Die Delta-Variante des Coronavirus breitet sich in Europa gerade sprunghaft aus, betroffen sind vor allem die Jüngeren – in Großbritannien sind besonders stark Schulen betroffen. Doch in den deutschen Schulen fallen derweil die Masken, die Bildungsminister der Länder setzen noch immer allein auf das Lüften – dabei belegen längst diverse Studien, dass Luftreiniger die Raumluft effektiv von Viren und Schadstoffen reinigen. Gewerkschaften und Lehrerverbände fordern daher seit Wochen vehement, endlich Luftreiniger für alle Klassenräume anzuschaffen – Wissenschaftler haben nun einen Online-Kalkulator entwickelt, der genau berechnet, welche Kosten pro Person zu erwarten sind. Der Kalkulator schlägt auch geeignete Geräte vor.
Das Coronavirus verbreitet sich hauptsächlich über Aerosole in der Luft, besonders gefährlich für Ansteckungen: geschlossene Räume mit vielen Personen. Schon nach zehn Minuten bilden sich in der Luft große Aerosolwolken durch Menschen, die sprechen oder gar singen – die Forscher wissen inzwischen: Befindet sich in dem Raum eine mit dem Coronavirus infizierte Person, dann werden sich andere Personen unweigerlich ebenfalls mit dem Coronavirus anstecken. Das gilt besonders für die neue Delta-Variante, die zuerst in Indien entdeckt wurde, und die sich nun gerade in erheblichem Maße in Großbritannien, Portugal und Russland ausbreitet.
Delta gilt als noch einmal 30 bis 40 Prozent ansteckender als die Alpha-Variante, die seit März das Infektionsgeschehen in Deutschland beherrscht, auf der Online-Plattform „Lungenärzte im Netz“ warnten just im Frühjahr Lungenärzte noch einmal eindringlich vor der Infektionsgefahr in Räumen: Wegen der Verbreitung über Aerosolwolken, könne man sich auch dann infizieren, wenn man allein in einem unbelüfteten Fahrstuhl fahre, den zuvor ein Infizierter benutzt hat – weil der Infizierte eine Viruswolke hinterlassen hat. Sich schützen kann man dagegen mit einer FFP2-Maske – oder durch Lüften. Die Lungenärzte forderten im März, es müssten dringend „verbesserte Lüftungs- und Luftreinigungstechniken für gemeinschaftlich genutzte Innenräume wie Verkehrsmittel, Großraumbüro oder Klassenzimmer angestrebt werden.“
„Denn die Viren werden dort, wo sie sich vermehren – also in den Atemwegen, aber vor allem in der Lunge – an Tröpfchen gebunden und gelangen somit schon beim einfachen Ausatmen, vermehrt aber beim Sprechen, Schreien oder Singen in die Umgebungsluft“, sagte Thomas Voshaar, Vorstandsvorsitzender des Verbands Pneumologischer Kliniken (VPK) und Chefarzt des Lungenzentrums am Krankenhaus Bethanien in Moers, was Ihr hier nachlesen könnt. Da die Tröpfchen sehr klein seien, blieben sie „über viele Stunden in der Luft in einem Schwebezustand“, das unterscheide sie ganz wesentlich von größeren Tropfen beim Niesen oder Husten, die recht schnell zu Boden sinken.
„Die größere Gefahr stellen also eindeutig die kleineren, länger in der Luft verweilenden infektiösen Tröpfchen dar“, betonte Voshaar – und forderte eine bessere Belüftung von intensiv genutzten Räumen oder eine Reinigung der Raumluft. „Große Räume müssen regelrecht ‚gespült‘ werden, sonst kommt es zu einer Aufkonzentrierung der Viren in der Luft, so dass die Virusmenge mit der Zeit immer weiter zunimmt“, sagte Voshaar weiter. Die Infektionsgefahr nehme „mit der Dauer des Aufenthaltes quadratisch zu“, sei also extrem zeitabhängig, „nur durch Lüftung und Luftreinigung kann man diese Situation ändern.“ Ganz ähnlich hatten im April auch führende Aerosolforscher argumentiert.
Voshaar plädierte deshalb eindringlich für mehr Luftreiniger in geschlossenen Räumen sowie für Luftanlagen, die die Luft über Kopf absaugen – so könnten rund 90 Prozent der potenziell virenhaltigen Aerosole aus Innenräumen entfernt werden. „Mit dieser Investition ließen sich künftig auch andere Infektionswellen wie die saisonale Grippe, die ja ebenfalls über Aerosole verbreitet wird, besser in Schach halten“, betonte Voshaar. Trotzdem sind Luftreiniger an Schulen auch 1,5 Jahre nach Beginn der Pandemie noch immer Mangelware. Das Land Rheinland-Pfalz hatte zwar ein Förderprogramm für Luftfilter in Klassen aufgelegt, erlaubt aber nur Luftreiniger für Räume, die sonst nicht belüftet werden können – entsprechend wurde bisher nur etwa die Hälfte der Gelder abgerufen.
Gewerkschaften und Lehrerverbände fordern seit Wochen, alle Klassenräume mit Luftreinigern auszurüsten – besonders mit Blick auf den Herbst und den Winter, wenn das Lüften wieder für eisige Temperaturen in den Klassenräumen sorgen würde. Physiker betonen zudem: Lüften sorgt nur dann für einen Luftaustausch, wenn es zwischen drinnen und draußen eine spürbaren Temperaturunterschied gibt – sonst „steht“ die Luft de facto, ein Austausch der Luftteilchen findet nicht statt. Trotzdem betont etwa die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) weiter, Lüften sei die ideale Methode, die Räume von Viren in der Luft zu reinigen – dabei belegen längst diverse Studien die hohe Wirksamkeit von Luftreinigern.
Ins Feld geführt werden gegen die Geräte auch immer wieder angeblich hohe Kosten, nun haben Wissenschaftler der Frankfurter Goethe-Universität und der Hochschule Mannheim einen Online-Kalkulator für Luftreiniger entwickelt. Mobile Luftfilter könnten „erheblich dazu beitragen, die Konzentration von Aerosolen und damit wesentlichen Trägern des Coronavirus SARS-CoV-2 in der Luft zu verringern“, heißt es auch hier, doch während sie in Parlamenten und Gerichtssälen längst Standard seien, seien sie in Klassenräumen nur vereinzelt zu finden. Die Wissenschaftler berufen sich dabei unter anderem auf die wissenschaftlichen Studien des Atmosphärenforschers Joachim Curtius von der Goethe-Universität, über die Mainz& im Oktober 2020 berichtete: Curtius hatte nachgewiesen, dass mobile Luftfilter die Aerosolkonzentration in geschlossenen Räumen erheblich reduzieren, eine Ansteckungsgefahr kann so deutlich verringert werden – die ganze Studie findet Ihr hier.
Die Wirtschaftswissenschafts-Professorin Anna Rohlfing-Bastian aus Frankfurt und der Mannheimer Ökonom Gunter Glenk wollten nun genauer wissen, wie hoch denn die Kosten pro Kind für einen Luftreiniger sind – und entwickelten ein Kalkulationstool. „Für etwa 50 Euro pro Person und Jahr“, sagt Rohlfing-Bastian, „sollte es beispielsweise einer Grundschule möglich sein, Luftfiltergeräte anzuschaffen, sodass regulärer Unterricht stattfinden kann.“ Tragen alle Personen im Raum Masken, reduziere dies die Kosten um die Hälfte.
Bei dem Rechner auf der Internetseite www.airfiltercalculator.com können die Nutzer verschiedene Parameter wie beispielsweise Raumgröße, Belegung, Aufenthaltsdauer und Aktivitäten der anwesenden Personen eingeben, auch die Eingabe eines Maximalwertes für die Dezibelbelastung durch ein Luftfiltergerät ist möglich. Das Tool berechnet dann die kosteneffizienteste Ausstattung eines Raumes mit mobilen Luftfiltern und die dazugehörigen Kosten pro Person und Jahr – immer „unter Berücksichtigung des maximal tolerablen Infektionsrisikos „, wie die Forscher betonen.
Das Ergebnis hängt von der Raumgröße ab, von der Personenzahl, aber auch davon, ob die Menschen im Raum Schweigen, Sprechen oder etwa Singen – die verschiedenen Aerosolemissionen, die in diesen Fällen verursacht werden, rechnet das Kalkulationstool jeweils ein. Die Berechnungen gingen dabei von gewissen Vereinfachungen aus, wie etwa einer gleichmäßigen Verteilung der Aerosole im Raum, erklären Rohlfing-Bastian und Glenk. Dem Nutzer werden am Ende konkrete Geräte verschiedener Luftreinigermarken als Anschaffungsbeispiel vorgeschlagen, deren Daten wurden durch eine Umfrage unter Herstellern von mobilen Luftfiltern erhoben. 23 Hersteller hätten bereits 39 Geräte in die Datenbank eingetragen, weitere Geräte können jederzeit noch hinzugefügt werden.
In ihrem Online-Kalkulator seien auch die Lebenszykluskosten der Geräte eingerechnet, betonen Rohlfing-Bastian und Glenk weiter: Berücksichtigt worden seien alle Ausgaben, die bei Anschaffung und Betrieb über die Nutzungsdauer der Geräte hinweg anfallen. Gleichzeitig werde bei der Berechnung eine effektive Filterleistung pro Kubikmeter Luft pro Stunde im Klassenraum sichergestellt. Mobile Raumluftfilter könnten „in Kombination mit einer regelmäßigen Fensterlüftung dazu eingesetzt werden, das Ansteckungsrisiko mit dem SARS-CoV-2 -Virus in Schulen erheblich zu senken“, bilanzieren die Forscher in ihrer Studie, die Kosten seien moderat. „Die Sommerferien können nun genutzt werden, um flächendeckend mobile Luftfilter anzuschaffen“, betont Ökonom Glenk: „Solche Filter helfen nicht nur in einer Pandemielage, sondern auch generell gegen Viren wie Grippeviren und gegen Luftverschmutzung.“
Info& auf Mainz&: Die ganze Studie der Frankfurter und Mannheimer Wirtschaftswissenschaftler könnt Ihr hier bei der Uni Frankfurt herunterladen (Achtung: pdf öffnet sich), den Online-Kalkulator für Luftfilter findet Ihr unter www.airfiltercalculator.com hier im Internet. Mehr zur Effektivität von Raumluftreinigern gegen Viren und Aerosole haben wir hier bei Mainz& berichtet, eine Reportage über einen Feldversuch mit Luftreinigern in einem Mainzer Gymnasium lest Ihr hier.