Mehr als ein Jahr nach der Flutkatastrophe will das Land Rheinland-Pfalz seinen Katastrophenschutz grundlegend neu aufstellen und professionalisieren. Kernpunkte sind eine neue zentrale Landeseinrichtung für Katastrophen- und Bevölkerungsschutz, hier soll künftig ein permanentes Lagezentrum 24/7 Lagen beobachten sowie Alarm- und Einsatzplanung aufstellen. Dazu will das Land künftig deutlich mehr Verantwortung im Katastrophenschutz übernehmen und konkrete Vorgaben für die Kommunen machen. Auch soll es mehr geländegängige Fahrzeuge geben.
“Die Welt ist heute eine andere, die Katastrophen zwingen uns umzudenken“, betonte Innenminister Roger Lewentz (SPD) bei der Vorstellung der Neuordnung am Mittwoch in Mainz. Das Land ziehe damit vor allem die Konsequenzen aus der Flutkatastrophe im Ahrtal vor einem Jahr, aber auch aus neuen Krisenlagen wie Waldbränden und dem Krieg in der Ukraine. “Wir haben nach dem maximal schrecklichen Schadensereignis auch gesehen, wo in der extremsten Situation die Dinge aufzugreifen sind”, sagte Lewentz mit Blick auf das Ahrtal: “Wir haben sehr, sehr genau gelernt.”
Der Innenminister steht selbst unter Druck, der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal will Ende September die Rolle des Ministers in der Flutnacht noch einmal ganz genau unter die Lupe nehmen. Erst vergangene Woche hatten die Oppositions-Fraktionen von CDU und Freien Wählern einen Neustart beim Katastrophenschutz gefordert, und dem Land vorgeworfen, seine Hausaufgaben nicht zu machen. Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 20221 waren insgesamt 134 Menschen gestorben – auch weil Warnsysteme und Einsatzleitungen versagten.
Strukturen versagten im Ahrtal, neues Landesamt geplant
Gerade auch übergeordnete Stellen beim Land hatten zudem über Stunden hinweg im Dunkeln getappt, weil Informationen nicht weitergegeben und Strukturen unzureichend waren. So war das Lagezentrum im Innenministerium mit viel zu wenig Personal ausgestattet und ohne Überblick über die Lage im Ahrtal, die bisher zuständige Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion ADD konzentrierte sich an dem Abend weitgehend auf den Landkreis Bitburg-Prüm – in dem letztlich weitaus weniger geschah.
Aus all dem will Rheinland-Pfalz nun Konsequenzen ziehen: Rheinland-Pfalz werde eine neue, zentrale Landeseinrichtung für Katastrophen- und Bevölkerungsschutz schaffen, kündigte Lewentz nun an – damit greift das Land die Empfehlung des früheren THW-Präsidenten Albrecht Broemme auf. Die neue Behörde wird erstmals gezielt auf Landesebene die Zuständigkeiten im Bereich Katastrophenschutz bündeln und ein permanentes Lagezentrum betreiben, das sieben Tage die Woche rund um die Uhr Lagen beobachten und im Krisenfall Einsätze koordinieren soll.
Erstmals 24/7-Lagezentrum für Katastrophenschutz
“Wir haben dann neben dem Lagezentrum bei der Polizei erstmals auch ein Lagezentrum Brand- und Katastrophenschutz mit den entsprechenden Experten”, betonte Lewentz. In dem Lagenzentrum sollen permanent eingespielte Kräfte zusammenarbeiten und im Krisenfall auch Experten für Hochwasser oder Geologie beiziehen – eine Konsequenz aus der Flutkatastrophe, in der Informationen speziell aus dem Landesamt für Umwelt bei den Krisenstäben von Polizei und Feuerwehren vor Ort entweder gar nicht ankamen oder nicht verstanden wurden. Auch einen Austausch zwischen Innenministerium und Umweltministerium hatte es in der Flutnacht praktisch nicht gegeben.
Die neue Landesbehörde soll zudem permanent den Kontakt zu übergeordneten Einrichtungen des Bundes halten, wie etwa dem Gemeinsamen Kompetenzzentrum des Bundes (GeKoB), in dem die Länder gemeinsam für eine bessere Vernetzung zusammenarbeiten wollen. Das GeKoB wurde im Juni von der Innenministerkonferenz beschlossen, und wird derzeit beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn aufgebaut. Im GeKoB sollen alle Länder zusammenarbeiten und so Informationen und Hilfen zwischen den Ländern besser koordinieren helfen.
Das neue rheinland-pfälzische Landesamt soll mit 34 zusätzlichen Vollzeitstellen ausgestattet werden und umgehend starten, der organisatorische Aufbau laufe bereits, sagte Lewentz weiter. Das Zentrum werde einen permanenten Verwaltungsstab sowie einen operativ-taktischen Stab aus Hauptberuflichen der zentralen Landeseinrichtungen haben. Es soll Alarm- und Einsatzpläne auf Landesebene entwickeln, Ausrüstung für den Katastrophenschutz zentral vorhalten sowie für Aus- und Weiterbildung der Kräfte vor Ort sorgen.
Land soll mehr Zuständigkeiten bekommen, mehr Vorgaben
Dazu plant das Land einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel in Sachen Aufgabenverteilung: Mit einer neuen Landesverordnung will das Land die Zuständigkeit beim Katastrophenschutz in deutlich größerem Maße an sich ziehen. “Der Katastrophenschutz soll staatliche Aufgabe werden”, kündigte Lewentz an – bisher sind für den Katastrophenschutz in Rehinland-Pfalz die Landkreise und kreisfreien Städte zuständig. Künftig werde das Land neben der Rechtsaufsicht auch die Fachaufsicht übernehmen , sagte Lewentz nun.
Damit kann das Land künftig deutlich konkretere Vorgaben machen, was den Katastrophenschutz auf der Ebene von Landkreisen und Städten angeht – und genau das soll auch geschehen: “Wir werden dezidierte Vorgaben machen, wie der Katastrophenschutz vor Ort vorzuhalten ist“, sagte Innenstaatssekretär Randolph Stich. Derzeit gebe es in Rheinland-Pfalz durch die kommunale Zuständigkeit “36 Einrichtungen, die Einheiten für den Katastrophenschutz aufstellen, und das derzeit nach ihren Vorstellungen machen”, sagte der Staatssekretär.
Das Problem dabei: Vielerorts wurde dabei auch Katastrophenschutz nach Kassenlage gemacht, die vielfach hochverschuldeten Städte und Kreise im Land schafften deshalb oft wichtige, aber selten genutzt Fahrzeugarten etwa bei den Feuerwehren aus Kostengründen nicht an. “Warnen können wir nicht”, sagte etwa ein Mainzer Feuerwehrmann in einem Interview mit Mainz& kurz nach der Flutkatastrophe, und beschrieb eine ganze Liste von Mängeln. Auch die Ausstattung mit Katastrophenschutzzentren vor Ort ist höchst unterschiedlich, dazu haben nicht einmal alle Städte oder Landkreise Alarm- und Einsatzpläne, wie Stich einräumte – obwohl das eigentlich von Landesseite aus vorgeschrieben ist.
Alarm- und Einsatzpläne nicht überall vorhanden
“Wir haben bei den Alarm- und Einsatzplänen noch mal nachgefasst”, sagte der Staatssekretär nun, die Kreise und Städte seien dabei, hier nachzuarbeiten. “Es gab welche, die hatten Einsatzpläne, welche, die hatten Zwischendinge, die wir nicht anerkennen können – und manche auch gar keine”, räumte Stich ein. Nun will das Land konkretere Vorgaben machen, wie der Katastrophenschutz vor Ort aufgestellt sein muss, damit wird der Katastrophenschutz aber auch zur Auftragsaufgabe – und das Land damit finanziell zuständig.
Lewentz kündigte nun an, vorhandene Landesmittel bei der Ausstattung sollten “zu schlagkräftigen Einheiten pro Region zusammengefasst werden.” Ein Sonderförderprogramm von zwei Millionen Euro soll für die Anschaffung von geländegängigen Fahrzeugen aufgelegt werden, gerade solche Fahrzeuge hatten im Ahrtal gefehlt und werden zudem auch für den Einsatz bei Waldbränden gefordert. Dazu schafft das Land für 32,5 Millionen Euro zwei neue Polizeihubschrauber an, die auch mit Seilwinden zur Höhenrettung ausgestattet sein werden – Rheinland-Pfalz besaß so etwas bisher nicht.
Für den Aufbau moderner Sirenen im Land stehen zudem vier Millionen Euro vom Bund zur Verfügung, die das Land noch einmal um vier Millionen Euro aufstocke, sagte Lewentz weiter. Man denke auch über leichtere Einsatzkleidung für Feuerwehren nach, wie sie die Opposition zuletzt gefordert hatte. Das müsse aber auch fachlich erarbeitet werden, betonte Lewentz: “Ich kann dafür ja nicht einfach zu C&A gehen und was kaufen.”
Info& auf Mainz&: Mehr zu dem Gutachten des früheren THW-Präsidenten Broemme zum Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz lest Ihr hier bei Mainz&. Was CDU und Freie Wähler in Sachen Katastrophenschutz forderten, könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen.