder wäre wohl auch in der Position gewesen, einen Visumsantrag Hermanns zu unterzeichnen – seine Befragung gleich morgens um 9.00 Uhr dürfte deshalb spannend werden.

Hochwassergefahrenkarten und ihre Rolle im Katastrophenfall

Zweites großes Thema der Sitzung am 21. April sind die Hochwassergefahrenkarten des Landes Rheinland-Pfalz. Diese Karten stellt das rheinland-pfälzische Umweltministerium über sein Landesamt für Umwelt und Hochwasserschutz zur Verfügung, aus ihnen kann detailliert abgelesen werden, bei welchem Hochwasserstand welches Maß an Überschwemmung droht, und wie viele Gebäude oder auch Menschenleben in Gefahr sind. Die AfD will nun wissen, welche Rolle diese Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten im Katastrophenfall haben.

Hochwassergefahrenkarte des Landes Rheinland-Pfalz für das Ahrtal im April 2023 von Ahrbrück bis Neuenahr für ein Extremhochwasser. - Screenshot: gik
Hochwassergefahrenkarte des Landes Rheinland-Pfalz für das Ahrtal im April 2023 von Ahrbrück bis Neuenahr für ein Extremhochwasser. – Screenshot: gik

„In unserem Beweisantrag geht es darum, inwieweit es einen Zusammenhang zwischen Pegelprognosen bzw. Pegelmessungen und der tatsächlichen Gefahrenlage bei einem Hochwasser gibt“, sagte AfD-Obmann Michael Frisch im Vorfeld. Denn die AfD argwöhnt, diese Karten seien am 14. Juli überhaupt nicht konsultiert worden, obwohl doch das Land selbst sie als „wirksamste Informationsgrundlage“ zur Vermeidung von Hochwassergefahren rühmt.

Tatsächlich hätte man in der Karte für das Ahrtal nachsehen können, wie das gesamte Tal bei einem Pegel von mehr als vier Metern großflächig überschwemmt wird – und das Landesamt für Umwelt hatte selbst am Nachmittag des 14. Juli einen Pegelstand von mehr als fünf Metern vorhergesagt.  Doch ausgerechnet Umweltstaatssekretär Erwin Manz habe in seinen früheren Vernehmungen „ausdrücklich erklärt, Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten könnten im Katastrophenfall nur bei entsprechender Ortskenntnis hilfreich sein“, kritisiert Frisch: Diese Kenntnis habe ihm damals jedoch nicht vorgelegen, aus den Karten habe er deshalb keine Rückschlüsse auf die Gefährdungslage ziehen können.

Bereits um 15.26 Uhr Pegel von mehr als fünf Metern errechnet

„Ich habe erhebliche Zweifel, ob es sich hier nicht um eine reine Schutzbehauptung handelt“, betonte Frisch nun. Der Untersuchungsausschuss müsse hier aufklären, „weil es dabei letztlich um die Frage geht, inwieweit durch eine frühzeitige Warnung Menschenleben hätten gerettet werden können“, betonte Frisch. Manz war bis zu seiner Berufung als Staatssekretär im grünen Umweltministerium im Mai 20921 Leiter der Wasserwirtschaft im selben Ministerium gewesen, der Amtschef muss also sowohl die Karten wie auch die Bedeutung von Pegelhöhen und Wasserständen gekannt haben.

Überflutetes Ahrtal um 22.33 Uhr, irgendwo zwischen Dernau und Ahrbrück, aufgenommen aus einem Polizeihubschrauber. - Video: Polizei RLP, Screenshot: gik
Überflutetes Ahrtal um 22.33 Uhr, irgendwo zwischen Dernau und Ahrbrück, aufgenommen aus einem Polizeihubschrauber. – Video: Polizei RLP, Screenshot: gik

Trotzdem unternahm Manz auch nach der unglaublichen Pegelprognose von Nachmittag – nichts. Bereits um 15.26 Uhr hatte das Landesamt für Umwelt aufgrund der vorliegenden Wetterdaten einen Pegelstand für die kleine Ahr von 5,19 Metern vorherberechnet – die Ahr ist normalerweise ganze 30 Zentimeter tief. Doch was fünf Meter hohe Wassermassen für das enge Tal bedeuten würden – darüber macht sich offenbar niemand wirklich Gedanken.

Frisch glaubt: Ein Blick in die Gefahrenkarten hätte gereicht, um das Ausmaß einer drohenden Überschwemmung zu erkennen. 5,19 Meter – das ist mehr als das verheerende Hochwasser von 2016, das ist mehr als die Gefahrenkarte für ein Extremhochwasser überhaupt vorsieht. Trotzdem segnet Manz die Pressemitteilung seines eigenen Hauses von 16.42 Uhr ab, in der es heißt: „Ein Extremhochwasser droht nicht“ – und lehnt sogar zwei Stunden später noch eine Korrektur derselben Pressemitteilung rundweg ab.

Der letzte Zeuge: Erwin Manz

Auf Antrag der AfD müssen zu dem Themenkomplex „Hochwassergefahrenkarten“ nun am Freitag mehrere Zeugen aus dem Bereich Katastrophenschutz der Landesbehörden, sowie aus dem Umweltministerium selbst Stellung nehmen, dazu werden zwei Gutachter aus dem Bereich Risikomanagement sowie von der Universität Bochum dazu gehört. Stellung nehmen muss ebenso eine Mitarbeiterin des Beratungszentrums Hochwasservorsorge, das die Kommunen im Land in dieser Frage berät.

Umweltstaatssekretär Erwin Manz bei seiner Vernehmung im März 2022 vor dem Untersuchungsausschuss. - Foto: gik
Umweltstaatssekretär Erwin Manz bei seiner Vernehmung im März 2022 vor dem Untersuchungsausschuss. – Foto: gik

Als letzter Zeuge ist dann für 20.30 Uhr Erwin Manz persönlich noch einmal geladen, die Opposition fordert seit Monaten seinen Rücktritt wegen völliger Untätigkeit in der Flutnacht. Manz habe „Flucht vor der Verantwortung“ begangen, und seine Kabinettskollegen gerade eben nicht über die Bedeutung der Pegelprognosen und die Gefahren der drohenden Wasserfluten aufgeklärt, schimpft der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, schon seit Monaten – genau das aber wäre Manz‘ Job gewesen. Doch Manz ist noch immer im Amt, ob die Sitzung am Freitag das ändern kann: unklar.

Es dürfte vermutlich die letzte öffentliche Beweisaufnahme des Untersuchungsgremiums werden, neue Themenkomplexe sind derzeit nicht in Sicht, die bisherigen weitgehend abgearbeitet. Zuletzt machten sich Ermüdungserscheinungen bei den Parlamentariern breit – nach 40 Sitzungen, hunderten Stunden und fast 250 Zeugen kein Wunder. Vorbei wäre der Ausschuss damit aber noch lange nicht: Nach der Beweisaufnahme kommt die Beweiswürdigung – die Fraktionen müssen dann ihre Abschlussberichte verfassen, in denen sie die Beweise würdigen und ihre Schlussfolgerungen ziehen.

Dass der Ausschuss zu einem gemeinsamen Abschlussbericht kommt, ist nicht zu erwarten: Die Fraktionen der regierenden Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP spielen seit Monaten alle Erkenntnisse herunter und wollen keinerlei Schuld der handelnden Regierenden auch nur im Ansatz erkennen. Ihr einziger Schuldiger lautet: Jürgen Pföhler, Ex-Landrat des Kreises Ahrweiler, der praktischerweise bereits krankheitsbedingt nicht mehr im Amt und zudem ein CDU-Mann ist.

CDU, Freie Wähler und AfD werden das nicht mitmachen, zu viel hat der Ausschuss an Versäumnissen im Innenministerium, im Umweltministerium und in den Landesbehörden aufgedeckt. Vermutlich wird es deshalb Minderheitsvoten geben, wahrscheinlich sogar mehr als eines – und bis die erarbeitet sind, wird es dauern. Womöglich beendet der Ausschuss dann genau im Juli seine Arbeit – zwei Jahre nach der Flutkatastrophe im Ahrtal.

Info& auf Mainz&: Mehr zu den bisherigen Aussagen von Staatssekretär Manz vor dem Untersuchungsausschuss lest Ihr hier bei Mainz&. Unser gesamtes Ahrtal-Dossier zur Flutkatastrophe im Ahrtal mit ausführlichen Berichten von den Tagen nach der Flut sowie aus dem Untersuchungsausschuss findet Ihr hier bei Mainz&.