Erneute Kehrtwende bei den Impfungen mit AstraZeneca: Nach neuen Fällen schwerer Hirnthrombosen nach Impfungen mit AstraZeneca empfahl die Ständige Impfkommission (Stiko) am Dienstagabend überraschend, mit dem Impfstoff nur noch Menschen über 60 Jahre zu impfen. Rheinland-Pfalz muss daraufhin nun 20.000 Impftermine vorerst stornieren. Diese Termine sollten so schnell wie möglich, voraussichtlich bis Ende April, mit neuen Impfstoffen neu vergeben werden, kündigte Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) am Mittwoch an. Hessen kündigte hingegen an, keine Termine zu stornieren.

Kehrtwende in Sachen AstraZeneca: Der Chef der Stiko, Thomas Mertens, am Dienstag im ZDF-Interview. - Foto: gik
Kehrtwende in Sachen AstraZeneca: Der Chef der Stiko, Thomas Mertens, am Dienstag im ZDF-Interview. – Foto: gik

Am Dienstag hatte die Stiko in Sachen AstraZeneca-Impfungen nach nur zwei Wochen eine plötzliche Kehrtwende hingelegt: Nachdem gerade auch in Deutschland eine ungewöhnlich hohe Anzahl von schweren Sinusvenenthrombosen im Gehirn aufgetreten waren, hatte Deutschland die Impfungen mit AstraZeneca Mitte März zunächst gestoppt, nach der Überprüfung durch die Europäische Arzneimittelkommission EMA dann aber uneingeschränkt wieder fortgesetzt. Am Dienstag stoppten dann aber gleich vier große Universitätskliniken in NRW sowie die Charité in Berlin die Impfungen mit AstraZeneca – weil neue Fälle der gefährlichen Hirnthrombosen aufgetreten waren.

Inzwischen stieg die Zahl der Fälle in Deutschland auf 31, bei denen nach einer Impfung mit AstraZeneca schwere Fälle von gefährlichen Blutgerinnseln im Gehirn in Zusammenhang mit einer Verringerung der Anzahl von Blutplättchen aufgetaucht sind – beim ersten Stopp der Impfungen mit AstraZeneca vor zwei Wochen waren es noch neun Fälle gewesen. Von den 31 Fällen sind nur zwei Männer, neun Menschen starben inzwischen daran. Forscher gehen inzwischen fest von einem Zusammenhang zwischen den Impfungen und den Sinusvenenthrombosen aus, die sonst ausgesprochen selten auftreten. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach äußerte sich am Dienstag besorgt: Die Häufigkeit des Auftretens habe Mitte März noch bei einem Fall von rund 250.000 Impfungen gelegen, liege inzwischen aber bei einem Fall auf 100.000 Personen – das sei alarmierend.

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In Deutschland waren vor allem Jüngere Menschen, darunter viele Frauen, mit AstraZeneca geimpft worden. - Foto: Biontech
In Deutschland waren vor allem Jüngere Menschen, darunter viele Frauen, mit AstraZeneca geimpft worden. – Foto: Biontech

Die Ständige Impfkommission Stiko änderte daraufhin ihre Bewertung des Impfstoffs grundlegend: Zu Beginn hatte die Kommission noch die Impfungen nur für Menschen unter 65 Jahren empfohlen, weil für ältere Menschen zu wenig Daten von Seiten des Herstellers vorlagen. So war Deutschland das einzige Land, das AstraZeneca nur an Menschen unter 65 Jahren verabreichte – das dürfte ein Grund für das gehäufte Auftreten der Hirnthrombosen gerade in Deutschland sein.  Dazu wurden in Deutschland besonders viele jüngere Frauen mit Astrazeneca geimpft, weil der Impfstoff vor allem bei Pflegenden und im Erziehungsbereich eingesetzt wurde – die Thrombosen treten bei Frauen deutlich häufiger auf als bei Männern.

Die Stiko änderte daraufhin ihre Empfehlung zur Einsetzung des Impfstoffs so, dass nun damit nur noch Menschen über 60 Jahren mit AstraZeneca geimpft werden sollten, freiwillige Impfungen von Menschen unter 60 Jahren bleiben nach Rücksprache mit Ärzten aber möglich und erlaubt. Experten wie Lauterbach betonten am Dienstag zudem erneut, der Impfstoff sei weiter sicher und schütze mit hoher Zuverlässigkeit vor dem Coronavirus, die neue Einschränkung sei lediglich eine Vorsichtsmaßnahme – das Auftreten der Hirnthrombosen sei immer noch sehr selten. Am Abend folgten Bund und Länder der Empfehlung der Stiko und beschlossen, AstraZeneca nun nur noch an über 60-Jährige zu verimpfen – hier waren diese Nebenwirkungen bislang gar nicht aufgetreten.

Wieder Wirbel um den Impfstoff von AstraZeneca: Jetzt ist das Vakzin nur noch für Ältere über 60 Jahre zugelassen. - Foto: AstraZeneca
Wieder Wirbel um den Impfstoff von AstraZeneca: Jetzt ist das Vakzin nur noch für Ältere über 60 Jahre zugelassen. – Foto: AstraZeneca

Die Kehrtwende hat neue Auswirkungen auf die ohnehin schleppende Impfkampagne in Deutschland: „In Rheinland-Pfalz finden von heute an keine Impfungen mehr mit AstraZeneca für Personen unter 60 statt“, kündigte Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) am Mittwoch an. Impfungen von Personen ab 60 Jahren blieben davon unberührt, auch die Impfungen mit anderen Impfstoffen liefen wie geplant weiter. „Die erneute Absage und Umwandlung stellt uns dabei vor große organisatorische und planerische Herausforderungen“, betonte die Ministerin – betroffen von der erneuten Umstrukturierung seien insgesamt fast 60.000 Impftermine mit AstraZeneca.

Etwa 20.000 Termine, bei denen Impfungen mit AstraZeneca in den kommenden Tagen vorgesehen waren, müssen deshalb nun storniert und neu geplant werden. „Diese Termine werden storniert so zeitnah wie möglich neu vergeben, Sie müssen dazu nichts veranlassen“, betonte Bätzing-Lichtenthäler ausdrücklich. Die Betroffenen würden automatisch informiert, entweder noch heute per Email, oder aber telefonisch. „Bitte stornieren Sie selbst keine Termine, um den Prozess nicht zu verlangsamen“, betonte die Ministerin weiter. Die neuen Termine für die Erst- sowie die Zweitimpfung würden automatisch mitgeteilt.

Pressekonferenz mit Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) zu den Änderungen bei AstraZeneca. - Foto: gik
Pressekonferenz mit Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) zu den Änderungen bei AstraZeneca. – Foto: gik

Das Problem in Rheinland-Pfalz: Durch den Impfstopp mit AstraZeneca Mitte März wurde schon damals der Puffer mit anderen Impfstoffen wie BionTech aufgebraucht, weil schon vor zwei Wochen die AstraZeneca-Impfungen ersetzt wurden durch Impfungen mit BionTech. „Wir können die Termine jetzt deshalb nicht eins zu eins umwandeln, unser Puffer ist aufgebraucht“, sagte Bätzing-Lichtenthäler. Rheinland-Pfalz hatte ohnehin geringere Mengen an Impfstoffen zurückgestellt als andere Länder, weil Rheinland-Pfalz lieber so viele Menschen wie möglich mit einer Erstimpfung versehen wollte, anstatt Impfstoff für für Zweitimpfungen zurückzuhalten.

Hessen dagegen kündigte am Mittwoch an, man werde keinen einzigen Impftermin absagen müssen. Rund 12.500 Hessen mit Impfterminen in den 28 hessischen Impfzentren würden nun die Vakzine der Firmen BionTech oder Moderna erhalten, die Termine würden wie vorgesehen durchgeführt, sagte der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am Mittwoch. Der Wechsel erfolge „unkompliziert und unbürokratisch vor Ort in den Impfzentren.“ In Hessen haben bereits rund 208.000 Menschen eine Erstimpfung mit AstraZeneca erhalten, mehr als die Hälfte davon sind jünger als 60 Jahre. Ihre Termine für die Zweitimpfungen werden nun in den Monat Mai verschoben.

Auch Rheinland-Pfalz verschiebt die Termine für die Zweitimpfungen für die Personen, die bereits ihre erste Impfung mit Astrazeneca erhalten haben. Die Zweitimpfungen seien von Mitte April an geplant gewesen, sagte Bätzing-Lichtenthäler weiter, sie würden nun um rund zwei Wochen verschoben. Medizinisch ist das kein Problem: Die Zulassung von AstraZeneca erlaubt eine Frist von bis zu 12 Wochen zwischen der Erst- und der Zweitimpfung, Untersuchungen ergaben sogar, dass die Wirkung des Impfstoffs umso besser ist, je größer der Abstand ist. Schon jetzt bestehe nach der Erstimpfung ein Schutz von etwa 70 Prozent gegen das Coronavirus, betonte Bätzing-Lichtenthäler.

Die Impfzentren in Deutschland müssen nun erneut umplanen. - Foto: gik
Die Impfzentren in Deutschland müssen nun erneut umplanen. – Foto: gik

Rheinland-Pfalz könne so die Empfehlung der Stiko abwarten, wie mit den Zweitimpfungen umgegangen werden solle, sagte die Ministerin – die Empfehlung der Stiko soll bis Ende April vorliegen. Die Kommission muss nun entscheiden, ob Zweitimpfungen mit AstraZeneca auch bei Menschen unter 60 Jahren problemlos möglich sind, oder ob die Zweitimpfungen mit einem anderen Impfstoff durchgeführt werden können – bislang ist das in Studien noch nicht endgültig geklärt. Eine weitere Möglichkeit wäre eine komplett neue Impfung etwa mit BionTech, das aber würde die deutsche Impfkampagne noch einmal weiter zurückwerfen. „Wir sind noch mit den Nachwehen des letzten Stopps von vor zwei Wochen beschäftigt“, räumte Bätzing-Lichtenthäler ein.

Die Folge der Änderung ist nun aber auch, dass Deutschland erhebliche Mengen von AstraZeneca übrig hat. Rheinland-Pfalz will deshalb bereits kommende Woche Mittwoch die Terminregistrierung für Menschen zwischen 60 und 69 Jahren starten. In der Gruppe der Menschen ab 60 Jahren sei der Impfstoff uneingeschränkt nutzbar, „ich möchte die Menschen ab 60 bitten, diese Möglichkeit auch wahrzunehmen“, betonte Bätzing-Lichtenthäler. Die Öffnung der Impfungen für die neue Gruppe habe zudem keinen Einfluss auf die Terminvergabe für die über 70-Jährigen – hier warten noch mehr als 300.000 Menschen auf einen Impftermin. Zugeteilt werde weiter nach Alter unud nach Priorisierung, betonte die Ministerin.

Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte sich dagegen am Dienstag dafür ausgesprochen, die Priorisierung für AstraZeneca komplett aufzuheben: Dann könne sich mit dem Wirkstoff jeder impfen lassen, „der sich traut“, sagte Söder – nach Rücksprache mit Ärzten natürlich.

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Hirnvenenthrombosen in Zusammenhang mit den AstraZeneca-Impfungen haben wir hier bei Mainz& erklärt. Alles zum Impfstopp mit AstraZeneca Mitte März könnt Ihr hier noch einmal nachlesen, wie die EMA und die Bundesregierung die Fortsetzung der Impfungen mit AstraZeneca begründeten haben wir hier bei Mainz& erklärt.

 

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