Er ist einer der profiliertesten Katastrophenschutzexperten in Deutschland: Albrecht Broemme, langjähriger Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, war schon in allen Krisengebieten dieser Welt unterwegs. Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal kritisierte er in deutlichen Worten das Agieren der Krisenstäbe, nun legte Broemme einen Bericht für die Landesregierung vor. Der Inhalt: Was sich im Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz ändern muss. Broemmes Forderungen: Krisenstäbe, die jederzeit einsatzfähig sind, mehr Selbstkritik, bessere Aufklärung der Bevölkerung, Katastrophen-Leuchttürme in jeder Gemeinde – und die Schaffung eines Landesamtes für Katastrophenschutz.

Albrecht Broemme als THW-Präsident im Juli 2017. - Foto via Wikipedia: Bundesanstalt Technisches Hilfswerk/ Daniel Schriek
Albrecht Broemme als THW-Präsident im Juli 2017. – Foto via Wikipedia: Bundesanstalt Technisches Hilfswerk/ Daniel Schriek

Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal waren in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 insgesamt 134 Menschen in den Fluten gestorben, das Katastrophenmanagement von Kreisen und Land Rheinland-Pfalz steht seither massiv in der Kritik. Bereits im September 2021 hatte der langjährige Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk und versierte Katastrophenschutz-Experte Albrecht Broemme in Mainz eine gründliche Aufarbeitung gefordert: Die Katastrophe habe im Ausland zu vielen Fragen geführt, was denn in Deutschland los sei, „diese Frage müssen wir mal beantworten“, forderte Broemme. bei einem Besuch der CDU-Landtagsfraktion in Mainz.

Im anschließenden Interview mit der Autorin dieser Zeilen in der Rhein-Zeitung kritisierte Broemme den Zustand des Katastrophenschutzes in Rheinland-Pfalz deutlich: Eine Katastrophe solchen Ausmaßes müsse durch ein „geordnetes System von großen Einsatzstellen“ gemanaged werden, ein typischer Kreisbrandmeister sei alleine überfordert. Im Ahrtal habe es viel zu lange gedauert, bis die Zuständigen sich einen Lageüberblick verschafft hätten, eine Kommunikation per Fax – wie es sie in den Einsatzleitstellen noch immer gibt – seit „Anno 21′ einfach absurd“, sagte Broemme.

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Die Katastrophenstäbe müssten gezielter eingreifen, Evakuierungen beherzt angeordnet und die Bevölkerung viel besser auf Katastrophen vorbereitet werden, forderte Broemme damals – nun hat er seine Vorschläge in einem Grundsatzpapier aufbereitet: Im Auftrag des Mainzer Innenministeriums legte Broemme nun die Analyse „Strategien für Rheinland-Pfalz zur Vorbeugung, Vorbereitung, Koordinierung, Nachbereitung und zur verbesserten Resilienz“ bei Unwetterereignissen vor.

Apokalyptische Zerstörungen im Ahrtal nach der Verheerenden Flutwelle im Juli 2021. - Foto: gik
Apokalyptische Zerstörungen im Ahrtal nach der Verheerenden Flutwelle im Juli 2021. – Foto: gik

Ziel seines Berichtes sei es, „Erfahrungen aus den Personen- und Sachschäden nach dem schweren Unwetter im Juli 2021 dazu zu benutzen, Verbesserungsbedarf in Rheinland-Pfalz zu erkennen und zu realisieren“, schreibt Broemme im Vorwort, und mahnt: „Die vorgeschlagenen Verbesserungen kosten Zeit, Geld und vor allem politischen und fachlichen Willen zur konsequenten, schrittweisen Umsetzung.“ Denn der Wille zu Verbesserungen „erlahmt erfahrungsgemäß nach wenigen Monaten“, mahnt Broemme weiter, in Fachkreisen nenne man dies „Hochwasser-Demenz“. Es brauche aber unbedingt „eine kritische Betrachtung des Gefahrenmanagements“, betont der Experte weiter. Extreme Unwetterschäden könnten überall auftreten, Aussagen, „dass ’so etwas‘ nicht für möglich zu halten wäre, entbehren inzwischen jeder Grundlage.“

Zehn Punkte zur Verbesserung des Katastrophenschutzes

In dem Papier, das Mainz& vorliegt, listet Broemme zehn Punkte zur Verbesserung des Katastrophenschutzes in Rheinland-Pfalz auf. Danach müsse jeder Landkreis und jede Kommune einen jederzeit einsatzfähigen Krisenstab aufstellen, der „mit geeigneten, trainierten Personen aus den erforderlichen Sparten (einschließlich der Verwaltung) besetzt“ sei – eine „pauschale Delegation auf den Brand- und Katastrophenschutzinspekteur reicht nicht aus.“ Genau das war aber im Ahrtal passiert, der Ahrweiler Landrat Jürgen Pföhler hatte diese Aufgabe dauerhaft auf seinen Brandinspekteur delegiert, das ging gründlich schief.

Einsatzzentrale der Mainzer Polizei - Vergleichbares fordert nun Experte Albrecht Broemme auch für den Katastrophenschutz. - Foto: gik
Einsatzzentrale der Mainzer Polizei – Vergleichbares fordert nun Experte Albrecht Broemme auch für den Katastrophenschutz. – Foto: gik

Broemme plädiert zudem für eine deutlich schnellere Einberufung der Krisenstäbe in Notlagen: Die Einberufung eines Krisenstabes habe „neben der fachlichen Notwendigkeit, stets eine Signalwirkung sowohl ’nach innen‘ als auch ’nach außen'“, schreibt er: „Sie zeigt, dass der Ernst der Lage erkannt ist.“ Sofern eine Kommune beim Management einer Katastrophe überfordert sei, müsse sie ‚horizontale“ Unterstützung von anderen Kommunen oder kreisfreien Städten oder Unterstützung „von oben“ durch den Landkreis anfordern können. Auch müssten schon im Vorfeld Szenario-spezifische externe Partnern aus Wirtschaft, Forschung, Verbänden und anderen Institutionen identifiziert werden, „es gilt das 3K-Prinzip: ‚In Krisen Köpfe kennen'“, schreibt Broemme weiter.

Selbst-kritische Fehlerkultur und geübte Kriseneinsätze

Nach Übungen und Einsätzen müsse zudem eine (selbst-)kritische Auswertung des Einsatzes erfolgen, um nach dem Motto „Lessons Learned“ Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen und umzusetzen, fordert Broemme. Das ist ein wunder Punkt, hatte doch etwa der Oberbrandmeister der Mainzer Feuerwehr, Michael Ehresmann, nach der Katastrophe gegenüber Mainz& berichtet, eine echte, selbst-kritische Fehlerkultur gebe es bei den meisten Feuerwehren und Katastrophenschutz-Trupps nicht.

Auch die Mainzer Feuerwehr half beim Katastropheneinsatz im Ahrtal. - Foto: Feuerwehr Mainz/ Stadt Mainz
Auch die Mainzer Feuerwehr half beim Katastropheneinsatz im Ahrtal. – Foto: Feuerwehr Mainz/ Stadt Mainz

„Bei der Feuerwehr Eigenkritik am Einsatz zu machen, ist völlig unüblich, da gibt es viel Angst davor, Fehler einzugestehen“, hatte Broemme im Interview bestätigt. Das selbstkritische Hinterfragen des eigenen Agierens nach dem Einsatz finde viel zu wenig statt, weil „alle Angst haben, dass sie dann wie blöde dastehen.“ Werde aber nie Kritik geübt, „wird man nie besser werden“, sagte Broemme weiter. Nun fordert der Experte in seinem Papier: Krisenmanagement müsse auch trainiert werden, dazu gebe es etwa auch wissenschaftlich fundierte Methoden, den Trainingsstand eines Krisenstabes festzustellen und wenn nötig zu verbessern

„Das Krisenmanagement muss auf allen Verwaltungsebenen und in allen Behörden sowie seitens der Akteure institutionalisiert und gut geübt sein“, heißt es in dem Papier weiter. Auch müssten Vernetzungen zu anderen Akteuren in der Wirtschaft (Infrastruktur) oder zu Medien im Vorfeld klar geregelt sein, auch die Schaffung von Unterstützungsteams für den Krisenfall sei sinnvoll – solche Teams könnten einen Krisenstab dann etwa mit erfahrenen Krisenmanagern oder Experten für Kommunikation unterstützen.

Support-Teams und effektive Warnung der Bevölkerung

Auch der Einsatz von „Virtual Operation Support Teams (VOST)“ sei sinnvoll: Diese Teams bestünden aus spezialisierten Freiwilligen, die im Alarmfall vom Home-Office aus im Internet relevante Informationen suchten, sie bewerteten und dem Krisenstab übermittelten. Während der Ahrflut erwiesen sich hingegen die Krisenstäbe vor Ort als entweder blind – in Ahrweiler saß man gar ohne Handyempfang in einem Keller – oder als überfordert damit, einen Lageüberblick zu bekommen, auch weil im Tal nach wenigen Stunden Internet und Handynetze sowie nahezu sämtliche Straßenverbindungen und Brücken zusammenbrachen.

Typisches Warn-Video des Deutschen Wetterdienstes: Warnungen, die nicht ankommen. - Screenshot: gik
Typisches Warn-Video des Deutschen Wetterdienstes: Warnungen, die nicht ankommen. – Screenshot: gik

Ein wichtiger Punkt in Broemmes Papier ist ferner die Information und Warnung der Bevölkerung: „Ohne vorherige, präventive Information und Aufklärung der Bevölkerung wird keine Warnung je funktionieren“, warnt der Experte. Die Kommune müsse ihre Bewohnerschaft „konkret, frühzeitig und spezifisch informieren und warnen“, betont er. Derzeit werden aber meist die zahlenbasierten Warnungen des Deutschen Wetterdienstes oder der Hochwasserzentrale „händisch und somit unterschiedlich interpretiert und teilweise erst mit erheblichen Verzögerungen weitergeleitet – oder bleiben außerhalb von Bürozeiten liegen.“

Warnungen müssten „auf allen Kanälen“ synchron kommuniziert werden, sowohl in den Sozialen Medien als auch vor Ort müsse unbedingt auf (gezielte) Fehlinformationen reagiert werden. „Um eine möglichst hohe Reichweite zu erzielen, sind – abhängig von der Handlungsdringlichkeit – mehrere Systeme gleichzeitig zu aktivieren“, schreibt Broemme weiter. Dazu zählten Sirenensysteme ebenso wie Warnungen auf mobilen Endgeräten, aber auch Hotlines, Warnungen in sozialen Medien und per Radiodurchsagen, Einblendungen beim Fernsehen und im Internet sowie der Einsatz von Warnfahrzeugen mit Lautsprecher-Durchsagen. Auch das Läuten der Kirchturmglocken – notfalls manuell – könne ein wichtiger Warnbaustein sein.

 

Erfolgreiches Warnen setze aber vorab „die Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung (Kindergärten, Schulen, Altenheime, Handzettel für jeden Haushalt, …) voraus“, Warnungen müssten vom Bund unmittelbar bis zu den Kommunen automatisch „durchgereicht“ werden. Broemme schlägt ferner „bundesweit vereinheitlichte, einprägsame Warnsignale („Weckruf“)“ vor, die jedem Haushalt, jedem Büro und jedem Betrieb vorliegen müssten.

„Katastrophen-Leuchttürme“ als Anlaufstationen im Ernstfall

Für den Katastrophenfall sollte es zudem in allen Kommunen vorab definierte „Katastrophen-Leuchttürme (Kat-Leuchttürme)“ geben, schreibt Broemme weiter. Dabei handele es sich um vorgeplante stationäre (ggf. auch mobile) Einrichtungen, die der Bevölkerung bekannt sein sollten. „Es müssen ’sichere Orte‘ sein, die etwa auch bei längeren Störungen der kritischen Infrastruktur (insbesondere der Stromversorgung) autark funktionieren“, so das Papier weiter. Bei Bedarf könnten diese Kat-Leuchttürme mit dort postierten Fahrzeugen der Feuerwehr, des Rettungsdienstes, des THW und der Polizei zu einer Art „Temporären Wache“ erweitert werden.

Privat organisierte Versorgungsstation in Altenahr nach der Flutkatastrophe, in einer Scheune an der Kirche. - Foto: gik
Privat organisierte Versorgungsstation in Altenahr nach der Flutkatastrophe, in einer Scheune an der Kirche. – Foto: gik

Die Kat-Leuchttürme würden dann bei entsprechenden Schadenlage in Betrieb genommen, sie seien Anlaufstelle für die Bevölkerung, die an diesen Orten mit Informationen zur Lage und mit Lademöglichkeiten von Handys, mit Trinkwasser, (warme) Getränken, Lebensmitteln und Hygieneartikeln versorgt werden könne. „Weitere Aufgaben sind Erste Hilfe, Kindernotbetreuung, Anlaufstelle für Spontanhelfer, Organisation von Transporten;, Ausgabe von Sachspenden sowie Treffpunkt der Nachbarschaft“, schreibt Broemme weiter.

„Es wird empfohlen, dass jede Kommune ‚Kat-Leuchttürme‘ plant, vorbereitet und der Bevölkerung bekannt gibt“, betont der Experte. Diese seien „ein praktisches, sichtbares Bindeglied zwischen Kommune und Bevölkerung, auch signalisieren sie der Bevölkerung, dass sie nicht ‚im Stich gelassen‘ wird.“ Im Verhältnis zur positiven Wirkung sei der Aufwand zudem überschaubar. Im Ahrtal hatten sich nach der Flut genau solche Anlaufstellen spontan in den Orten selbst entwickelt, oft an den höher gelegenen Kirchen oder in Gemeindehäusern.

Landesamt für Katastrophenschutz mit dauerhaftem Lagezentrum

Die wichtigste Forderung Broemmes in dem Papier aber ist eine grundlegende Neuerung: die Schaffung eines „Landesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenvorsorge“ in Rheinland-Pfalz. Ein solches Amt könne zahlreiche Aufgaben wie Planung, Schulungen sowie Management besonderer Schadenslagen bündeln und der unklaren Verantwortlichkeiten – der sogenannten „Verantwortungsdiffusion“ – sowie überlastete Krisenstäbe vermieden werden.

Einsatzstab bei der Polizei Mainz beim Tag der Deutschen Einheit. - Foto: gik
Einsatzstab bei der Polizei Mainz beim Tag der Deutschen Einheit. – Foto: gik

Ein solches Landesamt müsse die Landesaufgaben für die Bereiche Bevölkerungsschutz, Katastrophenvorsorge und Resilienz unterhalb der ministeriellen Ebene bündeln und Planungen für Schadensereignisse vorlegen, deren Eintrittswahrscheinlichkeit zwar gering sei, die im Eintrittsfall aber große Schäden und gravierende Folgen für die Infrastruktur sowie die Gesundheit vieler Menschen verursachten und ein ressortübergreifendes, schnelles und umfassendes Handeln erforderlich machten. Solche Ereignisse seien nicht nur Hochwasser und Starkregen-Ereignisse, sondern auch Atomunfälle, Pandemien oder auch längere Stromausfälle.

 

Zuständig wäre ein solches Landeskatastrophen-Abwehramt nach Broemmes Vorschlag zudem für die Steuerung von Ausbildung und Training der Krisenstäbe der Kreise, der kreisfreien Städte sowie den im Katastrophenschutz involvierten Behörden und Ämtern. „Derzeit existieren beim Katastrophenschutz erhebliche Niveau- und Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Aufgabenträgern“, schreibt Broemme weiter: „Diese müssen nach dem Prinzip der „guten Beispiele“ auf ein einheitlich gutes Niveau gebracht werden.“

Klassische Sirene , aufgestellt bei der Mainzer Feuerwehr. - Foto: gik
Klassische Sirene , aufgestellt bei der Mainzer Feuerwehr. – Foto: gik

Ferner würde ein entsprechende Landesamt ein „Lagezentrum der allgemeinen Gefahrenabwehr RP“ betrieben, das kontinuierlich – und nicht erst im Ernstfall –  Informationen sammele, Lagen bewerte und die aufbereiteten Daten für die Landesregierung sowie die Kreise und kreisfreien Städte zur Verfügung stelle. Hier würden laufend Lagebilder der allgemeinen Gefahrenabwehr, der polizeilichen Lage, der Wirtschaft sowie der Gesellschaft auf Landesebene erstellt und ausgewertet.

Ein solches Lagezentrum hätte Umweltdaten ebenso im Blick wie Infrastrukturdaten sowie Mitteilungen und Prognosen anderer Landes- und Bundesbehörden sowie Institutionen. Auch wäre ein solches Landesamt als „Spiegelgremium“ auf Landesebene Ansprechpartner für das „Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)“ sowie für Nachbarstaaten im europäischen Ausland. Auch könnten von hier aus Kreise und kreisfreie Städte bei der Aufklärung der Bevölkerung im Sinne von „Fit für den Notfall“ unterstützt werden, schreibt Broemme weiter: Rund 40 Prozent Deutschlands seien Mittelgebirgsregionen, „ähnliche Vorkommnisse wie im Juli 2021 in NRW und RP können sich dort jederzeit wiederholen.“

Info& auf Mainz&: Mehr zum Versagen von Warnsystemen und Krisenstäben bei der Flutkatastrophe im Ahrtal lest Ihr auch hier bei Mainz&. Die schonungslose Analyse des Mainzer Feuerwehrmannes – „Warnen können wir nicht“ – lest Ihr hier bei Mainz&.

“Warnen können wir nicht” – Mainzer Feuerwehrmann Ehresmann über Alarm per Fax, fehlende Fahrzeuge, veraltete Konzepte