Bundespräsident Frank Walter Steinmeier mahnte, Geschenke seien doch nicht das Wichtigste, Politiker mahnten zur Vernunft – vergeblich: Zwei Tage vor dem verschärften Lockdown strömten am Montag die Menschen in die Mainzer Innenstadt, um noch letzte Besorgungen vor Weihnachten zu machen. Ab Mittwoch werden alle Geschäfte außer denen des täglichen Bedarfs geschlossen, prompt bildeten sich am Montag lange Autoschlangen in der Innenstadt und lange Kundenschlangen vor den Geschäften. Virologen warnten, gedrängte Shopping-Mengen könnten Corona-Infektionen weiter hochtreiben. Dem Einzelhandel graust es derweil vor dem Zwangslockdown – das Gespenst der Pleitewelle geht um.
„Seit heute Morgen um 9.00 Uhr geht es rund“, sagte der Mainzer Juwelier Jan Sebastian, die Kunden stünden Schlange. Am Montagmorgen waren in der Mainzer Fußgängerzone deutlich mehr Menschen unterwegs als sonst an Montagen, die Friseure waren geöffnet, Termine wurden vorgezogen. Haarverlängerungen wurden noch schnell vor dem Lockdown eingesetzt, Haare wurden gefärbt und geschnitten. Ab Mittwoch greift ein verschärfter Lockdown, der nun endlich die wieder rasant steigenden Corona-Infektionen eindämmen helfen soll. Die Konsequenz allerdings: Am Montag bildeten sich vor Buchläden, Teeshops oder Dekoläden lange Schlangen wartender Kunden. Trotz Montag, trotz der Appelle der Politik: Viele fuhren eigens in die Innenstadt, um letzte Einkäufe zu erledigen und Geschenke zu besorgen.
Im Bekleidungsgeschäft in der Römerpassage sind hingegen die Gesichter lang. „Die Winterjacken da, die kriege ich nicht mehr verkauft“, sagt die Filialleiterin, „das geht jetzt alles zurück an die Zentrale.“ „Die Textilgeschäfte hätten gerade jetzt in der Vorweihnachtswoche Rabattaktionen geplant“, sagte Sebastian, der auch Präsident des Handelsverbands Rheinland-Pfalz, Hessen und Saarland ist, im Gespräch mit Mainz&. Die Läden säßen auf vollen Lagern: „Die konnten die Frühjahrsware nicht verkaufen, die Sommerware nicht, die Winterware auch nicht“, berichtete Sebastian. Nun drohten hohe Einbußen – und eine Pleitewelle im Frühjahr.
„Ich mache mir große Sorgen, gerade um die Textilgeschäfte, aber auch um die Innenstädte wie hier in Mainz“, sagte Sebastian. Für den Einzelhandel seien die Wochen vor Weihnachten und die Woche „zwischen den Jahren“ die wichtigsten des Jahres: „Einige Unternehmen machen jetzt ein Drittel oder ein Viertel ihres Jahresumsatzes, für viele meiner Kollegen ist das eine Katastrophe“, betonte Sebastian – auch er selbst habe derzeit ein Drittel weniger Umsatz im Monat. Die jetzt versprochenen Hilfen der Politik „werden nicht reichen“, warnte er, Auszahlungen im Februar würden zu spät kommen.
Und nicht immer ist in der Hektik der Entscheidungen klar, wer überhaupt schließen muss und wer nicht: „Ich weiß gar nicht genau, ob ich Mittwoch noch öffnen darf“, sagt Elvira Husar. Erst vor wenigen Wochen hat sie einen kleinen Weihnachtsladen mit Süßigkeiten wie gebrannten Mandeln, Lollies und Naschwerk am Schillerplatz eröffnet. Husar ist Schaustellerin, eigentlich stünde sie jetzt auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Schillerplatz, mit dem Laden wollte sie einen kleinen Ersatz schaffen. „Das wird total super angenommen“, berichtet sie, doch nun ist womöglich auch für sie am Mittwoch wieder Schluss.
Auch vom Städtetag Rheinland-Pfalz hieß es am Montag, der Lockdown sei angesichts des Infektionsgeschehens zwar unvermeidlich, man befürchte aber gravierende Auswirkungen auf die ohnehin schon schwer angeschlagenen Innenstädte. „Durch das weitere Herunterbremsen sämtlicher innerstädtischer Infrastruktur in der umsatzstärksten Zeit des Jahres seien die Schäden nicht absehbar“, teilte der Städtetags-Vorsitzende, der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) mit – es seien „weitreichende Folgen zu befürchten.“ Der Städtetag forderte daher vom Bund „nachdrücklich“ eine Ausweitung der bestehenden Hilfen für die nun erneut betroffenen Akteure in Handel, Gastronomie, Kultur, Hotellerie und sonstigem Gewerbe.
Die Hilfen müssten schneller fließen als die November-Hilfen, die Antragsverfahren unbürokratisch und unkompliziert gestaltet werden. Nach der Pandemie müsse aber auch das Land „Unterstützung zur Sicherung der Vitalität von Innenstädten“ leisten, bestehende Förderprogramme an die neue Situation angepasst und wo nötig erweitert werden. Konkretere Angaben, was das bedeuten würde, machte Ebling in der Stellungnahme nicht.
Der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) äußerte sich zum Lockdown oder zu Wirtschaftshilfen nicht, seine Staatssekretärin Daniela Schmidt verteidigte den verzögerten Lockdown ab Mittwoch: Ein Lockdown ab Montag hätte „zu mehr Chaos und zusätzlicher Verunsicherung geführt“, sagte Schmidt, die auch Spitzenkandidatin der rheinland-pfälzischen FDP für die Landtagswahl 2021 ist. Man dürfe den Handel in den Innenstädten nicht „abwürgen und damit den Geschäften auch noch ihr ohnehin schmales Restweihnachtsgeschäft nehmen.“
Tatsächlich weisen aber Einzelhändler und Verbände darauf hin, dass am Mittwoch zwar die Geschäfte schließen müssen – das Online-Geschäft laufe aber weiter. Wer ganz spezielle Geschenke, wie beispielsweise ein traditionelles Fotoalbum kaufen möchte, macht das normalerweise im Internet. Andere Dinge wiederum kauft man besser vor Ort im Geschäft. Natürlich bieten in der Zwischenzeit auch viele Händler einen Online-Shop an. „Auch bei uns kann man online bestellen“, betonte Sebastian gegenüber Mainz&, die Ware komme dann eben per Post ins Haus. Das gelte im Übrigen auch für viele seiner Kollegen, unterstrich der Juwelier, die Mainzer könnten auch nach dem Mittwoch noch ihre Geschäfte vor Ort unterstützen. Seine Juwelierwerkstatt gelte im Übrigen als Handwerksbetrieb und dürfe deshalb voraussichtlich für Reparaturen offen bleiben. Und auch Husar betonte: „Wenn ich schließen muss, kann man trotzdem weiter bei mir bestellen, ich fahre dann am Sonntag die Bestellungen persönlich aus.“
Info& auf Mainz&: Welche Regeln ab Mittwoch gelten und welche Geschäfte schließen müssen und welche nicht, lest Ihr hier bei Mainz&. UPDATE&: Eine Liste von Mainzer Geschäften, bei denen Ihr telefonisch oder online bestellen könnt, findet ihr hier auf der Seite der Stadt Mainz. Ganz aktuell: Erlaubt ist in Rheinland-Pfalz auch „Click and Buy“, also das Vorbestellen der Ware und das Abholen am Geschäft.