Desinfektionsmittel gelten in der Coronakrise als das Mittel im Kampf gegen das neuartige Coronavirus, doch die meisten chemischen Keulen sind alles andere als harmlos: Die meisten herkömmlichen Mittel können schwere Reizungen bis hin zu Vergiftungen auslösen und Haut, Leber, Lunge und Nerven schädigen, warnen Chemiker und Hygienexperten – Eltern erlebten das vor den Sommerferien bereits an den Schulen ihrer Kinder: Aus Zeitmangel würden dort Desinfektionsmittel statt Seife eingesetzt, und das oft mehrmals am Tag, berichten Eltern. Gewerkschaften und Elternvertreter sind alarmiert.
Rote, rissige Hände, raue Haut, sogar blutige Stellen an den Händen – das erleben Eltern derzeit mit ihren Kindern. Seit die Schulen in Rheinland-Pfalz wieder geöffnet sind, herrschen strenge Hygieneregeln, allen voran: das gründliche Händewaschen. Eigentlich sieht der Hygieneplan des Landes für die Schulen Händewaschen mit Seife und Wasser als ausreichend vor, doch in der Realität sieht das oft anders aus: Da müssen sich Kinder mehrmals am Tag die Hände desinfizieren – mit scharfen Desinfektionsmittel.
Nach jeder Schulstunde, nach der Pause, dem Toilettengang, sechs bis acht Mal am Tag habe sich seine elf Jahre alte Tochter die Hände desinfizieren müssen, berichtet ein Vater aus Ingelheim: „Händedesinfektion war Pflicht.“ Seine Tochter habe davon „rissige, trockene Hände, teilweise blutige Stellen zwischen den Fingern“ davon getragen, „das hat richtig weh getan“, berichtet der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen möchte.
Es ist kein Einzelfall: Ihr Sohn habe sich mehrfach am Tag die Hände desinfizieren müssen, berichtet auch eine andere Mutter aus Mainz, an dem Gymnasium herrsche die Devise: Das Händewaschen der vielen Schüler dauere viel zu lange, Desinfizieren gehe schneller. Die Folge auch hier: rote Hände, juckende Stellen.
„Die Probleme gibt es häufiger“, bestätigt Reiner Schladweiler vom Landeselternbeirat: „Man hat mir schon mitgeteilt, dass gerade in Grundschulen Kinder Entzündungszeichen davongetragen haben.“ Auch seine Tochter habe „rissige, teilweise blutige Hände durch überflüssige Desinfektionsmaßnahmen“ davongetragen, berichtet Schladweiler unserer Zeitung: „Wir raten klar von dieser Art Einsatz ab.“
Desinfektionsmittel gelten derzeit als Mittel der Wahl zur Eindämmung des Coronavirus, doch Experten warnen: Die Wirkstoffe können höchst schädliche Reizerscheinungen bis hin zu Gesundheitsschäden auslösen. Viele der Inhaltsstoffe von Desinfektionsmitteln seien krebserregend, allergieauslösend, Lungen- und Leber-schädigend, warnte der Gründer des Hamburger Umweltinstituts, Chemieprofessor Michael Braungart, gerade im Gespräch mit Mainz&. Eine flächendeckende Desinfektion von Tischen, Bänken sowie von Händen mehrmals am Tag sei unnötig und potenziell sogar schädlich.
Dennoch passiert offenbar genau das in den Schulen: Er habe mehrere Emails und Telefonanrufe bekommen, die solche Probleme mit dem Händedesinfizieren schilderten, berichtet Schladweiler. Desinfektionsmittel würden aus Zeitgründen statt Händewaschen eingesetzt, „das habe ich mehrmals gehört“, berichtet er. „Die Mittel haben eigentlich nur was in äußersten Notfällen auf den Händen der Kinder zu suchen“, kritisiert Schladweiler. Das könne etwa sein, wenn die Kinder direkt vom Bus kämen, ansonsten reichten Seife, Wasser und gründliches Händewaschen völlig aus.
Das sehen auch Virologen und Umwelthygieneexperten so: Zum Schutz vor dem Coronavirus reiche sorgfältiges Händewaschen mit Seife oder seifenhaltigen Mitteln wie Spülmittel, heißt es beim Bundesumweltamt. Eine Desinfektion von Tischen und Stühlen sei „übertrieben und zu viel des Guten“, betont Umwelthygieneexperte Heinz-Jörn Moriske. Desinfektionsmittel zerstörten die Struktur der Haut und verursachten rissige, ausgetrocknete Stellen, „damit erreichen wir letztlich das Gegenteil von Schutz“, warnt auch Braungart. Die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren steige, wenn gleichzeitig das Immunsystem geschädigt werde.
Bei der Gewerkschaft Erziehung und Bildung (GEW) zeigt man sich alarmiert: „Da besteht Handlungsbedarf“, sagte Gewerkschaftschef Klaus-Peter Hammer im Gespräch mit Mainz&: Desinfektionsmittel müssten „mit Maß und Ziel“ eingesetzt werden und dürften nur dann angewendet werden, wenn es unbedingt notwendig sei. Die Schulträger müssten die Schulen so ausstatten, dass Händewaschen mit Seife und Wasser möglich sei, und das auch schnell und ohne großen Zeitverlust. „Die Schulen müssen für das Problem sensibilisiert werden“, fordert Hammer vom Land.
In der Kritik steht auch das Händedesinfektionsmittel, von dem das Land im Juni den Schulen rund 70.000 Liter zur Verfügung stellte, die CDU hatte am 10. Juni im Bildungsausschuss nach der Qualität der Lösung gefragt. „Strapazierte Haut bei häufiger Anwendung von Handdesinfektionsmitteln ist normal“, antwortete damals der Chef des Landesamtes für Soziales, Detlef Placzek, der Hersteller empfehle eben rückfettende Hautpflegeprodukte zum Ausgleich. Experten wie Braungart warnen jedoch: Gerade der Einsatz von Cremes ziehe Mikroorganismen und Bakterien erst richtig an, das erhöhe die Infektionsgefahr sogar.
Beim Hersteller selbst wird auf dem Etikett darauf verwiesen, das Biozid dürfe „nicht in die Hände von Kindern“ gelangen. „Wie kann man so etwas an die Schulen geben?“, fragt CDU-Bildungsexpertin Anke Beilstein, und will vom Land wissen: „Wie hat man die Schulen für den Umgang damit sensibilisiert?“ Beim Bildungsministerium in Mainz heißt es derweil, man habe bislang keine Kenntnis von schädlichen Vorfällen. Der Hygieneplan für die Schulen sehe eine Handdesinfektion nur dann vor, wenn gründliches Händewaschen nicht möglich sei. „Wir werden den Beschwerden zügig nachgehen“, versprach eine Sprecherin, man habe sich umgehend mit dem Landeselternbeirat in Verbindung gesetzt.
Info& auf Mainz&: Mehr zu den Gefahren durch Desinfektionsmittel und wie man sich stattdessen gegen das Coronavirus schützen kann, könnt Ihr ausführlich hier bei Mainz& nachlesen.