In Sachen Flutkatastrophe Ahrtal wird es weiter keine Anklage gegen einen Verantwortlichen geben. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz wies in einer am Montag veröffentlichten Entscheidung Beschwerden gegen die Nicht-Anklage durch die Staatsanwaltschaft Koblenz ab. Damit ist Stand jetzt klar: Ex-Landrat Pföhler muss sich nicht vor einem Gericht für Versäumnisse in der Flutnacht verantworten – und auch niemand sonst. Im Ahrtal ist man geschockt, der Anwalt der Opfer, Christian Hecken spricht von einer „irren Entscheidung“. Wie genau die Generalstaatsanwaltschaft argumentiert, welche Lücken das hat, und wie es jetzt weiter geht.

Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal waren in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 insgesamt 136 Menschen in den bis zu zehn Meter hohen Fluten gestorben, eine Person davon wird bis heute vermisst. Die meisten Toten gab es nach 22.00 Uhr Bereich Bad Neuenahr-Ahrweiler, allein hier starben mehr als 85 von 136 Menschen, viele davon in ihren Häusern im Schlaf. Doch auch vorher gab es im mittleren und oberen Ahrtal Tote, als sich die riesige Flutwelle zu Tale schob – die Menschen gaben in den Tagen danach an: Nein, gewarnt worden seien sie nicht.
Strafrechtliche Folgen soll das nun nicht haben, die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz bestätigte in einer am Montag veröffentlichten Entscheidung: Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Koblenz, das Ermittlungsverfahren gegen den früheren Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und seinen damaligen Kreisbrandschutzinspekteur einzustellen, und keine Anklage wegen fahrlässiger Tötung zu erheben, sei richtig und korrekt gewesen. Ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten der Beschuldigten habe es nicht gegeben, ein pflichtwidriges Handeln oder gar strafrechtlich relevante Pflichtverletzungen seien nicht zu erkennen. Auch der Landrat selbst hätte „keine besseren Maßnahmen“ zur Vermeidung von Toten in der Katastrophe treffen können.
Retten Warnungen nun Menschenleben – oder nicht?
Die Staatsanwaltschaft Koblenz hatte im April 2024 das Ermittlungsverfahren gegen Pföhler und seinen BKI eingestellt, dagegen hatten Angehörige von Toten in insgesamt 36 Fällen Einspruch erhoben – die Generalstaatsanwaltschaft in Koblenz musste deshalb prüfen, ob die Einstellung ordnungsgemäß war, oder sich nicht doch Anhaltspunkte für ein strafrechtliches Verschulden fanden. Interessant dabei: Die Generalstaatsanwaltschaft argumentiert in ihrer fast 15 Seiten langen Begründung in Teilen deutlich anders, als der Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft.

Die hatte argumentiert, man habe im Ermittlungsverfahren „nie die Gewissheit erlangt“, dass Menschenleben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch Handlungen wie Warnungen oder Evakuierungsanordnungen hätten gerettet werden können. Dabei hatte der Untersuchungsausschuss im Mainzer Landtag minutiös aufgearbeitet, wie Warnsysteme und staatliche Stellen in der Flutnacht versagten, dass Warnungen gar nicht ausgesprochen wurden oder bei den Menschen nicht ankamen – vor allem auch, weil die höchste Katastrophenwarnstufe 5 erst um 23.09 Uhr von der Kreisverwaltung Ahrweiler ausgelöst wurde.
Bis heute treibt die Frage die Menschen um: Wäre früher und vor allem auch wäre massiver vor der meterhohen Flutwelle gewarnt worden – hätten dann Menschenleben gerettet werden können? Der Leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler beantwortete das im April 2024 mit Nein: Man könne nicht „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ sagen, dass durch Warnungen Menschenleben gerettet worden wären, auch nicht durch die Ausrufung des Katastrophenfalls „deswegen ist das nicht so wichtig“, sagte Mannweiler damals.
Europäisches Warnsystem EFAS „nicht für kleine Flüsse geeignet“?
Das löste eine Sturm der Empörung aus, waren doch gerade viele Menschen in ihren Erdgeschosswohnungen ertrunken, weil sie bereits schliefen und von der herannahenden Flutwelle nichts wussten. Nun argumentiert die Generalstaatsanwaltschaft auf einmal: Es habe ja sehr wohl Warnungen gegeben, Feuerwehren und Krisenstäbe hätten sich pflichtbewusst auf ein Hochwasser vorbereitet, mehr hätten sie nicht tun können – weil man die Flutwelle nicht habe vorhersagen können.

Explizit geht die Generalstaatsanwaltschaft dabei sogar auf das Europäische Flutwarnsystem EFAS ein: „Als unzutreffend haben sich in diesem Zusammenhang Annahmen herausgestellt, das europäische Warnsystem System EFAS habe das später eingetretene Flutgeschehen vorhergesagt“, schriebt die GSTA, und behauptet: „Das System eignet sich nicht für Hochwasservorhersagen kleiner Flussläufe wie die Ahr oder sonst kleinflächiger Gebiete.“ Das aber stimmt nicht: Experten hatten im Untersuchungsausschuss zur Flutkatstrophe im Ahrtal eindeutig klargestellt, dass EFAS eben auch Tools zur Vorhersage von Sturzfluten an kleinen Flüssen enthält – inklusive der Ahr.
EFAS sei „ein sehr präziser Sturzflutindikator“, sagte etwa der Hydrologie-Experte Jörg Dietrich von der Leibniz-Universität Hannover vor dem Ausschuss – und schon die erste Vorhersage am 10. Juli habe für die Ahr und ihre Nebengewässer „eine hohes Risiko ausgewiesen.“ EFAS enthalte nämlich neben allgemeiner Erstwarnungen auch ein Vorhersage-Instrument für Sturzfluten an kleinen Flüssen, genannt ERIC, erklärte die Mitgründerin von EFAS, Hannah Cloke, den Ausschussmitgliedern – und ERIC habe explizit vor einer Sturzflut im Ahrtal gewarnt, sogar als Fokus-Region.
Was wussten die Handelnden in der Flutnacht?
Doch diese Informationen kamen beim Mainzer Landesamt für Umwelt nicht an, weil man hier die EFAS-Warnungen ignorierte, und in jedem Fall die Detailinformationen von ERIC nicht abrief: Von ERIC-Sturzflutwarnungen habe man nichts gewusst, gaben die Mitarbeiter vor dem Untersuchungsausschuss an. So behauptet die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz weiter, sämtliche Hydrologen hätten „übereinstimmend ausgeführt“, dass von Niederschlagprognosen allein „keine hydrologischen Ableitungen gezogen werden könnten, wie genau sich wegen der Regenmengen entstehende Hochwässer oder Flutwellen entwickeln würden.“

Die Vorkehrungen und Vorbereitungen der Feuerwehren und Krisenstäbe seien deshalb „nicht zu beanstanden“, man habe von einem Hochwasser gewusst und sich darauf vorbereitet. Zugleich räumt die Behörde auch ein: „Als aufwändiger und schwieriger erwies sich die Feststellung und rechtliche Bewertung des Handelns der für den Katastrophenschutz Verantwortlichen während der Katastrophe selbst.“ Man habe deshalb zunächst den Ablauf rekonstruieren müssen sowie das feststellen müssen, was die Handelnden in der Flutnacht wann gewusst hätten – und ob deren Handlungen im Licht ihres Wissens „pflichtgemäß“ waren, und wenn nein, welche Handlungen denn stattdessen geboten gewesen wären.
Entscheidend ist also die Frage, welche Erkenntnisse die Beschuldigten wann vom Flutgeschehen in der Nacht hatten – und hier bleibt die Generalstaatsanwaltschaft vage und in Teilen weit hinter den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses zurück. Die Technische Einsatzleitung in Ahrweiler nehmen die Ermittler dabei umfassend in Schutz: Sie hätten Informationen erst spät und oft nicht vollständig erhalten, weil auch die Einsatzkräfte Informationen nur zögerlich weitergaben, weil der aktuelle Einsatz vorging – das sei auch nicht zu beanstanden.
„Schwallartige Sturzflut“ für Einsatzkräfte und TEL nicht erkennbar?
Vor allem sei die TEL in Ahrweiler davon ausgegangen, es handele sich lediglich um ein „Jahrhunderthochwasser“ wie 2016, aber nicht um eine „schwallartige Sturzflut“ – ob nicht gerade der Krisenstab genau das hätte erkennen müssen, dazu schweigt sich die Generalstaatsanwaltschaft indes aus. Dabei hatte der Hydrologe Thomas Roggenkamp eigens in einem Gutachten für die Staatsanwaltschaft genau diese Argumentation zerpflückt: Demnach hätten bereits die prognostizierten Pegelstände „ab 14.22 Uhr gereicht, um von einem Hochwasser größer als 2016 auszugehen“, und spätestens mit den eingestürzten Häusern in Schuld sei klar gewesen, dass diese Katastrophe größer war.

Dass in Schuld mehrere Häuser von der Flutwelle weggerissen worden waren, war in der TEL in Ahrweiler allerspätestens ab 20.30 Uhr und womöglich sogar schon ab 19.20 Uhr bekannt. Und die Generalstaatsanwaltschaft schreibt nun selbst: „Etwa ab 20.30 Uhr oder 21.00 Uhr haben dann Zeugen Flutwellen der Ahr selbst beschrieben.“ Trotzdem wurde der Katastrophenalarm der höchsten Stufe 5 erst um 23.09 Uhr ausgelöst – und damit erst dann die Aufforderung zu Evakuierungen entlang der Ahr ausgelöst.
Und hier schreibt die Generalstaatsanwaltschaft den bemerkenswerten Satz: „Ungeachtet der Frage, ob es danach sachgerecht gewesen wäre, einen Katastrophenfall der Stufe 5 früher als geschehen anzunehmen, wäre dies jedoch jedenfalls hinsichtlich der eingesetzten Mittel ohne Auswirkungen geblieben.“ Der Unterschied zwischen der Stufe 4 und der Stufe 5 soll also marginal sein und „keine Auswirkungen“ haben? Das unterschlägt gleich mehrere Faktoren: Nur mit der höchsten Stufe 5 sind Evakuierungsaufforderungen verbunden – und vor allem erst damit ist eigentlich eine Information an Meiden mit überregionaler Reichweite verknüpft.

Warnungen über Medien: kein Unterschied in der Wirkung?
Doch genau diese Warnungen über Radio, Fernsehsender und Online-Plattformen blieb in der Flutnacht aus, weder den SWR noch die Nachrichtenagentur dpa, noch lokale Zeitungen wie die Rhein-Zeitung erhielten in der Flutnacht Informationen über die Ausrufung des Katastrophenalarms im Ahrtal oder gar Warnungen, die an die Bevölkerung weiter gegeben werden sollten. Warum nun auch die Generalstaatsanwaltschaft davon ausgeht, dass solche Warnungen über Medien im großen Stil keinen Unterschied gemacht hätten, ist völlig unklar – und widerspricht jeder Erfahrung.

Stattdessen zählt die Generalstaatsanwaltschaft nun detailliert auf, welche Warnungen es in der Flutnacht und am Abend gegeben habe: Warnungen der Bevölkerungen seien bereits „vereinzelt schon ab dem Mittag des 14.07.2021“ erfolgt, die örtlichen Feuerwehren hätten in den Orten entlang der Ahr mittels Lautsprecherdurchsagen gewarnt. Nur, wovor die Feuerwehren warnten, das spielt in der Beurteilung offenbar eine untergeordnete Rolle: Es sei „auf die Gefahr von Hochwasser und das Räumen von Kellerräumen“ hingewiesen, das Wegfahren von Fahrzeugen in höher gelegene Gebiete sei angeraten worden.
In der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler seien die Ahranwohner „schon am Vormittag“ aufgefordert worden, „nicht an der Ahr zu parken, keine Autos in die Tiefgaragen zu stellen, die Gebäude zu sichern (…), Keller zu räumen und Wertsachen und persönliche Gegenstände bereitzuhalten.“ Nach 15.30 Uhr und bis etwa 18.30 Uhr seien Lautsprecherdurchsagen in der Stadt erfolgt, in denen auf drohende Überschwemmungen und Stromausfälle hingewiesen wurde, und aufgefordert wurde, Tiefgaragen und Keller zu meiden und Autos wegzufahren.
Warnungen in Bad Neuenahr: Fahren Sie Ihr Auto weg!
Das entspricht genau dem, was Anwohner im Nachhinein erzählten – und es enthält einen entscheidenden Fehler: Vor Lebensgefahr wurde eben nicht gewarnt. Dass Todesgefahr besteht, wenn man im Erdgeschoss bleibt – davor warnt die Feuerwehr eben gerade nicht. Das beweist auch ein Video, das die junge Konditorin Johanna Orth um 20.17 Uhr von einer Lautsprecherdurchsage der Feuerwehr in Bad Neuenahr vor ihrem Haus dreht – Johanna Orth wird gegen 1.00 Uhr morgens in ihrer Erdgeschosswohnung von den Fluten überrascht werden und sterben. Dass ihr Gefahr drohte, wusste sie nicht: Nach einem Telefonat mit ihren Eltern legt sie sich gegen 21.00 Uhr schlafen.

Die Generalstaatsanwaltschaft schreibt selbst: Noch zwischen 21.30 Uhr bis etwa 22.00 Uhr seien im Stadtgebiet von Bad Neuenahr „weitere Lautsprecherdurchsagen und auch persönliche Kontaktaufnahmen“ erfolgt, die aber primär darauf abzielten Autos wegzufahren. Erst nach 22.00 Uhr habe es „weitere Durchsagen gegeben, in denen u.a. dazu aufgefordert wurde, sich in höhere Stockwerke zu begeben.“ Doch da schliefen viele Menschen im Ahrtal bereits.
Die Generalstaatsanwaltschaft verweist zudem auf eine ganze Reihe von Katwarn-Meldungen, die in der Nacht herausgegeben worden seien – doch diese Meldungen erreichten die Bevölkerung zum Großteil nicht, weil eine Schnittstelle zur Zwillingswarnapp NINA nicht funktionierte. Über NINA wurden die Warnungen denn auch nicht ausgespielt, zudem sagen Experten: Sich auf Warnapps alleine zu verlassen, ist nicht fahrlässig, weil Warnapps eine viel zu geringe Verbreitung in der Bevölkerung haben. Habe man keine Warnapp und kein geeignetes Handy, erreiche einen die Warnung auch nicht, sagte ein Vertreter der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft kurz nach der Flut – das sei „ein Skandal.“
Wie wurde in Dernau, Ahrbrück und Mayschoß gewarnt?
Doch die Generalstaatsanwaltschaft nimmt die Katwarn-Meldungen als Beleg dafür, wie gut in der Flutnacht eben doch gewarnt worden sei – und verweist dabei vor allem auf Warnungen der Feuerwehren in Bad Neuenahr-Ahrweiler und Sinzig. Ab 22.00 Uhr und bis 00.30 Uhr seien hier „nochmals persönliche Hinweise auf die erhöhte Gefährdungslage“ herausgegeben worden, samt Empfehlungen, Gegenstände in Sicherheit zu bringen sowie tiefergelegene Gebäudeteile wie Keller und Souterrainwohnungen nicht zu nutzen. Ab etwa 22.39 Uhr sei dann gar eine Evakuierung vorbereitet worden, in Sinzig habe die Feuerwehr gar eine größeren Radius evakuiert, in Bad Bodendorf sei tatkräftig gerettet worden.

Also alles gut an der Warnungsfront? Was die Generalstaatsanwaltschaft nicht erwähnt, ist dass die TEL für den gesamten Landkreis Ahrweiler zuständig war – und dazu gehören auch Orte, die weiter flussaufwärts liegen. In Ahrbrück, Mayschoß und Dernau verwüstete die Flutwelle bereits ab etwa 21.00 Uhr die Orte an der Ahr, in Ahrbrück starben sieben Menschen, in Mayschoß vier und in Dernau 11. Wer warnte hier die Menschen vor der Flutwelle? Wer sprach Evakuierungen aus – oder eben nicht?
Gerade in Dernau berichteten viele Überlebende in den Tagen danach, gewarnt worden seien sie eben nicht – doch zu diesen Orten schweigt die Generalstaatsanwaltschaft. Fakt ist: Die Freiwillige Feuerwehr Dernau warnte noch um 19.23 Uhr via Facebook, der Pegel steige „steil an“, und riet: „Nutzt noch die Möglichkeit wertvolles Hab und Gut zu sichern.“ Der Gastwirt Michael Lang berichtete noch in einem Video um 21.20 Uhr an seinem Haus in Marienthal, die Ahr steige bedrohlich, er werde sich nun „selbst evakuieren“ – zu diesem Zeitpunkt gab es noch immer keinen Katastrophenalarm der höchsten Stufe, keine Evakuierungsanordnung, keine Warnung über die Medien.

Landrat Pföhler: „hätte keine besseren Maßnahmen treffen können“
Dabei habe das Landesamt für Umwelt am Abend des 14. Juli gegen 20.45 Uhr in einer Prognose einen Pegelstand in Höhe von 7,07 Meter für den Zeitpunkt 1.00 Uhr morgens im Ahrtal errechnet, sagte Erwin Zehe, Professor für Hydrologie am Technischen Institut in Karlsruhe, im Oktober 2024: „7,07 Meter, das ist Armaggedon“, sagte Zehe – doch passiert sei: nichts. „Man hätte warnen müssen, auf allen Kanälen“, sagte Zehe: „Es hätte heißen müssen: Rennt! flieht!“
Doch gegen das Landesamt für Umwelt, gegen das Umweltministerium oder das für den Katastrophenschutz zuständige Innenministerium ermittelte die Staatsanwaltschaft von vorne herein nicht. Die „Warnung auf allen Kanälen“ spielt bei der Generalstaatsanwaltschaft keine Rolle. Dass die Katwarn-Meldung eben NICHT „in den Medien veröffentlicht wurde“, wie es nun im Bericht heißt, ficht die Ermittler nicht an.

Seltsames schreibt die Behörde auch in Bezug auf den Landrat: Der sei „zumindest telefonisch erreichbar“ gewesen, behauptet die Generalstaatsanwaltschaft – das aber widerspricht eklatant den Ermittlungen des Landeskriminalamtes: Nach den Aussagen der Ermittler war Pföhler eben über Stunden nicht erreichbar, war bis 14.00 Uhr am 14. Juli gar nicht in der Kreisverwaltung, und ist zwischen 20.30 Uhr und 21.30 Uhr völlig unauffindbar. So berichtet es Polizeihauptkommissar Uwe Gebert vor dem Untersuchungsausschuss in Mainz.
Gegen 16.20 Uhr hatte bereits die Bürgermeisterin von Altenahr, Cornelia Weigand (parteilos), händeringend versucht, den Landrat dazu zu bewegen, den Katastrophenalarm auszurufen – doch Pföhler ist nicht erreichbar. In der Einsatzleitung der TEL lässt er sich an dem Abend ganze zwei mal blicken. Trotzdem kommt die Generalstaatsanwaltschaft zu dem sehr knappen Ergebnis: Man habe keine Hinweise darauf, dass Pföhler „über Erkenntnisse verfügt hätte, die über den vorstehend geschilderten Wissensstand hinausgingen. Er hätte daher keine besseren Maßnahmen treffen können.“

Hecken: Justizskandal perfekt, Staatsanwälte klar befangen
Damit bestreitet die Generalstaatsanwaltschaft faktisch, dass frühere Warnungen oder eben auch Evakuierungen Menschenleben hätten retten können – der Anwalt Christian Hecken nennt das „verrückt“, im Gespräch mit Mainz& sagte er am Montag: „Der erwartete historische Justizskandal ist jetzt perfekt.“ Die Rechte seiner Mandanten seien im Verfahren mehrfach verletzt worden, Hecken wirft den Staatsanwälten weiter Befangenheit vor. Oberstaatsanwalt Harald Kruse habe damals selbst als Staatsanwalt das Ermittlungsverfahren gegen Landrat Pföhler eingeleitet – jetzt urteile er als Generalstaatsanwalt darüber, ob die Ermittlungen korrekt gelaufen seien oder nicht.

„So eine Fallkonstellation hat es noch nicht gegeben“, sagte Hecken: „Korrekt wäre gewesen, wenn die Ermittlungen von der Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken übernommen worden wären.“ Auch Justizminister Philipp Fernis (FDP) „ducke sich weg“, der Minister hätte die Frage der Einstellung des Verfahrens „zur Chefsache erklären müssen, ein Herbert Reuel in NRW hätte da längst eingegriffen“, sagte Hecken. Der Anwalt, der inzwischen zehn Opferfamilien vertritt, hatte schon früher geklagt, in Rheinland-Pfalz werde „offenbar alles versucht, ein Gerichtsverfahren zu verhindern und zu verzögern“ – schon 2026 drohe nach fünf Jahren die erste Verjährungsfrist.
Nun eilt es, und das in mehr als einer Hinsicht. Die Hinterbliebenen bleibe nun nur noch eine Option, sagte Hecken weiter: Ein Klageerzwingungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Koblenz. „Die Generalstaatsanwaltschaft stellt ein – wir geben nicht auf“, kündigte Ralph Orth an. Die Entscheidung aus Koblenz nehme man „mit Empörung zur Kenntnis“, die Begründung baue „ein Schutzschild um den Verantwortlichen“, die wahren Ursachen würden aber ausgeblendet, teilte die Familie Orth im Internet auf ihrer Petitionsseite mit: „Wer als Jurist seine Pflicht missachtet und Menschen im Stich lässt, darf keinen Schutz durch das Gesetz erhalten.“
Familie Orth: Wir geben nicht auf, Kritik auch von Weigand
„Wir werden alles tun, um das Klageerzwingungsverfahren durchzusetzen“, kündigte Ralph Orth an. Dafür aber bleibe nun gerade einmal ein Monat Zeit, sagte Hecken weiter. Zudem wird ein solche Klage nicht öffentlich verhandelt, das Gericht prüft dabei auch nicht noch einmal die Vorwürfe gegen die Beschuldigten, sondern lediglich die Frage, ob eine Anklage erhoben werden muss oder nicht.

Ein solches Verfahren hat es in Deutschland zuletzt wegen der Love Parade in Duisburg gegeben, die Klage wurde abgewiesen, weil es bereits ein Hauptverfahren gab – das 2019 nach 184 Verhandlungstagen ohne Verurteilung eingestellt wurde. Ein Grund für die Einstellung: 2020 wären die meisten Vorwürfe nach zehn Jahren verjährt. Droht ein ähnliches Schicksal nun also auch dem Ahrtal? Für die Menschen im Ahrtal sei genau das „sehr schwierig“, sagte die Ahrweiler Landrätin Cornelia Weigand am Montagabend dem SWR: „“Was mich sehr bewegt und viele Betroffenen auch, ist das Thema, dass es keine öffentliche Verhandlung gibt.“ Im Sinne einer Aufarbeitung sei das schwierig
Und auch der Leiter der Lebenshilfe in Sinzig, Ulrich van Bebber, sprach von einem „fatalen Signal“ der Generalstaatsanwaltschaft: „Das ist ein Schlag ins Gesicht der Flutbetroffenen, die natürlich eine transparente Aufklärung erwarten und jetzt den Eindruck haben, dass diese Aufklärung vermieden werden soll“, kritisierte van Bebber gegenüber dem SWR. Es setze sich „immer mehr der Eindruck fest, dass vielleicht auch nicht alle Dinge auf den Tisch sollen, beziehungsweise bestimmte Dinge unter den Teppich gekehrt werden sollen“, sagte er. Das sei „verheerend, weil da Vertrauen in Politik und auch in die Justiz verloren geht.“
Persilschein für ADD und Linnertz, kein Versäumnis in Sinzig
Im Lebenshilfehaus in Sinzig waren in der Flutnacht 12 behinderte Menschen ums Leben gekommen, mit dieser Einrichtung setzt sich die Generalstaatsanwaltschaft intensiv auseinander. Auch hier aber lautet das Fazit: Ein strafrechtlich relevantes Pflichtversäumnis habe man nicht feststellen können – die Angaben des Betreuers in der Nacht und des Feuerwehrmannes widersprächen sich, das sei auch nicht aufzuklären.

Und auch der Dienstaufsichtsbehörde ADD – laut Landesgesetz eigentlich als oberste Katastrophenschutzbehörde für ein solches Großschadensereignis zuständig – und ihrem Präsidenten Thomas Linnertz stellt die Generalstaatsanwaltschaft einen Persilschein aus: „Namentlich in Bezug auf die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) ist darüber hinaus nicht zu erkennen, was diese konkret anderes hätte tun können als das, was sie im Rahmen ihrer Koordinationstätigkeit (…) ohnehin getan hat.“
Verantworten muss sich für die Fehler in der Flutkatastrophe im Ahrtal, die 136 Menschen das Leben kostete, vor einem Gericht in Deutschland also: niemand. Selbst da, wo die Anwaltschaft Versäumnisse ausmacht oder „Zweifel“ hat, reiche das strafrechtlich nicht aus: „Das deutsche Strafrecht verlangt für Bestrafungen das Vorliegen einer Schuld. Nur wem eine solche Schuld nachgewiesen werden kann, kann ggf. bestraft werden“, heißt es. Eine Leserin auf Facebook kommentierte das stellvertretend für viele so: „Ja, ja keiner ist es gewesen. Unfassbar was der Staat sich da erlaubt. Da sind Menschen gestorben weil keiner was gemacht hat. Und keiner ist schuld. Unglaublich.“
Info& auf Mainz&: Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hat auf ihrer Internetseite eine ausführliche Begründung ihrer Entscheidung zum Download bereit gestellt – hier findet Ihr sie. Mehr zur ersten Einstellung der Staatsanwaltschaft könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen, mehr zum Kampf der Familie Orth und anderer Hinterbliebener haben wir hier berichtet.
Ausführliche Hintergründe zur Katastrophe im Ahrtal und zu der Frage, wo die Verantwortlichen in der Flutnacht waren und was sie wussten, hat Mainz&-Chefin Gisela Kirschstein in ihrem Buch „Flutkatastrophe Ahrtal – Chronik eines Staatsversagens“ aufgearbeitet. Das Buch ist im FAZ Buchverlag erschienen, mehr dazu hier:






