Rheinland-Pfalz rüstet sich für den Herbst mit neuen Corona-Wellen: Neue Untersuchungsmethoden sollen für eine bessere Datengrundlage in Sachen Corona sorgen, ein angepasster Omikron-Impfstoff wird für Ende September erwartet – Biontech und Pfizer beantragten am Montag eine Notfallzulassung in den USA. Die Landesregierung plädiert derweil für eine vierte Impfung, in den Arztpraxen steht zudem nun das Corona-Medikament Paxlovid zur Verfügung. Deutliche Kritik gibt es aus Rheinland-Pfalz indes an dem Entwurf für das neue Infektionsschutzgesetz des Bundes.

Pressekonferenz zur Vorbereitung auf den dritten Herbst der Corona-Pandemie mit Impof-Koordinator Daniel Stich (ganz links) und Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD, Mitte). - Foto: gik
Pressekonferenz zur Vorbereitung auf den dritten Herbst der Corona-Pandemie mit Impof-Koordinator Daniel Stich (ganz links) und Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD, Mitte). – Foto: gik

Die gute Nachricht: Die Corona-Sommerwelle ist gebrochen, die Infektionen gehen zurück, doch Politik und Experten rechnen für den Herbst mit neuen Infektionswellen. „Corona ist nicht vorbei und wird uns sehr lange begleiten“, warnte am Montag der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) in Mainz: „Wir rechnen fest damit, dass sich sobald sich das Leben wieder in die Innenräume verlagert, die respiratorischen Erkrankungen zunehmen, und da wird auch Corona dabei sein.“

Das Problem der Länder: Zum 23. September 2022 läuft das bisherige Infektionsschutzgesetz (IfSG) des Bundes aus, doch das Nachfolgegesetz gebe den Bundesländern kaum noch einen stringenten Instrumentenkasten an die Hand, um auf neue Corona-Wellen im Herbst unverzüglich reagieren zu können, klagte Hoch am Montag: „Wir haben noch einigen Gesprächsbedarf zwischen Bund und Ländern.“

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Anfang August hatten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Buschmann (FDP) den Entwurf für das neue Infektionsschutzgesetz vorgestellt. Das sieht zwar eine neue Impfkampagne und eine verbesserte Datengrundlage in Sachen Corona vor, doch bei den Bekämpfungsmaßnahmen gibt der Bund weitreichende Befugnisse an die Länder ab. Die dürfen dann über Maskenpflicht im ÖPNV und in Innenräumen selbst entscheiden, eine Schwelle aber, ab wann Maßnahmen greifen müssen oder sollen, sieht der Entwurf bislang aber nicht vor. Damit könnten etwa Maskenpflichten im ÖPNV ab dem 1. Oktober sogar fallen, Kritiker sprachen umgehend von „wachsweichen Regelungen.“

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Juni in der Talkshow Maybrit Illner. - Foto: gik
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Juni in der Talkshow Maybrit Illner. – Foto: gik

Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) schloss sich am Montag ungewohnt deutlich der Kritik an: „Wir hatten in weiten Teilen ein funktionierendes Infektionsschutzgesetz, das Handlungsmöglichkeiten gab, um situationsgerecht vorzugehen“, sagte Hoch, und fuhr in der vergangenheitsform weiter fort: „Wir hatten ein Instrumentarium, das wir im Worst Case ziehen können.“

Das sieht Hoch nun aber offenbar nicht mehr gewährleistet: Man wisse doch inzwischen, dass Impfen helfe, „dass Masken schützen, dass Testen viel bewirken kann“, sagte Hoch, doch „das Zusammenspiel dieser drei Komponenten ist im Infektionsschutzgesetz noch nicht so klar geregelt.“ Den Ländern drohe, viele Detailregelungen einzeln treffen zu müssen, dabei habe man doch gerade zu Beginn der Pandemie gesehen, dass Entscheidungen im Ernstfall „in hoher Geschwindigkeit“ zu treffen seien.

 

Dafür brauche man dann aber auch ein geeigneten Instrumentenkasten, betonte Hoch, und fügte in Anspielung auf die Symbolik des Bundes hinzu: „Schneeketten sind nur dann effektiv, wenn man sie direkt aufziehen kann.“ Das neue Infektionsschutzgesetz soll ab dem 1. Oktober greifen, die Bundesregierung kehrt in dieser Woche aus der Sommerpause zurück, Bis Ende September sind es noch rund fünf Wochen. Er sei sich „sicher, dass wir ein effektives Infektionsschutzgesetz haben werden“, sagte Hoch weiter: „Es wird sich keiner dem Vorwurf aussetzen wollen, dass wir nicht ein funktionierendes Instrumentarium haben.“

Rheinland-Pfalz legt eigenen Corona-Plan für Herbst vor

Die Corona-Impfung bleibt ein Kernelement im Kampf gegen das neue Virus. - Foto: Fastnacht eG
Die Corona-Impfung bleibt ein Kernelement im Kampf gegen das neue Virus. – Foto: Fastnacht eG

Derweil legte der Minister einen eigenen Plan für den Herbst vor, Kernpunkte darin sind eine verbesserte Corona-Datengrundlage sowie ein neuer Anlauf zum Werben für die zweite Booster-Impfung. Seit der ersten Booster-Runde habe sich in Sachen Impffortschritt wenig getan, räumte Impf-Koordinator Daniel Stich ein. Tatsächlich verharrt die Impfquote in Rheinland-Pfalz bei 79 Prozent Erstgeimpften und 75,6 Prozent zweitgeimpften. Den ersten Booster, also eine dritte Impfung, haben in Rheinland-Pfalz inzwischen 63,2 Prozent, bundesweit sind die Zahlen in anderen Ländern ähnlich.

Damit hinkt Deutschland im europäischen Vergleich aber weiter deutlich hinterher, das gilt auch für die vierte Impfung, den zweiten Booster: Obwohl die Ständige Impfkommission (Stiko) inzwischen den zweiten Booster für alle über 60 empfehle, sei die Nachfrage gering, sagte Stich weiter, und betonte: „Wir wollen noch einmal appellieren, dass nicht jeder warten soll, bis der angepasste Impfstoff da ist, sondern von dem Angebot einer weiteren Schutzimpfung Gebrauch macht.“

 

Das gelte durchaus auch für unter 60-Jährige: Sie sollten im Gespräch mit dem Hausarzt „individuelle Lösungen“ suchen und besprechen, ob ein weiterer Booster Sin mache, sagte Hoch. „Das Risiko für einen schweren Verlauf nimmt ab 60 Jahren signifikant zu, das sehen wir in unseren Daten in den Krankenhäusern“, betonte der Minister. Empfohlen werde die vierte Impfung schließlich aber auch für Risikogruppen unter 60 Jahren, „es lohnt sich, das Gespräch mit dem Arzt zu suchen“, unterstrich der Minister – er freue sich schon „auf den Ansturm in unseren Impfzentren.“

Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) vor einem Impfbus des Landes. - Foto: Gesundheitsministerium RLP
Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) vor einem Impfbus des Landes. – Foto: Gesundheitsministerium RLP

Die Impfzentren stehen seit dem Frühjahr weitgehend leer, Rheinland-Pfalz hält trotzdem an 26 stationären Impfangeboten in den Gemeinden im Land fest, darunter 17 Impfzentren. Der Grund: Die Politik will sich nicht wieder, wie im Herbst 2021, von einem Impf-Ansturm, überraschen lassen: Damals hatte die Politik die Impfzentren überraschend im Herbst geschlossen – nur, um dann im November von einem Ansturm auf die erste Booster-Impfung überrascht zu werden. Die Folge waren Chaos in den Arztpraxen und .lange Schlangen vor Impfbussen.

Für diesen Herbst sieht man sich nun gut gerüstet: Neben den Impfzentren fahren weiter derzeit sechs Impfbusse durchs Land, die könne man jederzeit auf 12 aufstocken, sagte Stich weiter. Dort könnten pro Bus rund 400 Impfungen pro Tag durchgeführt werden, gemeinsam mit mobilen Teams und Impfzentren seien es 250.000 Impfungen im Monat. Inzwischen könnten die Bürger auch über die Online-Impfplattform des Landes ihren Wunschtermin erhalten, sagte Stich weiter.

 

Biontech und Pfizer beantragen Omikron-Impfstoff in den USA

Die Zurückhaltung ist derzeit auch so groß, weil viele im Sommer erst einmal eine Corona-Infektion erwischt hatten, eine neue Impfung ist danach erst einmal nicht angesagt. Dazu kommt, dass die Firmen Biontech und Moderna neue , auf die Omikron-variante angepasste Impfstoffe angekündigt haben: Biontech und sein US-Partner Pfizer teilten just am Montag mit, man habe nun die Notfallzulassung für einen „an Omikron BA.4/BA.5 angepassten bivalenten COVID-19-Impfstoffs für Personen ab 12 Jahren“ bei der US-Arzneimittelbehörde FDA eingereicht.

Von Biontech gibt es demnächst einen auf die Omikron-Variante angepassten Corona-Impfstoff. - Foto: Biontech
Von Biontech gibt es demnächst einen auf die Omikron-Variante angepassten Corona-Impfstoff. – Foto: Biontech

Präklinische Daten zeigten, „dass eine Auffrischungsimpfung mit dem bivalenten Omikron-BA.4/BA.5-Impfstoff eine starke neutralisierende Antikörperantwort gegen die Omikron-Varianten BA.1, BA.2 und BA.4/BA.5 sowie den ursprünglichen Wildtyp-Stamm hervorruft“, teilten Biontech und Pfizer mit. Der bivalente Impfstoff enthalte mRNA, die für das Spike-Protein des Wildtyps von SARS-COV-2 kodiert sei, sowie mRNA, die für das Spike-Protein der Omikron-Variante BA.4/BA.5 kodiert sei. Die klinische Studie zur Untersuchung der Sicherheit,  Verträglichkeit und Immunogenität des angepassten Impfstoffs solle noch in diesem Monat beginnen.

Wann genau der neue Impfstoff auf den Markt kommen klar, ist noch unklar, in Rheinland-Pfalz rechnet man mit Ende September oder Anfang Oktober. Biontech und Pfizer teilten aber mit, man habe seine Produktion hochgefahren und sei „somit in der Lage, die ersten bivalenten an Omikron-BA.4/BA.5-angepassten Auffrischungsdosen sofort auszuliefern, falls der Impfstoff genehmigt wird.“ Die Einreichung der Daten für einen Antrag auf bedingte Marktzulassung in Europa sei bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA „initiiert, und wird voraussichtlich in den nächsten Tagen abgeschlossen.“

 

Daneben steht den Ärzten zur Behandlung nun verstärkt das Anti-Covid-Medikament Paxlovid zur Verfügung: Das antivirale Medikament soll gerade älteren Menschen über 65 Jahren bei einer Corona-Infektion erheblich helfen, der bekannteste, damit behandelte Patient war zuletzt US-Präsident Joe Biden gewesen. „Paxlovid senkt bei Älteren die Corona-Sterblichkeit um bis zu 90 Prozent“, schrieb Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach jüngst auf Twitter, und kritisierte: Paxlovid werde viel zu wenig genutzt.

Das Corona-Krisenmanagement der Politik in Deutschland bekam über zwei Jahre hinweg keine wirklich guten Noten - hier eine Karikatur von Ralf Böhme aus dem Herbst 2021. - Grafik: RABE-Cartoon
Das Corona-Krisenmanagement der Politik in Deutschland bekam über zwei Jahre hinweg keine wirklich guten Noten – hier eine Karikatur von Ralf Böhme aus dem Herbst 2021. – Grafik: RABE-Cartoon

Tatsächlich drohen in Deutschland Medienberichten zufolge im Februar 2023 Hunderttausende von Paxlovid-Packungen abzulaufen. Hausärzte dürfen das Medikament nun auch direkt dem Patienten abgeben, ohne den Gang zur Apotheke, kündigte Lauterbach an. Auch Hoch betonte, Paxlovid stehe „in ausreichender Menge zur Verfügung.“

Nicht gut aufgestellt ist Deutschland hingegen weiter in Sachen Datengrundlage: Im Gegensatz zu anderen Ländern wird die tatsächliche Zahl der Corona-Infizierten weiter nur unzureichend oder mit Verzögerung erfasst, seit dem Ende der kostenlosen Bürgertests sind die täglichen Inzidenzen endgültig unvollständig – Experten gehen davon aus, dass die wahre Menge der Infektionen zwei- oder sogar dreimal höher liegt. „Die Inzidenz hat als Frühwarnsystem einfach ausgedient“, sagte Hoch nun.

 

Das Land will deshalb neue Instrumente zur Erkennung neuer Corona-Wellen etablieren: Im Herbst soll in 14 Kläranlagen ein eigenes Abwasser-Monitoringsystem starten, dabei wird das Abwasser auf das Coronavirus sowie weitere Infektions-Viren untersucht. Studien hatten gezeigt, dass sich im Abwasser die tatsächliche Belastung der Bevölkerung mit Viren sehr genau nachvollziehen lässt – mehr zum neuen Monitoring-System lest Ihr hier auf Mainz&.

Aufbau einer „Sentinel-Kohorte“ als repräsentative Gruppe

An der Mainzer Universitätsmedizin wird intensiv in Sachen Covid-19 geforscht. - Foto: Unimedizin Mainz
An der Mainzer Universitätsmedizin wird intensiv in Sachen Covid-19 geforscht. – Foto: Unimedizin Mainz

Dazu setzt Rheinland-Pfalz auf Testungen einer sogenannten „Sentinel-Kohorte“: Das sei „eine Personengruppe als repräsentativer Ausschnitt der Bevölkerung, die das Infektionsgeschehen einschließlich der Ausbreitung bestimmter Virus-Varianten, Störungen oder Erkrankungen sowie epidemiologische Indikatoren wie Sterblichkeit und Übersterblichkeit abbildet“, heißt es beim Gesundheitsministerium. Die Gruppe gebe so „ein stets aktuelles Bild der für die Gesamtbevölkerung anzunehmenden Lage ab.“

Zur Bildung einer solchen Kohorte stehe man mit der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und dem ITWM Kaiserslautern im engen Kontakt, sagte Hoch weiter. Dazu gebe es ein seit seit mehreren Jahren etabliertes System sogenannter „Sentinel-Praxen“: Das seien derzeit 52 Praxen in Rheinland-Pfalz, die im Auftrag des Robert-Koch-Instituts (RKI) Atemwegserkrankungen genau beobachteten und dem RKI wichtige Informationen über akute Entwicklungen lieferten.

 

Man arbeite gerade an einer Erweiterung des Sentinel-Systems in Zusammenarbeit mit dem RKI, sagte Hoch: „Das könnte für Rheinland-Pfalz wichtige Daten liefern, und nach Einschätzung des Landesuntersuchungsamtes (LUA) als weitere Möglichkeit zur Steuerung von pandemischen Maßnahmen während der kommenden Erkältungssaison in Betracht kommen.“ Durch Abwassermonitoring, der Testung von Sentinel-Kohorten und dem Ausbau der Sentinel-Praxen „werden wir in Rheinland-Pfalz eine sehr solide Datengrundlage haben, um zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Maßnahmen ergreifen zu können“, sagte Hoch.

Massentests und Masken wird es im Herbst in den Schulen nicht mehr geben. - Foto: dpa
Massentests und Masken wird es im Herbst in den Schulen nicht mehr geben. – Foto: dpa

Zur Corona-Vorsorge bei Kindern und Jugendlichen sagte der Minister, es werde derzeit überlegt, wie diese in die Sentinel-Kohorte aufgenommen werden könnten – womöglich könnten zwei komplette Schulen als Kohorten dienen. „Kinder und Jugendlichen sind nicht unsere Problemgruppen, Schulen sind kein Infektionstreiber“, betonte der Minister zugleich. Oberste Devise ist deshalb in diesem Winter, Schulschließungen zu vermeiden.

Gleichzeitig aber soll mit dem neuen Infektionsschutzgesetz das Anordnen einer Maskenpflicht in Grundschulen komplett untersagt werden, und in weiterführenden Schulen nur möglich sein, wenn erheblicher Schulausfall droht – Kritiker zeigten sich davon entsetzt: Den Schülern werde damit jeder Schutz genommen. Hoch begrüßte die neuen Regeln hingegen: Man habe den Kindern und Jugendlichen in der Corona-Pandemie ohnehin schon viel zugemutet. Sollten die Infektionszahlen im Herbst neue Maßnahmen nötig machen, „werden wir den Gesundheitsschutz der Kinder im Blick behalten“, fügte er hinzu.

Info& auf Mainz&: Alle Informationen zum Thema Impfen und Corona in Rheinland-Pfalz findet Ihr hier im Internet. Mehr zum geplanten neuen Infektionsschutzgesetz findet Ihr hier bei Mainz&. Alle Details zum neuen Abwasser-Monitoring-System lest Ihr hier bei Mainz&:

Rheinland-Pfalz startet Abwasser-Monitoring gegen Corona-Pandemie – Kläranlage Mainz bei 14 Standorten dabei