Am Freitag ist es wieder so weit: Auf der Zitadelle in Mainz treffen sich mehrere Tausend Menschen, um vier Tage lang zu feiern, zu tanzen und zu diskutieren. Das Thema des einzige verbliebene Politischen Jugendkulturfestivals könnte wieder einmal aktueller nicht sein: „Lauter! Demokrat*innen“ widmet sich, klar, dem Thema Demokratie sowie den Feinden, die es bedrohen. Und es fordert dazu auf, lauter zu werden bei der Verteidigung der Demokratie. Prominente Gäste sind unter anderem Ruprecht Polenz (CDU) und die neue Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD), debattiert wird auch über die Rolle der Medien in Zeiten von Fakenews und dem Kampf um Deutungshoheit und Meinungsmacht.

"Lauter! Demokrat*innen" lautet das Motto des 51. Open Ohr an Pfingsten in Mainz. - Grafik: Open Ohr, Stadt Mainz
„Lauter! Demokrat*innen“ lautet das Motto des 51. Open Ohr an Pfingsten in Mainz. – Grafik: Open Ohr, Stadt Mainz

Laut der Leipziger Autoritarismus-Studie stimmt mittlerweile ein Drittel der deutschen Bevölkerung fremdenfeindlichen Aussagen zu – und zwar in Ost wie West gleichermaßen, parallel dazu wächst die Sehnsucht nach autoritären Strukturen – es sind keine leichten Themen, die sich das „Open Ohr“ zur Brust nimmt. Aber genau dafür ist das politische Festival in Mainz ja auch bekannt: Seit 1975 nimmt das Festival bereits gesellschaftspolitische Strömungen und Trends unter die Lupe, und lädt zu Diskussionen wie Nachdenklichkeiten in buntem Festival-Ambiente.

Vergangenes Jahr feierte „das Ohr“, wie es in Mainz auch genannt wird, sein 50. Jubiläum, und schaffte dabei wieder einmal den Spagat zwischen intensiven politischen Debatten und moderner Jugendszene – gepaart mit einem kräftigen Schuss Nostalgie und Erinnerungen. Ob Flüchtlingskrise oder das für Deutsche oft sperrige Thema Heimat, Wohnungsnot, Arbeit oder die Frage nach dem System Bundesrepublik, kein kritisches Thema hat das Open Ohr in seinen 50 Jahren ausgelassen. Immer wieder spielten auch Rechtsextremismus und der Kampf um die Demokratie eine wichtige Rolle – so auch in diesem Jahr.

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Was bedroht die Demokratie? – Gleichgültigkeit und Populismus

Zum 51. Festival lädt die Freie Projektgruppe wieder einmal zum Nachdenken über Demokratie und ihre Feinde ein. „Lauter! Demokrat*innen“ lautet das diesjährige Festivalmotto, zur Begründung heißt es im Thesenpapier: „Die Bedrohungen sind vielfältig: gesellschaftliche Gleichgültigkeit, schleichender Verlust demokratischer Werte und grundlegende Systemschwächen“ – all das mache zusammen besorgniserregende Tendenzen aus. Demokratie sei aber „nicht verhandelbar“, deshalb müsse man reden – vor allem darüber, wie die Demokratie aktiv verteidigt und gestärkt werden könne.

Zuhören, Diskutieren, Nachdenken: Das sind die politischen Podien beim Open Ohr auf der Zitadelle. - Foto: gik
Zuhören, Diskutieren, Nachdenken: Das sind die politischen Podien beim Open Ohr auf der Zitadelle. – Foto: gik

„Wir möchten konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und gemeinsam erkunden, wie wir durch unseren Einsatz das demokratische System stärken können – von der Mobilisierung zur Wahlbeteiligung bis zum zivilgesellschaftlichen Engagement im Alltag“, so die Projektgruppe weiter. Gesprächsthemen und Handlungsfelder gebe es wahrlich genug: „Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Verteilungskonflikte und Abstiegsängste führen zu wachsender Wut auf angebliche ‚Eliten‘ und verfestigen Ressentiments gegen die Schwächsten in unserer Gesellschaft“.

Auch die digitale Welt mit Internet und sozialen Medien soll Teil der Gesprächsthemen sein, dabei wird der Fokus wohl vor allem auf die rasante Verbreitung von Desinformationen gelegt werden. Als digitale Medienschaffende erlauben wir uns dazu mal einen Kommentar: Schade, dass „digitale Medien“ ständig gleichgesetzt wird mit „Social Media“, und damit einfach mal in die Verteufelungsspirale mit eingegliedert werden – so geht komplett unter, dass die digitale Medienwelt heute eben auch vielfach seriöse Medien umfasst, die in der digitalen Welt fundierten Content und Fakten verbreiten – von den Tageszeitungen über Rundfunk und Fernsehen bis hin zu Magazinen wie Mainz&.

 

Kampf um die Deutungshoheit: Fakenews und Medienmacht

Tatsache ist leider auch: Viele Menschen können Fakenews von Fakten gar nicht mehr unterscheiden, die Algorithmen der sozialen Medien bevorzugen Hass, Hetze, und reißerische Aufmerksamkeit, die starke Emotionen hervorrufen. „Sachliche, politische
Inhalte hingegen werden vom Algorithmus meist abgestraft, was ein differenziertes
Dagegenhalten erschwert“, merkt die Projektgruppe zu Recht an – und betont auch: „Dabei sollten wir nicht vergessen, welches Potenzial das Internet für unsere Gesellschaft bietet: Es ermöglicht niedrigschwelligen Zugang zu Informationen, vereinfacht politische Teilhabe und schafft vielfältige Räume für Austausch und Vernetzung.“ Danke sehr.

Toleranz, Liebe, Zusammenhalt - das Open Ohr will auch das feiern. - Foto: gik
Toleranz, Liebe, Zusammenhalt – das Open Ohr will auch das feiern. – Foto: gik

Tatsache ist auch: Der Kampf um die öffentliche Meinung, ja, um die Deutungshoheit über Fakten und „die Wahrheit“ läuft auf Hochtouren – und die Demokratie und ihre Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit drohen dabei unter die Räder zu kommen. „Wie kann eine demokratische Gesellschaft im Internet funktionieren, wo die Deutungshoheit bei gewinnorientierten Privatunternehmen liegt“, fragt die Projektgruppe denn auch. Nun, eine Lösung könnte darin liegen: Wieso geben wir diesen Privatunternehmen denn die Deutungshoheit – anstatt klassische, seriöse und professionelle Medien mit unserer Aufmerksamkeit und unsere Klicks zu stärken?

Stattdessen wachse seit Jahren das Misstrauen gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und gegen Journalisten. „Die öffentlich-rechtlichen Medien werden als Staatsjournalismus
verunglimpft, obwohl sie als ‚Vierte Gewalt‘ genau dazu da sind, Narrative der Politik zu hinterfragen“, schreibt die Projektgruppe – das mit der „Vierten Gewalt“, der Kontrolle und dem Hinterfragen gilt übrigens für alle seriösen Medien, ob Print oder Online, Radio oder TV. „Qualitätsjournalismus ist wichtiger denn je, um den gezielten Desinformationen etwas entgegenzusetzen, mit denen der politische Diskurs verschoben wird“, heißt es beim Open Ohr weiter – wie wahr.

Bundesjustizministerin Hubig zu AfD-Verbot in Mainz

Denn Diskursverschiebungen und ein Ende von Toleranz gegenüber Andersdenkenden ist beileibe nicht nur von Rechts zu beobachten, sondern seit geraumer Zeit gerade auch von linker Seite. Hetze und Rufschädigungen sind keine alleinige Domäne von Rechtsextremen, in Internetforen wird munter auch bei Linken und Grünen über Journalistinnen hergezogen, deren Fragen einem nicht passen – auch die SPD ist davon mitnichten ausgenommen. Und wenn ein SPD-Fraktionschef im Bundestag einem politischen Konkurrenten „Hölle und Verdammnis“ entgegen hält, kann auch das getrost als politische Diskursverschiebung hin zu Hetze und Spaltung bezeichnet werden.

Podiumsdiskussion und Kabarett geben sich beim Open Ohr das Mirko in die Hand, hier die Bühne am Drususstein. - Foto: gik
Podiumsdiskussion und Kabarett geben sich beim Open Ohr das Mirko in die Hand, hier die Bühne am Drususstein. – Foto: gik

Tatsache ist aber auch: Rechtsextreme Populisten haben das Spiel mit der Deutungshoheit geradezu perfektioniert. Lüge wird da einfach zur Wahrheit erklärt, Fakten als „Fakenews“ bezeichnet – Hauptsache, es nützt der eigenen Agenda und befeuert die eigenen Echokammern. Man schnitzt sich eine eigene Welt, und erklärt so lange das Gegenteil vom Gegenteil, bis niemand mehr weiß, was Fakt ist und was Realität – Donald Trump lässt grüßen. Das Ziel: Die Deutungshoheit über die Wirklichkeit. Rechtfertigt ein solches Vorgehen also ein Verbotsverfahren für eine politische Partei? Wie viel Einschränkung verträgt die Freiheit zu ihrem eigenen Schutz? Auch solche Fragen stellt das Open Ohr.

Dafür wird auf dem Festival traditionell in Workshops und bei Podien diskutiert, den Auftakt macht traditionell das Eröffnungspodium am Samstagvormittag. Um 11.30 Uhr ist in diesem Jahr niemand geringeres als die neue Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) zu Gast, die bis vor Kurzem noch rheinland-pfälzische Bildungsministerin war – beim Podium mit Hubig wird es mit Sicherheit auch um das AfD-Verbotsverfahren gehen. Weitere Diskutanten sind der Gesellschaftswissenschaftler Daniel Keil sowie ein Vertreter vom „Omnibus für Demokratie“.

 

Ruprecht Polenz mit „Tu was!“ zu Gast auf dem Open Ohr

Am Samstagnachmittag dreht sich beim Podium „Politische Debattenkultur und der
Umgang mit Extremismus“ auch wieder alles um die Frage, wie eine gesunde politische Kultur aussehen muss, kann und darf. Wie kann Vertrauen gestärkt und Populismus bekämpft werden , und was stärkt die Demokratie eigentlich besser – Konfrontation oder Dialog? Zu Gast sind hier unter anderem Grünen-Landeschef Paul Bunjes sowie Alrun Schleiff, Geschäftsführerin Heinrich Böll Stiftung Rheinland-Pfalz. UM LGBTQ+-Minderheiten geht es am Sonntag bei einer Lesung des Amsterdamer Politikwissenschaftlers und Diversitätsforscher Michael Hunklinger mit dem Title „Wir werden nicht verschwinden“.

Ruprecht Polenz 2024 bei einer Vorstellung seines Buches "Tu was!" bei der Heinrich-Böll-Stiftung. - Screenshot: gik
Ruprecht Polenz 2024 bei einer Vorstellung seines Buches „Tu was!“ bei der Heinrich-Böll-Stiftung. – Screenshot: gik

Ein Highlight könnte derweil am Samstagnachmittag der Auftritt eines eigenständigen Querkopfes werden: Ruprecht Polenz war 19 Jahre lang Bundestagsabgeordneter und einst im Jahr 2000 kurz Generalsekretär der CDU Deutschland unter Angela Merkel, bevor er überraschend zurücktrat – Medien spekulierten damals, Polenz sei zu liberal gewesen. Polenz ist unter anderem Polenz ist Vorsitzender der christlich-muslimischen Friedensinitiative e. V., dazu ist der 79-Jährige Buchautor und gefragter Talkgast. Auf dem Open Ohr liest er aus seinem jüngsten Buch „Tu was! Kurze Anleitung zur Verteidigung der Demokratie – Samstag, 15.30 Uhr im Kleinen Zelt.

Aber natürlich wird auf dem „Open Ohr“ nicht nur diskutiert, tatsächlich scheint der Anteil der Abteilung „Wort“ gefühlt jedes Jahr kleiner zu werden. Es gibt Theaterworkshops und Yoga, Poetry und Drum Fitness – und eine Ohrase: Mitten auf der großen Festivalwiese wird es ein riesiges Ohr aus bereits abgestorbenen Baumstämmen aus heimischen Wäldern geben, das zum Sitzen, Ausruhen, Plaudern und Zuhören einlädt. „Nehmt Platz, macht es Euch gemütlich, tankt Energie, sprecht neue Menschen an oder lasst einfach die Gedanken schweifen“, so werben Mäx und Mareike von Kollektaktiv für ihre Installation.

Führungen durchs Römische Theater oder die Unterwelt

Wer sich für Historisches oder einfach nur die Umgebung auf der Zitadelle interessiert, dem stehen zudem drei Führungen zur Verfügung: Durch das Römische Theater, das Stadthistorische Museum am Drususstein oder die unterirdischen Gänge der Zitadelle, ein echtes Erlebnis. Im Filmkeller werden wieder passende Streifen zum Thema gezeigt, darunter eine Doku zu den Opfern des NSU sowie die Sehenswerte Doku „Nawalny“. Auch die Theaterstücke greifen ähnliche Themen auf, darunter die Produktion „And now Hanau“ des Staatstheaters Mainz, die sich den Hanau-Morden eines Rechtsextremen im Februar 2020 widmet.

Die großen Platzbespielungen beim Open Ohr sorgen regelmäßig für Gänsehaut-Momente. - Foto: gik
Die großen Platzbespielungen beim Open Ohr sorgen regelmäßig für Gänsehaut-Momente. – Foto: gik

Die große Platzbespielung auf der Hauptwiese am Sonntagabend kommt in diesem Jahr von der Gruppe „Theatre en vol“: „Inspiriert vom Mythos der Göttin Ceres und der Entführung ihrer Tochter Proserpina durch Pluto, den Gott der Unterwelt, behandelt ‚Il Grande  pettacolo della Fine del Mondo‘ das Thema Klimawandel auf tragikomische, ironische und groteske Weise, wobei besonderer Wert auf die Darstellung der vielen Facetten der menschlichen Natur gelegt wird“, heißt es im Programmheft. Das interdisziplinäre Theaterstück vereine theatralische, choreografische, musikalische und installative Elemente.

„Wer jetzt nicht tanzt“, heißt die Festschrift zum 50. Jubiläum des Open Ohrs, und auch in diesem Jahr tut das „Ohr“ wieder alles, damit dieser programmatische Titel wahr wird: Musik satt und aus allen Stil-Richtungen, und das von Freitagabend bis Montagabend,. festivalherz, was willst Du mehr? Los geht’s am Freitagabend mit dem Local Opener „Scheiba“ und Indie-Rock der britischen Art, gefolgt von Tiavo und Musik der „Neuen Neuen Deutschen Welle“ sowie Uzi Freyja aus Frankreich mit „schnellem Hip-Hop-Flow, punkiger Wut und experimentellen Electro-Sounds“ – fragt uns bitte nicht, wir zitieren nur.

Musik von Indie bis Neue Neue Deutsche Welle

„Mit Marlo Grosshardt, Tiavo und Dilla begrüßen wir drei der aufregendsten deutschsprachigen Acts auf unserer Hauptbühne“, heißt es im Programmheft: „es wird poetisch, es geht nach vorne, es muss getanzt werden.“ Freunde des Elektropunk können sich demnach auf Remote Bondage und Shelf Lives freuen, die am Samstag den Drususstein zum Beben bringen sollen. Mit Franzi Dries und Noah Vert auf der Mauer bekommt auch die elektronische Musik wieder ihren Platz auf dem Ohr. Laut wird es Samstagabend mit der Punkband 24/7 Diva Heaven und sonntags mit Bikini Beach auf der Hauptbühne.

Die Musikacts auf der großen Hauptbühne sind regelmäßig Highlights beim Open Ohr. - Foto: gik
Die Musikacts auf der großen Hauptbühne sind regelmäßig Highlights beim Open Ohr. – Foto: gik

Zum Abschluss am Montag lockt Euch Gringo Mayer mit seiner markanten Stimme noch einmal vor die Hauptbühne, bevor dann La Brigade du Kif zum letzten Tanz bittet. Wir haben das Mitternachts-Kabarett vergessen? Haben wir nicht: Zu gast sind in diesem Jahr Martina Brandl (Freitag), Robert Alan (Samstag) sowie Johannes Floehr (Sonntag), sowie am Sonntagmittag um 12.30 Uhr Nora Boeckler.

Das Ganze gibt’s für 63,- Euro mit der viertägigen Dauerkarte, im Vorverkauf lag die bei 57,10 Euro – auch das Open Ohr hat seine Ticketpreise deutlich erhöht. Tageskarten gibt es nur an der Tageskasse, für Freitag, Samstag oder Sonntag kosten sie jeweils 36,00 Euro, am Montag 18,00 Euro – Achtung: diese Karten sind oft rasant ausverkauft!

Info& auf Mainz&: Alles zum 51. Open Ohr vom 06. bis 09. Juni 2025 auf der Zitadelle in Mainz, alle Ticketpreise und Ermäßigungen, praktische Hinweise sowie das ganze Programm findet Ihr hier im Internet.