Einmal im Jahr werden in Mainz selbst schnöde Hörsäle zu Narhallen, und Kenner wissen: Dann ist wieder Zeit für die Närrische Nachtvorlesung. Zum 11. Mal rief die „Unsichtbare Römergarde“ zur Vorlesung in Reimen und zu Narhallamarsch statt Narkose, es war die Rückkehr an den Ursprung: Am Dienstagabend wurde der Hörsaal 505 der Mainzer Universitätsmedizin zur närrischen Lehranstalt. „Die Närrische Nachtvorlesung ist zurück, die Unimedizin ist ganz verzückt“, reimte der neue Chef der Unimedizin, Ralf Kiesslich. Und wie es sich gehörte, gab es Lektionen in Narretei mit Advokaten, Bänkelsängern, Reisenden und poetisch-politisch Dozierenden.

Närrische Nachtvorlesung: Fastnacht im Hörsaal, eingestimmt vom Trio Aeterna. - Foto: gik
Närrische Nachtvorlesung: Fastnacht im Hörsaal, eingestimmt vom Trio Aeterna. – Foto: gik

„Zu meiner großen Enttäuschung sind Sie alle bekleidet, ungewöhnlich bekleidet“, wunderte sich der „Französische Beauftragte“ beim Blick auf die steil ansteigenden Ränge. „Fast nackt“ sollte das Publikum doch sein, stattdessen tummelten sich im Hörsaal 505 Piraten und Clowns, Uniformträger und allerlei bunt gewandetes Volk. Oh lala, da staunte der „Beauftragter der französischen Republik für die Universitätsmedizin Mainz“.

Ulrich Förstermann, Ex-wissenschaftlicher Vorstand der Mainzer Unimedizin, sezierte in seinem Vortrag fein säuberlich Anekdoten aus den Abteilungen des Uniklinikums, sondern auch dessen Aufstellung gleich mit: Der Vorstand – abserviert. Die Finanzen: „Uh lala, über 100 Millionen Verlust pro Jahr – Katastrophe!“ Und der neue Chef rasiert das Personal: „Guillotine ist Guillotine – auch wenn sie lächelt“, mahnte Förstermann. Sein Trost: „Lieber eine gute Medizin mit abschreckender finanzieller Bilanz, als eine abschreckende Medizin mit guter Bilanz.“

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Förstermann seziert Baupläne und Politik-Träume zur Unimedizin

Besonders die bauliche Substanz des Klinikums bekam ihr Fett weg: „Wir haben klapprige Gebäude mit Wasserschäden und löchrigem Fußboden“, klagte Förstermann, und fragte in bester Narrenmanier, ob das der große Bauplan von Politik und Uniklinikum wohl tatsächlich ändern werde – und vor allem: wann? 2045 sei man vielleicht so weit, und der Denkmal geschützte Klinikpark bis dahin „durch 50 Baucontainer und viele Baufahrzeuge endgültig ruiniert.“ Das komme eben davon, wenn sich ein Minister etwas in den Kopf setze, klagte Förstermann: „Alle andern Überlegungen waren politisch verboten – nicht so klug.“

Die Närrische Nachtvorlesung ist zurück in der Mainzer Unimedizin - und Vorstandschef Ralf Kiesslich freute es. - Foto: gik
Die Närrische Nachtvorlesung ist zurück in der Mainzer Unimedizin – und Vorstandschef Ralf Kiesslich freute es. – Foto: gik

Ja, „die Fastnacht ist tief in der Unimedizin verankert, und das schon seit vielen Jahren“, konstatierte Christian Vahl, seines Zeichen Ex-Chef der Herzchirurgie und Organisator der Närrischen Nachtvorlesung. Zwei Jahre lang musste die Nachtvorlesung nach der Coronapause in andere Quartiere ausweichen, zur 11. Auflage kehrte sie nun an ihren Ursprungsort in die Unimedizin zurück – Dank deren neuen Leiter Ralf Kiesslich.

„Da stehe ich hier zum ersten Mal“, bekannte der: „Die närrische Nachtvorlesung ist zurück, die Unimedizin ist ganz verzückt.“ Vor gut einem Jahr bekam er den Staffelstab der Leitung, Kiesslich erbte ein Riesen-Finanzloch und jede Menge Zwist und Hader. „Doch das Blatt hat sich gewendet, vorbei ist der Streit und Zwist“, verkündete Kiesslich nun in seinem ganz persönlichen gereimten Protokoll: „Heute heißt es, Zukunft zu gestalten, und nicht Besitztümer zu verwalten. Von ‚das habbe mer immer schon so gemacht‘, zu ‚das könne wir besser – es wär doch gelacht!'“

Fastnachtspoeten im Hörsaal

Apropos Lachen: Das war an diesem Abend natürlich geradezu medizinisch verschrieben, auch wenn es manchmal im Halse stecken blieb angesichts der ganzen Kriege und Krisen in der Welt. „Lasst uns Humor und Freude pflegen“, rät da der „Advokat des Volkes“: „Kämpft mit, dass man den Mut behält, stellt Euch dem rechten Wahn entgegen, für eine bunte, freie Welt.“ Ja, Rüdiger Schlesinger gehört fraglos zu den von ihm selbst angekündigten „Fassenachtspoeten“.

Rüdiger Schlesinger: Voller Einsatz als "Advokat des Volkes". - Foto: gik
Rüdiger Schlesinger: Voller Einsatz als „Advokat des Volkes“. – Foto: gik

Mit pfiffigen Reimen und eingestreuten Liedern plädiert der „Avokat des Volkes“ wie immer für mehr Gerechtigkeit – in diesem Fall mehr Steuergerechtigkeit – und geißelt Rentnerarmut, toxische Männlichkeit und den amerikanischen Fakenews-König, immer wieder aber vor allem den neuen braunen Sumpf der schönen neuen AfD-Welt. „Da ist er noch, der braune Fleck“, konstatiert Schlesinger, und warnt mit Bert Brecht: „Dass keiner mir zu früh triumphiert: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

„Warum habt Ihr nicht Nein gesagt“, singt Schlesinger, und mahnt CDU-Kanzlerkandidaten Merz: „Friedrich, Friedrich, mach kein‘ Fehler, sich Anbiedern, das ist fatal: Der Wähler wählt – das Original.“ Denn, so das Resumée des Advokaten: „Wir kommen wieder auf die Beine, und das hier ist mein Resumée: wir schaffen das auch ganz alleine – wird brauchen keine AfD!“ Stehende Ovations und tosenden Applaus dankten dem Mann des Volkes.

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Humor-Altmeisterinnen auf närrischer Mission

Überhaupt, die AfD und ihre hasserfüllte Rhetorik beschäftigt die Narren sehr. „Jede Stimme für die AfD ist eine Stimme gegen Freiheit und Demokratie und für die Zerstörung Europas“, mahnt der französische Botschafter Förstermann. „Friedrich Merz, ich sag’s ganz ehrlich: was Du grad machst, ist brandgefährlich“, mahnt auch „Protokoller“ Gunther Raupach, und schüttelt den Kopf angesichts all der Fehltritte und des Lavierens der Politik.

Starkes Narren-Protokoll: Gunther Raupach. - Foto: gik
Starkes Narren-Protokoll: Gunther Raupach. – Foto: gik

„Der Worte sind genug getan, wann fangen endlich Taten an?“, fragt der Narren-Protokoller mit Blick auf den Anschlag von Aschaffenburg – aktueller könnte er nicht sein. Und es wird ganz still im Hochschul-Saal, als der Narr am Ende die Glocke läutet, gegen Krieg und Hass in der Welt: Soll dieser Ton die Botschaft sein“, spricht Raupach dazu: „Freude sie uns heut‘ bedeute, und Friede sei nun ihr Geläute.“

Wie es sich für eine Hochschule gehört, ist man natürlich auch weltgewandt – umso mehr, wenn die Reiseführerin Hildegard Bachmann heißt. Die Grande Dame der Meenzer Fastnacht bekennt erst mal „ich war immer ein völlig harmloses Kind“, sie habe ja erst mit 13 den ersten Vortrag gemacht. Aufs närrische Gleis setzte sie ein Altmeister der Fastnacht: Erhard Grom. „Liebe Frau Bachmann“, habe der einst zu ihr gesagt, „Sie gehen jetzt raus, und bringen die Leute zum Lachen – der liebe Gott hat’s so gewollt.“

Muss er wohl: Niemand setzt die Pointen so närrisch-gekonnt, und wenn die Bachmann mit dem Flugzeug in den Himalaya reist, bleibt kein Auge trocken. Apropos Lachsalven: Die löste auch die „Apollonia“ Gabriele Elsner aus, noch eine der Humor-Altmeisterinnen. Viele Jahrzehnte begeisterte Gabriele Elsner ihr Publikum mit urkomischen Schauspielereien, sei als als Weinkönigin, sei es als Fahrschülerin. Nun ließ die „Appollonia“ noch einmal ein „Best of“ aufblitzen – es soll die letzte Kampagne der Fastnachtsfigur sein.

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Schweigen oder Schnuller, Schaffen oder Stau?

Harte Zeiten auch für die „Tramps aus der Palz“, deren Slogan doch eigentlich heißt: „Mer schaffe nix!“ Jetzt müssen Dirk Loomans und Reinhard Schwarz vom KCK wegen dem Fachkräftemangel doch „schaffe gehen“, das kann natürlich nicht gut gehen, und wird zur liebevollen Narretei. „Ich bin leider zu spät“, bekennt auch der „Gude vom Bundestag“, alias Christian Vahl – der Verkehr in Mainz ist zu dicht, die Luft zu schlecht, und schließlich stand auch noch „der Aufschwung vor der Tür“.

Ziehen ebenfalls in den Wahlkampf: Die "Altrheinstromer". - Foto: gik
Ziehen ebenfalls in den Wahlkampf: Die „Altrheinstromer“. – Foto: gik

Vahl erinnert damit an den legendären „Boten vom Bundestag“ Jürgen Dietz, und wie dieser lauscht er nun als Chauffeur den Mächtigen auf der Rückbank zu – viel Gutes kommt dabei nicht heraus: SPD-Kanzler Olaf Scholz „kennt nur zwei Meinungen, seine und die falsche“, berichtet der „Gude“, die grüne Außenministerin hat nun Angst vor dem Kater alias „Fritz, the Cat“, und Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck „denkt wie ein Kind und redet wie ein Kind – an weiß nicht, soll man ihm einen Schnuller oder eine Schnabeltasse in den Mund stecken?“

Manche, konstatiert der Politik-Beobachter setzten auch „Duftmarken“ mit Schweigen: „Schweigen zu Gaza, Schweigen zu Heizungsgesetz, Deindustrialisierung, Grenzkontrollen – müssen wir nicht achtgeben, dass wir nicht eine Gesellschaft der Mitleidlosen werden?“ Ja, der Narr an Fastnacht ist die Instanz für ein offenes Wort und die scharfe Kritik an den Mächtigen, den genauen Blick auf Fehlentwicklungen und Eitelkeiten -, das geht auch musikalisch: Die Altrheinstromer ziehen jetzt auch in den Wahlkampf.

Die Mainzer Wahl: „Wähle Fleischworscht, Weck und Woi“

Das Gesangsduo von Rechts des Rheins kommt in glänzenden Anzügen daher und konstatiert: „Wir brauchen mehr Fleischworscht, mehr Weck, Worscht und Woi“, welcher Mainzer wollte da Nein sagen? „Wähle Fleischworscht, Weck und Woi, dann hast du uns an der Strippe“, dichtet die Gesangstruppe gleich noch den Sponheimer-Kulthit „Wähle 06131“ um um: „Dann wählst du dir im Nu, zum Leben und zum Sonnenschein den Frohsinn noch dazu!“ Die Wahl wäre klar gewonnen.

Besingen Baustellen, Haushaltslöcher und Denglische Fastnachtsmotti: Die "Alternativen Bänkelsänger". - Foto: gik
Besingen Baustellen, Haushaltslöcher und Denglische Fastnachtsmotti: Die „Alternativen Bänkelsänger“. – Foto: gik

„Ja, mir Meenzer derfe des, weil wir halt Meenzer sind“, schunkelt der Saal selig, wobei es da ein Problem gibt: „Im Hörsaal, is de Woi all“, klagen die Altrheinstromer, denn Wein gab es bei der Närrischen Nachtvorlesung keinen – und vor der Tür war sogar das Bier all‘. „So ein Kääs“, singt der Saal. Was für Zeiten. Die nehmen sich auch die „Alternativen Bänkelsänger“ vor: „In Mainz sind die Baustellen ätzend“, stellen die fest, „ob Binger, ob Windmühlenstraße – die Sperrungen kommen, nie gehen.“ Das Südkreuz an der A60, befürchten sie gar, wird’s ewig geben: „Das Bauamt hat Denkmalschutz dafür verhängt.“

Ja, die Meenzer Stadtpolitik, auch die gibt für die Narren vieles her: Da ist das Mainzer Fastnachtsmotto „Meenz is so nett, but don’t forget the Zuchplakett – Denglish, not nice“, konstatieren die Sänger: „Es stinkt de Leut wie unser Handcheese.“ Und stinken tut auch die Frage der Milliarden: „In Mainz ist das Haushaltsloch zurück“, singen die Bänkelsänger: „Das Erbe von Ebling wiegt schwer: Wo ist die Biontech-Milliarde, das wollten wir wissen vom Beck. Der Günther zuckt nur mit der Schulter: das Virus noch da, das Geld ist weg.“

Der Riesling? Nicht nur knapp – sondern gar nicht da – Was e Käs!

Ja, Musik und Narrenwort, auch das gehört in Mainz zusammen. „Wieder Fastnacht“, singt das Trio Aeterna, und bekennt: „Mein Herz schlägt immer mehr für Mainz bleibt Mainz bleibt Mainz“. Da wird dann auch streng auf die Gesundheit geachtet, und das Publikum in schwungvolle Bewegung gebracht – das Trio Aeterna ist darin Experte, ist die stimmgewaltige Frontfrau Kathrin Dohle doch selbst Ärztin. Dohle führt auch erneut gekonnt und mit schwungvollen Reimen als Sitzungspräsidentin durch den Abend – die „Unsichtbare Römergarde“ füllt derweil die Reihen, und Rainer Müllers zelebriert Pippi Langstrumpf auf Römisch. „Wo wir wären wir ohne die Römer?“, fragt Müllers als Centurio: „Es gäbe kein Mainz, kein Trier, kein Köln.“

Grandiose Stimme, Power-Auftritt: Anja Beck-Harth. - Foto: gik
Grandiose Stimme, Power-Auftritt: Anja Beck-Harth. – Foto: gik

Das wäre in der Tat fatal, denn dann gäbe es auch die mitreißenden Mainzer Fastnachtshymnen nicht – so wie Nadine Meurer: „Ich bin en Meedsche hier vom Rhoi, und liebe Fleischworscht, Weck und Woi“, singt die Rieslingwirtin gut gelaunt. Überhaupt sind für die großen Stimmen des Abends die Frauen zuständig, allen voran Anja Beck-Harth: Mit großer Stimme und gejazztem „Gelle gern“ bringt die Teilnehmerin von „Voice of Germany 2022“ den Saal zum Toben. Dabei ist die langjährige Frontfrau der „Spassmacher Company“ im Narren-Ruhestand – aber was heißt in der Familie schon Ruhestand?

Reni Beck hat eine Art musikalisches Protokoll mitgebracht, die charmante Powerfrau glänzt mit ganz neuen Erkenntnissen über „Ti Amo“: „‚Öffne die Tür für einen Toilettenpapierkrieger‘ – das singt der wirklich“, erklärt sie dem Saal und riss das närrische Auditorium mit urkomischen Texten und vor allem auch toller Stimme von den Sitzen. Und ja, der Name ist kein Zufall: Die Reni ist die Mutter der Anja – und wird in zwei Wochen unglaubliche 80 Jahre alt. Klarer Fall: Die Fastnacht muss ein Jungbrunnen sein.

Info& auf Mainz&: Mehr zur „Unsichtbaren Römergarde“ könnt Ihr übrigens hier auf Mainz& nachlesen. Und natürlich darf unsere Fotogalerie nicht fehlen, viel Spaß damit!