Der Tote hütet seine Geheimnisse weiter gut: Auch zwei Jahre nach der Öffnung seines Sarkophags in der Johanniskirche gibt der frühere Mainzer Erzbischof Erkanbald den Forschern weiter Rätsel auf. Archäologe Guido Faccani stellte nun die Ergebnisse des Abschlussberichts vor, Kleidung, Alter, Gesundheitszustand und der alte Stein-Sarkophag selbst gaben näheren Aufschluss über die Geschichte des Toten. Noch spannender hingegen entwickelt sich weiter die Baugeschichte des alten Doms zu Mainz: Womöglich gab es eine zweite Kirche gleich neben dem Alten Dom – Mainz wäre damit Teil eines illustren Zirkels von Doppelkirchen-Ensembles in der Spätantike. Die neuesten Erkenntnisse kann man Ende August bei Sonderführungen in St. Johannis erleben.

Der mysteriöse Tote: Erkanbalds Sarkophag kurz nach seiner Öffnung am 4. Juni 2019. - Foto: gik
Der mysteriöse Tote: Erkanbalds Sarkophag kurz nach seiner Öffnung am 4. Juni 2019. – Foto: gik

Als die Archäologen im Fußboden der heutigen Kirche St. Johannis Ende 2018 bei ihren Ausgrabungen einen steinernen Sarkophag fanden, war es die Sensation der an atemberaubenden Erkenntnissen ohnehin schon nicht armen Ausgrabungsgeschichte: Der 1000 Jahre alte Sarkophag war seit seiner Grablege unberührt, sein Deckel nie geöffnet worden – die Öffnung des Sarges im Juni 2019 holte einen Hauch von „Tal der Könige“ nach Mainz. Doch die Überreste im Sarg gaben Rätsel auf: Das Skelett war weitgehend zerstört, nur wenige Knochenreste waren übrig, von Kleidung und Schmuck wie Goldohrringe gab es nur bräunlich verfärbte Reste. Kein Bischofsring, kein Bischofsstab, keine Tafel zur Identifizierung – der Tote im Sarg blieb seltsam anonym, seine Grablege wirkte hastig und mit wenig Prunk.

Nur durch Indizien gelang es, den Toten zu identifizieren: Erkanbald, Erzbischof von Mainz, gestorben 1021, Nachfolger des legendären Willigis, der mit dem Bau des großen Doms St. Martin ewige Berühmtheit erlangte. Doch der Willigis-Dom brannte ausgerechnet in der Nacht vor seiner Weihe im Jahr 1009 spektakulär ab, Willigis-Nachfolger Erkanbald erbte einen wahren Scherbenhaufen – und ein Ensemble von Kirchen, zu denen neben dem ausgebrannten großen Dom die alte Bischofskirche gleich nebenan gehörte.

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Spätere Darstellung von Erzbischof Erkanbald, die wohl mehr der Phantasie als der Realität entsprang. - Foto: gik
Spätere Darstellung von Erzbischof Erkanbald, die wohl mehr der Phantasie als der Realität entsprang. – Foto: gik

Erkanbald, Abt von Fulda, ein Spross aus dem Hause Hildesheim und verwandt mit Abt Bernward von Hildesheim, wurde 1011 Erzbischof von Mainz und als einziger Erzbischof in St. Johannis begraben, so viel wusste man – doch sonst ist bis heute wenig über ihn bekannt. „Es war ein Parteigänger Kaiser Heinrichs II.“, sagte Guido Faccani, Ausgrabungsleiter von St. Johannis am Donnerstag in Mainz. Wikipedia verrät, dass Erkanbald von Bernward von Hildesheim zum Bischof geweiht wurde, und seinen Verwandten wohl in einem Rechtsstreit gegen den Mainzer Erzbischof Willigis unterstützte – Erkanbalds Amtszeit als Erzbischof war also wahrscheinlich keine harmonische Nachfolge zu seinem berühmten Vorgänger.

Erkanbald zählt nicht zu den großen Kirchenfürsten“, heißt es lakonisch in der Deutschen Biographie, doch zumindest körperlich gesehen, ist das falsch: Der Tote war ein stattlicher Mann von 1,82 Metern Größe, ein athletischer Mann von 70 Kilogramm Gewicht und einem Body-Mass-Index von 21 – so steht es nun im Abschlussbericht, denn Faccani am Donnerstag in St. Johannis vorstellte. Doch der Herr Erzbischof war nicht ganz gesund: Erkanbald, Erzbischof zu Mainz, litt unter Fußgicht, einer Verformung der Wirbelsäule und entzündlichem Rheuma im Rücken – wahrscheinlich ging er schon krumm. Und so starb denn auch der Mann, der als erster und einziger Erzbischof im Alten Dom zu Mainz begraben wurde, vielleicht schon im besten Alter von 40 Jahren – oder, bestenfalls, mit 60.

Detailansicht des geöffneten Sarkophags mit Überresten von Erkanbald. - Foto: gik
Detailansicht des geöffneten Sarkophags mit Überresten von Erkanbald. – Foto: gik

Zwei Jahre nach der Graböffnung haben die Forscher alle Erkenntnisse aus dem Sarkophag zusammengetragen, die möglich waren. Danach trug der hohe Geistliche eine rosafarbene Dalmatik, eine Art Tunika mit weiten Ärmeln, darüber eine blaue Casel, sowie ockerfarbene Beinlinge und Wickelgamaschen aus Wolle. An den Füßen wurde Erkanbald mit grünen Sandalen mit feinen Riemchen bestattet, sogenannten Pontifikalschuhen, die Bischöfen vorbehalten waren. Die Datierung der Schuhe mittels C14-Methode ergab denn auch eindeutig: Der Schuh stammt aus der Zeit um 1020, also genau der Zeit, als Erkanbald lebte und 1021 eben starb.

Es war jedoch ein schmales, mit Seidenkreuzen besticktes und mit Goldborte verziertes Wollband, das letztlich verriet, wer der Tote war: Der schmale Gürtel ist das Pallium, das Erzbischöfen direkt vom Papst als Zeichen ihrer Würde verliehen wird. „Mit dem Pallium wussten wir: es ist ein Erzbischof“, sagte Faccani, und resümierte: „Wir dürfen den Toten zwar mit Erkanbald ansprechen, identifiziert ist er aber immer noch nicht.“ Denn von dem Toten im Sarkophag waren nur so wenige Knochenreste übrig, dass weder eine C14-Untersuchung der Knochen noch eine DNA-Analyse verwertbare Ergebnisse brachten – und das, obwohl sich das renommierte Forschungsinstitut in Bozen der Sache annahm, jene Experten, die auch den Gletschermann Ötzi untersucht hatten. Ein DNA-Vergleich mit möglichen Verwandten des Erzbischofs aus seiner Zeit sei deshalb nicht möglich gewesen, sagte Faccani bedauernd.

Rekonstruktion der Tumba, des Hochgrabs von Erkanbald in St. Johannis. - Rekonstruktion: Architectura Virtualis Darmstadt
Rekonstruktion der Tumba, des Hochgrabs von Erkanbald in St. Johannis. – Rekonstruktion: Architectura Virtualis Darmstadt

Errichtet wurde Erkanbalds Grab unmittelbar vor der Barriere zum Ostchor, höchst prominent also, über dem eigentlichen Sarkophag wurde ein Hochgrab errichtet – eine Tumba – die erst 1737 oder 1738 zerstört wurde – der Sarkophag darunter blieb unversehrt. Der alte Steinsarg war aus dem Mainz-typischen rosafarbenem Buntsandstein, Rätsel aufgegeben hatte jedoch, dass der Sarg gebraucht war: Erkanbald wurde ausgerechnet in einem wiederverwerteten Sarkophag bestattet, der offenbar eilig für den Toten umgearbeitet worden war. Nun ist klar: Der Sarkophag war bereits Jahrhunderte alt.

Die Forscher schätzen, das Stück stammte aus der Zeit vom Übergang von der Antike zum frühen Mittelalter. Erkanbald habe den Sarkophag von einem der Mainzer Friedhöfe holen lassen, sagte Faccani – vielleicht, weil der Sarg „alt und ehrwürdig war.“ Die Generation nach der Jahrtausendwende sei eine Generation des Aufbruchs gewesen, erklärte Faccani, gleichzeitig sei „das Alte“ sei jedoch „ehrwürdig, hat Tradition und Geschichte – das holt man bewusst, um in dieser Geschichte zuhause zu sein.“

Erkanbald ruht bis heute in seinem Sarkophag im Kirchenschiff von St. Johannis. - Foto gik
Erkanbald ruht bis heute in seinem Sarkophag im Kirchenschiff von St. Johannis. – Foto gik

„Wir wissen ja nicht, was Erkanbald dachte, wer in dem Sarkophag gelegen hat“, sagte der Mainzer Dekan Andreas Klodt – womöglich seien dort nach damaliger Meinung „alle möglichen wichtigen Menschen drin bestattet gewesen.“ Erkanbald war der einzige Erzbischof, der im Alten Dom bestattet wurde, doch er war beileibe nicht der einzige Tote: Rund 260 Gräber fanden die Forscher bei den Ausgrabungen, darunter fünf weitere Sarkophage. In einem der ältesten Gräber wurde eine Münze aus der Zeit König Ludwig des Frommen entdeckt, der Sohn und Nachfolger von Karl dem Großen starb am 20. Juni 840 in Ingelheim, die Münze war zu einer Gewandfibel umgearbeitet.

„Wir werden Erkanbalds Sarkophag sichtbar lassen“, versprach Dekan Klodt am Donnerstag erneut – die künftige Neugestaltung von St. Johannis, dem Alten Dom zu Mainz, ist weiter in der Entwicklung. Man wolle aber „an dieser Kirche die Frage von Tod und Leben, von Bestattungen thematisieren“, sagte Klodt, „wenn wir das nicht hier thematisieren, dann weiß ich nicht, wo.“

Guido Faccani und Dekan Andreas Klodt blicken auf den Sarg Erkanbalds im Alten Dom zu Mainz. - Foto: gik
Guido Faccani und Dekan Andreas Klodt blicken auf den Sarg Erkanbalds im Alten Dom zu Mainz. – Foto: gik

Wer aber der Mensch Erkanbald war, darüber gibt siein Grab nur wenig Auskunft – der Erzbischof stand wohl Zeit seines Lebens im Schatten seines berühmten Vorgängers Willigis. „Erkanbald war wohl ein bisschen eine graue Maus“, sagte Faccani. Klar ist aber: Erkanbalds Zeit war nicht etwa eine Zeit des Weltuntergangs, als den viele Christen zunächst die Jahrtausendwende gesehen hatten, das magische Jahr 1000 löste vielmehr einen gewaltigen Bauboom aus. „Die Leute haben damals bewusst gesagt: wir bauen, wir gestalten diese Welt“, sagte Klodt, „dieses Gefühl, ‚wir lassen uns den Schneid nicht abkaufen, wir machen was aus dieser Welt'“, das habe auch den Alten Dom und das Bistum Mainz geprägt.

„Mainz muss eine ecclesiale Großbaustelle gewesen sein“, sagte auch Faccani, die Ruine des Willigis-Doms habe noch drei weiteren Bischöfen Arbeit beschert. Dazu gehörte auch der Alte Dom, der immer wieder umgebaut wurde, betonte Faccani: Habe Erkanbald hier eine baufällige Kirche wieder flott gemacht, oder verwirklichte er etwas baugeschichtlich Neues mit dem Hochchor im Osten samt Hauptaltar? Tatsache ist: Der Gebäudekomplex rund um den Alten Dom war offenbar noch bedeutender als bislang gedacht.

Die heutige Johanniskirche hatte wohl auf ihrer Westseite (hier: links) womöglich eine weitere Kirche zur Gesellschaft. - Foto: gik
Die heutige Johanniskirche hatte wohl auf ihrer Westseite (hier: links) womöglich eine weitere Kirche zur Gesellschaft. – Foto: gik

Im Westen des ersten Doms nämlich entdeckten die Forscher bereits 2016 die Reste eines weiteren Gebäudes, inzwischen vermuten sie: Es war womöglich ein zweiter Kirchenbau. Gerade in der Frühzeit des Christentums vom 4. bis 6. Jahrhundert sei es „gute Tradition gewesen, dass man mehrere Kirchen hatte, die verschiedene Funktionen erfüllten“, sagte Faccani – so könnte es auch in Mainz gewesen sein. „Zwei Kirchen nebeneinander würde heißen, dass wir an dieser Stelle ein liturgisch genutztes Gebäude hatten, das nicht angebaut war, sondern durch einen Freiraum getrennt war“, sagte der Archäologe – Mainz könne womöglich „als Doppelkirchenanlage gedacht werden.“

Das allerdings wäre eine neuerliche Wende in der überraschenden Forschungsgeschichte von St. Johannis: Die Doppelkirchenanlage würde Mainz in die illustre Riege von spätantiken Bischofssitzen mit solchen Doppelkirchen-Ensembles einreihen – wie sie etwa in Trier stand. Der große Abschlussbericht zu Erkanbald und seinem Grab soll nun im kommenden Jahr in Buchform erscheinen – reich bebildert, versprach Faccani. Erkanbald selbst ruht indes weiter in seinem Sarkophag in der Kirche, die einst der Alte Dom von Mainz war, und das werde auch so bleiben, versicherte Dekan Klodt: „Wer Jahrhunderte hier geruht hat, soll hier auch bis zum jüngsten Tag liegen bleiben dürfen.“

Info& auf Mainz&: Die Johanniskirche öffnet Ende August ihre Tore zu neuen Sonderführungen, die ganz Erkanbald und seinem Grab gewidmet sein: Am 21.8. könnt Ihr um 10.00 Uhr, 13.00 Uhr und 16.00 Uhr Spezialführungen mit Archäologe Guido mit Faccani erleben, die Führungen sind kostenlos, eine Anmeldung ist unbedingt erforderlich –  Adresse und Kontaktmöglichkeiten findet Ihr hier im Internet. Am 18. August gibt es zudem einen Vortrag in der Stadtbibliothek Mainz um 18.30 Uhr zum Forschungsthema Erkanbald, hierfür ist eine Anmeldung bei der Mainzer Stadtbibliothek erforderlich – Kontaktdaten hier im Netz. Mehr zu Erkanbald und der Öffnung seines Sarkophags könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nacherleben. Mehr zur Baugeschichte des Alten Doms mit vielen Bildern könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen.

 

 

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