„Wenn etwas dreimal stattfindet, ist es schon eine Tradition“, sagt der Volksmund in Mainz: Die Saturnalien der Initiative Römisches Mainz (IRM) begründen offenbar gerade eine solche: Zum dritten Mal luden IRM und „Unsichtbare Römergarde“ zum närrischen November-Treiben in altrömischer Tradition, und die Narren kamen, sahen und feierten. Ganz in antiker Tradition stellten auch dieses Mal die Narren die Irrungen der Welt in Frage und den Spiegel vor den Mächtigen ab. „Also Leute, aufgewacht!, die Römer haben’s schon so gemacht“, ruft der Narren-Protokoller in den Saal. Von der Bühne donnerte die Narren-Kritik, Götter lasen die Leviten, und die Mächtigen wären gut beraten, mehr der Wahrheit aus Narrenmund ihr Ohr zu leihen – die Welt wäre ein friedlicherer Ort.
„Ich kann nicht mehr gut schlafen, ich habe Gott Jokus geseh’n“, gesteht das „Trio Aeterna“, und bringt mit einer furiosen Deep Rock-Nummer die Mainzer Saturnalien zum Beben. Was will man auch erwarten, wenn eine Initiative aus dem Römischen Mainz (IRM) und eine „Unsichtbare Römergarde“ zu Narretei und Mummenschanz laden?
Richtig: Großes Narrenkino mit vielen Anleihen in der Antike, Götterwelt und Dekadenz inbegriffen. Das Narrenkino findet dieses Jahr im „Grünen Kakadu“ statt, das ist nach den Katakomben der „Kulturei“ näher an den großen Musentempeln, lässt aber doch sehr den rustikal-historischen Rahmen vermissen.
Antiker Handkäs an der LU und versiegende Schätze an der Goldgrub
Sei’s drum: Gleich gegenüber finden schließlich derzeit Ausgrabungen im Rücken der LU statt, und dabei gab es nichts weniger als eine Sensation: Denn wie „Paco & Paco“ in gesungener Weise nachwiesen, wurde dabei ein runde Struktur gefunden, die sich archäologisch als der erste Handkäs der Geschichte sichern ließ. Sicher ist seitdem: die Römer kannten Handkäs mit Musik, die Mainzer Saturnalien indes einen weiteren Höhepunkt. Das rockige Gesangsduo aus Vater Gerhard und Sohn Christian Carra vom Karneval Club Kastel sind ein Garant für vergnügliche und kreative gesungene Fastnacht.
Sie waren nicht die einzigen, die Parallelen zwischen antiken Gepflogenheiten und der modernen Welt erspähten: „Auf der LU stand einst ein Konsumtempel – man fand eine römische Rolltreppe“, singen die Mainzer Bänkelsänger. Guido Seitz und Thomas Gerster sezieren das politische Geschehen archäologisch-genau und mit viel bitterer Ironie. „Mit Augenklappe wurde der Kanzler nur noch geseh’n“, merken sie an: „Für die Bundesregierung ist er ein Held gewiss – der einäugige Sieger unter den Blinden ist.“
Nicht immer wartet indes in Gruben eine nie versiegende Quelle des Reichtums: „Der ewige Schatz unter der Goldgrub‘, ist augenscheinlich eine Mär“, konstatieren die Bänkelsänger mit Blick auf die nicht mehr so reichlich sprudelnde Geldquelle des Mainzer Pharmaunternehmens Biontech. Ist die Goldquelle also schon ein Fall für die Archäologen?
Homerisches Gelächter bei Apotheker, Narr und Bachmann
Die Bänkelsänger empfehlen, den Absatz zu steigern, drum gibt es in Mainzer Kantinen statt Becks künftig Corona-Bier. Und auch bei der SPD in Rheinland-Pfalz geht es um Fluten und Ströme: „Beim Sandsackmodell Roger Lewentz, der Bürger sich sicher fühlt“, singen die Bänkelsänger mit Blick auf den inzwischen sogar wiedergewählten SPD-Landeschef und Ex-Innenminister Roger Lewentz: „Trotz größter Wasserfluten, wird er nicht weggespült…“
Mit Risiken und Nebenwirkungen hadert auch „Apotheker“ Jens Baumgärtner. Der Haus- und Hof-Apotheker der Marienborner „Brunnebutzer“ gab mit seinem trockenen Humor und skurrilster Situationskomik nun auch einen höchst gelungen Einstand auf der Saturnalien-Bühne – merke: Beredte Pausen vergrößern Lachsalven um ein Vielfaches… Apropos: Niemand huldigt dem Gott des Gelächters so Zwerchfell-erschütternd wie Hilde Bachmann. Wenn die Grande Dame des Kokolores „Was hätt‘ ich Männer haben können“ seufzt, dann erbebt der Saal in wahrhaft homerischem Gelächter und die Gäste vergießen Lachtränen auf dem Altar.
Einem Donnerschlag gleich fährt derweil „Narr“ Bernhard Knab hienieden: Sein furioser Ritt durch die Verirrungen der deutschen Politiklandschaft klingt wie Trompeten in der Nacht. Wenn ein freier Narrengeist der Mainzer Fastnacht seine schallende Warnung vom Boden der Realität erhebt, dann grollt Götterdonner vom Himmel, und den Mächtigen klingeln die Ohren. Nur Zuhören müssten sie halt mal…
Götter, Gelehrte und Skurriles aus Narragonien
Ja, was wäre antiker römischer Mummenschanz ohne eine griechische Göttin? Patricia Lowin läuft mit ihren Geschichten aus dem (reichlich degenerierten) Olymp wieder einmal zu Hochform auf, denn auch in den Götterhimmel hat sich allerlei Skurriles verirrt. Da tummelt sich neuerdings „der heilige Strohsack, der Schutzheilige der Genitalamputierten“ gemeinsam mit „Viagros, dem Gott der Ausrichtung“ oder „Glykolos, dem Gott des Glühweins.“ Letzterer kann indes kein Mainzer Schutzheiliger sein, sind die Glühweine auf dem Mainzer Weihnachtsmarkt doch nachweislich frei von solch unheiligen Altargaben.
„Herkules sollte die Welt von 12 Plagen befreien“, seufzt „Göttin“ Lowin, stattdessen streiten die Götter darüber, wer mehr Follower hat. Ja, Himmel und Erde sind voller Merkwürdigkeiten, gesammelt hat sie „der Prinz von Narragonien“ alias Christian Vahl. Der Spiritus Rector der Saturnalien und Vorsitzender der IRM hat wieder eine enorme Sammlung von wahrhaft Zwerchfell-erschütternden Skurrilitäten aus dem sehr realen Leben zusammengetragen und präsentiert Sprachjonglagen mit viel Hintersinn.
Sein Lagebericht sorgt indes für Kopfschütteln: In „Narragonien“ verkauft ein Wirtschaftsminister Wärmepumpen noch auf einer einsamen – und tropischen – Insel. „Deutschland ist das Land, wo du dir dein Geschlecht, aber nicht deine Heizung aussuchen darfst“, konstatiert der Professor. Und auch in Narragonien sorgen Klimakleber für Probleme: „Sie haben ein ernstes Anliegen, man sollte ihnen mit Ironie begegnen“, findet Vahl, und stellt fest: „Ironie ist, wenn Klimakleber Haft-Strafen bekommen.“
Mächtiger Narren-Donner für die Mächtigen der Welt
„Jeder kennt die Weltprobleme, und eigentlich könnt‘ ich jetzt geh’n“, konstatiert der auch „Advokat des Volkes“ reichlich desillusioniert: Überall nur Krieg, Krisen und Gendern. Doch gut, dass Rüdiger Schlesinger das mit dem Gehen erst einmal lässt, so erleben die Gäste der Saturnalien eine wahrhaft göttliche Sternstunde der politischen Narretei: Schlesinger seziert das „Ampel“-Kunstgebilde in Berlin, das längst auf verlorenem Posten steht, den schweigenden Papst im Angesicht von Machtmissbrauch und schlüpfrigen Abgründen. Wer sollte auch eine Lanze für des Volkes Gerechtigkeit brechen, wenn nicht der „Advokat des Volkes“?
Schlesinger tut es, und rechnet mit Maskendeals und Klimaklebern ab, klagt „klebende Ministerärsche“ auf Stühlen an und warnt die Mächtigen mit klaren Worten: Eines lasse sich nicht verhehlen, „die Menschen haben die Schnauze voll.“ Vor allem mit einer politischen Richtung geht der „Advokat“ scharf ins Gericht: Die Partei vom rechten Rande „ist für Deutschland eine Schande“, wettert Schlesinger, und warnt: Als Partei getarnt nutze man die Rechtsgrundlage der Demokratie nur aus – „und baut sie auf, die rechte Macht“.
Und wenn sich ein gewisser Parteichef jüngst „von einer linken Mörderbiene, die man abgerichtet hat“ stechen lässt, urteilt der Advokat: „Auch geschwindelt! Wollten wohl Mitleid generier’n, und als Lügenbeitel dem Wählen was aufs Brötchen schmier’n!“ Das braune Treiben treibt die Narren um, und so mahnt auch der Protokoller mit Blick auf die Zuwachsraten der Rechten: „Ich zweifle längts nicht mehr dran, dass das mal böse enden kann.“
Ein Minister und Ex-OB im Stadtrat? Närrisch…
In gewohnt gedrechselten Reimen lässt Peter Krawietz das Weltgeschehen Revue passieren, glossiert Aiwangers Jugendsünden und Söders Bedrängnis, des Kanzlers Notlagen von Cum Ex bis zum Flüchtlings-Lichtlein, das der Ampel aufgeht, und peinliche Hybris und Pathetik von Fußball bis zur Leichtathletik. „Man muss, wenn Hasstiraden sprießen, die Augen einfach nicht verschließen“, rät der Protokoller der hohen Politik, und verschreibt auch gleich das passende Rezept gegen rechte Siegesträume: „Ihr müsst mehr auf die Bürger hören, dann müsst Ihr später nicht bekennen: die hätte man verhindern können.“
Besonders närrisch aber wird der Protokoller beim Blick auf die neue Stadtratsliste der Mainzer SPD zur Kommunalwahl 2024: „ich kann kaum glauben, was ich seh'“, staunt Krawietz: „Ein Ausbund an Bescheidenheit – Genosse Ebling steht bereit, in den Stadtrat einzuzieh’n!“ Tatsächlich hatte der Vorstand der Mainzer SPD den vor einem Jahr ins Amt des Innenministers gewechselten Ex-OB Michael Ebling flugs wieder auf die Liste für den Mainzer Stadtrat gesetzt – und Ebling wurde am Samstag tatsächlich auf Platz 30 bestätigt. „Eine solche Karriere: Vom OB zum Herrn Minister, zurück ins Rathaus als Philister“, reimte der Narren-Protokoller: „Wenn ich’s vergleich, also wisster: Als würd der Bischof nächst Jahr Küster.“
Fastnachtsquizz und Narren-Weisheit
Wie tief das Wissen um das antike römische Erbe im modernen Mogontiacum angekommen ist, bewies zu guter Letzt Ulrich H. Drechsler: Sein „Dalli Dalli“-Quizz konnte gar nicht so schnell die römischen Sehenswürdigkeiten und historischen Spezialitäten in den Raum werfen, wie die Gäste sie erkannten. Ob Fastnachtsbrunnen oder Dativius-Victor-Bogen, Schinderhannes oder der historische Handkäs – ruckzuck waren Bildern enttarnt und Piccolos eingeheimst, ein höchst munteres Fastnachtsquizz zu später Stunde, bevor Pit Rösch gewohnt schwungvoll zum Finale überleitete.
„Wir schunkeln, wir schunkeln, wir schunkeln die Fastnacht ins Lot“, sang das Trio Aeterna mit der stimmgewaltigen Kathrin Dohle, die erneut als souveräne Sitzungspräsidentin mit vollständig gereimten Moderationen glänzte. Noch wahrere wird der Satz, wenn man ihn umdreht: Die Narren schunkeln in diesen Tagen die Welt wieder ins Lot, getreu dem alten Motto „Was lacht und weint, der Narr vereint.“ Und wer sich in diesen Tagen wohl fragt, was die Welt im Inneren zusammenhält, aus dem Mund des Narren-Protokoller bekam er die Antwort:
„In diesen turbulenten Zeiten, da kann kein Mensch ernsthaft bestreiten, wie wertvoll uns’re Fastnacht ist. Wie sonst soll man die Machenschaften, das Unheil und die Not verkraften, wo allenthalben, unverdrossen, blindwütig wird herumgeschossen. Wo Hass Vernunft hinweg gefegt, der Ungeist so viel Feuer legt, dass selbst die Hoffnung fast verebbt. Jedoch, der Narr hat ein Rezept: Glaub an das Gute, glaub daran – und fang gleich bei Dir selber an. Denn du bist keineswegs naiv, siehst du das Leben positiv.“
Info& auf Mainz&: Mehr über die historischen Hintergründe der Saturnalien und den Beginn der neuen Tradition lest Ihr hier bei Mainz&. Und eine kleine Fotogalerie haben wir natürlich auch – situationsbedingt leider nicht mit allen Narren und Gelehrten…: