Es war der erste närrische Song Contest in Mainz, und er wurde eine Hommage an die Stehung: Drei Stunden lang feierte der Gonsenheimer Carneval Verein (GCV) ein musikalisches Fest mit 11 plus einer Band, es wurde ein kurzweiliger und durchaus spannender Abend. Die Sieger lagen am Ende des Abends klar vorn – mit einer Mutmach-Hymne aus Corona-Zeiten. Doch die wahren Gewinner sitzen nicht in Mainz, sondern im Ahrtal: 11.111 Euro konnte am Ende der Ahrweiler Karnevalsprinz Mathias I. mit nach Hause nehmen – zugunsten von flutgeschädigten Karnevalsvereinen an der Ahr.
Die Begrüßung ist natürlich mehrsprachig, wie sich das für einen Song Contest gehört, das „warme Welcome“, das Moderator Christoph Seib den Zuschauern zuruft kommt nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Französisch, Spanisch, Holländisch, Japanisch und sogar auf Klingonisch ins Haus. Es ist Fastnacht in Meenz, aber die Corona-Pandemie hat die Veranstaltungswelt noch immer fest im Griff, und so war klar, dass eines in Zeiten von Rekord-Ansteckungszahlen schon mal gerade gar nicht geht: Eine „Stehung“ mit dicht gedrängten Zuschauern im Saal, die über Stunden abtanzen….
Vor genau elf Jahren, im Jahr 2011 erfanden die Gonsenheimer Narrend es GCV die „Stehung“ als fastnachtliches Rock-Konzert, seither gibt sich in der Turnhalle in Mainz-Gonsenheim alljährlich das Who is Who der musikalischen Narrenszene ein Stelldichein. Erfunden wurde die „Stehung“, um mal zu zeigen, dass nicht nur die Karnevalshochburg Köln, sondern eben auch Mainz ein vibrierende Musikszene hat – man habe wohl durchaus dazu beigetragen, diese sichtbarer zu machen, sagte Co-Moderator Thomas Becker am Samstagabend. Inzwischen ist die „Stehung“ Kult, die Mainzer Fastnachtsszene rockt mit einer Band-Vielfalt wie nie – nur die „Stehung“ selbst wurde durch die Corona-Pandemie nun schon zum zweiten Mal ausgebremst. „Die 11. Stehung steht seit zwei Jahren rum und kann nicht stattfinden“, seufzte Becker.
Aber es gibt ja die wunderbaren weiten digitalen Welten – und so lud der GCV eben am Samstag zum ersten STEHUNGVision Song Contest (SSC). Im Mainzer KUZ traten unter strengen Corona-Auflagen elf plus eine Band live auf die Bühne, wie beim großen Vorbild Eurovision Song Contest (ESC) traten die Wettbewerber für ein Land an – pardon: für einen Mainzer Stadtteil. Da gingen etwa Christian Schier und Band als „Ernesto Negro und die geheilte Gänsjer“ für das kleine Mainz-Drais ins Rennen, Thorsten Ranzenberger präsentierte sich mit seinem neuen Musikpartner Christopher Ludwig als „Kappell Mainzer“ für Mainz-Bretzenheim.
Bierernst war der Stadtteil-Kontest dabei nicht angelegt: Da trat etwa die Spaßmacher Company für das rheinhessische Partenheim an, die „Rhein Mainzer“ wiederum für die rechtsrheinischen (Wiesbadener) Stadtteile Amöneburg, Kastel und Kostheim – rechts des Rheins ist bekanntlich auch noch Mainz, und genau dort, in der Kasteler Reduit, haben die „Rhein Mainzer“ ihren Proberaum. „Über die Brück, da geht’s nach Meenz“, singt die Gruppe: „Egal, wie rum de fährst, da machste wirklich nix verkehrt.“
Nun ja, das sah das Navi von Oli Mager ganz anders: „Bitte wenden, bitte wenden“ beschwört es den Fastnachtssänger bei seiner Fahrt über die Schiersteiner Brücke – Mager hatte sich tatsächlich bereit erklärt, ausgerechnet für die Nachbarstadt Wiesbaden anzutreten. Für den SSC wird der hessische Lieblingsfeind kurzerhand zur Mainzer Kolonie erklärt: „Das ist das Australien des SSC“, lästert Becker, und der Einspielfilm erklärt die hessische Landeshauptstadt zur „Sträflingskolonie des Mainzer Imperiums“.
Die Zuschauer stört das nicht: Sie wählen am Ende Oli Mager mit seinem Fastnachtshit „Konfetti in der Blutbahn“ glatt auf Platz vier. Doch das ist erst ganz am Ende der Sendung – davor gibt es der reihe nach die Auftritte der Bands, und dazwischen launige Talkrunden mit Erinnerungen an die zehn bisherigen Stehungen. Sogar zwei Mitglieder der „Musikgruppe Künzell“ sind in Mainz, die Blechbläser-gewaltige Musiktruppe rockt seit einigen Jahren als geehrte Gäste die „Stehung“sbühne – und aus dem Hochzeitsantrag auf offener Bühne sind inzwischen drei Kinder hervorgegangen.
Doch auch im KUZ kommt durchaus Stehungs-Feeling auf: Bei „Kappell Mainzern“ und „Dirty Glamour“ wird hart abgerockt, die Schnorreswackler kommen als „Masked Singers“ daher und haben ihrem rockigen Schunkelsong „Der Herrgott muss a Meenzer soi“ einen neuen Text verpasst. Thomas Neger und seine Humbas haben ein Liebeslied in Form einer rockigen Wirtshausschunkelei dabei – da windet sich dann sogar eine maskierte Polonaise durch den Saal, in dem die übrigen Aktiven des Abends für Stimmung sorgen. Die Mainzer Hofsänger schließlich verzaubern mit einer gefühlvollen neuen Hymne auf „Moguntia“, das ist sogar eine Weltpremiere.
Das Kontrastprogramm sind natürlich die „Rot Rock Rapper“ mit ihrem gerappten Megahit „Ich hab‘ Uniform“, die, natürlich mit Ghettotonne im Gepäck, für die Neustadt antreten. Ihr Megahit zieht noch immer und katapultiert die coole Prinzengarde-Truppe am Ende auf Platz zwei – hauchdünn vor dem „Hähnchengrill aus Drais“. Am Ende werden die Zuschauer zum digitalen Tele-Voting gebeten, eine „Promi-Jury“ vergibt zusätzlich jeweils elf Punkte – nur leider an Teilnehmer, die gar nicht dabei sind.
Da vergibt Gundula Gause elf Punkte an „den Lerschebersch“ – soweit wir das verstehen konnten – 5er-Linksverteidiger Aaron Martin prämiert in sauberem Spansich „Olé Fiesta“ – und Karl Lauterbach alias Johannes Bersch schickt seine Punkte nach Düren, warum auch immer. „Unsere elf Punkte gehen an die Goldgrube“, verkündet schließlich Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) fröhlich mit Blick auf den Sitz der Firma Biontech, und prämiert den Song: „Money, Money, Money!“
Während die Abstimmung läuft, haben die Gonsenheimer aber noch einen Knaller im Gepäck: Rudi Hube und Peter Büttner präsentieren eine geniale jazzig-bluesige Song-Version von „Wir Gunsenumer sind die scheenste Leit“, und wäre der Song Teil des Wettbewerbs gewesen, wer weiß, wie es dann ausgegangen wäre. So ist der klare Sieger des Abends am Ende eine Hymne, die in der Corona-Zeit geboren wurde, und den Nerv trifft wie kein zweiter Song des Abends: „Dann wird alles wieder gut“, singen die Brüder Andreas und Matthias Bockius alias „Dobbelbock“, und ihr Rock-Rap-Song bringt ihnen mit großem Abstand den Siegerpokal ein – den „gläsernen Steher“.
Doch all das wird am Ende fast schon zur Nebensache, denn zu Gast ist an diesem Abend der Ahrweiler Karnevalsprinz Mathias I. Und der nimmt am Ende des Abends einen geradezu fürstlichen Gewinn entgegen: Der Überschuss des Abends werde an von der Flutkatastrophe betroffene Karnevalsvereine im Ahrtal geben, hatte der GCV im Vorfeld verkündet. 4.550 Euro kamen so am Ende des durch Ticketverkäufe und Spenden beim SSC zusammen, wie GCV-Präsident Martin Krawietz stolz verkündete – und dann noch einen drauflegte: „Wir haben gesagt, das ist doch kein närrischer Betrag“, sagte Krawietz: „Wir haben den Betrag deshalb aufgerundet auf 11.111 Euro.“
„Das ist unglaublich“, sagte ein tief bewegter Mathias I., „mit allem hab‘ ich gerechnet, aber damit nicht.“ Im Ahrtal gebe es Vereine, die hohe Schäden im sechsstelligen Bereich hätten, das Geld sei dort hochwillkommen, berichtete Mathias, der im echten Leben den Nachnamen Rudolphi trägt. Den von der Flut verwüsteten Karnevalsvereinen fehle es weiter an allem, an buntes Narrentreiben sei nicht zu denken.
„Wir werden die nächsten zwei, drei Jahre unsere Wagen gar nicht zusammenbauen können, weil unsere Ehrenamtlichen alle selbst abgesoffen sind“, berichtete Rudolphi – und dankte: Mit der Unterstützung aus Mainz sehe das schon ganz anders aus. Die Unterstützung aus der Narrenhochburg Mainz, sagte Rudolphi noch, sei „extrem hoch“. Rudolphi hatte selbst die Initiative „Flutorden“ ins Leben gerufen, mit der ebenfalls Geld für die Karnevalsvereine im Ahrtal gesammelt wird – wie Ihr die unterstützen, und selbst einen Flutorden kaufen könnt, lest Ihr hier bei Mainz&.
Info& auf Mainz&: Mehr zur Vorgeschichte des SSC Song Contest lest Ihr auch hier auf Mainz&: Wer jetzt Lust bekommen hat, den Song Contest selbst noch (mal) zu schauen: Auf der Homepage des GCV könnt Ihr weiter ein Ticket für den SSC-Stream kaufen und ihn Euch ansehen – bis Rosenmontag soll die Möglichkeit weiter bestehen bleiben. Nur Abstimmen, das könnt Ihr jetzt natürlich nicht mehr. Korrektur&: Wir hatten zuerst der Dame Gause ein „Lewwerworscht“ in den Mund gelegt, tatsächlich prämierte sie aber den „Lerschebersch“ – da hatten wir wohl tatsächlich falsch gehört. Haben wir jetzt korrigiert.
Unsere Fotogalerie darf natürlich nicht fehlen – die Qualität bitten wir zu entschuldigen: es waren leider nur Screenshots am Bildschirm möglich… Aber wir wollten Euch unsere schönsten Eindrücke nicht vorenthalten: