Ist die Anordnung von Tempo 30 auf den Hauptverkehrsstraßen in Mainz wie Kaiserstraße und Rheinallee bereits seit Jahren rechtswidrig? Ja, sagt Friedemann Kobusch – und legte wegen dieses Verdachts bereits 2021 Einspruch bei der Stadt Mainz ein. Am heutigen Mittwoch wird Kobuschs Einspruch nun vor dem Stadtrechtsausschuss verhandelt, die Chance, dass der Jurist Recht bekommt ist hoch. Denn: Ein von der Stadt Mainz selbst in Auftrag gegebenes Gutachten, das Mainz& exklusiv vorliegt, kommt zu dem Ergebnis, dass der Schadstoffausstoß bei Tempo 50 nur marginal höher wäre – und weit unter dem Grenzwert liegen würde. Damit könnte Tempo 30 auf Hauptstraßen rechtswidrig sein – und das schon seit Januar 2022.

Tempo 30 auf Rheinachse und Kaiserstraße: Zum 1. Juli 2020 verfügte die Stadt Mainz das aus Emissionsschutzgründen - zu Recht? - Foto: gik
Tempo 30 auf Rheinachse und Kaiserstraße: Zum 1. Juli 2020 verfügte die Stadt Mainz das aus Emissionsschutzgründen – zu Recht? – Foto: gik

Es war der 1. Juli 2020, als die Stadt Mainz das eigentlich laut Straßenverkehrsordnung vorgeschriebene Tempo 50 auf Hauptverkehrsachsen auf Tempo 30 senkte – und zwar auch auf den Hauptdurchfahrtstraßen Kaiserstraße und Rheinallee sowie Rheinstraße. Die Geschwindigkeitsreduzierung bringe eine deutliche Reduzierung der Stickoxidemissionen, argumentierte damals Umweltdezernentin Katrin Eder (Grüne): Mit Tempo 30 sei es möglich, ein Dieselfahrverbot zu vermeiden, die Maßnahme bringe allein eine Reduzierung von vier Mikrogramm der giftigen Stickoxide – Mainz könne damit endlich den Grenzwert einhalten.

Mainz steckte damals mitten in einer Auseinandersetzung mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die wegen Überschreitung der Grenzwerte für Stickoxide vehement ein Dieselfahrverbot in Mainz forderte – so wie in Dutzenden anderer deutscher Städte auch. Es war der Höhepunkt des Skandals um manipulierte Dieselfahrzeuge, die in der Realität auf der Straße deutlich mehr schädliche Schadstoffe ausstießen als zuvor auf den Prüfständen. Tatsächlich hatte Mainz im ersten Halbjahr 2019 mit 42 Mikrogramm in der Mainzer Parcusstraße den gesetzlichen Grenzwert in Sachen Luftreinhaltung gerissen, in der Rheinallee wurden sogar 49 Mikrogramm erreicht – die DUH klagte und bekam Recht.

- Werbung -
Werben auf Mainz&
Werbung

 

Tempo 30 sollte seit 2020 bei Einhaltung der NO2-Grenzwerte helfen

Um ein Dieselfahrverbot zu verhindern, führte Mainz daraufhin eine Reihe von Maßnahmen ein – dazu gehörte auch Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen Rheinallee und Kaiserstraße-Parcusstraße. „Damit schaffen wir es laut den Gutachten, perspektivisch unter die 40 Mikrogramm zu kommen“, sagte Eder damals, und betonte: „Wir sind dem Schutz der Bevölkerung verpflichtet, und wir sind als Verwaltung verpflichtet, Rechte und Gesetze einzuhalten.“ Dazu gehöre auch der Stickoxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm.

Klagte damals auch in Mainz auf Dieselfahrverbot: DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch (vorne). - Foto: DUH
Klagte damals auch in Mainz auf Dieselfahrverbot: DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch (vorne). – Foto: DUH

Als Voraussetzung galt allerdings dabei immer die Schaffung von Grünen Wellen für einen guten Verkehrsfluss und die Vermeidung von Staus – die Grünen Wellen gibt es bis heut3e indes nicht. Und schon damals warnten Verkehrsexperten wie der ADAC: Auf Hauptverkehrsstraßen sei Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit nicht sinnvoll, weil Hauptverkehrsstraßen damit ihre Bündelungsfunktion verlören, der Verkehr in die Nebenstraßen gedrückt werde und zudem ältere Autos bei Tempo 30 mehr Dreck ausstießen als bei Tempo 50.

Zudem erlaubte die Straßenverkehrsordnung damals kein Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen, insbesondere nicht auf Bundesstraßen – zu denen aber Kaiserstraße und Rheinallee gehören. Eine Sondererlaubnis als „Modellversuch“ machte die Mainzer Sonderregelung ab dem 1. Juli 2020 dennoch möglich – allerdings galt die erst einmal nur für ein Jahr. Doch bereits 2020 sanken die Stickoxidwerte in Mainz deutlich, die Anordnung der Tempo 30-Regelung für ganze Straßen sei deshalb unverhältnismäßig und Dank der sinkenden Werte auch überflüssig gewesen, klagte der Mainzer Friedemann Kobusch – und legte bei der Stadt Mainz Widerspruch ein.

Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen seit Januar 2022 rechtswidrig?

Das war Ende Juni 2021, seither ist viel Zeit ins Land gegangen – die Stadt habe sich mit der Bearbeitung seines Widerspruchs nicht besonders beeilt, sagte Kobusch nun im Gespräch mit der Internetzeitung Mainz&. Seither hätten sich neue Rechtsprobleme zu dem Thema ergeben, denn die Prognosen der Stadt Mainz zur Senkung der Stockoxidwerte durch Tempo 30 sei nur bis Ende 2021 durchgerechnet gewesen. „Seit dem 1. Januar 2022 dürfte die Anordnung von Tempo 30 auf den Hauptverkehrsstraßen rechtswidrig sein“, sagt Kobusch deshalb – das teilte er im Sommer 2024 auch der Stadt Mainz so mit.

Auch diese Tempo 30-Schilder, aufgestellt im Juli 2020 an Rheinstraße und Parcusstraße, waren rechtswidrig - und verschwanden schnell wieder. - Foto: gik
Auch diese Tempo 30-Schilder, aufgestellt im Juli 2020 an Rheinstraße und Parcusstraße, waren rechtswidrig – und verschwanden schnell wieder. – Foto: gik

„Die Rechtsprechung sagt, die Anordnung muss in einem gewissen Zeitraum überprüft werden: werden die Schadstoffe noch eingehalten?“, erklärt Kobusch: „Die Stadt hat aber nur bis Ende 2021 den Einfluss von Tempo 30 auf die die Schadstoffsituation prognostizieren lassen. Das habe ich gerügt.“ Seit 2020 habe es offenbar keine ernsthafte Überprüfung gegeben, ob die dauerhafte Anordnung von Tempo 30 eigentlich noch erforderlich sei, kritisiert Kobusch – bei der Stadt Mainz traf er offenbar einen wunden Punkt: Anfang 2025 gab sie ein neues Gutachten in Auftrag, das die NO2-Konzentrationen an den Hauptverkehrsstraßen in Mainz untersuchen und für die Zukunft mit gängigen Methoden prognostizieren sollte.

Das Gutachten, das Mainz& exklusiv zugespielt wurde, trägt das Datum März 2025, sein Ergebnis aber hat es in sich: Die Verkehrsexperten kommen nämlich zu dem Ergebnis, dass in Mainz bereits seit 2020 die Schadstoffgrenzwerte auch an den neuralgischen Punkten überhaupt nicht mehr gerissen werden. Mehr noch: Das sei auch für die Zukunft nicht zu erwarten – und zwar auch nicht, wenn das Verkehrstempo wieder auf 50 erhöht werde. Selbst dann werde der Mittelwert immer noch deutlich unter der Schwelle von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter liegen, so das Gutachten.

Werbung

 

Grenzwert von 40 Mikrogramm seit 2020 kein Mal gerissen

„Das Gutachten besagt also klar, dass Tempo 30 überflüssig ist“, sagt Kobusch: „Sie finden an keiner Stelle seit 2020 einen Wert über 40 Mikrogramm, die sind total unauffällig.“ Tatsächlich heißt es in dem Gutachten: Die Messdaten zeigten eine Verringerungen der Luftschadstoffbelastungen in Mainz in den vergangenen Jahren. Eine Tabelle mit den offiziellen NO2-Jahresmittelwerten des Landesmessnetzes Rheinland-Pfalz – ZIEMEN – sowie der Passivsammlermessungen aus Mainz belegt für das Jahr 2019 noch Überschreitungen des Grenzwertes von 40 Mikrogramm an fünf Stellen im Stadtgebiet: An der Ecke Rheinallee/Kaiserstraße, in Höhe der Rheinstraße 24 und an der Stadtbibliothek, in der Höhe des Landesamtes für Umwelt sowie an der Messstation in der Parcusstraße.

Die Einführung von Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen führte regelmäßig zu Rückstaus vor Ampeln - und bis heute zu massivem Ärger bei Autofahrern. - Foto: gik
Die Einführung von Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen führte regelmäßig zu Rückstaus vor Ampeln – und bis heute zu massivem Ärger bei Autofahrern. – Foto: gik

Schon für das Jahr 2020 zeigt die Tabelle aber keine einzige Grenzwertüberschreitung mehr, im Jahr 2021 wird nur ein einziges Mal – in der Rheinallee – der Wert von 40 erreicht. Auch nach dem Abflachen der Corona-Pandemie und der Rückkehr des normalen Berufsverkehrs stiegen die Werte indes nicht wieder an – im Gegenteil: Selbst an den 2019 noch so hoch belasteten Stationen, wurden 2024 nur noch Grenzmittelwerte von 28 oder 29 Mikrogramm, höchstens aber 31 Mikrogramm gemessen.

Kobusch erklärt sich diesen erheblichen Rückgang vor allem mit Änderungen der Fahrzeugflotte: Die Autos seien generell sauberer geworden, Dieselfahrzeuge seien weniger beliebt, E-Autos dafür beliebter – Kobusch selbst fährt ein E-Auto und einen E-Roller. Tatsächlich könnte ein weitere Änderung eine maßgebliche Rolle für die Luft in Mainz gespielt haben: Im Februar 2019 belegte die Mainzer Mobilität mit realen Zahlen, dass die Umrüstung der Dieselbusse in Mainz auf Euro 6-Norm den Stickoxidausstoß massiv gesenkt hatte – um satte 95 Prozent.

Werbung

Gutachten: Stickoxide steigen bei Tempo 50 nur marginal

Doch damit nicht genug: Das renommierte Büro sollte zudem durchrechnen, welche Auswirkungen eine Aufhebung von Tempo und eine Rückkehr zu Tempo 50 auf den Strecken Rheinallee/Peter-Altmeier-Allee/Rheinstraße von der Holzhofstraße bis zum Kaiser-Karl-Ring sowie auf den Abschnitten der Kaiserstraße und der Parcusstraße hätte. Die Stadt Mainz stellte dafür „aktuelle Verkehrsdaten“ aus 2024 zur Verfügung. „Unter Berücksichtigung der aktuellen Emissionsdatenbank für den Kfz-Verkehr und auf der Grundlage der für den Bereich um Mainz und Umgebung ermittelten lokalen Fahrzeugflotte 2024“ seien daraufhin die Schadstoffkonzentrationen von NO2 unter Berücksichtigung typischer Randbebauung berechnet worden – inklusive Rückkehr zu Tempo 50.

Rheinallee im Sommer 2023 mit Tempo 30 und temporärer Busspur: Behinderung von Autos als Prinzip? - Foto: gik
Rheinallee im Sommer 2023 mit Tempo 30 und temporärer Busspur: Behinderung von Autos als Prinzip? – Foto: gik

Und dabei ergibt sich ein verblüffender Effekt: Die NO2-Jahresmittelwerte an den zahlreichen Messstandorten in Mainz für das Bezugsjahr 2024 lagen in der Regel unter 30 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, vereinzelt auch bei 32 Mikrogramm – aber nie darüber. Das werde auch für die kommenden Jahre so bleiben, so die Prognose der Experten: Bei vergleichbarer Verkehrsstärke seien für das Prognosejahr 2028 sogar rund 35 Prozent geringere verkehrsbedingte NOx-Emissionsbeiträge anzunehmen – Konflikte mit dem Grenzwert seien „auch für das Prognosejahr 2028“ nicht zu erwarten, und zwar auch nicht bei aufgehobenem Tempolimit auf ausgewählten Straßenabschnitten.

Im Klartext: Auch wenn Tempo 30 aufgehoben würde, und man zu Tempo 50 zurückkehre, seien nur geringe Änderungen der NO2-Jahresmittelwerte zu erwarten – und zwar „überwiegend weniger als 1 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Vereinzelt sei „mit Zunahmen um 1.5 μg/m³ am Messstandort Parcusstraße bzw. 1.2 μg/m³ am Messstandort Rheinallee/Parkhaus Rheinufer“ zu rechnen, so das Gutachten wörtlich. Damit werde der NO2-Grenzwert von 40 Mikrogramm auch an der Randbebauung der Hauptverkehrsstraßen von Mainz „deutlich unterschritten“ – Konflikte mit dem Grenzwert seien auch nach einer möglichen Rücknahme der Geschwindigkeitsbeschränkungen „nicht zu erwarten.“

Werbung

 

Kobusch: Tempo 30 beenden, Schilder abbauen

Das Gutachten belege dazu sehr klar, „dass die Werte bei Tempo 50 nur marginal steigen – und dass überhaupt keine Grenzwertgefährdung vorliegt“, betont Kobusch. Da also auch keine Grenzwertgefährdung mehr eintreten könne, „ist meine Erwartung, dass die Tempo 30-Zone beendet und die Schilder abgebaut werden – und wir wieder bei der Regelgeschwindigkeit von Tempo 50 auf Bundesstraßen sind.“

CDU-Verkehrsexperte Thomas Gerster forderte 2024 gar den Rücktritt der Verkehrsdezernentin - wegen rechtswidriger Tempo 30-Anordnung. - Foto: gik
CDU-Verkehrsexperte Thomas Gerster forderte 2024 gar den Rücktritt der Verkehrsdezernentin – wegen rechtswidriger Tempo 30-Anordnung. – Foto: gik

Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Tempo 30 auf den Hauptachsen in Mainz gab es schon mehrfach: Bereits im Juli 2020 hatte die CDU die Rechtmäßigkeit bei der Einführung bezweifelt, im Mai 2024 forderte CDU-Verkehrsexperte Thomas Gerster gar die sofortige Aufhebung der Tempolimits: Die Stadt habe „keine ausreichende Rechtsgrundlage mehr“ zur Aufrechterhaltung des Tempolimits, denn der Luftreinhalteplan sei dafür keine ausreichende Grundlage, schimpfte Gerster und forderte: Schilder weg – oder Rücktritt von Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) – die halte zum wiederholten Male Recht und Gesetz nicht ein.

Die Sache ist pikant, denn tatsächlich hatte der Landesbetrieb Mobilität im Januar 2024 die Mainzer Dezernentin scharf für Rechtsverstöße gegen die Straßenverkehrsordnung gerügt – wegen der Anbringung von Fahrrad-Piktogrammen auf den Straßen. Steinkrüger aber weigert sich bis heute, die Anordnung zur Entfernung der Piktogramme umzusetzen, die CDU kritisierte, die Dezernentin verstoße damit gegen Recht und Gesetz – und forderte den Rücktritt. Auch die Mainzer FDP und die ÖDP mahnten damals, die Stadt müsse sich „an Recht und Gesetz halten“ – passiert ist: nichts.

Sind Bußgelder für rechtswidriges Tempolimit rechtens?

Für Friedemann Kobusch liegt der Verdacht nahe, dass auch bei Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen die Stadt seit zwei Jahren rechtswidrig agiert: „Wir ignorieren hier Recht und Gesetz“, sagt er: „Das war meine Hauptmotivation zu sagen, das kann nicht wahr sein.“ Das ganze Vorgehen der Stadt im Jahr 2020 „hatte mir den Eindruck vermittelt, hier geht es nicht wirklich darum, Schadstoffemissionen zu verhindern und Umweltschutz zu betreiben – sondern dass es um ein ideologisches Thema geht“, kritisierte Kobusch.

Mit Spannung schaut der Mainzer nun auf diesen Mittwoch: Am Vormittag tagt der Stadtrechtsausschuss, und der will sich nun endlich mit Kobuschs Einspruch gegen Tempo 30 beschäftigen. „Wenn Tempo 30 seit Jahren rechtswidrig ist“, fragt sich Kobusch noch, „was ist dann eigentlich mit den seither in dieser Zeit ergangenen Knöllchen?“ Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger lud am Dienstagnachmittag sehr kurzfristig zu einem Pressegespräch ein: Am Mittwochmittag will sich Steinkrüger zum Thema „Tempo 30“ auf Rheinachse und Kaiserstraße äußern – nach der Sitzung des Stadtrechtsausschusses.

Info& auf Mainz&: Dass Tempo 30 wenig Einfluss auf den Ausstoß von Stickoxiden hat, aber erhebliche negative Auswirkungen auf Verkehr und Einkaufsverhalten, das ergab bereits eine erste Bilanz nach drei Monaten im Jahr 2020 – mehr dazu lest Ihr hier bei Mainz&.