Es ist kein alltäglicher Vorgang: Der Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz hat sich mit einem deutlichen Beschwerdebrief an den Mainzer Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) gewandt. Inhalt des Schreibens: Man habe „begründete Zweifel an dem Willen des Vorstands“ der Mainzer Stadtwerke, sich mit der Kritik des Rechnungshofes auseinander zu setzen. Deshalb stelle man die Arbeit nun ein. Der Landesrechnungshof hatte seit etwa 2020 die Arbeit der Mainzer Stadtwerke geprüft – das Ergebnis ist wenig schmeichelhaft und wirft Fragen auf: Wie gut wird das städtische Unternehmen geführt?
Vor mehr als vier Jahren begann der Rechnungshof des Landes Rheinland-Pfalz damit, die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Mainzer Stadtwerke samt Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG) zu prüfen – zunächst einmal ein ganz normaler Vorgang. Seinen Bericht legte der Landesrechnungshof bereits am 18. Juli 2022 für den Bereich der Mainzer Stadtwerke sowie am 20. September 2022 für den Bereich Mainzer Mobilität vor – doch seither gibt es offenbar anhaltenden Ärger zwischen dem Prüfgremium und den Mainzer Stadtwerken.
Denn am 21. Dezember 2023 wandte sich der Präsident des Landesrechnungshofes, Jörg Berres, in einem Brief an den Mainzer OB Nino Haase (parteilos), und zwar mit einer deutlichen Beschwerde: Zwar hätten sich die Mainzer Stadtwerke wiederholt zu den Prüfungsmitteilungen der Rechnungsprüfer geäußert, doch einen echten Willen des Stadtwerke-Vorstands, sich mit den Rügen des Rechnungshofes auseinander zu setzen, sehe man nicht. Der Vorgang stand am Dienstag auf der Tagesordnung des Finanzausschusses des Mainzer Stadtrats – die Schreiben sind öffentlich einsehbar.
Berres: Zweifel am Willen des Vorstands, Kritik voll aufzunehmen
Speziell die Stellungnahme im letzten Schreiben vom 20. September 2022 „begründet Zweifel an dem Willen des Vorstands, sich mit den Feststellungen des Rechnungshofes vollumfänglich auseinander zu setzen“, klagt Berres wörtlich. Tatsächlich fallen die Antworten des Vorstands der Mainzer Stadtwerke in dem besagten Schreiben ausgesprochen knapp aus: Von acht geforderten Antworten heißt es bei sechs sinngemäß oder wörtlich: „Wir berichten zu gegebener Zeit.“ Nur in einem Fall heißt es lakonisch man folge den Empfehlungen des Landesrechnungshofs – und Fall acht betrifft die lapidare Feststellung, der gerügte Mainz Rider werde nun eingestellt.
Dem Landesrechnungshof reichte das offensichtlich nicht, schließlich hatte man bereits seit 2022 in einem intensiven Austausch mit den Mainzer Stadtwerken wiederholt Nachbesserungen und das Abstellen von Mängeln gefordert – aus Sicht der Prüfer offenbar mehrfach ohne den nötigen Widerhall. Man werde deshalb nun „aus prüfungsökonomischen Gründen von einer Fortführung des Beantwortungsverfahrens“ absehen, schrieb Berres an Haase – und schmiss der Stadt nun quasi die Eigenverantwortung vor die Füße: Die noch offenen Probleme seien „von der Gesellschaft in eigener Verantwortung“ und in Abstimmung mit der Stadt umzusetzen, stellte Berres klar.
Bei den Mainzer Stadtwerken heißt es hingegen, man habe mehrfach und immer wieder ausführlich Stellung genommen, was jeweils „großen internen Aufwand verursacht“ habe. Warum der Rechnungshof in seinem Schreiben an Haase „Zweifel an dem Willen des Vorstands äußert, sich mit den Feststellungen des Rechnungshofes vollumfänglich auseinander zu setzen. erschließt sich uns nicht und wird der Sache auch nicht gerecht“, heißt es in dem Schreiben des Vorstands vom 31. März 2024 – also dieses Jahres.
Stadtwerke: Keine mittelfristiger Finanzplan, kein Vermögensplan
Aber was hatte der Rechnungshof denn überhaupt beanstandet? Die Prüfer aus Speyer hatten zwei Teilberichte erstellt, Teil II widmet sich der Mainzer Mobilität, Teil I aber den Konzernaufgaben der Mainzer Stadtwerke und nahm die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Mainzer Stadtwerke AG“ insgesamt unter die Lupe. Und da rügen die Prüfer gleich zu Beginn höchst Grundsätzliches: „Die Wirtschaftspläne der Mainzer Stadtwerke enthielten weder einen Vermögensplan, einen mittelfristigen Finanzplan noch eine Stellenübersicht“, heißt es da mit Stichtag Juli 2022, vor allem das Fehlen einer fünfjährigen Finanzplanung stieß den Prüfern übel auf.
Fast zwei Jahre später rügt nun der Rechnungshof: „Der wiederholt angekündigte Nachweis, dass die Wirtschaftspläne, einschließlich der Finanz- und Vermögenspläne sowie Stellenübersicht“ zukünftig entsprechend der Vorschriften für kommunale Unternehmen aufgestellt würden, „steht unverändert aus.“ Mit Schreiben vom 25. Mai 2023 sei zwar eine Umsetzung für das Jahr 2024 „in Aussicht gestellt“ worden, das müsse nun aber auch sichergestellt – und vor allem Aufsichtsrat und städtischer Beteiligungsverwaltung vorgelegt werden.
Das wirft eine ganze Reihe von Fragen auf: Hatten die Mainzer Stadtwerke also über Jahre hinweg gar keinen Überblick über ihre mittelfristige Finanzentwicklung? Wurden Finanzpläne und mittelfristige Wirtschaftspläne womöglich den Kontrollgremien wie dem Aufsichtsrat gar nicht vorgelegt? Letzteres legt eine Antwort nah, die der Vorstand der Mainzer Stadtwerke selbst gegenüber dem Landesrechnungshof gab: Ab 2023 werde dem Aufsichtsrat ein fünfjähriger Finanzplan, ein Vermögensplan sowie eine Stellenübersicht vorgelegt, „was auch schon jetzt Grundlage der Wirtschafts- und Mittelfristplanung sei.“
Seit 2020 fehlten mittelfristige Wirtschaftsplanungen bei der MVG
Brisant ist die Rüge der Speyrer Prüfer vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen: Mitte Februar 2024 hatte Stadtwerke-Vorstandschef Daniel Gahr den Finanzausschuss des Mainzer Stadtrates erstmals öffentlich auf eine „drohende finanzielle Überforderung für die Stadtwerke hingewiesen“, wie die Stadtwerke selbst mitteilten. Im März musste Gahr dann einräumen: Den Stadtwerken drohe ein gigantisches Finanzdefizit von rund 54 Millionen Euro, wenn man jetzt nicht umsteuere.
Schon für 2024 rechnet das Unternehmen demnach nur noch mit einem planerischen Jahresergebnis von 1,8 Millionen Euro, bis 2027 werde dann sogar ein Minus von -11,6 Millionen erwartet. Kumuliert, inklusive der Verkehrssparte, hätte sogar ein Minus von mehr als 63 Millionen Euro für die Jahre 2026 bis 2028 gedroht, so die Angaben der Stadtwerke selbst – die Folge war ein drastisches Sparprogramm mit einem Stopp von Ausbauplänen bei der Straßenbahn, von allgemeinen Angebotsverbesserungen sowie dem Mainz Rider.
Die Frage, die man sich seither in Mainz stellt, lautet: War das drohende Finanzloch tatsächlich nicht vorhersehbar? Pikant ist dabei ein Satz aus dem Prüfbericht, in dem es heißt: „Seit 2020 fehlten mittelfristige Wirtschaftsplanungen“ bei der Mainzer Verkehrsgesellschaft – also ausgerechnet der Sparte, die ohnehin das höchste Defizit aufweist. Gleichzeitig aber wurde von der Mainzer Ampel der Ausbau des Straßenbahnnetzes mit großen Plänen weiter vorangetrieben: Im Juni 2020 beschloss der Mainzer Stadtrat mit den Stimmen von Grünen, SPD und FDP eine groß angelegte Erweiterung des Straßenbahnnetzes.
Binnen fünf Jahren wuchs Verschuldung um 26 Prozent
Dabei speisten sich bereits 2022 und 2023 die Jahresüberschüsse von rund 24,5 Millionen Euro und rund 19,6 Millionen Euro nach Angaben der Stadtwerke selbst hauptsächlich aus Grundstücksverkäufen im Heiligkreuz-Viertel, neu war auch das schon damals nicht: Schon für die Jahre 2019 und 2020 konstatieren die Prüfer vom Rechnungshof: Wesentliche Umsatzerlöse seien aus der Immobiliensparte gekommen, 2020 mit 36 Millionen Euro und 2019 mit 21,3 Millionen Euro.
Schlimmer noch: Von 2014 bis 2019 habe die Entwicklung der Finanzlage der Mainzer Stadtwerke „eine zunehmende Verschuldungslage widergespiegelt“, heißt es im Rechnungshofbericht. Einer „signifikanten Zunahme der Verbindlichkeiten um ca. 50 Millionen Euro“ habe gleichzeitig eine Reduzierung der liquiden Mittel um etwa 64 Millionen Euro gegenüber gestanden, kurz: Die Nettoverschuldung erhöhte sich binnen der fünf Jahre um etwa 114 Millionen Euro auf 553 Millionen Euro – ein Plus von 26 Prozent.
Das entspreche einem Nettoverschuldungsgrad von 5,7 rechnen die Prüfer weiter vor – und diesen Wert sehen sie offenbar als alarmierend an. Diese Kennzahl zeige an, wie gut die Chancen eines Unternehmens seien, seine Kredite zurückzuzahlen, und dabei seien „Werte über 3 grundsätzlich kritisch zu bewerten, Werte ab 8 lassen auf mangelnde Rückzahlungsfähigkeit schließen“, heißt es weiter.
Selbst das eigene Rechnungswesen der Mainzer Stadtwerke habe den Wert von 5,7 als „nicht besonders gut“ bezeichnet – nur: Folgen im Unternehmen hatte das offenbar nicht. „Eine dokumentierte Bewertung dieser Kennzahl lag nicht vor“, heißt es im Rechnungshofbericht wörtlich, der übrigens öffentlich einsehbar im Ratssystem der Stadt Mainz zu finden ist. Und weiter: „Weder der Aufsichtsrat, noch der Finanzausschuss noch die Wirtschaftsprüfer hatten sich mit ihr (der Kennzahl) befasst.“
Hohe Investitionen in Verkehrsbereich – Kosten Mainzelbahn unklar
Bei den Stadtwerken wehrt man sich, es habe in den Jahren „hohe Investitionen in den Verkehrsbereich“ gegeben. Die Liquidität des Konzerns sei „komfortabel“, das langfristige Vermögen gedeckt, positive Ergebnisse hätten stets Verluste aus der Sparte Verkehr decken können. Tatsächlich fällt in genau diese Zeit der Bau der Mainzelbahn, die im Dezember 2016 nach nur 2,5 Jahren Bauzeit feierlich eingeweiht worden war. Doch die Kosten für die 9,1 Kilometer lange Straßenbahnstrecke auf den Lerchenberg waren schon damals von ursprünglich 70 Millionen Euro auf 88 Millionen Euro Ende 2016 gestiegen.
Doch das war noch nicht das Endergebnis: Bis heute hat die Mainzer Mobilität keine Endabrechnung zur Mainzelbahn vorgelegt, stets verwies das Unternehmen auf noch immer anhaltende Rechtsverfahren. So gab es Probleme mit falsch eingebauten Weichen, 400 fehlerhafte Schweißnähte mussten nachgearbeitet werden, Rasengleise wurden erst nach Inbetriebnahme verlegt, und Anwohner in Mainz-Bretzenheim, deren Häuser durch die Mainzelbahn geradezu schwankten, mussten abgefunden werden.
Zuletzt hatte die CDU im August 2019 im Stadtrat nach einer endgültigen Kostenaufstellung gefragt und damals geargwöhnt, die Kosten könnten inzwischen über 100 Millionen Euro liegen. Die damalige Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) antwortete im August 2019 jedoch lediglich, laut einer „vorläufigen Gesamtabrechnung“ würden die Gesamtkosten für das Projekt Mainzelbahn „bei unter 100 Millionen Euro“ liegen – doch wo genau, sagte Eder nicht.
Wichtige Kennzahlen „den Gremien nicht vorgestellt“
Der Landesrechnungshof rügt nun, die Mainzer Stadtwerke arbeiteten ja selbst mit den Kennzahlen zum Nettoverschuldungsgrad, „sie stellt sie nur nicht den Gremien vor“, schreiben die Prüfer. Diese Kennzahlen, und zwar ermittelt für jede Sparte, „ermöglichen aber einen objektiven Vergleich und eine Bewertung der Entwicklung insbesondere betreffend operativer Profitabilität und Verschuldung“, so die Prüfer weiter. Wieso also legten die Stadtwerke offenbar die objektiven Zahlen über den Verschuldungsgrad des Unternehmens und seiner Sparten nicht transparent offen?
Auch bei anderen Unternehmensteilen kritisieren die Prüfer mangelnde Transparenz in der Unternehmensführung. So kritisiert der Rechnungshof, die Mainzer Stadtwerke hätten bei ihrer Preiskalkulation für Strom und Gas nicht, wie üblich, sämtliche variable Kosten pro Produkt und fixe Kosten pro Produktart berücksichtigt – das entspreche „nicht den wirtschaftlichen Grundsätzen und sollte angepasst werden“, heißt es im Bericht wörtlich. Eine gründliche Deckungsbeitragsrechnung zweige die Gewinne und die Profitabilität der einzelnen Produkte auf – bei den Stadtwerke Mainz seien solche Rechnungen aber nicht ausreichend vorhanden.
Der Vorstand konterte in seiner Stellungnahme, eine „lehrbuchmäßige Kalkulation“ sei nicht sinnvoll, es müsse auch der Wettbewerb am Markt muss berücksichtigt werden. Doch die Prüfer lassen das nicht gelten: „Aus der vorliegenden Deckungsbeitragsrechnung lässt sich nicht herleiten, welche Sparte die negativen Ergebnisse tatsächlich erwirtschaftet“, mahnen die Prüfer – diese Informationen aber „sind für die Unternehmenssteuerung unabdingbar.“
20 Jahre alte Werkverträge, ein Motorboot für 60.000 Euro
Gleichzeitig rügt der Landesrechnungshof in seinen beiden Prüfberichten an mehreren Stellen, dass Dienstleistungen und Verträge über Jahre hinweg nicht auf ihre Wirtschaftlichkeit hin überprüft wurden. So zahlte etwa die MVG seit 2012 ein pauschaliertes Jahresentgelt von 42.500 Euro an die Mutter Stadtwerke, und zwar für „Unterstützung in Presseangelegenheiten“. Doch obwohl die „Mainzelbahn“ seit Ende 2016 fertig und in den Regelbetrieb eingebunden sei, werde die PR-Pauschale von 5.000 Euro unverändert abgerechnet, das sei „nicht mehr gerechtfertigt“, rügen die Prüfer.
Deutlich höhere Zahlen kommen dabei an anderer Stelle heraus: Ein Werkvertrag für Serviceleistungen an Bussen und Straßenbahnen wie Reinigung und Wartung war seit 2002 nicht mehr ausgeschrieben worden, kritisierten die Prüfer – die Kosten dafür stiegen aber binnen fünf Jahren um rund 28 Prozent auf rund 915.000 Euro im Jahr 2019. Es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass nach fast 20 Jahren der Werkvertrag unwirtschaftlich war“, merken die Prüfer an. Reaktion der Stadtwerke: Die Verträge sollten 2022/2023 „überarbeitet werden.“
Und noch eine Kuriosität rügten die Prüfer: 2015 erwarben die Mainzer Stadtwerke ein Motorboot der Marke Seafury 800, ein rund acht Meter lange Schaluppe. Kosten: 60.000 Euro inklusive Bootsgarage. Die Seafury war ab dem 1. Mai 2018 an die Zollhafen Mainz GmbH & Ko KG vermietet, und sollte bei der Vermarktung des gerade entstehenden Wohngebiets Zollhafen samt Marina diesen. Die Beschaffung hätte ausgeschrieben werden müssen, klagen die Prüfer, doch das sei nicht erfolgt: „Die Anschaffung des Bootes erfolgte (…) im Wege des Direktkaufes durch den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Mainzer Stadtwerke AG.“
Die Schreiben des Landesrechnungshofes sowie der Mainzer Stadtwerke standen am Dienstag auf der Tagesordnung des Finanzausschusses des Mainzer Stadtrates. Eine Reaktion von Seiten der Stadtverwaltung zu dem Thema erfolgte nicht – nun geht der Vorgang am 15. Mai in den Stadtrat.
Info& auf Mainz&: Den ausführlichen Bericht über die Finanzprobleme der Mainzer Stadtwerke im Jahr 2024 könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen.