Er ist der Altmeister der geschliffenen Narrenrede, der feinsinnige Beobachter der Politik, der Narr, der den Spiegel vorhält: Das Amt des Protokollers hat in der Mainzer Fastnacht einen hohen Stellenwert – und ist eine der schwersten Aufgaben in einer Sitzung. Nun gibt einer der Großen seiner Zunft den Protokoller ab, oder genauer: weiter. Erhard Grom hält sein letztes Protokoll. Doch die Nachfolgerin ist schon gefunden – richtig: Es wird zum ersten Mal eine Frau. Grom ist nicht der einzige Altmeister, der leise Servus sagt, und doch muss dem Gonsenheimer Carneval Verein wahrlich nicht bange sein: Der GCV legt erneut eine der besten Sitzungen der Narrenszene auf die närrischen Bretter.

Närrisches Fahrrad-Couplet vom Altmeister: Rudi Hube sagt in dieser Kampagne leise Servus. - Foto: gik
Närrisches Fahrrad-Couplet vom Altmeister: Rudi Hube sagt in dieser Kampagne leise Servus. – Foto: gik

„Ich fahr‘ mit meinem Fahrrad übern Rhein, ich bin mir sicher, ja, es wird schon geh’n – erwarten tut man mich genau um Zehn“, singt der Mann mit dem Uralt-Helm auf der Bühne. Ja, es ist Fastnacht, und auf der Bühne steht einer der letzten Altmeister der hintersinnig-feinen Kunst des Fastnachts-Couplets: Gereimte Vierzeiler in Moritatenform, an deren Ende immer eine unerwartete Pointe steht – auch das ist Fastnacht.

Die Tradition des Couplets kommt aus den 1920er Jahren, in der Mainzer Fastnacht gab es berühmte Vertreter dieser eher leisen Form des Narrenvortrags, doch zuletzt war diese Form der gesungenen Narretei immer weniger zu hören. Nun verabschiedete sich beim Gonsenheimer Carneval-Verein einer der letzten Großmeister dieser feinen Form: Rudi Hube, närrische Allzweckwaffe des GCV.

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Abschied von den Altmeistern Rudi Hube und Erhard Grom

Seit 40 Jahren habe er bei seinem Gonsenheimer Verein auf der Bühne gestanden, berichtet Hube im Gespräch mit Mainz&, das Markenzeichen des Gonsenheimers, Jahrgang 1956, war immer der bunte Kokolores-Vortrag. Mal Polizist, mal alter Grantler, mal Sabine Flegel-Double, mal Telefonist, und immer gerne als urtümlicher „Herr Becker aus Gonsenheim“ mit Strickjacke und Filzhut – in vielen Rollen brillierte Hube in all den Jahren auf der Narrenbühne. Nun aber soll Schluss sein: Dies sei seine letzte Kampagne auf der großen Narrenbühne, kündigte Hube nun an – und wurde von seinem Publikum im Saal noch einmal mit stehenden Ovationen gefeiert.

Sein letztes Protokoll: Erhard Grom legt nach Ende der Kampagne den Protokoller-Stab nieder.- Foto: gik
Sein letztes Protokoll: Erhard Grom legt nach Ende der Kampagne den Protokoller-Stab nieder.- Foto: gik

Hube ist nicht der einzige Altmeister, der das Narrenszepter weiter gibt: Ausgerechnet Erhard Grom, langjähriger Protokoller des GCV und immer wieder auch bei „Mainz bleibt Mainz“ in dieser Funktion aktiv, legt sein Amt als Chronist der politischen Narretei Ende dieser Kampagne nieder. Das ist ein herber Schlag für die Mainzer Fastnacht, war Grom doch einer der letzten Vertreter jener Narrengeneration, der nicht nur fließend gereimte Vorträge erstellen, sondern sie auch noch mit seinem unnachahmlichen Schwung in den Saal tragen konnte.

Zu Groms Markenzeichen wurden zudem in den vergangenen Jahren die großen Plakate, mit denen er der hohen Politik buchstäblich den Spiegel vorhielt – in diesem Jahr trifft es unter anderem Kanzler Olaf Scholz (SPD), der nicht nur eine Augenklappe trägt… „Unter Blinden, das versteh‘ ich, ist der Einäugige König“. reimt Grom, „doch ich glaube felsenfest: der ist noch blinder als der Rest!“

Scharfe Politik-Kritik trifft eindringliches Friedens-Plädoyer

Im wilden Ritt quer durch die Bundespolitik geißelt der Mann vom Protokoll, was  die Regierenden so gerne liegen lassen: „Wohnungsnot und rechter Zores, dazu der Gender-Kokolores“, zählt Grom auf: „Altersarmut, Inflation, ungesteuerte Migration, Krankenhäuser müsse schließe, stehen leider in den Miese, Mütter suchen fieberhaft, in Apotheken Fiebersaft. Das Haushaltsloch haben die Blinden aus der Nähe, überhaupt nicht kommen sehe – ei, die Regierung, furchtbar, fit, kriegt von allem gar nichts mit.“

Übernimmt als erste Frau im Amt des Protokollers: Christina Grom. - Foto: gik
Übernimmt als erste Frau im Amt des Protokollers: Christina Grom. – Foto: gik

Wie nur wenige seines Faches schafft Grom es, die scharfe Politikkritik des Narren in Reime zu verpacken, die im Saal Begeisterungsstürme hervorrufen, hängt dann noch flugs einen Pflege-Rap dran und vergisst auch Krieg, Krisen, Despoten und die Ultrarechten nicht: „Ich nenn sie gern die rechte Brut mit völkischem Gedankengut, die skrupellos, man glaubt es nicht, von Deportation in Potsdam spricht“, klagt Grom an. Die Welt des Narren ist die von Toleranz und Versöhnung, von Frieden und dem freien (Narren-)Wort, wenige haben sie so grandios hochgehalten wie Erhard Grom.

Doch der GCV wäre nicht der GCV, wenn auf so einen Abschied nicht gleich eine neue Pointe folgen würde: Erhard Grom hat schon einen Nachfolger, pardon – eine Nachfolgerin. Zum ersten Mal wird eine Frau hochoffiziell das Amt des Protokollers bei einem der großen Mainzer Fastnachtsvereine bekleiden: Christina Grom, Tochter von Erhard Grom, wird das Amt übernehmen. Die Idee sei nicht etwa aus der Familie selbst gekommen, sondern von Mitgliedern des Vereins, erzählt Erhard Grom im Gespräch mit Mainz&, und ist überzeugt: „Die Chrissy kann das, der fließen die Reime nur so aus der Feder.“

Erste Frau im Protokoller-Amt: Christina Grom

Tatsächlich hat sich Tochter Christina in den vergangenen Jahren immer mehr in die Rolle der Rednerin hineingearbeitet: Erst als Ko-Moderatorin der Kammerspiele des GCV, schließlich in verschiedenen Rollen mit Bruder Sebastian Grom, um dann im November 2022 als rasende Reporterin bei den Kammerspielen ihren Einstand im Politikfach zu geben. Im November 2023 folgte dann ein höchst gelungener närrischen Parforceritt als „Sterntaler“! durch die Politik-Landschaft – da bewies Chrissy Grom, dass sie auch die hohe Kunst des moralischen Vorhalts des Narren kann.

Sternstunde im Narrenkino: "Peterchens Mondfahrt" mit Thomas Becker und Peter Gottron. - Foto: gik
Sternstunde im Narrenkino: „Peterchens Mondfahrt“ mit Thomas Becker und Peter Gottron. – Foto: gik

Beim Gonsenheimer GCV hat ohnehin schon vor mehreren Jahren die nächste Generation der Narren das Szepter übernommen. Programmchef und närrisches Genie hinter den Kulissen ist Thomas Becker, der nicht nur Chef der Schnorreswackler ist, sondern immer wieder auch mit närrischen Vorträgen brilliert: Ob als Queen oder Mafioso, Trump-Bruder oder zuletzt als Klimakleber wieder Willen – da paart sich närrischer Kokolores mit Sangeskunst. In diesem Jahr wartet Becker mit einem neuerlichen Geniestreich auf, der ihn und seinen Partner Peter Gottron geradewegs in die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“ katapultierte.

„Peterchens Mondfahrt“ ist eine Sternstunde in Narretei, die politisch und nostalgisch, nachdenklich und höchst bissig daherkommt – und zeigt, welchen Wert die Fastnacht gerade in Zeiten von Krisen und Krieg hat. Denn auch wenn grüne und und rote Planeten, braune Bären und linke Hunde am Planetenhimmel dem Narren den Schlaf rauben, die Weisheit des Narren bleibt: „Du wirst die Welt nicht ändern, aber Du wirst Deine Welt für ein paar Minuten ändern“, sagt Mann im Mond – getreu dem alten Fastnachtsmotto: „Lachen spenden, Trübsal wenden.“

Politisch-literarische Fastnacht, die Haltung zeigt und Moral anmahnt

Das ist kein plumper Spruch von Anno Dazumal, sondern ganz konkrete Narrenweisheit: „Auch wenn wir heute das Gefühl haben, dass die Grundfeste dieser Erde erschüttert werden“, sagt Becker als „Mann im Mond“, er halte es mit dem alten Ministerpräsidenten Hansjochen Vogel, der einmal sagte: „Der Willen zu Frieden und Versöhnung sind größer.“ Narrenmund, der das Wesentliche benennt, ist ein wichtiger Teil der Mainzer Fastnacht, oder wie Sitzungspräsident Sebastian Grom es sagt: „Politisch-literarische Fastnacht muss den Spiegel vorhalten, und das Allerwichtigste: Die Narren müssen auch Haltung zeigen – und das habt Ihr heute in ganz besonderer Weise getan.“

Aktenzeichen Mainz ungelöst: die Brüder Andreas und Matthias Bockius. - Foto: gik
Aktenzeichen Mainz ungelöst: die Brüder Andreas und Matthias Bockius. – Foto: gik

Die Welt retten, ja das können sie hier in Gonsenheim, Christoph Seib gründet dafür einfach eine Neue Partei, das ist ja jetzt „in“: „Ich wähl das BWWW, also das Bündnis Weck Worscht und Woi“, lästert Seib, und dichtet schnell die Nationalhymne um legt eine Wahlhymne in Blues Brother Manier aufs Parkett. Die Grenzen zwischen Vortrag und Musik sind beim GCV ohnehin fließend, die Schnorreswackler sind das beste Beispiel dafür _ und feiern in diesem Jahr eine mitreißende „Fiesta Mexikana“. Wer beim „Sohn von Karlheinz“ keine Gänsehaut kriegt, ist wirklich selbst schuld oder gerade aus dem Saal gegangen.

Als einzige reine Musiknummer sind irgendwie noch die Fleischworschtathleten übrig geblieben, die sich dankenswerter Weise wieder ganz Mettleys und Fleischworscht widmen.  Matthias und Andreas Bockius – eigentlich ja die Rockstars der Meenzer Fastnacht – gehen nämlich erst einmal als Fahnder „Gustl Gonsbach und Eduard Zimmermann“ bei Aktenzeichen XY auf die Suche nach Kriminellen und bitten um Hinweise unter „Wähle 06131“, bevor sie ihren letzten Fall lösen, den eines verschwundenen Bruders… Klar: Ohne ihren jüngsten Hit „Ohne Dich“ gehen die Brüder natürlich nicht nach Hause.

Erdal-Frosch, KI-Kokolores und ein böses Kölner Dreigestirn

„Die katholische Kirche braucht ein neues Lied für die Gabenbereitung“, seufzt Martin Heininger, Kollege Christian Schier weiß Abhilfe: „Obladi, Oblada.“ Heini & Schier sind selbst schon lange Kult, das Kokolores-Duo macht sich in diesem Jahr mit Künstlicher Intelligenz selbstständig – daraus kann natürlich nix werden, außer grandiosem Kokolores und Nonsens-Liedern, skurrile Tanzeinlagen natürlich inklusive. Aufklärung gibt es im Übrigen auch hier: Das berühmte „Olé Fiesta“ der Mainzer Hofsänger ist eigentlich ein Protestlied, klärt Schier auf: „Der Ole fährt Fiesta am Rhein, weil er sich einen Volvo nicht leisten kann – das wollten uns die Hofsänger jahrelang sagen, und keiner hat’s verstanden…“

Kult-Duo im Fach Kokolores: Martin Heininger und Christian Schier. - Foto: gik
Kult-Duo im Fach Kokolores: Martin Heininger und Christian Schier. – Foto: gik

Mehr skurriler Blödsinn geht nicht? Oh doch, würde die „Moguntia“ sagen, getreu dem Motto: „Der Pessimist sagt, schlimmer geht’s nicht. Der Optimist sagt: Oh doch.“ Johannes Bersch, eigentlich ein KCK-Mann seziert seit einigen Jahren auch beim GCV immer mal wieder als „Moguntia“ das politische Geschehen, dabei hat der GCV doch eigentlich einen eigenen riesigen Redner-Pool. Zu dem gehört etwa Froschkönig Maurice, der als roter „Erdal-Frosch mit den meisten Kröten vun ganz Meenz“ ein echter Eisbrecher zu Sitzungsbeginn ist. „Ich will über ganz Meenz regieren“, kündigt der Frosch selbstbewusst an: „Denn nach Fuchs und Haase ist dringend Zeit, dass ein Frosch mal Oberbürgermeister wird.“

Aber zurück zu skurriler geht immer: Wie sind bei der „Herpes House Band“. Die Jungentruppe mit dem seltsamen Namen etabliert sich immer mehr als tiefschwarze Narrennummer, die auch vor der Fastnacht selbst nicht Halt macht. In diesem Jahr gibt es eine bitterböse Parodie aufs Kölner Dreigestirn samt Ramstein-Verschnitt und einem frechen „Dann ist Straßenschlacht in Mainz“. Das ist Gagakunst auf höchstem Niveau, begeistert gefeiert vom Saal. Der gleich darauf beim Finale abrockt, als gäbe es kein Morgen mehr. „Dann ist alles wieder gut“, versprechen die Bockius-Brüder. Wer solchen Nachwuchs hat, kann Altmeister in Würde ziehen lassen – da lacht ein Aug‘ und eines weint.

Info& auf Mainz&: Erhard Grom und sein Protokoll sowie diverse weitere Akteure des GCV könnt Ihr in der Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ am Fastnachtsfreitag erleben – mehr dazu hier bei Mainz&. In unserer Fotogalerie verneigen wir uns dieses Mal vor den beiden scheidenden Altmeistern Erhard Grom und Rudi Hube – seht es uns nach: