Mainz ist eine der ältesten römischen Stadtgründungen in Nordeuropa, doch bis heute schafft es die Stadt nicht, ihr antikes römisches Erbe stolz zu präsentieren und touristisch gut zu nutzen. „Seit zehn Jahren geht nichts voran“, klagte nun der Vorsitzende der Initiative Römisches Mainz, Christian Vahl, im Mainz&-Gespräch, und bringt kurz vor der Kommunalwahl eine Idee ins Gespräch: „Mainz braucht eine Stadtkuratorin, die ein Gesamtkonzept ‚Römisches Erbe‘ entwickelt.“ Jüngster Anlass seines Ärgers: Die Situation rund um die Römersteine in Zahlbach – das römische Erbe „verrottet unter unseren Händen“, schimpft Vahl.

Das antike Römische Theater in Mainz im Juni 2023: Stillstand, Konzeptlosigkeit, kaum Nutzung. - Foto: gik
Das antike Römische Theater in Mainz im Juni 2023: Stillstand, Konzeptlosigkeit, kaum Nutzung. – Foto: gik

Die im Jahr 2000 gegründete Initiative Römisches Mainz (IRM) hat es sich zur Aufgabe gemacht, das wertvolle römische Erbe von Mainz zu pflegen und stärker ins Bewusstsein der Mainzer und vor allem der Politik zu rücken – Anlass war damals der Kampf um den Erhalt des Isistempels, der beim Neubau der heutigen Römerpassage gefunden wurde. Bis heute legt die IRM den Finger auf vernachlässigte römische Denkmäler, sei es das Römische Theater, der Fundort der Römerschiffe oder jüngst das verschwundene Mithras-Heiligtum von Mainz.

Zu Hilfe kommt der IRM dabei die „Unsichtbare Römergarde“, eine vor gut zwölf Jahren anlässlich der „Mainzer Nachtvorlesungen“ ins Leben gerufene Fastnachtsgarde. Ihr Merkmal: Die Mitglieder sind weithin unsichtbar, die unsichtbaren Aktiven machen es sich derweil zur Aufgabe, auf Verschwundenes oder Vernachlässigtes hinzuweisen und ganz allgemein das reiche römische Erbe von Mainz wieder in die Gegenwart zu holen – wie etwa mit dem Fest zu Ehren der Göttin Carna am 1. Juni oder den Saturnalien im November.

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Vahl: Stadtkurator fürs Römische Mainz installieren

Nun haben die Kämpfer ums das Erbe des antiken Mogontiacum ein neues Anliegen: „Ich schlage einen Stadtkurator oder -kuratorin für das römische Erbe vor“, sagte Christian Vahl, Chef der IRM, nun im Mainz&-Gespräch – und er wisse dabei die Spitze der Unsichtbaren Römergarde hinter sich. Seit zehn Jahren gehe in Mainz in Sachen Römerstadt „nichts voran“, klagte Vahl, dabei habe ihm zuletzt noch 2021 der damalige Mainzer Oberbürgermeister und heutige Innenminister Michael Ebling (SPD) persönlich ein „Gesamtkonzept Römerstadt“ versprochen.

Der Drususstein auf der Zitadelle in Mainz im Mai 2023: Das Bauwerk ist ein antikes Ehrengrab für den römischen Feldherrn Drusus. - Foto: gik
Der Drususstein auf der Zitadelle in Mainz im Mai 2023: Das Bauwerk ist ein antikes Ehrengrab für den römischen Feldherrn Drusus. – Foto: gik

„Mainz braucht ein Gesamtkonzept, wie man das römische Erbe in Mainz repräsentieren will“, betont Vahl. Ein solches Konzept könne „unter politischen, kulturellen, wirtschaftlichen, strategischen, touristischen, archäologischen und stadthistorischen Aspekten fokussiert werden.“ Andere Städte wie Trier machten sehr gute Erfahrungen damit, dort sei alles auf das Thema Römer ausgerichtet, die Stadt als Römerstadt weltweit bekannt. Mainz hingegen kennt kaum jemand als Stadt der Römerzeit, dabei kann Mainz längst mit historischen Bauwerken in nahezu ähnlicher Menge und Bedeutung punkten.

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Wichtig sei für ein solches Konzept, dass die Stadt Denkmalschutzzonen definiere, innerhalb derer die Überreste der Antike geschützt seien. „Man muss Flächen definieren, die für das römische Erbe verfügbar sein müssen“, betont Vahl und nennt als Beispiele Wege, Infostelen und auch Gastronomie im Umfeld der Sehenswürdigkeiten. So könnten etwa die Bauern auf ihren Feldern weiter die immer noch im Boden liegenden Überreste der antiken Wasserleitung beschädigen, weil diese Rest eben nicht von Zonen geschützt seien, kritisiert Vahl. Auch würden Bauvorhaben noch immer ohne Rücksicht und Abstand auf antike Reste genehmigt – wie etwa in Zahlbach.

Römersteine in Zahlbach: Areal „verwahrlost und verwildert“

In dem kleinen Tal zwischen Kästrich und Universität erheben sich die sogenannten „Römersteine“, Überreste der Pfeiler einer antiken Wasserleitung, die Quellwasser aus Finthen auf den Mainzer Kästrich brachte, wo die Römer ihr Legionärslager errichtet hatten. Die Wasserleitung, von der heute noch rund 60 steinerne Reste erhalten sind, führte auf ihrem Weg bei Zahlbach in einem großen Aquädukt über das Zaybachtal – das imposante Bauwerk wurde wohl um 70 nach Christus erbaut und war mit 30 Metern Höhe das höchste seiner Art nördlich der Alpen.

Dichte Vegetation und hohe Bäume finden sich inzwischen rund um die Römersteine in Zahlbach. - Foto: gik
Dichte Vegetation und hohe Bäume finden sich inzwischen rund um die Römersteine in Zahlbach. – Foto: gik

Vahl kritisiert, das Areal um die Römersteine sei jüngst „völlig verwahrlost“, die Lage habe sich binnen eines Jahres deutlich verschlechtert. „Die sanierenden Maßnahmen finden zwar regelmäßig statt, aber das Gebiet hinter den Römersteinen ist komplett verwildert“, kritisiert Vahl. Von der Straße aus seien die Denkmäler fast überhaupt nicht mehr zu erkennen, große Bäume würden inzwischen die Denkmalsteine überwuchern. „Es gibt nicht einmal einen durchgehenden gemeinsamen Zaun, selbst in dem Bereich der Denkmalschutzzone steht ein Klohäuschen nur einen Meter entfernt von den Römersteinen“, schimpft Vahl.

Der Zustand der Römersteine führte Mitte Mai auch zu einer Anfrage der CDU im Stadtrat, Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) wies indes jede Kritik an dem Zustand der Römersteine und ihrer Umgebung zurück. Zuständig für die Konservierung der Steine sei die Gebäudewirtschaft Mainz, und die habe seit 2016 jedes Jahr etwa fünf der Steine  konserviert – in diesem Jahr habe man damit 40 der insgesamt 60 bekannten Steine konserviert.

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Auch werde „der das antike Mauerwerk schädigende Bewuchs auf den Römersteinen jedes Jahr durch die Gebäudewirtschaft entfernt“, der Grünstreifen vom Grün- und Umweltamt dreimal pro Jahr gemäht. Die Römersteine würden auch jedes Jahr von schädigendem Grünbewuchs befreit. „Die aktuelle Situation an den Römersteinen wird als insgesamt gut bewertet“, heißt es in der Antwort auf die Anfrage wörtlich.

Vahl: Bäume könnten Standsicherheit der Römersteine bedrohen

„Es ist absurd, die Lage als gut zu bewerten – das ist von gut weit entfernt“, kritisiert Vahl derweil. Von vorne aus sehe das Gelände zwar in der Tat gepflegt aus, aber hinter den Steinen gebe es verrottete Zäune und Gartenhäuschen, die unmittelbar neben den Steinen errichtet worden seien. Sorgen machen den Experten der IRM aber vor allem die Bäume: „Die Baumstämme neben den Steinen sind immer größer geworden“, sagt Vahl, inzwischen wüchsen an mehreren Steinen Bäume so nah, dass sie beim Umstürzen die Römersteine mitreißen könnten.

An mehreren Stellen wachsen inzwischen große Bäume dicht neben den Römersteinen - die IRM fürchtet um die Standsicherheit der antiken Mauerreste. - Foto: gik
An mehreren Stellen wachsen inzwischen große Bäume dicht neben den Römersteinen – die IRM fürchtet um die Standsicherheit der antiken Mauerreste. – Foto: gik

Bei der Stadt Mainz sieht man keine Gefahr für die Standsicherheit der Römersteine, bezieht sich in der Antwort an die CDU aber nur auf „entstandene bauliche Anlagen in ihrer Nähe.“ Bei der IRM verweist man dagegen auf statische Berechnungen von Experten, die das Gewicht des Erdreichs, die Fläche der Baumkrone sowie Umfang der Baumstämme, Wurzelradius  unser Wurzeltiefe einbezogen hätten. „Unsere Berechnungen sagen, dass im Sommer bei Trockenheit und Windstärke > 11 eine Entwurzelung der Bäume wahrscheinlich ist, bei Windstärke 12 sicher“, sagt Vahl in einer Stellungnahme.

Gerade bei Trockenheit, kräftigen Böen und vollem Blattwerk bestehe die größte Gefahr, dass große Bäume umgerissen werden könnten, und dabei die Römersteine beschädigt würden. Auch ein Gutachten zu Schattenwurf, Insekten und Feuchtigkeit, die durch die Bäume entstünden und die Pfeiler schädigen könnten, gebe es noch immer nicht, klagt Vahl.

Baumwuchs, Zäune, Gartenhäuschen dicht neben Römersteinen

Bei einem Gang entlang der Römersteine am Freitag bestätigte sich die Darstellung weitestgehend. Die Grünanlage zwischen den Römersteinen war offensichtlich erst vor Kurzem gemäht, viel Buschwerk entfernt worden. Vom Weg aus präsentieren sich die antiken Steine als gepflegte Anlage – doch dahinter sieht es schon anders aus: Zwischen den Gartenzäunen der Anwohner und den Römersteinen gab es offensichtlich bis vor Kurzem noch dichtes Buschwerk, viele Zäune ragen dicht an die Steine heran, an einer Stelle haben Anwohner die antike Steinsäule gar zu einem Teil ihres Gartenzauns umfunktioniert – der Holzzaun am Stein präsentiert sich nicht im besten Zustand.

Ein großer Baum links, Gartenzaun samt Häuschen rechts: Der Bebauungsplan sieht eigentlich zwei Meter Abstand zu den Römersteinen vor. - Foto: gik
Ein großer Baum links, Gartenzaun samt Häuschen rechts: Der Bebauungsplan sieht eigentlich zwei Meter Abstand zu den Römersteinen vor. – Foto: gik

Dabei schreibt der Bebauungsplan für die „Grünflächen Bereich Römersteine (Z 67)“ explizit das Freihalten „eines Streifens von mindestens 2,0 Meter Breite und maximal 2 Meter Höhe entlang der nördlichen Grundstücksgrenze in unmittelbarer Angrenzung an die Kulturdenkmale Römersteine“ vor. Einfriedungen unmittelbar neben den Steinen seien „als Maschendrahtzaun nur bis zu einer Höhe von 1,20 Meter zulässig.“

Die Vorschriften zum Gartenzaun-Material wird nach Mainz&-Eindruck von etwa der Hälfte der Zäune ignoriert, den Abstand zu den Römersteinen hält praktisch kein einziger Zaun ein – und direkt daneben stehen oftmals Gartenhütten. Bei der Stadt Mainz heißt es dazu: „Seit der Ausweisung der Römersteine als geschützte Denkmalzone 2006 hat das Bauamt, Abteilung Denkmalpflege, keine denkmalschutzrechtlichen Genehmigungen für bauliche Anlagen innerhalb dieser Denkmalzone und mithin in unmittelbarer Nähe der Römersteine erteilt.“

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Stadt verweist auf Projektmanager bei Gebäudewirtschaft Mainz

Damit wären die Bauwerke entweder uralt oder rechtswidrig, die meisten Zäune sind es in jedem Fall – und das Thema Abstand wurde offensichtlich in den vergangenen 20 Jahren nicht kontrolliert oder eingefordert. Im Stadtrat hieß es nun, die Gebäudewirtschaft werde „nach dem Ende der Vegetationsperiode die Anrainer der Römersteine an der Backhaushohl anschreiben und auf eine Informationsveranstaltung der Gebäudewirtschaft hinweisen.“ Bei der Gebäudewirtschaft sei nämlich „eine Stelle für das Projektmanagement Römisches Erbe geschaffen worden, die als zentraler Ansprechpartner der Stadt für das Römische Erbe dient“ – das allerdings hatte die Stadt bislang nie so kommuniziert.

An dieser Stelle wurde der Römerstein direkt in den Gartenzaun eines Anwohners integriert, vorne rechts ein Steinhaufen, womöglich von dem antiken Pfeiler. - Foto: gik
An dieser Stelle wurde der Römerstein direkt in den Gartenzaun eines Anwohners integriert, vorne rechts ein Steinhaufen, womöglich von dem antiken Pfeiler. – Foto: gik

Die Stelle sei von einem Archäologen besetzt, der werde nun „eine Führung entlang der Römersteine durchführen, um die Anwohner für das Denkmal zu sensibilisieren.“ Dabei solle auch auf das teilweise über die Grundstücksgrenzen hinauswachsende Grün thematisiert und insgesamt für ein gepflegtes Erscheinungsbild rund um das wichtige Kulturdenkmal geworben werden.

Vahl äußerte sich dazu skeptisch: „Wir haben selbst mit den Leuten vor Ort gesprochen“, sagte er, die Sensibilisierung für die Römersteine sei bereits sehr hoch – „da verschließt sich keiner einer möglichen Besserung“, betonte er. Die Anwohner seien in hohem Maße bereit, ein Konzept für ein schöneres Umfeld zu unterstützen – aber ein solches Konzept gebe es ja gerade nicht. „Das zeigt genau unseren Punkt: Wir brauchen ein Gesamtkonzept für das Römische Erbe“, betonte Vahl, ein Archäologe in der Gebäudewirtschaft sei dafür aber nicht die richtige Institution, findet er.

„Jedes Konzept für Römerstadt zwischen Dezernaten zerrieben“

Denn: Derzeit werde jedes Konzept für eine Römerstadt Mainz zwischen verschiedenen Dezernaten zerrieben, deshalb müsse die Aufgabe bei einer Persen gebündelt werden. „Man bräuchte einen Stadtkurator, der mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet und dem Oberbürgermeister direkt untergeordnet ist“, betonte Vahl. Denn die Person müsse schließlich mit drei städtischen Dezernaten verhandeln und die Arbeit zwischen Kultur- und Baudezernat, dem Umweltdezernat und dem Wirtschaftsdezernat in Sachen Tourismus vernetzen.

IRM-Vorsitzender Christian Vahl mit Ex-Kulturdezernent Peter Krawietz sowie der Sitzungspräsidentin der Unsichtbaren Römergarde, Kathrin Dohle. vor dem Orpheus-Mosaik in der Römerpassage. - Foto: gik
IRM-Vorsitzender Christian Vahl mit Ex-Kulturdezernent Peter Krawietz sowie der Sitzungspräsidentin der Unsichtbaren Römergarde, Kathrin Dohle. vor dem Orpheus-Mosaik in der Römerpassage. – Foto: gik

„Er muss ein Konzept für die Römerstadt Mainz entwickeln, die unterschiedlichen Kompetenzen moderieren und bündeln, sowie alle Interessierte am Römischen Erbe an einen Tisch bringen“, sagte Vahl. Die Person brauche zudem auch „eine Kompetenz in der operativen Ebene“, um Aufträge an städtische Ämter und Dezernate vergeben zu können. Die Stelle könnte etwa auf fünf Jahre befristet werden, danach werde Bilanz gezogen.

Das erinnert an den ehrenamtlichen Kulturdezernenten, den es bei der Stadt Mainz schon einmal gab – die Position füllte 14 Jahre lang, von Dezember 1995 bis März 2010, der CDU-Mann und Geschichtslehrer Peter Krawietz aus. Nach dessen Ausscheiden wurde das Kulturdezernat in das Baudezernat integriert, der Schulbereich dem Sozialdezernat angegliedert. Im Kommunalwahlkampf tauchten nun neue Debatten über die Rolle des Kulturdezernates auf, entzündet an dem Streit um die Kulturbäckerei: Sollte die Kultur wieder ein eigenständiges Dezernat werden, um ihr eine stärkere Rolle zu verleihen?

Klar ist für die Unsichtbare Römergarde bislang nur eines: Der Stillstand in Sachen Römer dürfe nicht so weiter gehen. „Beim Römischen Theater herrscht Stillstand, das Konzept rund um den Drususstein wurde nie verwirklicht, und der Weg vom Drususstein runter zum Rheinufer ist noch nicht einmal in Planung“, zählt Vahl auf: „Es muss etwas passieren – das Römische Erbe verrottet unter unseren Händen.“

Info& auf Mainz&: Mehr zur Geschichte der Römersteine und der antiken Wasserleitung samt Aquädukt in Mainz-Zahlbach lest Ihr hier bei Mainz&. Mainz& hat sich am Freitag, den 31. Mai 2024, bei den Römersteinen vor Ort umgesehen – hier unsere Eindrücke im Foto: