Es war am 18. Juli 2023, als man sich am Landgericht II in München erstaunt die Augen rieb: So groß war das Interesse an dem Zivilverfahren in Sachen Beleidigung und Verleumdung, dass Stühle aus benachbarten Räumen beigeschafft werden mussten. Wer allerdings nicht erschien, war die Beklagte: Roswitha K. An diesem Dienstag erging deshalb ein Versäumnisurteil gegen die Politikberaterin aus Bayern: Das Gericht urteilte, Roswitha K. dürfe unhaltbare Verleumdungen nicht wiederholen. Die hatten es in sich: Es ging um Vorwürfe von „Aufwiegelung“, Anstiftung zu Straftaten, Nähe zu Rechtsextremen – ja, sogar um die „Installierung von totalitären Systemen.“ Es ist bereits das zweite Urteil im Zusammenhang mit einer Hetzkampagne gegen Helfer nach der Flutkatastrophe im Ahrtal.
Am 18. April 2023 hatte sich Roswitha K. bereits vor dem Amtsgericht Weilheim bei München wegen versuchter Nötigung, Beleidigung und schwerer Körperverletzung in mindestens vier Fällen verantworten müssen. Auch hier ging es in einem zentralen Punkt um Hass und Hetze im Ahrtal: Einer der Kläger war der Pulheimer Landwirt Markus Wipperfürth, er sieht sich seit nunmehr anderthalb Jahren einer systematischen Hetzkampagne ausgesetzt, die bis in sein Privatleben und seine Geschäftswelt hineinreicht.
Die Angriffe beginnen im Herbst 2021, wenige Wochen nach der Flutkatastrophe im Ahrtal. Wipperfürth und sein Freund Wilhelm Hartmann, Gartenbauer aus Fulda, sind am 15. Juli 2021 mit die ersten, die im Ahrtal stehen – sie stehen vor Wänden von Trümmern aus Wohnwagen, Autos, Schutt und Bäumen. Die bis zu zehn Meter hohe Flutwelle hat eine gigantische Zerstörung hinterlassen, der Landwirt aus Pulheim und der Gartenbauer aus Fulda haben schweres Gerät dabei, und Männer, die damit umzugehen wissen.
Stalken, Verleumden, ins schlechte Licht rücken
Binnen Stunden kommen Aufräumarbeiten in Gang, die völlig überforderten Behörden weisen den Helfern einfach eine Gegend zu, und die machen. Was sie machen, filmen sie: Wipperfürth und Hartmann besaßen schon vor dem Ahrtal eine große Followerschaft auf Facebook, vor allem Wipperfürth lieferte schon täglich kleine Live-Videos, meist zu Themen aus der Landwirtschaft. Nun streamt er live aus dem Ahrtal – und beschreibt, was alles fehlt und was alles schief geht. Den Behörden ist Wipperfürth ein Dorn im Auge – Wochen später beginnen massive Anfeindungen gegen seine Person auf einer Seite, die sich „Faktencheck Ahrtal“ nennt.
Gegründet wurde „Faktencheck Ahrtal“ von Roswitha K., sie sammelt schnell eine Followergemeinde um sich – Wipperfürth wirft K. vor, ihre Follower gezielt auf seine Person angesetzt zu haben. Er sei minutiös gestalkt, jeder seiner Schritte beobachtet worden, auch im richtigen Leben, sagte Wipperfürth gegenüber Mainz&. Sogar seine Geschäftspartner seien angeschrieben, seine Person bei ihnen verleumdet worden. „Man wollte meine Reichweite zerstören, mich als Freiwilligen ins schlechte Licht rücken, damit ich meine Kritik einstelle“, sagt Wipperfürth.
Pikant dabei: Roswitha K. erhielt von März bis Mitte Juli 2022 über viereinhalb Monate hinweg Zahlungen von Missy Motown, der Geschäftsführerin des Helferstabs im Ahrtal, über deren Firma m2a artitude GmbH – wofür, ist bis heute unklar. Motown alias Nicole Schober hat die Zahlungen über ihren Anwalt selbst eingeräumt. Mit Schobers m2a schlossen die Dienstaufsicht ADD sowie die ISB-Bank des Landes Rheinland-Pfalz Aufträge mit einem Volumen von 5,5 Millionen Euro für Hilfsleistungen im Ahrtal.
Wipperfürths Anwalt Niklas Haberkamm von der Kanzlei LHR in Köln wirft Frau K. vor, „dass sie systematisch unseren Mandanten in seinen Persönlichkeitsrechten angreift, dass er als Person diffamiert wird, dass versucht wird, seine soziale Reputation und seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern.“ Tatsächlich sind die Vorwürfe an Drastik kaum zu überbieten: Wipperfürth verbreite „falsche Tatsachen“, er lüge, und er „manipuliere“ seine Follower, um über Kritiker herzufallen, heißt es in Dutzenden von Facebook-Posts. Wipperfürth und Hartmann wollten sich nur selbst vermarkten, um sich im Ahrtal zu bereichern – beide weisen das entschieden zurück.
Rechtsextremismus-Geraune: Reichsbürger bis Holocaust-Leugner
K. schreckt auch nicht davor zurück, Wipperfürth vorzuwerfen, er habe „persönlich den Anstoß gegeben“, einen Stadtrat „durch das Internet zu jagen“ und zu bedrohen. Am perfidesten aber sind die Verleumdungen, in denen die Keule „Rechtsextremismus“ ausgepackt wird. So wettert K. in einem Video des „Faktencheck Ahrtal“, das sie auf Youtube postet, Wipperfürth und Hartmann hätten „ein System“ etabliert, dessen „Kometenschweif reicht bis in extreme rechte politische Bereiche rein, die sich dieses Wording (…) nicht nur zu Nutze machen, sondern die denen in die Karten spielen.“
Im Klartext: Wipperfürth bediene mit seinen Posts bewusst ein rechtsextremes Spektrum, das „bis in verschwörungstheoretische, rechtsextreme Bereiche und Szenen“ hineinreiche – und dann wettert K. in vollster Empörungsmanier: „Und ich sag das ganz offen, Herr W., Sie müssten schon ein extrem dummer, ein extrem unpolitischer Mensch sein, wenn man annehmen müsste, sie wüssten nicht, welche Gruppen Sie nebenbei noch bedienen mit ihren Darstellungen, mit ihren Fakenews, und welche Gruppen Sie füttern und welche Gruppen um Sie herum wabern.“
Es sind genau diese Zitate, die vergangene Woche in München vor dem Landgericht II die zentrale Rolle im neuerlichen Verfahren gegen Roswitha K. spielen – das Gericht zitiert diese Passagen exakt so in seinem am Dienstag ergangenen Urteil, nachzulesen in einer öffentlichen Pressemitteilung des Gerichts. Wipperfürths Agieren habe „ein System“ raunt K. weiter, die Bedrohung richte sich „gegen wirklich relevante Gruppen im Ahrtal“ – selbst in ein Umfeld von Reichsbürgern, Querdenkern und Holocaustleugnern rückt K. den Landwirt in Posts und Videos, auch das lässt sich in der Mitteilung des Gerichts nachlesen.
„Installierung von totalitären Systemen“ als Vorwurf gegen Ahrtal-Helfer
Höhepunkt der Anwürfe: „Es ist die Installierung von totalitären Systemen, die W. und H. heißen!“ Mainz& liegen die Originalzitate vor, wir haben deshalb die Kürzel der Namen ergänzt, die K. offen in ihrem Video nennt – es sind keine anderen als Markus Wipperfürth und Wilhelm Hartmann. Beide reagieren auf die Anwürfe geschockt, als sie davon vor mehr als einem Jahr erfahren. „Ich hatte niemals Kontakte zu rechtsextremen Gruppen“, betont Wipperfürth auf Mainz&-Anfrage: „Ich bin alles andere als rechtsradikal, ich bin genau das Gegenteil.“
Er sei bei „Arsch huh, Zäng ussenander“ dabei gewesen, jener legendären Initiative gegen Rechtsextremismus und rechte Gewalt, bei der am 9. November 1992 100.000 Menschen bei einem Großkonzert in Köln ein Zeichen gegen Rassismus und Neonazis setzten. Er habe bei sich Asylanten beschäftigt, die Vorwürfe seien für ihn „ganz schlimm gewesen“, sagt Wipperfürth, und berichtet dann: „Ich bin wie mein Opa, der konnte auch seinen Mund nicht halten damals. Er wurde sechs Monate gesucht, weil er etwas gegen die Nazis gesagt hat – er sollte erschossen werden.“ Überlebt habe er nur, weil er sich sechs Monate lang in den Wäldern um Monschau versteckt hielt – bis der Krieg zu Ende war.
„Und dann soll mir mal einer nachsagen, ich wäre rechts“, sagt Wipperfürth empört. Er habe neulich öffentlich gemacht, was er in seinem Leben schon so gewählt habe: die FDP war dabei, die CDU, und einmal habe er sogar SPD gewählt, bekennt der Landwirt. „Ich war definitiv nie rechts und nie radikal in irgendeine Richtung“, sagt auch Wilhelm Hartmann auf Mainz&-Anfrage. Er sei aus Gewohnheit CDU-Wähler gewesen, wie das im „schwarzen Fulda“ eben so sei, doch kürzlich trat Hartmann den Freien Wählern bei. „Bis dahin war ich politisch inaktiv“, erzählt er.
Österreich-Wappen auf Rucksack: War da nicht ein Reichsadler?
Doch die Anfeindungen gegen die beiden Ahrtal-Helfer werden monatelang im Netz verbreitet und immer erneut wiederholt. In Kreisen, die sich als links und als Verfechter der Demokratie sehen, werden diese Anschuldigungen nur zu gerne geglaubt: Obwohl es keinerlei Belege dafür gibt, obwohl Wipperfürth und Hartmann stets jede Beziehung in rechte Milieus abstreiten – dem Geraune wird geglaubt, die Helfer werden zunehmend misstrauisch beäugt. Wer sich gegen sie wendet, kann sich jetzt auf die Schulter klopfen, die vermeintlichen „Feinde“ zu bekämpfen, mithin: etwas Gutes zu tun.
Wohin das führte, erlebt Wipperfürth sogar bei Kommunalpolitikern im Ahrtal: „Mir wurde berichtet, Cornelia Weigand habe vor mehreren Bürgermeistern im Tal erzählt, dass der Wipperfürth mit einer Dame unterwegs war, die einen Rucksack mit einem rechtsradikalen Zeichen trug“, berichtet Wipperfürth. Die heutige Landrätin Weigand war damals Bürgermeisterin von Altenahr, man sei sich zufällig über den Weg gelaufen, habe kurz für ein kurzes Gespräch angehalten, erzählt Wipperfürth – von dem Vorfall berichtet er selbst am 8. Juni 2022 auf Facebook.
Seine Begleiterin habe in der Tat einen Rucksack dabei gehabt – mit dem österreichischen Wappen drauf. „Sie ist totaler Österreich-Fan“, berichtet Wipperfürth, „aber Frau Weigand hat das mit einem Reichsadler verwechselt.“ Wie sie auf die Idee gekommen sei? „Ich habe nur die Erklärung, dass sie geimpft wurde von jemandem, in diese Richtung zu denken“, sagt Wipperfürth.
Landgericht München II: Versäumnisurteil wegen Verleumdung
„In diese Richtung“ dachte eindeutig Roswitha K., die etwa auf ihrem eigenen Blog, öffentlich einsehbar im Internet, über Wipperfürth schrieb: „Ihnen waren diese Leute Recht, um tief ins Leben anderer einzudringen – jeden zu kriminalisieren, der Sie kritisiert. Bis ins Privateste hinein zu verfolgen und Menschen dazu anzustiften, es auch zu tun. […].“ Wipperfürth habe nie jemanden angestiftet, K. zu stalken, er tue dies auch nicht selbst, noch wolle er „ihr Leben öffentlich demontieren“ oder würde „Straftaten konstruieren“. betont Wipperfürths Anwalt Haberkamm in seiner Klageschrift.
Roswitha K. darf alle diese Vorwürfe nun nicht mehr wiederholen, das Landgericht München II gab der Forderung von Wipperfürth und seinem Anwalt auf Unterlassung in vollem Umfang statt. „Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, in Bezug auf den Kläger wörtlich oder sinngemäß zu behaupten und/oder zu verbreiten“, urteilt das Gericht mit Blick auf die aufgeführten Zitate.
Das Urteil erging als sogenanntes Versäumnis-Urteil, weil K. vor dem Gericht nicht erschienen war, obwohl sie persönlich vorgeladen wurde. Schwerer noch wog, dass auch kein Anwalt für sie erschien – das zivilgerichtliche Verfahren sei ein sogenanntes „Anwaltsverfahren“, erklärte die für Pressearbeit zuständige Richterin Andrea Kürten gegenüber Mainz&. Erscheine von Seiten der Beklagten niemand vor Gericht, „dann gilt, was in der Klage geschrieben wird, als unbestritten“, fügte sie hinzu.
Das Versäumnisurteil ist noch nicht rechtskräftig, die Beklagte kann nun binnen zwei Wochen Einspruch gegen das Urteil einlegen. Tut K. dies nicht, würde sie als vorbestraft wegen falschen Verdächtigungen und Verleumdungen gelten. Wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts muss sie dann zudem 5.000 Euro an Wipperfürth zahlen und einen Großteil der Anwaltskosten decken.
Wipperfürth kündigt Verfahren wegen Cyberstalking an
„Ich bin positiv überrascht, aber ich habe eigentlich auch damit gerechnet“, reagierte Wipperfürth. Es sei ein wichtiger Schritt, „es ist uns in allen Punkten Recht gegeben worden“. Auch Hartmann sagt, er fühle sich durch das Urteil gestärkt und „ein Stück weit rehabilitiert“, sei doch sein Name meist im gleichen Atemzug bei den Anschuldigungen verwendet worden. „Das ist ein Anfang, der nun hoffentlich dazu führen wird, dass auch die letzten Zweifler verstummen“, sagte der Fuldaer.
Damit ist es schon das zweite Gerichtsverfahren, in dem Wipperfürth von einem Gericht gegenüber Roswitha K. Recht gegeben wird: Das Gericht in Weilheim verurteilte K. Mitte April zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung wegen versuchter Nötigung, Beleidigung und schwerer Körperverletzung, unter anderem gegen Wipperfürth. Gegen dieses Urteil hat K. Rechtsmittel eingelegt, es ist deshalb noch nicht rechtskräftig.
Für Wipperfürth ist das alles indes erst der Auftakt: Eigentlich nämlich hatte der Landwirt in München auch wegen des Vorwurfs von Cyberstalking geklagt, doch diesen Vorwurf zog er kurz vor der Verhandlung zurück – nicht etwa, weil er keine Beweise dafür gehabt hätte, im Gegenteil: „Wir werden das Thema Cyberstalking jetzt komplett neu anschieben mit einem neuen Verfahren“, sagte Wipperfürth gegenüber Mainz&.
Kurz vor dem Münchner Verfahren seien neuen Belege aufgetaucht, es gebe inzwischen „über 50.000 Beweise, die wir jetzt haben“, sagte der Landwirt. Daraus werde er mit seinem Anwalt nun eine komplett neue Anklage erheben, und das bald, das Verfahren könnte Signalwirkung für die bislang oft immer noch schleppende juristische Verfolgung von Hass und Hetze im Internet bekommen: „Wir wollen einen Präzedenzfall schaffen,“, betont Wipperfürth, „damit zukünftig Betroffene sich darauf berufen können – und nicht mehr diese horrenden Kosten haben. Was hier geschehen ist, das darf sich niemals wiederholen.“
Info& auf Mainz&: Die ganze Geschichte über Hass und Hetze im Ahrtal gegen die Helferszene könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen. Natürlich haben wir auch mehrfach berichtet, wie die Geschichte weiterging – alles über Gerichtsverfahren, Missy Motown und die Geschehnisse rund um den helferstab im Ahrtal findet Ihr in unserem großen Ahrtal-Dossier auf Mainz&.