4,5 Millionen Euro sammelte die Initiative „Flutwein“ für die Winzer an der Ahr nach der Flutkatastrophe vor einem Jahr, ein halbes Jahr danach lagen sie noch immer auf den Konten: Bürokratie und deutsches Spendenrecht verhinderten eine zügige Auszahlung an die betroffenen Weinbaubetriebe. Die Berichterstattung brachte Schwung in die Sache, die Bundespolitik schaltete sich ein – doch zur Auszahlung kam es noch immer nicht. Jetzt erfuhr Mainz& exklusiv: Die Flutgelder fließen endlich.
„Es gibt endlich eine Lösung“, berichtet Peter Kriechel, Vorsitzender von Ahrwein e.V. und selbst betroffener Winzer aus Walporzheim an der Ahr. Es ist Ende März 2022, und zum ersten Mal ist Kriechel vorsichtig optimistisch: „Jetzt ist eine Lösung da, dass wir das Geld direkt in die Betriebe kriegen. Das ist eine sehr große Erleichterung“, sagt der Chef des alteingesessenen Familienweinguts Kriechel und Mit-Initiator der Aktion Flutwein.
Die gigantische Flutwelle in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 riss alles rechts und links der Ahr mit, was im Wege stand, darunter auch Scheunen und Weinkeltern, Barriquefässer und Traktoren, und mancherorts ganze Betriebsgebäude. 45 von 50 Winzern seien von der Flutwelle stark geschädigt worden, schätzte Kriechel im Januar 2022 im Gespräch mit Mainz&: “Wir sprechen von Schadenshöhen zwischen 500.000 und 10 bis 15 Millionen Euro.”
Aktion „Flutwein“: mehr als 47.500 verkaufte Flaschen
Aus dem Schlamm nach der Flut bargen die Winzer, was noch zu retten war, allem voran: Weinflaschen. Kriechel und sein Freund Daniel Koller gründeten daraufhin die Aktion Flutwein, mit dem Verkauf der Flaschen aus der Flut sollten Spendengelder für die notleidenden Weinbaubetriebe gesammelt werden. Was folgte, wurde die größte Crowdfunding-Kampagne, die Deutschland je erlebt hatte: Mehr als 47.500 verkaufte Flaschen – und rund 4,5 Millionen Euro an Einnahmen,
Doch ein halbes Jahr später lagen die Gelder noch immer weitgehend unangetastet auf den Konten, der Grund: Das bundesdeutsche Spendenrecht, aber auch der Katastrophenerlass der Landesregierung Rheinland-Pfalz. Danach nämlich dürfen Hilfsspenden bis heute nur an Privatpersonen ausgezahlt werden, nicht aber an Unternehmen, denn die können grundsätzlich nicht als “bedürftig” im Sinne des Spendenrechts eingestuft werden. Bedürftig sind qua Definition also nur natürliche Personen, ein Winzer aber ist keine natürliche Person im Sinne dieser Definition – weil er das Geld ja für sein Unternehmen verwendet.
Das Problem betrifft bis heute nicht nur Winzer, sondern auch Gastronomiebetriebe und andere Unternehmen, doch eine Lösung ließ monatelang auf sich warten. Der Hauptgrund: das Mainzer Finanzministerium. Hier teilte man noch im Frühjahr 2022 mit, das Problem sei dem Ministerium bekannt und „werde erörtert“ – eine Lösung: Fehlanzeige. In der Politik wurden danach fleißig Briefe geschrieben: Die CDU-Opposition schrieb an die SPD-Ministerpräsidentin, die CDU-Bundestagsabgeordnete Julia Klöckner gar an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).
Lindner ließ im Februar 2022 stolz verlauten, man habe für das Problem der Spendenauszahlung „gemeinsam mit den Bundesländern eine Lösung gefunden“, es gebe einen rechtskonformen Auszahlungsweg – nur: wie der aussehen sollte, sagte Lindner nicht. Erst Ende März deutete sich eine Lösung an, die schließlich im Mainzer Finanzministerium gefunden wurde – unbürokratisch und aufgrund einer „Billigkeitslösung“.
Land RLP verzichtet auf Mehrwertsteuer
Der Trick jetzt: Die Flutweinkampagne wird tatsächlich nicht als Spende, sondern als Kauf pro Flasche angesehen, damit wäre aber eigentlich Umsatzsteuer pro Flasche fällig geworden. „Darauf verzichtet das Land jetzt“, berichtete Kriechel gegenüber Mainz&: „Damit sind wir einverstanden, denn das spart uns summa summarum rund 800.000 Euro.“ Von den 4,5 Millionen Euro würden nun noch die Kosten für Versand und Kartonage abgezogen, der Rest gehe aber endlich eins zu eins an die Weinbaubetriebe.
„Damit haben wir nun die Möglichkeit, die Gelder zeitnah auszuzahlen“, sagte Kriechel erleichtert: „Wir kriegen jetzt das Geld direkt in die Betriebe.“ Einen Tag vor der dem Jahrestag der Flu6tkatastrophe berichtete nun Mit-Flutwein-Initiator Daniel Koller gegenüber Mainz&: Die Auszahlung der Gelder funktioniere, etwa die Hälfte – rund zwei Millionen Euro – seien mittlerweile in den Weingütern angekommen. Weitere zwei Millionen Euro befänden sich derzeit in der Auszahlung, sagte Koller weiter.
Problem Unterstützung für Unternehmen in der Krise nicht gelöst
Die Erleichterung ist groß, die Zufriedenheit mit der Abwicklung indes weniger: „Wir haben für uns eine Lösung gefunden, aber eigentlich wollten wir etwas anders erreichen“, sagt Kriechel: „Es war eigentlich unser Ziel, das im Großen zu lösen.“ Denn bei den großen Spendenaktionen liegen weiter Millionen an Geldern auf den Konten, und das Problem der Unterstützung für Unternehmen nach einer solchen Katastrophe ist weiter nicht gelöst.
Anstatt eine grundsätzliche Lösung für solche Fälle zu schaffen, mussten weitere Spendengelder mit weiteren Tricks zur Auszahlung gebracht werden – etwa die 1,2 Millionen Euro, die mit einer weiteren Solidaritätswein-Kampagne der Winzergenossenschaft Dagernova eingesammelt wurden. „Das wird jetzt als Sponsoring gewertet“, berichtete Kriechel. Die Abrechnung erfolge nun, indem die Dagernova 4,- Euro pro Flasche für die Ahrwinzer als Sponsoring abrechne. „Das ist die einfachste und beste Lösung“, sagte Kriechel, „das kann direkt an die Betriebe gehen, direkt aufs Konto.“
Der VDP-„Adler hilft“ rechnet via Sponsoring ab
Die Sponsoring-Lösung wird auch der Verband der Prädikatsweingüter (VDP) anwenden, der mit seiner Aktion „Der Adler hilft“ ebenfalls rund 1,5 Millionen Euro an Spendengeldern einsammelte. Die Lösung laute auch hier „Sponsoring“, sagte VDP-Chef Steffen Christmann im Frühjahr gegenüber Mainz&. Der Ansatz: Weil im Satzungszweck des Vereins auch der Erhalt der Kulturlandschaft stehe, könne darunter subsummiert werden, was für den Erhalt der Weinberge an der Ahr falle – also auch Erntemaschinen, Traktoren und Werkzeuge.
„Darüber kriegen wir unser Geld ausgegeben“, sagte Christmann gegenüber Mainz&: „Es hat zwar ewig gedauert, aber es kommt für die Betroffenen noch nicht zu spät.“ Mit dem Wiederaufbau verbinde sich gerade in den Weinbaubetrieben die große Chance für eine Neuaufstellung, betonte Christmann weiter: „Ich könnte mir schon vorstellen, dass wir, wenn wir in zehn Jahren an die Ahr fahren, dass das Gebiet dann so gut dasteht wie nie zuvor – das wäre meine Hoffnung für die Ahr.“
Info& auf Mainz&: Mehr zu dem Problem der stockenden Flutwein-Spenden könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen, die ganze Geschichte über das Hin und Her in der Politik steht hier. Und über die neueste Aktion der Flutwein-Initiatoren zur Rettung der Ahr berichten wir hier: