Die Ständige Impfkommission Stiko hat mit ihrer überraschenden Empfehlung zu Zweitimpfungen bei AstraZeneca für gehöriges Chaos gesorgt. Die Stiko hatte am Donnerstagnachmittag überraschend eine neue Empfehlung veröffentlicht, nach der Zweitimpfungen nach AstraZeneca-Erstimpfung grundsätzlich mit einem mRNA-Impfstoff erfolgen sollen – bislang galt das nur für unter 60-Jährige. Die Stiko veröffentlichte ihre Mitteilung unabgestimmt, Bund und Länder zeigten sich sichtlich verärgert, die Hausärzte sind stinksauer: Sie haben nicht genug mRNA-Impfstoff. Die Stadt Wiesbaden sagte eine eigentlich geplante Sonder-Impfaktion für den 6. und 7. Juli ab.
Am Donnerstagnachmittag verbreitete sich überraschend eine neue Empfehlung der Stiko: Es werde allen Impflingen, die bei der ersten Impfung AstraZeneca erhalten haben empfohlen, die zweite Impfung mit einem mRNA-Impfstoff zu verabreichen, also mit Biontech oder Moderna. Bislang galt diese Empfehlung nur für Menschen unter 60 Jahren, nun empfiehlt die Stiko dieses Vorgehen einer „Kreuzimpfung“ für Menschen aller Altersgruppen. Gleichzeitig empfiehlt die Stiko nun auch einen verkürzten Zeitraum zwischen erster und zweiter Impfung: Schon nach vier Wochen könne die zweite Impfung erfolgen, bei AstraZeneca werden bisher 9 bis 12 Wochen Abstand empfohlen.
Hintergrund ist die sich derzeit auch in Deutschland stark ausbreitende Delta-Variante des Coronavirus: Die derzeitigen Impfstoffe wirkten zwar auch gegen Delta gut, „der Schutz gegenüber der Deltavariante nach nur einer Impfstoffdosis scheint aber deutlich herabgesetzt zu sein“, schreibt die Stiko in ihrer Stellungnahme. Es sei deshalb „wichtig, die zweite Impfstoffdosis zeitgerecht wahrzunehmen.“ Nach aktuellen Studienergebnissen sei aber „die Immunantwort nach heterologem Impfschema (Vaxzevria/mRNA-Impfstoff) der Immunantwort nach homologer Vaxzevria-Impfserie deutlich überlegen“, heißt es weiter.
Damit änderte die Stiko zum wiederholten Mal ihre Einschätzung zum Impfstoff von AstraZeneca – und löste damit erheblichen Unmut und Chaos aus. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) musste am Freitag vor der Bundespressekonferenz einräumen, er habe von der neuerlichen Empfehlung gar nichts gewusst – Spahn hatte just am Donnerstag noch eine Pressekonferenz zum aktuellen Stand der Corona-Impfungen in Deutschland gegeben. Die neue Empfehlung sei ihm nicht bekannt und nicht angekündigt gewesen, sagte Spahn am Freitag und betonte, er habe gegenüber der Stiko „für eine bessere Kommunikation geworben.“ Wenn so eine Entscheidung „plötzlich öffentlich wird, dann entstünden Fragen und Unsicherheiten bei den Ärzten“, kritisierte der Minister deutlich.
Weniger zurückhaltend äußerten sich die Ärzte: Mit ihrem Vorstoß habe die Stiko „Chaos in unseren Praxen ausgelöst – und dies nicht zum ersten Mal“, schimpfte der Landesvorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes, Markus Beier. Die Stiko habe mit ihrer „Adhoc-Meldung völlig unabgestimmt die Impfpolitik geändert und mehr Fragen aufgeworfen, als Antworten geliefert“, kritisierte er. Nun seien alle Planungen in den Praxen auf den Kopf gestellt, die Telefone stünden nicht mehr still. „Viele Patienten, die erst in ein oder zwei Monaten für die Zweitimpfung vorgesehen waren, wollen jetzt unbedingt vor dem Sommerurlaub vollständig geimpft werden“, berichtete Beier, das stelle die Ärzte aber vor große Herausforderungen: „Wo soll über Nacht der mRNA-Impfstoff für die Zweitimpfungen für mehrere Wochen herkommen?“
Schlimmer noch: Mit der neuen Impfempfehlung werfe die Stiko auch bei vollständig Geimpften Fragen auf, auf selbst die Impfexperten am Robert Koch-Institut noch keine Antworten hätten, schimpfte Beier weiter: „Viele Bürger, die bereits zweimal mit AstraZeneca geimpft worden sind, fühlen sich jetzt als Patienten zweiter Klasse und befürchten, gegen die Delta-Mutante nicht ausreichend geschützt zu sein.“ Darunter seien vor allem viele Ältere und Angehörige der Risikogruppen, „die jetzt wissen wollen, ob eine Drittimpfung mit einem mRNA-Impfstoff sinnvoll ist, und wann sie diese erhalten.“
Tatsächlich hat sich die Stiko zu der Frage einer Auffrischungsimpfung noch nicht geäußert, auch zu einer dritten Impfung für Astra-Geimpfte sagte sie nichts. Es gebe etwa 2,5 Millionen Menschen in Deutschland, die zweifach mit AstraZeneca geimpft seien, sagte Spahn am Freitag, und betonte: „Natürlich ist auch diese Impfung gut, sie schützt vor allem gegen schwere und schwerste Verläufe.“ Die Kombination mit Biontech oder Moderna als zweite Impfung sei einfach „noch besser“, es gelte die Devise: „Doppelt geimpft schützt vor Delta, aber eben nur doppelt geimpft schützt gut.“
Zugleich suchte der Minister Ängste vor Engpässen zu beruhigen: „Es ist ausreichend mRNA-Impfstoff da“, betonte Spahn, vor Ort ist man da skeptischer: Just im Juli liefert der Bund an die Länder weniger Dosen Biontech und dafür mehr AstraZeneca. „Wir haben viele Dosen von AstraZeneca, die uns gerade jetzt in diesen Tagen geliefert werden“, räumte Spahn ein, das könne aber auch eine Chance sein: Viele Impfwillige könnten so jetzt kurzfristig an eine Erstimpfung kommen. Das Problem dabei: Die Stiko empfiehlt AstraZeneca nach dem Auftreten seltener Blutgerinnsel im Hirn weiter nur für Menschen über 60 Jahren – von denen haben aber gut 85 Prozent bereits ihre erste Impfung erhalten.
Die Länder kündigten trotzdem am Freitag nach einer Konferenz mit dem Bund an, die neue Stiko-Empfehlung umzusetzen – erfreut war man aber nicht. Die erneute Änderung der Impfempfehlung zu AstraZenca stelle das Land „zum wiederholten Male vor große Herausforderungen“, stöhnte Impfkoordinator Daniel Stich. Laut dem Impfmonitor des RKI warten derzeit allein in Rheinland-Pfalz rund 300.000 mit AstraZeneca-Geimpfte auf ihre zweite Impfung, wie viele davon unter 60 sind und somit ohnehin einen mRNA-Impfstoff erhalten sollten, ist unklar.
Bei den 32 Impfzentren des Landes gebe es derzeit rund 65.000 bereits terminierte Zweitimpfungen mit Erstimpfung AstraZeneca, sagte Stich. Das Land werde die Zweittermine nicht verschieben, bereits ab Montag sollen diese Termine mit mRNA-Impfstoff stattfinden. Für den benötigten Impfstoff will Rheinland-Pfalz Moderna einsetzen: Es gebe eine angekündigte, aber noch nicht verplante Zusatzlieferung an Moderna-Impfstoff, sagte Stich, dazu werde man umplanen. Auch verschaffe die Quote von rund 15 Prozent nicht wahrgenommener Termine in den Impfzentren Spielraum. Der Bund müssen nun aber auch seiner Zusicherung nachkommen, zusätzlichen Impfstoff zu liefern, forderte Stich weiter.
Gleichzeitig sitzt das Land nun aber auch auf größeren Mengen AstraZeneca, von denen man nicht so recht weiß, wohin damit – genau wie die Arztpraxen auch. Das Land versuche weiter, „jeden Impfstoff so schnell und verlässlich wie möglich zu verimpfen“, betonte Stich, man denke jetzt verstärkt über Sonder-Impfaktionen in Kooperation mit Kommunen und Ärzten vor Ort nach.
Die Stadt Wiesbaden sagte derweil ihre für den 6. und 7. Juli geplante Sonderimpfaktion ab. Wiesbaden wollte an dem Wochenende mit rund 600 Impfdosen von Moderna Wiesbadener frei und ohne Voranmeldung impfen wollen und das gerade erst am Freitag angekündigt – kurz darauf musste man die Aktion auf Weisung des Landes Hessen wieder absagen: Der Moderna-Impfstoff wird nun anderweitig gebraucht.
Auch Hessen kündigte an, ab sofort alle Zweitimpfungen nach Erstimpfung mit AstraZeneca auf Biontech oder Moderna umzustellen. „Wer trotz der Empfehlung der STIKO seine Impfserie mit dem Vakzin von Astrazeneca abschließen möchte, kann dies weiterhin tun“, hieß es vom Land Hessen aber zugleich: Die Impfzentren würden auch entsprechende Dosen des Vektorimpfstoffs von Astrazeneca vorhalten. Für den Monat Juli 2021 waren in Hessen noch rund 200.000 Zweitimpfungstermine mit dem Wirkstoff von Astrazeneca vorgesehen.
Dass die Kombinationsimpfung aus Vektorviren- und mRNA-Impfstoffen einen sehr guten Schutz auch vor der Delta-Mutante gewähre, sei im Übrigen „keine große Überraschung“, betonte der Bayrische Hausärzteverband weiter – das zeigten bereits zahlreiche Studien der vergangenen Monate übereinstimmend. „Es war also völlig unnötig, dass die Stiko mit einer Adhoc-Meldung völlig unabgestimmt die Impfpolitik ändert“, schimpfte Beier: „Die einsame Entscheidung der STIKO war schlecht geplant und überhastet bis gar nicht kommuniziert.“
Der Bayerische Hausärzteverband und der Landesverband Bayern des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte griffen deshalb zu einer besonderen „Ehre“: Man verleihe der Stiko deshalb „die Gesundheitspolitische Zitrone des Monats Juli“. Der Preis werde fallweise vergeben, der Bayerische Hausärzteverband mache damit seit Jahren die schlimmsten Missstände im deutschen Gesundheitssystem öffentlich. Der Preis werde fallweise vergeben, mit ihm macht der Bayerische Hausärzteverband eigenen Angaben zufolge seit Jahren die schlimmsten Missstände im deutschen Gesundheitssystem öffentlich.
Info& auf Mainz&: Die ganze (kurze) Stellungnahme der Stiko findet Ihr hier im Internet, mehr zu dem Hin-und-Her der Stiko-Entscheidungen zu AstraZeneca könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen. Mehr zum Vormarsch der Delta-Variante und der kommenden Sonder-Impfaktion für Studierende in Mainz lest Ihr hier bei Mainz&.