Die Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban bewegt auch die Mainzer, auch hier bangen gebürtige Afghanen um Angehörige in Kabul und anderen Teilen des Landes. Der Malteser-Hilfsdienst, die Seebrücke und der rheinland-pfälzische Flüchtlingsrat rufen nun für kommenden Freitag zu einer Kundgebung in Mainz auf. „Wir fordern die Weltgemeinschaft auf zu handeln, zur Rettung des Landes Afghanistan, der Minderheiten und der Frauen“, sagte der Leiter des Migrationsbüros Rheinland-Pfalz des Maltester Hilfsdienstes, Behrouz Asadi, gegenüber Mainz&. Es gebe große Sorgen um die Zukunft der Frauen und ihrer Rechte unter den Taliban, die Bundesregierung müsse viel mehr Aktivisten aus Afghanistan retten.

Fünf mutige Frauen protestierten diese Woche in Kabul gegen die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. - Foto: Behrouz Asadi
Fünf mutige Frauen protestierten diese Woche in Kabul gegen die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. – Foto: Behrouz Asadi

Vergangenes Wochenende hatten die radikal-islamistischen Taliban nach dem Abzug der US-Truppen und ihrer Verbündeter binnen kürzester Zeit die Macht praktisch im ganzen Land und am Sonntag auch in der Hauptstadt Kabul übernommen, das löste ein völliges Chaos in Kabul aus, weil die Ausreise nun nur noch über den Kabuler Flughafen möglich ist. Amerikaner, Deutsche und andere westliche Verbündete wurden von dem Vormarsch der Taliban völlig überrascht, die Evakuierung der eigenen Staatsbürger, sowie der afghanischen Hilfskräfte verlief vor allem zu Beginn völlig chaotisch und offenbar weitgehend unorganisiert. Die Grünen warfen der Bundesregierung danach eine völlige Fehleinschätzung der Lage vor, die nun zu dramatischen Problemen führe.

Seit der Machtübernahme der Taliban herrsche unter den in Deutschland lebenden Afghanen blanke Angst, berichtete Behrouz Asadi, langjähriger Flüchtlingskoordinator des Malteser Hilfsdienstes in Mainz, und selbst gebürtiger Iraner. „Die Bilder aus Kabul sind unerträglich, uns allen ist bewusst, dass dies erst der Anfang ist“, sagte Asadi im Gespräch mit Mainz&. Seine feste Überzeugung: „Dieses Terrorregime wird ein Blutbad anrichten, jeglicher Schrei nach Freiheit und Bewegungsfreiheit wird unterdrückt werden.“

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Plakat zum Aufruf der Solidaritäts-Demo in Mainz, das Motiv stammt von einem Künstler aus Afghanistan. - Quelle: Malteser Mainz
Plakat zum Aufruf der Solidaritäts-Demo in Mainz, das Motiv stammt von einem Künstler aus Afghanistan. – Quelle: Malteser Mainz

Seit der Machtübernahme bangten auch in Mainz zahlreiche Afghanen um ihre Angehörigen in der Heimat: „Wir haben einen Mitarbeiter im ‚Haus der Kulturen‘, der sich große Sorgen um seine Frau und Tochter in Kabul macht“, berichtete Asadi. Die Frauen seien aufgefordert worden, in ihren Wohnungen zu bleiben, „sie haben große Angst, weil sie mitbekommen haben, wie brutal die Taliban gegen junge Frauen vorgehen“, sagte Asadi. Auf den Straßen sehe man inzwischen hauptsächlich Männer, die Frauen hätten zu viel Angst, vor die Tür zu gehen. „Das ist das Bild. Dieses Bild wird uns weiter begleiten“, sagte Asadi.

Die Taliban hatten zuletzt zwar zugesichert, sie würden die Rechte aller Afghanen respektieren und schützen, auch die der Frauen – allerdings werde das innerhalb der Grenzen des Islams und des islamischen Rechts, der Scharia, geschehen. Unter der Scharia aber seien Frauen und Männer mitnichten gleichgestellt, betonte Asadi. Schon jetzt dürften Frauen nicht mehr in die Universitäten und Krankenhäuser kommen, berichtete er weiter, im früh von den Taliban besetzten Herat hätten die Taliban gefordert, dass alle Mädchen und Frauen zwischen 12 und 40 Jahren gemeldet werden müssten. Den unverheirateten Frauen, gerade den jungen, drohten Zwangsverheiratungen mit Kriegern der Taliban, sagte Asadi.

Solche Sorgen um die Zukunft der afghanischen Frauen macht sich auch die Frauenrechtsorganisation Solwodi: „Durch die Machtübernahme der Taliban drohen nun jegliche noch vorhandene Frauenrechte zerstört zu werden“, warnte Solwodi-Vorsitzende Maria Decker. Politikerinnen, Richterinnen, Lehrerinnen, Journalistinnen, Frauenrechtlerinnen und Mitarbeiterinnen in Hilfsorganisationen, kurz: alle, die sich für eine Verbesserung der Lebenswirklichkeit der Frauen in Afghanistan eingesetzt hätten, seien hochgefährdet.

Am Flughafen in Kabul spielten sich am Wochenende dramatische Szenen ab, inzwischen läuft die Evakuierungsmission an. - Screenshot: gik
Am Flughafen in Kabul spielten sich am Wochenende dramatische Szenen ab, inzwischen läuft die Evakuierungsmission an. – Screenshot: gik

Solwodi fordert die Bundesregierung nun auf, diese akut bedrohte Personengruppe über eine sichere Luftbrücke außer Landes zu bringen. Afghanischen Frauen und Kindern müsse ein sicherer Aufenthaltsstatus in Deutschland gewährt werden, es brauche zudem eine höhere Förderung der Fachberatungsstellen in Deutschland, einen Ausbau der Kapazitäten in Schutzhäusern sowie eine professionelle Beratung und Betreuung. Bereits vor der Machtübernahme der Taliban seien 87 Prozent der Frauen in Afghanistan von Gewalt in der Familie bedroht, Frühehen und Berufsverbote sowie Einschüchterungen auf dem Weg zur Schule seien Alltag gewesen.

Auch die Mainzer CDU-Bundestagabgeordnete Ursula Groden-Kranich und ihre Kollegin Machthild Heil aus Ahrweiler forderten verstärkt Hilfe für Frauen, die Afghanistan verlassen wollen. NATO und internationale Gemeinschaft stünden in der Pflicht, jetzt denen zu helfen, die in den vergangenen 20 Jahren ihnen geholfen hätten, die Menschenrechte zu stärken, sagte Heil, die auch Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands ist. „Frauenrechtlerinnen, Lehrerinnen und Juristinnen beispielsweise haben Immenses geleistet, und für viele Frauen und Mädchen echte Verbesserungen bewirkt“, betonten Heil und Groden-Kranich: „Nun gehören sie als erklärte Feindinnen der Taliban zu den exponiertesten und vulnerabelsten Gruppen, daher müssen wir sie zuallererst retten.“

Eine Mutter mit ihrer Tochter im afghanischen Kabul in Angst. - Foto: Malteser/Asadi
Eine Mutter mit ihrer Tochter im afghanischen Kabul in Angst. – Foto: Malteser/Asadi

Sämtliche Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Aktivistinnen der Frauenbewegung seien jetzt in Afghanistan nicht mehr sicher, auch Journalisten seien gefährdet, betonte auch Asadi. Aktivisten müssten so schnell wie möglich herausgeholt und aufgenommen werden, zudem dürfe das neue islamische Emirat der Taliban nicht international anerkannt werden. Dass sich die Taliban geändert hätten, „weicher“ geworden seien im Vergleich zu ihrer ersten Herrschaft in Afghanistan vor 20 Jahren – Asadi glaubt das nicht: „Man darf diese Menschen nicht vertrauen“, betont er: „Es gibt keine neuen Taliban, es sind die gleichen wie vorher.“

Für den morgigen Freitag rufen deshalb die Malteser gemeinsam mit anderen Organisationen wie der Seebrücke und dem Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz zu einer Solidaritäts-Kundgebung in Mainz für die Menschen in Afghanistan auf. „Schweigen ist nicht erlaubt, da die Menschen dort um Hilfe rufen“, betonte Asadi, es sei „ungemein wichtig, uns mit dem afghanischen Volk zu solidarisieren.“ Die Weltgemeinschaft dürfe nun auf keinen Fall dieses System akzeptieren und respektieren, „wir müssen alles tun, dass Menschrechte und Freiheit gewahrt bleiben.“ Denn er sei der festen Überzeugung, sagte Asadi noch: „Wir werden ganz bald ein totalitäres System auf der Grundlage fundamentalistischer-islamistischer Regeln sehen.“

Info& auf Mainz&: Die Kundgebung zur Solidarität mit dem afghanischen Volk findet am Freitag, dem 20. August, ab 18.00 Uhr auf dem Gutenbergplatz in Mainz, vor dem Mainzer Staatstheater statt. Erwartet werden Reden diverser Parteivertreter und Bundestagskandidaten, aber auch Integrations-Staatssekretär David Profit (Grüne) sowie der Mainzer OB Michael Ebling (SPD) haben ihr Kommen angekündigt. Mehr zum Chaos in Kabul nach der Machtübernahme der Taliban und der Kritik der Mainzer Grünen an den Fehleinschätzungen des Bundes lest Ihr hier bei Mainz&.

 

 

 

 

 

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